Montag, 13. März 2023

Eigentlich toll - und doch megafrustrierend und schändlich: NUMiDonline

Im Prinzip ist es ganz hervorragend, Münzen in einer Datenbank vorgelegt zu bekommen, die vielfältige Recherchemöglichkeiten erschließt. 

Der DGUF-Newsletter vom 28.2.2023 nennt das Ganze aber ein Desaster (Spoiler: m.E. zu Recht):

Zu einem verschwindend geringen Anteil haben die Münzen Fundortangaben, obwohl man sich sicher sein kann, dass keine davon in einem Geldbeutel überlebt hat, sondern die Masse irgendwo als Bodenfund aufgetaucht ist - manche vielleicht zufällig, viele mit Sicherheit bei Raubgrabungen.

Die Diskussion um Provenienzen geht nun ja schon einige Jahre, wenn auch primär um NS-Raubkunst und koloniale Güter, aber auch die Diskussion um archäologische Raubgrabungen ist ja keinesfalls neu.

 

Screenshot der Karte aus NUMiDonline: kaum Fundorte
(Map data@ OpenStreetView contributors CC BY SA map data: @MapBox/ Portal des NUMiD-Verbandes CC BY-SA 4.0)

Selbst dort, wo ein Fundort bekannt ist, fehlen jegliche weiteren Angaben. Wenn man einmal gefunden hat, wo man den Fundort überhaupt recherchieren kann - zu den vorgesehenen Optionen gehört das offenbar gar nicht - und man sucht nach Mindelheim als einem der wenigen Fundorte, den die Übersichtskarte überhaupt anzeigt, findet man 28 Münzen der Zeit zwischen 260 und 270, die meisten von Kaiser Claudius Gothicus. Nur die Tatsache, dass alle Literaturangaben auf FMRD I-7 7244 verweisen, verrät, dass man es mit einem Fünzhort aus der Zeit der sog. Alamanneneinfälle zu tun hat. Laut dem Band Fundmünzen im Römischen Deutschland wurde der Hort 1959 zwischen Mindelheim und Augsburg gefunden und geriet durch den Kunsthandel in eine Privatsammlung. Wie die Stücke dann in das Münzkabinett der Klassischen Archäologie der Universität Tübingen gelangten, erfährt man nicht. Der Fundort ist also auch kein gesicherter Fundort.

Münzen mit Abfrage Mindelheim
(Bild: Portal des NUMiD-Verbandes CC BY-SA 4.0)

Beim Fundort Tübingen stößt man auf ein republikanisches As (https://www.ikmk.uni-tuebingen.de/object?id=ID1596), des 3, Jahrhunderts v.Chr., was gelinde gesagt sehr ungewöhnlich ist. Zur Provenienz findet sich nur: Accession Zugangsart Kauf.

Tatsächlich gibt es Stücke, bei denen man zurecht die Bezeichnung  'aus alter Sammlung' gebrauchten könnte. So ist eine Münze, angeblich aus Nagold auf (https://www.ikmk.uni-tuebingen.de/object?id=ID11) auf Regierungsrat Carl Sigmund Tux zurück zu führen, der im Jahre 1798 durch seine testamentarische Schenkung an die Universität Tübingen die dortige Münzsammlung begründete.

Nun sind Universitätssammlungen keine Regional- oder Landesmuseen, an die beispielsweise Grabungsfunde gehen. Insofern darf man die Erwartungen an  Fundortangaben nicht zu hoch hängen. Interessanterweise sind aber auch die berüchtigten alten Sammlungen in NUMiDonline kaum aufzuspüren, vieles wurde über den Kunsthandel als Veräußerer erworben.  Es finden sich auch fundortlose Stücke, deren Provenienz nicht vor 2020 zurück zu verfolgen ist (z.B. https://www.virtuelles-muenzkabinett.de/object?id=ID2148)

Ohne Kenntnis des Fundorts lassen sich nicht einmal einfachste Verbreitungskarten zeichnen, die für das Verständnis wirtschaftsgeschichtlicher Zusammenhänge von Bedeutung sind, auch alle siedlungsarchäologischen Erkenntnisse sind verloren. Ich wiederhole hier eine Tabelle, die den Quellenwert von Münze ohne und mit Kontext einander gegenüber stellt

Ohne Kontext
Mit Kontext
  • Materieller Wert
  • Datierungsmöglichkeit für archäologische Befunde
  • Bildprogramm der Münze
  • ggf. Teil eines Hortfundes (vulgo: Schatzes) mit wichtigen Informationen zu dessen Bildung, Zusammensetzung
  • Rarität
  • Lokaler Münzumlauf

  • Wirtschaftliche Konjunkturen

  • „Schatzhorizonte“: Informationen zu politischen Krisen, Unruhezeiten

  • Regionale Metallzusammensetzungen

  • Bestattungs- und Opfersitten

  • Regionale Wirtschaftsbeziehungen

Anm.: Selbst schlecht erhaltene, nicht mehr exakt bestimmbare Münzen liefern zumindest ein quellenkritisches Korrektiv
Tab.: Der Wert einer Schrottmünze - in rot der vernichtete Wert


Der Beurteilung im DGUF-Newsletter kann ich nur zustimmen:

Die nun öffentlich sichtbaren Kataloge vieler deutscher Münzkabinette verdeutlichen, was "Münzeln sammeln" unter dem Aspekt "Kulturelles Erbe" vorwiegend bedeutet: Das Archivieren von aus ihrem Fundkontext gerissenen Fundstücken, die nach Raubgrabung und Hehlerei in der Regel über Sammlungsschenkungen oder -ankauf in staatliche Hände geraten sind. Da man auch am Ende einer langen Besitzerkette kein rechtmäßiges Eigentum an Dingen erwerben kann, dessen Ursprung illegal ist, macht diese Recherche auch deutlich, dass ein hoher Anteil dieser mit staatlichem Aufwand erworbenen, gepflegten und nun digitalisierten Bestände "sehr fragwürdig" ist - um vorsichtshalber sich aufdrängende, klare juristische Termini zu vermeiden.

NUMiD verdeutlicht, dank Digitalisierung und Open Access nun weithin öffentlich, welch gewaltiger Schaden am Kulturellen Erbe durch Münzsammeln und die derzeitige staatliche bzw. museale Praxis entsteht.

Raubgrabungen lassen sich nicht unterbinden, indem man sie verbietet (das sind sie längst), man muss den Markt austrocknen. Keinesfalls sollten öffentlche Gelder in die Raubgräberei/ Antikenhehlerei fließen, die hier fast immer am Anfang der Provenienzketten steht, ehe über verschiedene Tricks eine Legalisierung erreicht wird. Die Münzen aus einem Zufallsfund, die man mit einem Ankauf "rettet" sind ja offenbar ebenfalls ohne Fundort und damit ihrer wichtigsten Aussagekraft ohnehin schon beraubt und ihr Geld nicht mehr wert. Die Sonderstellung von Münzen etwa im Kulturgutschutzgesetz ist durch nichts zu rechtfertigen. Ein Raubgrabungsloch ist ein Raubgrabungsloch, egal ob für eine Münze, eine Fibel oder einen Nagel.

 

Links


2 Kommentare:

Johannes Wienand hat gesagt…

Die universitären Münzsammlungen in Deutschland bewahren einen dezentralen Bestandskomplex von etwa 300.000 numismatischen Originalobjekten vorrangig aus der antiken und islamischen Geldgeschichte. Die Ursprünge der Sammlungsbestände reichen teils Jahrhunderte zurück, die Sammlungen wurden primär mit Blick auf Fragen der Forschung und akademischen Lehre zusammengetragen. Die Zugangsarten sind vielfältig, darunter Schenkungen, Leihgaben, testamentarische Legate und Zuweisung von Funden. Provenienzen werden, soweit sie sich rekonstruieren lassen, selbstverständlich aufgearbeitet und in der Digitalisierung berücksichtigt. Dass unsere Kenntnis hier lückenhaft ist, teilen die universitären Münzsammlungen mit vielen anderen historischen gewachsenen Objektsammlungen des materiellen Kulturerbes. 'Schändlich' wäre höchstens, wenn sich das Netzwerk nicht auch eingehend mit der Geschichte, Gegenwart und Zukunft der universitären Sammlungskulturen auseinandersetzen würde, das aber ist elementarer Bestandteil unserer Auseinandersetzung mit den Beständen (dazu in Druckvorbereitung: https://t1p.de/s8uav; einstweilen: http://numid-verbund.de/text.php?page_id=11).

Die Aufarbeitung und Digitalisierung der historischen Bestände erfolgt in einem internationalen Verbund nach höchsten wissenschaftlichen Standards gemäß FAIR-Prinzipien, das Netzwerk hat maßgeblich dazu beigetragen, eine die numismatischen Sammlungsbestände deutscher Universitäten verbindende gemeinsame, gemeinsam genutzte und nachhaltig nutzbare Wissensbasis für digitale numismatische Forschung, Lehre und Verwertung zu schaffen (Details: https://doi.org/10.1515/abitech-2018-4004).

Johannes Wienand hat gesagt…

Zwei ergänzende Bemerkungen:

Dass Fundkontexte von Münzen auch in der Grabungsarchäologie nicht immer sauber dokumentiert wurden, mag ein Blick auf Olympia zeigen: Von über 20.000 Münzen, die hier über die Zeiten hinweg archäologisch kontrolliert aus dem Boden geholt wurden, sind nur bei einem Bruchteil der genaue Ort, die Fundtiefe oder sonstige Angaben zu den Fundumständen dokumentiert. Dennoch ist natürlich richtig und wichtig, die Objekte mit allen heute noch greifbaren Informationen digital zugänglich zu machen. Dies erfolgt in diesem Fall über dasselbe Digitalisierungssystem, das auch numid.online zugrunde liegt. Dass auch bei den Fundmünzen aus Olympia die Quote präziser Fundangaben letztlich sehr gering ausfallen wird, ist nicht den heutigen Bearbeitern anzulasten und schmälert auch nicht den Nutzen der Digitalisierung.

Von den an NUMiD beteiligten Forschungseinrichtungen und Personen vertritt niemand die Interessen des Antikenhandels, und es besteht hier keine Notwendigkeit zu pauschalisieren. Richtig ist, dass numismatische Forschung in ihrer heutigen Form nicht ohne die Berücksichtigung von Objekten aus Privatsammlungen und dem Handel möglich wäre (wie dies beispielsweise auch für Bleibarren, Siegel, Gemmen oder Militärdiplome gilt), und dies betrifft selbst die Arbeit des Deutschen Archäologischen Instituts sowie DFG- und BMBF-geförderte Projekte. Entsprechende Informationen fließen auch ein in die numismatischen Typologien, die beispielsweise von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften oder der University of Oxford entwickelt werden, das zeigt ein Blick in die laufenden Arbeiten von RIC (z.B. https://ric.mom.fr/en/home), RPC und CCI (https://rpc.ashmus.ox.ac.uk, https://cci.arch.ox.ac.uk) oder CN (https://www.corpus-nummorum.eu/) und schlägt sich in den weitaus meisten numismatischen Typenkatalogen nieder, die über die Fachgrenzen hinaus immer gerne genutzt werden (wie beispielsweise B. Woytek: Die Reichsprägung des Kaisers Traianus, Wien 2010). Den beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaflern wird man ebensowenig wie allen, die diese Ressourcen nutzen, unterstellen wollen, illegale Aktivitäten zu unterstützen, und eine undifferenzierte Polemik führt hier kaum weiter.

Wer Fragen zu einzelnen Objekten oder Datensätzen hat, kann sich übrigens jederzeit an die verantwortlichen Institute wenden: Bei jedem Datensatz findet sich ein Kontaktformular.