Donnerstag, 27. August 2015

Das schmutzige Geschäft mit der Antike

Günther Wessel
Das schmutzige Geschäft mit der Antike.
Der globale Handel mit illegalen Kulturgütern

(Berlin: Ch. Links Verlag 2015)

ISBN 978-386153-841-7

Broschur, 184 Seiten, keine Abbildungen

18,-€



Das Buch geht zurück auf ein ARD-Radiofeature im April 2015. Zu dessen Vorbereitung hat der Autor Günther Wessel so viel Material gefunden, dass nun ein ganzes Buch daraus geworden ist. Er reiste nach Ägypten, Italien, in die Schweiz, nach Lörrach und Brüssel und recherchierte bei Archäologen, Juristen, Sammlern, Kunsthändlern, Schmugglern und Kriminalbeamten - und auch bei Fellachen in Ägypten. Systematisch geht er die Kette der Raubgrabungen durch. Von den kleinen Raubgräbern in den Dörfern Ägyptens - oft sind es Kinder, die in die schmalen, einsturzgefährdeten Raubgrabungsschächte geschickt werden - bis zu den kunstsinnigen Sammlern in Deutschland.

Vor Ort in Ägypten

In Abu Sir al Malaq hat sich Günther Wessel die Raubgrabungsfelder vor Ort angesehen. "Loch an Hügel, Loch an Hügel ... Überall menschliche Knochen, Schädelplatten, Oberschenkel, Rippenbögen, achtlos übereinandergeschaufelt. Dazwischen Tuchfetzen - Reste von Bandagen, mit denen einst die Mumien umwickelt waren" (S. 26f.). Im frühen 20. Jahrhundert hatten hier einmal reguläre Grabungen stattgefunden, heute wäre das kaum noch möglich.


Abu Sir al Malaq: Raubgräberlandschaft auf einem ägyptischen
Gräberfeld. [Die Luftbilder in Google Earth zeigen, dass die meisten Löcher
zwischen dem 11.7.2010 und dem 12.9.2012 geschaufelt wurden.]
(Google Maps)

Sammler

Am anderen Ende der Kette stehen die Sammler. Ihre Nachfrage weckt die Hoffnungen auf große Erlöse und motiviert eher kriminelle Banden als die aus Not grabenden Einheimischen.

Kapitel 6 behandelt die Sammler und ihre Motivation. Sie ist heute selten wissenschaftlich. Seit der Wirtschaftskrise sind Kunst und Antiken vor allem Anlageobjekte. Anders als bei allen sonstigen Anlageformen, für die größte Transparenz gefordert wird, lebt der Antikenhandel von der Diskretion. Klarheit über tatsächliche Provenienz (wohl meist aus Raubgrabungen) oder Echtheit (Schätzungen gehen bis zu einem Fälschungs-Anteil von 60% am Markt) schafft allen nur finanzielle Verluste.
An mehreren Stellen im Buch werden auch andere Motive als die des Prestige und der Geldanlage deutlich. Etwa, wenn Günther Wessel die Vertreterin der Händler, Ursula Kampmann zitiert (S.81): "Es [das Sammeln] ist eine Möglichkeit, direkt und konkret mit der Vergangenheit in Kontakt zu treten. Sie haben eine fantastische, direkte Berührung mit Objekten, die Menschen geschaffen haben, denen das, was sie geschaffen haben, wichtig war." Das klingt allerdings eher esoterisch und nach Tischrücken als nach historischem Interesse. Oscar White Muscarelle schrieb gar 2006: "Und alle [Sammler] sagen mir, die Objekte bereichern ihr Leben. Das hat fast eine sexuelle Note" (S. 84).

Aber es gibt auch die interessierten Sammler.
Wessel geht allerdings nicht auf jene Sammler ein, die sich als Regionalwissenschaftler verstehen (um den Begriff Heimatforscher zu vermeiden) und denen es um die Forschung und Archivierung regionaler Funde meist aus ihrer eigenen Heimat geht. Ein Beispiel dafür ist der hier im Blog mehrfach angesprochene Albert Kley (vergl. Archaeologik 4.7.2010). Diese Gruppe ist wichtig zu identifizieren, wenn es um die Zusammenarbeit von Archäologen und Hobbyforschern geht. In Kapitel 3 thematisiert Wessel die Hobbyforscher und Sondengänger in Deutschland - allerdings v.a. jene Sorte, die mehr Schaden als Nutzen bringt und die der Archäologie sehr ablehnend gegenüber steht. Günther Wessel greift dabei übrigens auf den Archaeologik-Beitrag ("Das nennt sich fieldwork ihr Schnarchzapfen!) von Jutta Zerres zurück, um das angespannte Verhältnis von Archäologen und Laien darzustellen (vergl. Archaeologik 27.2.2014).

Günther Wessel hat eher die Kunstsammler im Auge, die eben auch sehr viel eher als Käufer auftreten. Er hat mit Karl-Heinz Preuß gesprochen, der seine Sammlung als Dienst an der Öffentlichkeit sieht und sie auch weitgehend öffentlichen Sammlungen gestiftet oder zur Verfügung gestellt hat. Aber auch in seiner Sammlung kam es zu einem Skandalfall: Ein thebanisches Relief, gekauft mit der Angabe "aus alter Sammlung" erwies sich als Raubgut aus einer archäologischen Grabung - das glücklicherweise vor dem Raub noch in situ in der Grabungsdokumentation registriert worden war. Preuß hat das Objekt an Ägypten zurück gegeben und ist nun verunsichert. Kann man den Händlerangaben denn überhaupt trauen?
Wessel rollt auch den Fall des Helmut Thoma auf, der auch hier auf dem Blog mehrfach thematisiert worden ist (vergl. Archaeologik 15.11.2010). Wessel führte mit Thoma ein Interview (S. 84ff.; 122) zuhause und konnte auch das fragliche palmyrenische Grabrelief sehen, das Thoma angeblich selbst in einem Grab in Palmyra ausgewählt hatte. Im Interview zeigte Thoma Verständnis für die Vorwürfe der Archäologen. Er bestätigt im wesentlichen seine Geschichte, mit einem kleinen wesentlichen Unterschied: Das Relief in seinem Wohnzimmer ist nicht jenes, das er selbst im Grab gesehen hatte. So kann er nun behaupten, "er wisse ja gar nicht so genau, woher das gute Stück käme".Wessel zitiert Thoma wörtlich: "Aber warum soll ich denn ein schlechtes Gewissen haben? Es ist ja alles legal abgelaufen" und "Wenn ich etwas bei einem Händler kaufe - was soll ich denn tun? Ich weiß es ja im Zweifel auch nicht, ob der Betreffende Hehlerware oder was weiß ich verkauft. Ich kann das auch gar nicht überprüfen."
Wessel erläutert in diesem Zusammenhang das Prinzip des "gutgläubigen Erwerbs" (S. 87), das besagt, dass ein Eigentumsübergang von Hehlerware dann rechtmäßig ist, wenn der Käufer davon ausgegangen ist, dass der Anbieter rechtmäßiger Besitzer des Stückes ist. Das wird bei renommierten Händlern erst einmal vorausgesetzt, bei Auktionen gar gesetzlich eingeräumt.

Die Rolle des Sammelns durch Privatleute wie auch durch Museen wird heute zunehmend diskutiert. Das vorliegende Buch geht darauf nur am Rande ein.

Die Verteidiger privaten Sammelns berufen sich gerne auf dessen bildenden Wert und auf seine Bedeutung für die Gesellschaft, dadurch, dass breite Kreise in Kontakt mit der Antike kämen. Ursula Kampmann stellt denn auch die Humanisten als die Begründer des Sammelns heraus (S. 108). All diese Argumente sind unbrauchbar: Private Sammlungen sind in der Regel kaum zugänglich (Objekte in Museumsdepots hingegen durchaus), wirklich bildende Informationen zu den Objekten fehlen. Bei den Marktpreisen ist es auch mehr als fraglich, dass damit größere Bevölkerungskreise angesprochen werden können. 
Private Sammlungen zum Schutz von Kulturgütern machen heute allenfalls noch insofern Sinn, als sie Anreiz bieten, Geld in die Restaurierung - aber leider auch in den illegalen Markt - zu investieren. Wissenschaftlich und kulturell haben sie nur einen Wert, wenn die Objekte dokumentiert und der Wissenschaft wie auch der Öffentlichkeit zugänglich sind. Auch hier zeigen die üblichen spärlichen Provemienzangaben, dass dies die Ausnahme ist. Ein höherer gesellschaftlicher Wert des privaten - weitgehend undokumentierten - Sammelns wird dadurch heute mehr als fraglich. 

Zweifelhafte Provenienzen

rotfiguriger Euohronios-Krater, um 515 v.Chr.,
ehem. in New York, jetzt Rom, Villa Julia.
(Foto: Tim Pendemon [CC BY 2.0] via WikimediaCommons)
Günther Wessel präsentiert eine lange Liste von Fällen, in denen eine gefälschte Provenienz nachgewiesen werden konnte und die Objekte an die Herkunftsstaaten zurück gegeben werden mussten (S. 96). Wobei dies jedoch in keinem Fall ein Verdienst des aktuell geltenden deutschen Rechts ist, das eher dazu geeignet ist, Raubgrabungsgüter zu legalisieren.
Nur drei Fälle seien hier genannt:
  • Der Euphronios-Krater, 1972 vom Metropolitan Museum in New York von einem berüchtigten Händler gekauft, sollte angeblich aus einer libanesischen Familiensammlung stammen. Tatsächlich stammte er nachweislich aus einer Raubgrabung in Etrurien, wo er Teil einer etruskischen Grabausstattung war, deren Zusammensetzung uns leider unbekannt bleibt. Erst nach langjährigem Streuben wurde der Krater 2006 an Italien zurück gegeben. (S. 100)
  • Die Venus von Morgantina, um 1980 illegal auf Sizilien ausgegraben und 1988 vom Getty Museum für 18 Mio Dollar gekauft. (S. 95)
  • Eine ägyptische Wandmalerei aus der Sammlung Preuß wird im Frühsommer 2014 auf einem Grabungsfoto aus Theben identifiziert. Es wurde um 1980 bei Plünderungen aus der Wand geschlagen. Es gelang 1986 über einen Kölner Kunsthändler in die Sammlung Preuß. Als Provenienz wurde 'aus altem englischen Besitz' genannt. (S. 89)
Kurz skizziert Wessel den Medici-Fall (S. 92ff.), bei dem es der Polizei gelungen ist, im Genfer Freihafen nicht nur ein riesiges Lager illegaler Antiken sicher zu stellen, sondern auch Dokumente, die die Netzwerke des Handels aufzeigen konnten - und die auch die Verwicklung des Getty Museums beweisen konnten.
Wessel zeigt, die Wege, wie illegale Objekte formal legalisiert werden (Kapitel 9), durch Auktionen, durch gefälschte Papiere oder einfach durch zugeschriebene Provenienzen, die ein Käufer im guten Glauben akzeptiert.

Wo aber sollen die Objekte legal herkommen?
Das geltende deutsche Recht setzt sich in überheblicher kolonialistischer Manier über Exportverbote der Herkunftsländer hinweg. Provenienzangaben selbst "aus alter Sammlung" sind oft nur wenige Jahre alt und suggerieren die Legalität, indem sie dem oberflächlich nachfragenden Interessenten einen gutgläubigen Erwerb ermöglichen sollen.

Nebenbei: Ursula Kampmann verweist auf alte Adelssammlungen als mögliche Provenienz von archäologischen Objekten im Handel (S. 108f.). Das ist unglaubhaft, denn solche Sammlungen sind prinzipiell bekannt und von eher bescheidenem Umfang. Es beruft sich im übrigen kaum je ein neu am Markt  auftauchendes Stück tatsächlich auf solch alte Provenienzen, sie wären nämlich durchaus nachprüfbar. Solche Sammlungen - sind sie denn überhaupt überliefert - sind längst bekannt und stehen übrigens meist auch unter Denkmalschutz (vergl. z.B. die Zusammenstellung von Kunstkammern unter http://enzyklopaedie.ch/Kunstkammern/Kunstkammern_Liste.html).


    Schmuggelwege


    Schmugglertunnel im Gazastreifen
    bei Rafah an der Grenze von Ägypten
    (Foto: Marius Arnesen 2008 [CC BY SA 2-0]
    via WikimediaCommons)
    Die Fundobjekte werden auf vielfältigste Art und Weise aus ihren Herkunftsländern geschmuggelt (Kapitel 5). Feste Wege gäbe es nicht, sondern viele Gelegenheiten, die alle genutzt würden: Export über See, durch Tunnel in den Gaza-Streifen, im Diplomatengepäck, ummantelt mit Lackschichten, die aus ägyptischen Originalen optisch billigen Touristenkitsch machen. Und gefälschte Papiere natürlich. Drehscheiben des Handels sind der Libanon und die Vereinigten Arabischen Emirate. Die Schweiz hat durch eine Gesetzesnovelle ihre Rolle inzwischen eingebüst. Noch immer werden zwar die dortigen Zollfreilager genutzt, aber inzwischen werden von der Schweiz Exportlizenzen verlangt.

    Die Rolle der Archäologen

    Kapitel 4 und 7 widmen sich zwei verschiedenen Spezies von Wissenschaftlern: Den Archäologen einerseits - tätig vor allem in Forschungseinrichtungen, Denkmalämter und Regionalmuseen - und Museumskuratoren andererseits - tätig an großen renommierten kunstsinnigen Häuser (nicht zuletzt in den USA), die meinen, an Besucherzahlen und Neuerwerbungen gemessen zu werden. Museumskuratoren sind an Besuchermagneten interessiert und im Falle des Getty's Museum sind die Kuratoren auch überführt, wissentlich Raubgrabungsgut gekauft zu haben - und Provenienzbelege gefälscht zu haben. Auch in Deutschland gibt es immer noch Archäologen, die sich am Geschäft beteiligen, indem sie als Gutachter für fragliche Objekte fungieren. Wessel erzählt den Fall einer offenbar gefälschten Alexanderbüste, die durch Gutachten und Ausstellung bei der alt-ehrwürdigen Winkelmann-Gesellschaft in Stendal die Weihen eines Originals erhalten hat (S. 134f.). Schaut man daraufhin beispielsweise noch in die Liste der Experten etwa bei der Brussels Ancient Art Fair, so entdeckt man auch dort namhafte deutsche Professoren der klassischen Archäologie (http://baaf.be/vetting/?PHPSESSID=jafpptts08llc8p4vvp30kjr97). Das entspricht sicher nicht den Ethik-Richtlinien des Faches (vergl. Archaeologik 5.6.2015), auch wenn man argumentieren kann, dass es darum geht, die Wissenschaft vor Fälschungen zu schützen. Wessel zeigt aber auch Fälle, in denen Bedenken fraglichen Objekten gegenüber zurückgestellt wurden, um deren Attraktivität zu erhalten (S. 139).

    Eine knappe Einführung in die Forschungsgeschichte der Archäologie zeigt auf (S. 52ff.), wie diese verschiedene Forschungstraditionen vereint: Die kunsthistorische, die an dem ästhetischen und erbaulichen Wert der Funde interessiert war und einer mehr naturwissenschaftlichen, der es um Erkenntnisse über den Alltag der Vergangenheit geht und die dazu zwingend auf die Kontextinformationen angewiesen ist - und auch die 'unverkäuflichen' Keramikscherben, Tierknochen und Bodenverfärbungen registrieren muss: Wo lag der Fund? Wie war er in Relation zu anderen Objekten, Baustrukturen, Fundstreuungen, topograpischen Merkmalen positioniert?


    Blutige Antiken - Antikenhandel und Terrorismus

    Das gesamte zweite Kapitel geht der Frage nach, wie der IS-Terrorismus in die Raubgrabungen involviert ist und inwiefern er sich daraus finanziert. Das ist derzeit ein zentrales Thema, ist doch der Kampf gegen den Terrorismus ein wesentliches Motiv bei der anstehenden Gesetzesnovellierung  des Kulturgutschutzes. Der Kunsthandel leugnet oder bagatellisiert die Rolle des Antikenhandels für den IS. Als Reaktion auf einen Artikel in der FAZ, in der Hermann Parzinger auf den Zusammenhang von Terrorismus und Antikenhandel verwies, heißt es in einem Schreiben des Verbands der deutschen Münzenhändler e.V. und des Berufsverbands des Deutschen Münzenhandels e.V. vom 24. Juli 2015 an Parzinger (‚Genug ist genug!': Hermann Parzinger fordert eine Rückkehr zum sachbezogenen Dialog über das neue Kulturgutschutzgesetz“ (21.07.2015) - http://www.preussischer-kulturbesitz.de/meldung/news/2015/07/21/genug-ist-genug-hermann-parzinger-fordert-eine-rueckkehr-zum-sachbezogenen-dialog-ueber-das-neue-kulturgutschutzgesetz.html auf den Seiten der SPK):
    "Die Behauptung, der Antikenhandel zur Terrorfinanzierung sei ein Milliardengeschäft, ist durch nichts belegt."
    "Weder die Bundesregierung, noch die UNESCO, noch das Bundeskriminalamt haben auf Nachfrage dazu verlässliche Zahlen vorlegen können."

    Images from 9/11
    9/11 - Laut Spiegelbericht hat Mohammad Atta
    zur Finanzierung einen Käufer für archäologische
    Funde aus Afghanistan gesucht.
    (Foto: 'macten' [CC BY-NC 2.0] bei flickr)
    Günther Wessel zeigt auf, wie der Kenntnisstand dazu ist. Sicheres, beweisbares Wissen gibt es in der Tat kaum. Kriminalisten sprechen hier von einem "Dunkelfeld", für das gar keine statistischen Daten vorliegen können und in dem nur weniges  wirklich bewiesen werden kann.  "Illegaler Antikenhandel findet per definitionem nicht mit dem Gesetzbuch unter dem Arm statt" (S. 43).
    Der Terrorismus hat nicht erst mit dem IS Antiken als Einnahmequelle entdeckt. Mohammed Atta, der Drahtzieher von 9/11 hatte versucht, archäologische Funde aus Afghanistan zu verkaufen, um damit ein Flugzeug zu kaufen (S. 40f. - Spiegel 18.7.2005). Auch aus dem Grenzgebiet von Afghanistan zu Pakistan ist bekannt, dass die Terrororganisation der Taliban eine Art Zoll auf "wertvolle Steine, Skulpturen und andere historische Artefakte" erhebe. In Lagern der Aufständischen fanden Marines auch Antiken, die teilweise 2003 im Irakischen Nationalmuseum in Bagdad gestohlen worden waren. US-Berichte auf WikiLeaks belegen, dass 2005 im Irak Waffen- und Antikenhandel eng zusammen hingen.

    Für den aktuellen Konflikt in Syrien und Irak ist deutlich, dass verschiedene Parteien in den Handel mit Antiken verwickelt sind. Schon vor der Eroberung Palmyras durch Daesh/IS wurden dort mehrfach Plünderungen registriert (S. 48).
    Unter Berufung auf einen anonym bleibenden Geheimdienstmitarbeiter kursiert seit Sommer 2014 die Zahl von 36 Millionen Dollar, die ISIS allein in einer Region westlich von Damaskus aus dem Erlös von Antiken eingenommen hätte. Diese Zahl kann nicht offiziell bestätigt werden, schien aber insofern glaubhaft, als die ansonsten bekannten geringen Einnahmen des IS dessen Finanzkraft nicht erklären konnten (S. 40 - The Guardian 15.6.2015). Konsequenterweise behauptet Wessel nicht, wie lange kolportiert wurde, Plünderungen seien die zweitwichtigste Finanzquelle des IS. Dazu wissen wir noch immer zu wenig über die Organisation und viele dieser Aussagen gehen auf inofifizielle Geheimdienstquellen zurück. In Archäologenkreisen wurden - was Wessel nicht thematisiert - diese Zahlen kontrovers und mit viel Skepsis diskutiert (vergl. Archaeologik 1.12.2014). Frühzeitig bestanden Befürchtungen, die Archäologie könnte hier politisch im Kampf gegen den Terrorismus misbraucht werden (D. Fincham, More on ISIS and Illicit Antiquities. Illicit Cultural Property (18.11.2014) - http://illicitculturalproperty.com/more-on-isis-and-illicit-antiquities/). Das Risiko besteht bis heute und die Verknüpfung der deutschen Gesetzesnovellierung mit dem Thema zeigt, dass dies nicht abwegig ist. Tatsächlich steht außer Frage, dass Daesh Einnahmen aus dem Antikenhandel erzielt - wie andere Kriegsparteien auch. Und die Raubgrabungslöcher, die man in Luftbildern erkennt, zeigen den dringenden Handlungsbedarf.

    Inzwischen gibt es neue Argumente, die so aktuell sind, dass sie in Wessels Buch noch gar nicht diskutiert werden: Bei einer Operation von US-Spezialeinheiten wurde am 16.5.2015 im Osten Syriens der IS-Führer Abu Sayyaf aufgespürt und getötet (CNN 17.5.2015). Dabei wurde ein Schatz von Antiken sichergestellt - ein Beweis, dass IS-Führer auch persönlich in das Geschäft mit Antiken involviert sind. Die Funde (siehe Fotogalerie des US Department of States; Bilder von der Ausstellung anlässlich der Rückgabe im Nationalmuseum Bagdad bei Sam Hardy's Conflict Antiquities) umfassen zahlreiche Münzen, Rollsiegel und Kleinfunde, insgesamt etwa 700 Objekte, darunter allerdings auch einige Fälschungen. Die Funde waren transportfertig verpackt und sind teilweise auch noch einmal restauriert worden. Einige der Funde stammen aus dem von IS heimgesuchten Museum von Mosul, andere aus Syrien und einige sogar aus der Plünderung von 2003 im Nationalmuseum in Bagdad, die Daesh wohl von Händlern vor Ort erworben hat. Beispielsweise wurde ein sicher gestellter Elfenbeinbeschlag 1989 bei britischen Grabungen in Nimrud gefunden worden und seitdem im Museum von Mossul aufbewahrt worden (http://eca.state.gov/cultural-heritage-center/iraq-cultural-heritage-initiative/isil-leaders-loot). Außer den Fundobjekten wurden auch archäologische Fachbücher gefunden. Diese Funde belegen zwar nicht die Umsätze des IS-Antikenhandels, sind aber ein eindeutiger Beleg, dass der Antikenhandel der Finanzierung des Terrorismus dient. Inzwischen gibt Daesh/IS in seiner Propaganda auch zu, selbst Raubgrabungen durchzuführen. Ein Video zeigt Grabungen in Dura Europos. Es scheint authentisch, wenngleich die Sequenzen für das Video erkennbar inszeniert sind (M. Giglio, Exclusive Video Shows Illicit Archaeological Dig In ISIS Stronghold. buzzfeed (3.8.2015). - http://www.buzzfeed.com/mikegiglio/exclusive-video-shows-an-illicit-archaeological-dig-in-isis).

    Der Kunsthandel hat sofort versucht, diese kritische Vorsicht zu seinen Gunsten zu wenden und laut verkündet, es gäbe keinerlei Beweise für die Finanzierung des Terrors durch den Antikenhandel (http://www.iadaa.org/de/keinerlei-beweise-f-r-eine-finanzierung-des-durch-den-antikenhandel). Auch jetzt noch verweist der Kunsthandel darauf, dass mit der Sicherstellung eines Antikenschatzes in dem Haus eines IS-Führers erstmalig ein Beweis gefunden wurde, dass der IS sich mit Antikenhandel finanziert. Man könne bei einem Wert von 20-40.000$ - das ist der geschätzte Wert der sicher gestellten 'Ware' - wohl kaum "von einem lukrativen Milliardengeschäft auf Kosten des kulturellen Erbes der Menschheit“ sprechen?

    Das ist im übrigen aber nicht das erste Mal, dass archäologische Funde im Besitz von Daesh/IS gefunden wurden. Bereits 2010, vor dem Erstarken des Daesh/IS waren nach einer irakischen Pressemeldung (noch online bei WikiLeaks: https://wikileaks.org/gifiles/docs/18/1888560_iraq-antiquities-found-in-ninewa-.html) 7 Bronzefunde bei einem Goldschmied in Mossul gefunden worden, dessen Laden von irakischen Sicherheitskräften durchsucht wurde.
    In einem Video, das Daesh/IS Anfang August publiziert hat, zeigt Daesh zudem selbst Raubgrabungen in Dura Europos. Einiges daran ist zweifellos für das Video gestellt (Das Video bei M. Giglio, Exclusive Video Shows Illicit Archaeological Dig In ISIS Stronghold. buzzfeed (3.8.2015). - http://www.buzzfeed.com/mikegiglio/exclusive-video-shows-an-illicit-archaeological-dig-in-isis und wichtige Beobachtungen von Paul Barford: The "ISIL Excavation Videos". PACHI (4.8.2015). - http://paul-barford.blogspot.de/2015/08/the-isil-excavation-videos.html).

    Die Position der Händler


    Auktion des Crosby Garrett Helms, dem Fund eines
    Sondengängers, für das kein britisches Museum die
    Ankaufsumme aufbringen konnte,
    am 7.10.2010 bei Christie's.
    (Foto: Portable Antiquities Scheme/ D. Pett [CC BY 2.0]
    via Wikimedia Commons)
    Bleibt die Frage offen, wie umfangreich der illegale Antikenhandel im allgemeinen und im besonderen Fall des IS ist. Wessel behandelt diese Frage ebenfalls separat in seinem Kapitel 11. Er geht den Schätzungen von UNESCO und UNODC (United Nations Office on Drugs and Crime) nach, wonach jährlich 6 bis 8 Milliarden im Antikenhandel umgesetzt werden (The Fight against the Illicit Trafficking of Cultural Objects - information kit, 2011) - eine Zahl, die die Händlervereinigung IAADA als völlig überhöht beschreibt. Tatsächlich lassen aber Untersuchungen der britischen Kollegen David Gill und Christopher Chippindale erkennen, dass rund 74% der Ware im Antikenhandel über keinerlei Objektgeschichte verfügt, "was ein ziemlich sicherer Hinweis auf Raubgrabungen ist" (S. 145). Wessel stellt als ein Problem dieses Feldes heraus, dass es sich um einen grauen Markt handelt: Der schwarze Markt funktioniert nicht ohne den weißen, legalen Markt. Freilich gibt es Kollegen, die mit guten Argumenten bestreiten, dass es überhaupt einen weißen Markt gäbe. Nach ihrer Auffassung sind tatsächlich nur jene Objekte legal, die sich seit dem Mittelalter oder der Renaissance in Europa befanden.

    "Es gibt immer schwarze Schafe" kommentiert Ursula Kampmann, die Unregelmäßigkeiten der Provenienzen. 
    Dass es für den Handel jedoch generell schwierig ist, Ausfuhrgenehmigungen zu erhalten, bestätigt Bernd Gackstätter, Antikenhändler aus Frankfurt: "In meiner bisher 24jährigen Laufbahn als Händler ist es mir nur bei zwei völlig unbedeutenden Fragmenten aus Zypern begegnet, auch eine Ausfuhrgenehmigung zu erhalten" (S. 160).

    Günther Wessel versucht auch, die Argumente der Händler darzustellen. Überzeugt haben sie ihn nicht, zumal die meisten, die er kontaktiert hat, gar nicht erst zu einem Gespräch bereit waren - oder gleich ihren Anwalt vorgeschickt haben (S. 107).  "Viele schwarze Schafe. Ganze Herden. (S. 111)

    Fazit


    Das System von Raubgräbern, Schmugglern, Händlern und Sammlern verspricht allen Vorteile und Prestige. Da ist es ungünstig, schwarze Ware oder Fälschungen zu identifizieren.  Verlierer sind das kulturelle Erbe, aber eben doch auch die Sammler, die letztlich ebenfalls betrogen werden. Ihnen wird ein nicht vorhandener Wert vorgegaukelt und die gerade auch von der Verteterin des Handels beschworene Verbindung zu den Menschen der Vergangenheit muss im Bewusstsein der problematischen Provenienzen und des Verdachts eines engen Zusammenhangs mit Bürgerkrieg und Terror leiden. Insofern müssten eine Provenienznachweispflicht und Exportlizenzen auch im Interesse aller Sammler sein - egal ob historisch interessiert oder doch nur Kapitalanleger.

    Das Buch redet den Archäologen nicht nach dem Mund - trotz des Vorworts von Markus Hilgert und des Nachworts von Friederike Fless. Es zeigt die innerfachliche Diskussion um den Wert des einzelnen kontextlosen Museumsobjekts genau so, wie es die Kollegen anprangert, die ob ihrer Selbstdarstellung vor kriminellen Methoden nicht zurück geschreckt sind. Gesprächspartner von Günter Wessel waren nicht nur Archäologen, sondern auch Vertreter des Kunsthandels. Letztere haben allerdings auf Interviewanfragen meist gar nicht reagiert oder - Ausdruck des Wissens um die Fragwürdigkeit des eigenen Verhaltens? - gleich den Rechtsanwalt vorgeschickt.

    Kurz: Ein wichtiges Buch, angesichts der anstehenden Novellierung des Kulturgutschutzes in Deutschland (dazu Kapitel 12) gerade zur rechten Zeit. Die Entscheidungsträger sollten es genau lesen - und jeder der eigentlich gerne Krimis liest, wird mit diesem Fachbuch auch auf seine Kosten kommen.

    Inhaltsverzeichnis


    Vorwort - Markus Hilgert
    Einleitung - Der Handel mit illegalen Kulturgütern: Ein unseliger Boom
    1 Ägypten: Grabungslöcher und Knochenhügel
    2 Irak und Syrien: Terrorfinanzierung durch Raubgrabungen?
    3 Deutschland: Wo Hobbyarchäologen wühlen
    4 Spurensucher, keine Schatzgräber: Die Archäologen und die Archäologie
    5 Tunnel und Diplomatenkoffer: Die Schmuggler
    6 Geldanlage oder Kunstgenuss? Die Sammler
    7 Die Gier des Kurators: Museen und ihre Verantwortung
    8 Nur saubere Ware? Die Händler
    9 Antiken in der Waschanlage: Wie illegale Kulturgüter legal werden
    10 "Wo ein Markt ist, gibt es auch immer Fälschungen"
    11 Ein grauer Markt: Die Dimensionen des Handels mit illegalen Kulturgütern
    12 Schutzgesetze? Rechtliche und politische Bemühungen sowie Versäumnisse beim Kultuguthandel
    Schluss: "Kaufen Sie das Zeug nicht!"
    Schlussbemerkung - Friederike Fless
    Anhang


    Links

    Das Buch hat in den Medien bereits viel Aufmerksamkeit gefunden:
    Änderungsnotiz: 11.1.2020 Abschnitt Sammler: Präzisierung von original "Schätzungen gehen bis zu einem Anteil von 60% am Markt"

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