Samstag, 26. Juni 2021

Eine marode Albsteige

Der 101. DGUF-Newsletter macht mich auf eine Diskussion in Blaubeuren aufmerksam, in der auch einige Fundstellen eine Rolle spielen, in denen wir in einem deutsch-amerikanischen Projekt vor einigen Jahren Grabungen durchgeführt haben (und an deren Publikation wir nach wie vor arbeiten).

Es geht um einen  wohl nicht untypischen Vorgang. Ein Straßenbauwerk ist marode - die Sonderbucher Steige, die als Kreisstraße von Blaubeuren auf die Albhochfläche mit den Ortsteilen Sonderbuch und Asch führt. Sie wurde wie viele andere Steigen, die die Albhochfläche erklimmen Ende des 19. Jahrhunderts errichtet und hat nun erhebliche Probleme. Aktuell muss sie aus Sicherheitgründen für LKW und Busse gesperrt werden. Stadtrat und Landkreis denken daher über eine Aufgabe und Neutrassierung nach. Das ganze scheint in einem sehr frühen Planungsstadium und dementsprechend dürfte die Denkmalpflege noch gar nicht involviert sein. Auch der Blaubeurer Gemeinderat will sich noch nicht positionieren.

Nur vage wird eine Alternativtrasse genannt, bei der der bestehende Albaufstieg der Bundesstraße 28 genutzt und dann eine völlig neue Straßentrasse von den Hessenhöfen nach Osten nach Sonderbuch geführt werden soll.



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Das stößt nun auf Widerstand aus der Bürgerschaft, so dass am 20.6. eine Petition auf open petition eingerichtet wurde, die binnen kurzer Zeit über 2000 Unterstützer gefunden hat. Die Argumente gehen um den entstehenden Umweg und die  daraus resultierende Abwanderung der Kaufkraft wie auch die längeren Anfahrtswege bei Rettungseinsätzen.

Robert Bollow, langjähriger ehrenamtlicher Mitarbeiter der Denkmalpflege und ganz besonders an steinzeitlichen Funden interessiert, weisst nun auf den archäologischen/ denkmalpflegerischen Aspekt hin. Blaubeuren zählt immerhin zum UNESCO-Welterbe Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb. Seiner Einschätzung, wonach eine Überplanung der Feldflur zwischen den Hessenhöfen und Sonderbuch eine bis heute weitgehend ungestörte, archäologische Fundlandschaft durchschneidet, kann ich nur zustimmen. Hier liegt neben potentiellenm Silexabbaustellen eine Siedlung der Stichbandkeramik, die durch Kolluvien überdeckt recht gut erhalten ist, durch eine Straßentrasse aber dennoch zerstört würde. Ausschlaggebend für die Testgrabungen 2006 war eine Fundstreuung an der Oberfläche, bei der sich aber herausgestellt hat, dass es sich hier um verlagerte Funde aus diesem Kolluvium handelt, was darauf hinweist, dass in der Umgebung weitere Siedlungsstellen liegen (Harris u.a. 2006).

 

Blick auf die Albhochfläche nördlich von Blaubeuren in Richtung Westen. Links im Bild Sonderbuch und der Hang mit der Sonderbucher Steige hinab nach Blaubeuren. Rechts oberhalb der Bildmitte die neolithische Fundstelle Sonderbuch, Grund und weiter im Hintergrund die Hessenhöfe. Die angedachten Straßentrassen würde hier durchziehen.
(Foto: R. Schreg, 26.8.2006)



 

An diesem alltäglichen Vorgang einer Diskussion um einen Straßenbau scheint mir bemerkenswert, wie schnell man tatsächlich noch immer dabei ist, weitere Landschaftseingriffe für den Straßenbau in Kauf zu nehmen. Es sind ja bei weitem nicht nur archäologische Gründe, die einen skeptisch auf den Flächenverbrauch und Autoverkehr schauen lassen sollten.  Im Lauf der Zeit sind die Bodeneingriffe für Straßenbauten auch immer massiver geworden - dazu brauchen wir nicht in die Zeit des Baus der Sonderbucher Steige zurückblicken, die einmal für Pferdefuhrwerke konzipiert worden war.  Geradlinige Straßenführungen nehmen immer weniger Rücksicht auf gewachsene Parzellenstrukturen und Geländeformationen. Auch für Kreisstraßen entstehen heute mal gerne massive Geländeeinschnitte und Brückenbauwerke (die irgendwann auch wieder marode sind). Ein nachhaltiger Umgang mit Landschaft sieht anders aus. Wahrscheinlich muss sich die Archäologie mehr Verbündete im Bereich des Umweltschutzes und der ökologischen Landwirtschaft suchen. 

Im lokalen Rahmen ist jedoch Geschichte noch immer eher Teil einer konservativen Gesinnung, wo sie der Abgrenzung von Identitäten, Legitimierungen und Glorifizierungen dient. Im Alltag geht es dabei gar nicht um große Geschichte, sondern um Ortsjubiläen, Straßenfeste und Heimatpatriotismus, wird aber nicht genauer reflektiert. Tatsächlich zeigt uns die Auseinandersetzung mit der Geschichte, welche Verantwortung wir für die Zukunft tragen und liefert aus sich heraus Argumente für einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und Landschaft. Leider spielt ein historisches Bewusstsein im Umweltschutz oft eine geringe Rolle, obgleich doch erst die Geschichte Kriterien der Nachhaltigkeit liefern kann. 

Es ist ein Potential von Geschichte und Archäologie, für die Dimension der zeit und für unsere verantwortung zu sesiblisieren. Dies gelingt aber nur mit einem wissenschaftlichen Geschichtsbild,  das Zusammenhänge erforscht und nicht primär unterhalten oder Identität stiften will.  Ganz richtig ist daher auch Bollows Aufforderung an die Stadt, "nicht zuzulassen, dass beim Schutz von Archäologischen Stätten Abstriche gemacht werden und nur die als schützenswert eingestuft werden, die sich für den Tourismus eignen und Verantwortung für alle Denkmale beweisen. Nicht nur das Unesco .Welterbe ist von Bedeutung."

 

Links

Zu den Forschungen bei Sonderbuch:

 

Literaturhinweis

  • S. Harris/C. Knipper/L. Fisher u. a., Sondagegrabungen zur neolithischen Hornsteinnutzung in Blaubeuren-Sonderbuch. Arch. Ausgr. Bad.-Württ. 2006, 33–37.

 

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