Mittwoch, 9. Dezember 2020

Pecunia non olet - Fragwürdige Bildungsförderung im Vereinigten Königreich

Jutta Zerres
 
Bildungsförderung ist ja eigentlich eine gute Sache. Die gemeinnützige britische Initiative „Classics for all“ hat sich auf die Fahne geschrieben mit verschiedenen Angeboten den altsprachlichen Unterricht sowie die Kenntnis antiker Kultur und Geschichte an allgemeinbildenden Schulen auf der Insel zu fördern. Die Angebote sind für Schüler*innen und Lehrer*innen kostenlos, die Finanzierung beruht vollständig auf Spenden. Viele der Schulen, in denen die Initiative tätig ist, liegen in Gebieten mit sozioökonomischer Benachteiligung, so dass sie auch einen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit leistet.

In diesem Jahr sollte nun eine „Christmas Charity Auction“ in dem Londoner Auktionshaus „Kallos Galery and Roseberys“ zugunsten von „Classics for all“ stattfinden mit Livestream-Übertragung im Internet am 10. Dezember. Prominente und hochrangige Akademiker stifteten attraktive Versteigerungsgüter. So gibt es u. a. handsignierte Bücher des Schriftstellers und Moderators Stephen Fry, eine exklusive Führung im British Museum mit Michael Scott, Professor für Alte Geschichte in Warwick oder einen Wochenendtrip nach Vindolanda für die ganze Familie mit Hotelaufenthalt und Museumsbesuch zu erwerben. Soweit - so gut.

Problematisch ist die ganze Aktion, weil neben all diesen „harmlosen“ Dingen, auch echte Antiken mit unklarer Herkunft zu erwerben sind, die offenbar vom Auktionshaus zur Verfügung gestellt wurden.


Die Papyrologin Roberta Mazza, Dozentin für alte Sprachen und alte Geschichte an der Universität Manchester machte ihrem Ärger in ihrem Blog „Faces & Voices“ Luft: 
„I would like to express my personal dismay for the many ethical issues surrounding the antiquities market and the troubling involvement of academia with it; not to mention the vague provenance provided for the pieces on sale. This initiative seems to me to go against the goal of making our disciplines more inclusive and ethical. The idea of auctioning ancient objects, which had been taken (legally or not) from subaltern countries, to foster Classics makes me cringe.
This auction goes against the work many (but clearly not all) of us are patiently doing in teaching and research: we try to build a field guided by equality, ethics and respect for the culture of minorities and other nations. Not in theory, in PRACTICE, our own everyday practice. This auction is not helping our job at all. We face forward, this auction faces backwards to a past that we are trying to address in a critical way in order to build a better, more inclusive and just, future.“
Erin L. Thompson Art Crime Professor an der City University of New York hat sich darauf hin mit den Provenienzen der Objekte näher befasst und kommt zu bestürzenden Ergebnissen, die sie in ihrem Twitteracount @artcrimeprof veröffentlichte unter der Überschrift „Classics for All… or Looting for All?: https://twitter.com/artcrimeprof/status/1335627447728009229 (Thread)

Die Proteste aus der akademischen Welt zeigten Wirkung: Am 6.12.2020 bliesen die Verantwortlichen der Initiative die Aktion ab und veröffentlichten ein Statement auf der Website. Darin erklären sie, man sei aus der Notwendigkeit heraus 600 000 Pfund pro Jahr an Spendengeldern aufbringen zu müssen, auf das Angebot einer Charity-Auktion eingegangen. Auf keine Fall habe man aber die Freunde und Förderer vor den Kopf stoßen wollen. Jetzt habe man die Sache noch einmal überdacht.
 
(Bild: Paweł Szymczuk [pixabay licence] auf Pixabay)


Nun ja ... Trotzdem bleibt ein übler Beigeschmack, verursacht durch die Tatsache, dass eine Antikenauktion von den Verantwortlichen bei „Classics for all“ überhaupt als gangbarer Weg des Fundraisings angesehen wurde. Erst aufgrund der Proteste von außen ruderte man zurück. Die Geschichte zeigt deutlich, dass das Bewusstsein für die mit dem Handel mit Antiken verbundenen ethischen und rechtlichen Problematiken wie Raubgrabungen, Schmuggel, Hehlerei und Kolonialismus noch nicht weitflächig in der Gesellschaft angekommen ist – auch nicht in wissenschaftlichen Feldern wie der Alten Geschichte und der Altphilologie, die ja mit der Archäologie eng verbunden sind.





 

 


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