In Jena wurde im November 2014 ein neues Max-Planck-Institut für Geschichte und Naturwissenschaften (teils auch Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschicht) /Max Planck Institute for the Science of Human History eingerichtet (als wissenschaftliche Neuausrichtung des bisherigen MPI für Ökonomik). Es umfasst eine Abteilung für Archäogenetik und eine für Sprach- und Kulturevolution.
So sehr zu begrüßen ist, dass diese beiden wichtigen Forschungsrichtungen institutionell besser etabliert werden und Forschungsressourcen erhalten, so wirft das Konzept doch auch recht kritische Fragen auf.
Wie stellt man sich eine Synthese zwischen Genen, Sprache und Kultur vor? Bislang ist nicht zu erkennen, wie mit dieser grundlegenden kulturwissenschaftlichen Problematik in dem sehr naturwissenschaftlich ausgerichteten Institut umgegangen werden soll. Die Gleichsetzung von "Rasse"/Genetik, Sprache und Kultur ist eines der problematischen Kapitel der deutschen Forschungsgeschichte nicht nur der Archäologie, Geographie und Geschichte während der NS-Zeit. Eigentlich sollte heute klar sein, dass eine einfache Gleichsetzung dieser ganz unterschiedlichen Kategorien nicht statthaft ist.
Bleibt zu hoffen, dass hier Naturwissenschaftler nicht ganz unbedarft und konzeptlos der alten Gleichsetzung folgen, die in der Vergangenheit eine der übelsten Grundlagen für Rassismus geworden war.
Die Website formuliert als Aufgabe des Instituts die "Entwicklung und Anwendung neuer naturwissenschaftlicher Methoden,
mit dem Ziel einer integrierten Wissenschaft der Menschheitsgeschichte.
Es schlägt dabei eine Brücke zwischen den Geschichts- und
Naturwissenschaften." Wie die Integration aber tatsächlich konkret aussieht, bleibt bisher unklar, zumal auch nicht zu erkennen ist, dass tatsächlich Geschichtswissenschaften beteiligt sind.
In einem Kommentar der FAZ weißt auch Jörg Feuchter auf die Herausforderung hin, die es bedeutet, Genetik und Geschichtswissenschaft zusammenzuführen. Er sieht hier die Geschichtswissenschaften in der Pflicht, sich ihr zu stellen, doch bringt auch er die Hoffnung zum Ausdruck, "dass das neue Max-Planck-Institut in Jena auch ein Ort für solche kritischen Dialoge wird." Ohne solch einen Dialog wird das neue Institut keine vertretbaren Ergebnisse liefern können.
Die beste Genetik bringt nichts, wenn sie ihre Daten mit den falschen
historischen und sozialwissenschaftlichen Konzepten interpretiert. Es wäre ein großer Erfolg, wenn es hier tatsächlich gelingt, Natur- und Geisteswissenschaften zusammenzuführen!
Links
- C. Pietschmann, Zeitreise mit der molekularen Uhr. MaxPlanckForschung 2014/3, 70-77 - http://www.mpg.de/8722977/W005_Kultur_Gesellschaft_070-077.pdf
- J. Feuchter, Die DNA der Geschichte. FAZ (13.11.2014) - http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/neues-max-planck-institut-zur-dna-in-der-geschichte-13246120-p5.html?printPagedArticle=true#pageIndex_5
Interner Link
- Yersinia pestis - the missing ecological and historical dimension. Archaeologik (10.11.2011). Wenngleich der Blogpost in Bezug auf den aktuellen Forschungsstand zu Yersinia pestis nicht mehr auf dem aktuellen Stand ist, zeigt er doch am Beispiel eines Projektes des MPI-Gründungsdirektors Johannes Krause die fehlende historische Dimension einer wichtigen archäogenetischen Forschungsrichtung auf.
1 Kommentar:
Der Versuch, Kultur auf Reinraumbedingungen zu reduzieren und auf dieser Basis in Modelle zu packen, erstaunt und ersetzt mich jedes Mal aufs Neue. Wie die vermeinliche Integration der Geschichts- und Naturwissenschaften aussehen könnte, skizziert der neue MPI-Direktor Russell Gray (Science 345/6203) wir folgt: „‚Cultural anthropologists think there aren’t any rules for how political structures or religions come about,’ Gray says. ‚But to me, these are empirical questions. We don’t have to just wave our arms. There are no miracles.’“
Bereits aus diesem Statement wird die Distanz zu multifaktoriellen und hybriden Erklärungsmodellen sichtbar. Es gibt Gesetze weil es einfach Gesetze geben muss!
Wie das am Ende aussehen kann, zeigt der Blick auf eine aktuelle Publikation Grays zur Landbesitzstruktur im malayo-polynesischen Sprachraum (http://pubman.mpdl.mpg.de/pubman/item/escidoc:1950156:4/component/escidoc:1950157/Kushnick_Gray_Jordan_inpress.pdf). Die empirische Basis besteht ohne Quellenkritik aus den Einträgen der Handbücher Encyclopedia of World Cultures und Ethnic Groups of Insular Southeast Asia zu den aktuellen [sic!] Landeigentumsverhältnissen. Unpassend erscheinende Strukturmerkmale werden eliminiert: “The original sample had 101 societies, but we pared it down to 97 because 4 societies would have ended up with misleading values under this coding scheme. (...) We did not exclude all societies with elements of elite ownership.“
Weit verstörender ist aber die weitere Modellbildung: Gray möchte die viel Typen no-ownership (N), group-ownership (G), kin-ownership (K) und individual-ownership (I) in eine (unilaterale) historisch-genetische Entwicklungslinie bringen. Da ihm aber Daten über die vorkolonialen Zustände fehlen, verwendet er statt dessen ein geographisches Verlaufsmodell. Je weiter vom Festland entfernt, desto jünger die Kulturen, desto „ursprünglicher“ die Landeignerschaft.
Ich muss die Problematik dieser Prämisse auf einem archäologischen Blog wohl kaum näher erläutern. Der Reinraum, der keine Einflüsse von außen zulässt, tritt überdeutlich zu Tage. Für eine Einbeziehung zusätzlicher Faktoren (“socioecological, conditions, population pressure, physical geographic characteristics of the islands themselves, environmental and subsistence risk and uncertainty, or some combination of factors”) wird schlicht auf mögliche Folgestudien verwiesen. Auf diese Weise immunisiert sich Gray gegen Kritik (zu dieser klassisch naturwissenschaftlichen Abwehrstrategie sehr schön: Steven Shapin/Simon Schaffer, Leviathan and the Air-Pump: Hobbes, Boyle and the Experimental Life, Princeton 1985).
Ich persönlich würde mich gewöhnlich weigern, derartig wenig fundierte Analysen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Da Jörg Feuchter zu Recht bemerkt hat, wie groß ihre Resonanz in der Öffentlichkeit ist, wähle ich eine andere Strategie. Ich nenne sie bei ihrem richtigen Namen: Science-Fiction!
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