Bei der aktuellen Auseinandersetzung im Spätsommer und Herbst 2020 behielt Aserbaidschan militärisch die Oberhand und bekam unter russischer Vermittlung große Teile der bislang von Bergkarabach gehaltenen Gebiete zugesprochen. Dort flüchtet nun die Bevölkerung und zerstört selbst systematisch die verlassenen Häuser und Höfe. Wieder dienen Kulturgüter in der politischen Auseinandersetzung als Waffe. Ihre Zerstörung soll den Ansprüchen der Gegener ihre Zeugen nehmen, kulturelle Aneignung die eigenen Ansprüche stärken. Vorwürfe der Kulturgutzerstörung markern den Gegner als unzivilisiert und versuchen Sympathien für die eigene Seite zu gewinnen. Daher muss man die Meldungen wiederum mit Vorbehalt nehmen, denn oft schwingen hier nicht nur Empörung und Trauer, sondern auch politische Motive mit.
Berichtet wird einerseits von Zerstörungen, die die nachrückenden islamischen Aserbaidschaner an armenischen Klöstern anrichten, andererseits zeigt Aserbaidschan auf die zerstörten Kulturdenkmäler - insbesondere Moscheen - in den zurückgewonnenen Gebieten.
Der Krieg 1993/94 war auf beiden Seiten wenig zimperlich, wenn es um Menschenleben, Infrastruktur und Kulturgüter ging. Mehrere Städte wurden damals zu Geisterstädten. Agram ist nur ein Beispiel: Die Stadt mit ehedem etwa 50.000 Einwohnern war zuletzt von etwa 360 Armeniern bewohnt, die das Gebiet nun ebenso wie das armenische Militär die Stadt gemäß der Waffenstillstandsverinbarung räumen mussten. Die zentrale Moschee blieb zwar erhalten, aber andere Moscheen und Museen sind damals zerstört worden.
Aserbaidschanische Perspektive
- Rote Kirche in Khojavand: Pressemitteilung The Ministry for Culture of the Republic of Azerbaijan (23.11.2020)
- Kirche in Hadrut: Pressemitteilung The Ministry for Culture of the Republic of Azerbaijan (23.11.2020)
- Kirche in Varazgun im Distrikt Lachin im Kontext des verlassenen Dorfes Varazkhan. vgl. http://www.bvahan.com/armenianway/aw/Eng/provinces/kashatagh/varazgom.html
- Kirche in Beshikdag, 4.-7. Jh.
- Kirche Damirovlu Pir Temple, 11. Jh.
- Kloster Khudavang / Dadivankbei in der Region Kalbajar. Die Anlage gilt dem Kulturministerium von Aserbaidschan als schönstes Zeugnis christlich-azerbaidschanischer Architektur. Namen von Inschriften gelten als Beleg für türkische Erbauer, Armenien wird kulturelle Aneignung vorgeworfen.
- Rotes Kloster bei Gozlu, 1224 gegründet
- Kloster Ganjasar / Khaznadagh, 13. Jh., Vorwurf der kulturellen Aneignung.
- Kloster Agoghlan, 5.-6. Jh. Nach der armenischen Besatzung soll es zu Umbauten und einer Umbenennung der Anlage “Tsitsernavank” gekommen sein.
vgl. https://ednews.net/en/news/politics/444854-26-fake-historical-boards-in-armenian-were-placed-on-the-agoghlan-temple-in-lachin - Shalva Cell, 15. Jh. im Distrikt Lachin. Ende Oktober konnte die aserbaidscahnsiche Seite hier keine Angaben zum Zustand machen.
- Saatli Moschee in Shusha, erbaut 1883.
- Moschee in Zangilan,
- Moschee in Memer in der Region Gubadli, 18. Jh.
- Gurjulu Mausoleum, bei Gurjulu, 18. Jh.
- Kocharli Moschee in Shusha, 19. Jh., Teil des Palastkomplexes von Bahman Mirza, ausgebrannt und zerstört nach der armenischen Besetzung.
- Haji Alakbar Moschee in der Geisterstadt Fuzuli, spätes 19. Jh.
- Mamayi Moschee im Bezirk Mamayi in Shusha, 19. Jh.
- Gargabazar Mosque in Garghabazar bei Fuzuli, 17. Jh. im Kontext einer Karavanserei. Pressemitteilung The Ministry for Culture of the Republic of Azerbaijan (23.11.2020)
- Mammadbeyli tomb, 13. Jh.
- Gräber von Khubyarli: runder Schrein des 15. Jh., Oktogon-Mausoleum des 17. Jh. 1993 bei der armenischen Besetzung zerstört
- Bashikesik Dome. turmartige Grabanlage des 13./14. Jh.
- Mirali Mausoleum auf einem Hügel bei Ashagi Veysalli nahe Fizul, 14. Jh.
- Shikhlar Tomb
- Khojaly Tomb : 14. Jh.
- Gutlu Musa Mausoleum in Khachindarbatli bei Aghdam. Ende Oktober konnte die aserbaidschanische Seite hier keine Angaben zum Zustand machen.
- the Maiden's Tower in Zangilan: Pressemitteilung The Ministry for Culture of the Republic of Azerbaijan (23.11.2020)
- oktogonaler Grabbau in Mammadbayli
Pressemitteilung The Ministry for Culture of the Republic of Azerbaijan (23.11.2020) - Palast des Sultan Hamza in Husulu in der Region Lachin
- Palast von Khan Panahali nahe Agdam, 18. Jh.
- Burg von Khanabert
- Burg von Askeran, 18. Jh. Hier wird von einer Restaurierung durch die Armenier berichtet, die den Charakter dieser als Glanzstück aserbaidschanischer Architektur verstanden wird, die deren Charakter zerstört hätte, um das Monument zu diskreditieren.
- Befestigung Shahbulag bei Agdam, 18. Jh. "the most Armenianized one of our monuments".
- Burg von Lekh: 13.-14. Jh.
- Brücke von Lalazar, erbaut 1867.
- Brücken bei Khudafarin: Pressemitteilung The Ministry for Culture of the Republic of Azerbaijan (23.11.2020)
- Brücke Haji Badal Bridge in Demirchiler in der Region Gubadli, erbaut im 19. Jh.
- Uzeyir Hajibeyli’s House-Museum in Shusha. Das Museum wurde nach der armenischen Besetzung geschlossen, die Bestände befinden sich in Baku. Uzeyir Hajibeyli (1885-1948) hat unter anderem die aserbaidschanische Nationalhymne komponiert.
- Museum Mausoleum Complex of Molla Panah Vagif: Das 1982 eingeerichtete Museum wurde zerstört, die Exponate nach Armenien verbracht.
- Die Höhle von Azykh ist ein Höhlenkomplex mit alt- und mittelpaläolithischen Fundschichten und menschlichen Fossilresten. Nach Grabungen der 1960er Jahren wurden während der armenischen Besetzung neue internationale archäologische Ausgrabungen durchgeführt, die Aserbaidschan als illegal brandmarkt, was formal wohl auch zutreffend ist, da die Unabhängigkeit Bergkarabachs von Aserbaidschan international nicht anerkannt ist.
vgl. T. King/Y. Fernandez-Jalvo/N. Moloney u. a., Exploration and survey of Pleistocene Hominid sites in Armenia and Karabagh. Antiquity 77, 295, 2003, Project Gallery. http://www.antiquity.ac.uk/projgall/king295/
L. Asryan/A. Ollé/N. Moloney u. a., Occupying Cave-Sites. A Case Study from Azokh 1 Cave (Southern Caucasus). In: J. Cascalheira/A. Picin (Hrsg.),Short-term ocupations in palaeolithic archaewology. Definition and interpretation (2020) 149–181.
http://www.azer.com/aiweb/categories/magazine/42_folder/42_articles/42_azikhcave.html
https://youtu.be/hzT5MEk4dzs
Zuletzt sei die Höhle als Militärdepot genutzt worden.
Das Kulturministerium spielt diese Meldungen unter dem Motto "Culture is back in Karabakh" auch über facebook aus: https://www.facebook.com/mincultaz/
Beklagt wird, dass viele Moscheen gezielt in Schweineställe umgewandelt worden seien, wie beispielsweise die Mosche von Ziglan. Armenische Vandalen hätten die Spuren jahrtausendealter aserbaidschanischer Existenz in Bergkarabach zerstört. Die sollte als "cultural terror and cleansing" benannt werden. Dies sei dieVollendung des von den Armeniern verübten Völkermords durch kulturelle Bereinigung ("cultural cleansing"). Armenien hätte sich Kulturgüter angeeignet und verfälscht um eigene Gebietsansprüche zu untermauern.
Die von Aserbaidschan immer wieder behauptete Zerstörung der Moscheen bewahrheitet sich in den präsentierten Bildern nur bedingt. Die Gebäude sind zwar beschädigt und vernachlässigt bzw. geschändet, aber nicht grundsätzlich gezielt ausgelöscht.
Aserbaidschan hat unter den ersten Maßnahmen in den zurückgewonnenen Gebieten auch eine provisorische Verwaltung aufgebaut, die auch das Kulturministerium einbindet. Eine Pressemeldung wertet dies ausdrücklich als Beleg für den hohen Stellenwert, den Präsident İlham Əliyev der Kultur zumisst. Der Kulturminsiter Anar Karimov selbst bezeichnet seine Aufgabe als "sacred mission". Für jeden Distrikt wurden Vertreter des Kulturministerium benannt, deren Aufgabe es unter anderem ist, den Zustand der Denkmäler zu prüfen.
Das Kulturministerium verweist auf 927 Bibliotheken, die zerstört worden seien mit einem bestand von 4,6 Millionen Büchern. Daneben seien 808 Kulturstätten wie Clubs und Kulturzentren zerstört worden, 85 Musik- und Kunstschulen, 22 Museen mit mehr als 100.000 Objekten, 4 Kunstgallerien, 4 Theater und 2 Konzerthallen. Mehr als 2000 historische Denkmäler sollen diesem Vandalismus zum Opfer gefallen sein. "Such barbaric treatment of cultural heritage, including unique monuments of special importance, should be seen as a threat to world heritage."
Schon 2015 hat eine Seite Zerstörungen von Monumenten unter der armenischen Besatzung in Bergkarabach dokumentiert:Armenische Perspektive
This mosque was transforme into a cowshed. That's how Armenian forces act toward muslim places of worship. After the announcement of Shusha's liberation, the holy Myrrhbearers Russian Orthodox Cathedral of Baku rung its bells to celebrate. That's secular Azerbaijan. #Karabakh pic.twitter.com/cDSoY7XWnp
— REZA (@REZAphotography) November 9, 2020
Zu nennen sind Berichte zu
- Kirche von Ghazanchetsots
As Ghazanchetsots is Vandalized by Azeris, an Urgent Call to UNESCO to Protect Artsakh Religious Sites. Asbarez (14.11.2020). - https://asbarez.com/198472/as-ghazanchetsots-is-vandalized-by-azeris-an-urgent-call-to-unesco-to-protect-artsakh-religious-sites/ - Kathedrale in Shushi/Shusha
https://medium.com/dfrlab/church-and-memorial-desecration-in-post-ceasefire-nagorno-karabakh-87ece968af3f - Die erst jüngst neu erbaute Kirche von Mekhakavan, die man nicht als historisches Kulturdenkmal im engeren Sinne ekann:
https://medium.com/dfrlab/church-and-memorial-desecration-in-post-ceasefire-nagorno-karabakh-87ece968af3f
vgl. https://horizonweekly.ca/am/82439-2/
A Regime Conceals Its Erasure of Indigenous Armenian Culture. Hyperallergic (18.2.2019). - https://hyperallergic.com/482353/a-regime-conceals-its-erasure-of-indigenous-armenian-culture/
- https://www.youtube.com/watch?v=_gdIDEgDKK4
- https://julfaproject.wordpress.com/the-argam-ayvazyan-archive/
- Fifteen Years After the Destruction of the Djulfa Cemetery, Azerbaijan Continues Committing Cultural Crimes with Impunity. Horizon weekly (8.12.2020). - https://horizonweekly.ca/en/fifteen-years-after-the-destruction-of-the-djulfa-cemetery-azerbaijan-continues-committing-cultural-crimes-with-impunity/
- https://en.wikipedia.org/wiki/Armenian_cemetery_in_Julfa
- https://www.archaeology.wiki/blog/2020/11/23/nagorno-karabakh-reaffirming-the-obligation-to-protect-cultural-goods/
- Aserbaidschan zerstört armenische Kultur: Abschied vom Kloster Dadiwank. TAZ (23.11.2020). - https://taz.de/Aserbaidschan-zerstoert-armenische-Kultur/!5730239/
- Armenians bid 'painful' farewell to monastery ceded in peace deal. france24 (13.11.2020).
- Au Karabakh, les adieux des Arméniens au monastère orthodoxe de Dadivank. Le Figaro. (14. 11.2020).
- Concerns grow for the fate of Nagorno-Karabakh’s cultural heritage. Emerging Europe (23.11.2020). - https://emerging-europe.com/after-hours/concerns-grow-for-the-fate-of-nagorno-karabakhs-cultural-heritage/
- https://medium.com/dfrlab/church-and-memorial-desecration-in-post-ceasefire-nagorno-karabakh-87ece968af3f
- When an Enemy’s Cultural Heritage Becomes One’s Own. New York Times (30.11.2020). - https://www.nytimes.com/2020/11/30/opinion/armenia-azerbaijan-monuments.html
- https://medium.com/dfrlab/church-and-memorial-desecration-in-post-ceasefire-nagorno-karabakh-87ece968af3f
Kloster Khudavang/Dadivank (Foto Valen1988 [CC BY SA 4.0] via WikimediaCommons) |
Appelle
Wieder fehlt es auch nicht an den üblichen Appellen.UNESCO
- Nagorno-Karabakh: Reaffirming the obligation to protect cultural goods, UNESCO proposes sending a mission to the field to all parties. UNESCO Pressemitteilung (20.11.2020). - https://en.unesco.org/news/nagorno-karabakh-reaffirming-obligation-protect-cultural-goods-unesco-proposes-sending-mission
- UNESCO ready to send mission to Nagorno-Karabakh to protect cultural heritage. - https://tass.com/world/1226055
- wirft der
Aufruf des WMF
- WMF Statement on Safeguarding Cultural Heritage in Nagorno-Karabakh. World Monuments Fund, (15.11.2020).
- Preserve Artsakh: An Open Letter to the World Community. Academics call on global institutions to save Armenian heritage before it’s too late. GlobeNewswire (12.11.2020)
Andere
- https://www.metmuseum.org/press/news/2020/statement-about-armenian-cultural-heritage
- Reaktion aus Aserbaidschan: Pressemitteilung des aserbaidschanischen Kulturministeriums (19.11.2020) mit der Aufrechnung armenischer Zerstörung, dem Vorwurf, auf Propaganda hereinzufallen.
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