Samstag, 29. August 2015

Noch mehr Panama-Publikationen!

Gestern kamen alle auf einmal: Die Publikationen zum Panama-Projekt.
Schon vor ein paar Tagen hatte ich die monographische Publikation zu unserem DFG-Projekt hier vorgestellt:
  • B. Scholkmann/ R. Schreg/ A. Zeischka (Hrsg.), A step to a global world. Historical Archaeology in Panamá – German Research on the first Spanish city at the Pacific Ocean. British Archaeological Reports. International Series 2742 (Oxford: Archaeopress 2015)
darin zwei Artikel zu meinen eigenen Forschungen, mit den beiden Schwerpunkten Keramik und Umweltforschung:
  • R. Schreg, Panamanian Coarse Handmade Earthenware - Cultural Traditions. In: B. Scholkmann/R. Schreg/A. Zeischka-Kenzler (Hrsg.), A step to a global world. Historical Archaeology in Panamá. German Researches on the first Spanish city at the Pacific Ocean. British Archaeological Reports, International Series (Oxford 2015) 117–135.
  • R. Schreg, A European Town in a Tropical Environment: Cultural Adaptation and Environmental Change in Colonial Panamá. In: B. Scholkmann/R. Schreg/A. Zeischka-Kenzler (Hrsg.), A step to a global world. Historical Archaeology in Panamá. German Researches on the first Spanish city at the Pacific Ocean. British Archaeological Reports, International Series (Oxford 2015) 179–192.

Zum einen lag gestern nun - nach einigen Tagen RGZM-Büro-Abstinenz - das Belegexemplar auf meinem Schreibtisch. Da lag aber auch schon das Autorenexemplar eines Tagungsbandes, der demnächst dann auch offiziell verfügbar sein wird und der einen weiteren Aufsatz zu Panama enthält:
  • R. Schreg, Römer und Indios. Europäische Töpfertradition in Mittelamerika: Transformation – Imitation – Habitus. In: L. Grunwald (Hrsg.), Den Töpfern auf der Spur – Orte der Keramikherstellung im Licht der neuesten Forschung. 46. Internationales Symposium Keramikforschung des Arbeitskreises für Keramikforschung und des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz. RGZM-Tagungen 21 (Mainz 2015) 401–410.
Und schließlich wurde gestern ein weiterer Artikel in den Journal of Archaeological Science Reports im Open Access online gestellt, der nochmals auf die Feldstrukturen von Chinina eingeht:
Das geballte Erscheinen war so in keiner Weise geplant und eigentlich war Panama in den letzten Jahren für mich auch kein Forschungsschwerpunkt mehr, sind doch die Feldarbeiten schon lange vorbei. Die Felder von Chinina, die im zuletzt genannten Artikel behandelt werden, habe ich zwar endteckt, aber bisher leider gar nicht in echt gesehen: "Sofa archaeology" - Survey im Liegen dank Google Earth (siehe Altfluren in Panama. Archaeologik [10.10.2010]).

Donnerstag, 27. August 2015

Das schmutzige Geschäft mit der Antike

Günther Wessel
Das schmutzige Geschäft mit der Antike.
Der globale Handel mit illegalen Kulturgütern

(Berlin: Ch. Links Verlag 2015)

ISBN 978-386153-841-7

Broschur, 184 Seiten, keine Abbildungen

18,-€



Das Buch geht zurück auf ein ARD-Radiofeature im April 2015. Zu dessen Vorbereitung hat der Autor Günther Wessel so viel Material gefunden, dass nun ein ganzes Buch daraus geworden ist. Er reiste nach Ägypten, Italien, in die Schweiz, nach Lörrach und Brüssel und recherchierte bei Archäologen, Juristen, Sammlern, Kunsthändlern, Schmugglern und Kriminalbeamten - und auch bei Fellachen in Ägypten. Systematisch geht er die Kette der Raubgrabungen durch. Von den kleinen Raubgräbern in den Dörfern Ägyptens - oft sind es Kinder, die in die schmalen, einsturzgefährdeten Raubgrabungsschächte geschickt werden - bis zu den kunstsinnigen Sammlern in Deutschland.

Vor Ort in Ägypten

In Abu Sir al Malaq hat sich Günther Wessel die Raubgrabungsfelder vor Ort angesehen. "Loch an Hügel, Loch an Hügel ... Überall menschliche Knochen, Schädelplatten, Oberschenkel, Rippenbögen, achtlos übereinandergeschaufelt. Dazwischen Tuchfetzen - Reste von Bandagen, mit denen einst die Mumien umwickelt waren" (S. 26f.). Im frühen 20. Jahrhundert hatten hier einmal reguläre Grabungen stattgefunden, heute wäre das kaum noch möglich.


Abu Sir al Malaq: Raubgräberlandschaft auf einem ägyptischen
Gräberfeld. [Die Luftbilder in Google Earth zeigen, dass die meisten Löcher
zwischen dem 11.7.2010 und dem 12.9.2012 geschaufelt wurden.]
(Google Maps)

Samstag, 22. August 2015

Der Wind hat gedreht: Die zweite Geburt von Pompeji

Pompeji, Via di Mercurio
(Foto: R. Schreg, 1988)
Ein kritischer Blick, wie es Archaeologik bieten möchte, neigt dazu, negative Geschichten herauszugreifen. Italien und speziell Pompeji hatten da in der Vergangenheit das eine oder andere beizutragen. Hin und wieder ist aber vielleicht auch Optimismus angebracht, wie er nun aus Pompeji zu hören ist:

Das Pompeii Sustainable Preservation Project: http://www.pompeii-sustainable-preservation-project.org/ setzt allerdings auf private Spenden und man wird sehen müssen, ob es gelingt, die Probleme der Konservierung und Restaurierung zu lösen. 

Donnerstag, 20. August 2015

A step to a global world. Abschlusspublikation des Tübinger Panama-Projektes erschienen


B. Scholkmann/ R. Schreg/ A. Zeischka (Hrsg.)
A step to a global world. Historical Archaeology in Panamá – German Research on the first Spanish city at the Pacific Ocean. British Archaeological Reports. International Series 2742
Oxford: Archaeopress 2015

ISBN 9 781407 314013



Vom Tübinger Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters ausgehend gab es in den Jahren 2003 bis 2009 mehrere Grabungsprojekte in Panamá la Vieja, überwiegend mit Mitteln der DFG finanziert.
Stand zunächst das Spital der Stadt im Mittelpunkt der Grabungen, so konzentrierte sich die Feldarbeit im zweiten Projektabschnitt auf ein bis dahin unbekanntes Handelshaus. Es war bei den geophysikalischen Prospektionen durch terrana Geophysik im Rahmen des Projektes entdeckt worden. 

Jetzt liegt die Abschlußpublikation vor. Sie enthält auf englisch mit deutschen und spanischen Zusammenfassungen verschiedene Aufsätze zu Teilprojekten.
Die Artikel von Sybil Harding und Hannah Belecki gehen auf Magisterarbeiten zurück, die spezielle Themen bearbeitet hatten. Aline Kottmann hatte über ein eigenes PostDoc-Projekt die Gelegenheit, einige Aspekte bei einem Forschungsaufenthalt in Panama und in Florida zu vertiefen. Ihr Beitrag über die Majolica-Produktion ist ein Ergebnis davon. Die Forschungen im Spital scheinen in zwei Artikeln auf, einmal in einer Skizze der archäologischen Ausgrabungen (I. Martínez/ A. Zeischka-Kenzler) und einmal in einer Neubetrachtung der schriftlichen Quellen zum Spital (I. Martínez).
Die Leitung des Projektes lag zunächst bei mir und ging nach meinem Wechsel nach Mainz an Annette Zeischka-Kenzler über. Ein gemeinsamer zusammenfassender Artikel fasst das Projekt zusammen und stellt die wichtigsten Ergebnisse vor.
Auf Basis des Projektes haben sich mittlerweile allerdings auch Ansatzpunkte zu neuen Forschungen ergeben, so sind Rainer Schreg und Corina Knipper Partner im ERC-Projekt "AnARTery of EMPIRE. Conquest, Commerce, Crisis, Culture and the Panamanian Junction (1513-1671)", das Bethany Aram aus Sevilla ab Januar 2016 bewilligt bekommen hat. Zu nennen sind auch die neuen Forschungen unserer Kollegen aus Panama auf präkolumbischen Feldern, die bei der Vorbereitung für den nun vorliegendem Band entdeckt worden sind - auch wenn sie darin nur randlich Erwähnung finden (siehe aber mehrfach auf Archaeologik).

Panama la Vieja bietet interessante Einblicke in eine Frühphase unserer modernen Globalisierung. Einige der daraus resultierenden Probleme - Ausbeutung von Mensch und Umwelt, "Kulturkonflikte" und Umweltveränderungen - erkennen wir in der Conquista der frühen Neuzeit wieder.


Seit den Tagen unserer Feldarbeit haben an der Ruinenstadt starke Veränderungen stattgefunden. Zwar hat man eine Hauptverkehrsstraße aus dem Ruinengelände weg verlegt - doch die neue Route hat ohne ausreichende archäologische Begleitung die Armenviertel der Stadt durchschnitten. Die Umgehungsstraße übers Meer hat die Brandung so verändert, dass sich an der alten Küstenlinie nun ein junger Mangrovenwald ausdehnt.


Inhaltsverzeichnis

  • Preface

  • The archaeological research project of the University of Tübingen on the ruin site of Panamá la Vieja - Barbara Scholkmann
  • The history of archaeological research on the ruin site of Panamá la Vieja - Sybil Harding
  • Geophysical investigation at Panamá Viejo - Arno Patzelt
     
  • Searching for healing – The research into written sources on the chronological history of the Hospital San Juan de Dios in Panama la Vieja - Ilda Martínez
     
  • The Hospital San Juan de Dios – Results of archaeological research  - Ilda Martínez – Annette Zeischka-Kenzler
     
  • The world in one place – A trading post in Panamá la Vieja in the 17th century - Annette Zeischka-Kenzler
     
  • Reformation, everyday life and half a world between – Did the Council of Trent affect the people of Panamá? - Hannah Elisabeth Belecki
     
  • Early majolica production in the New World – The kilns of Panamá Viejo - Aline Kottmann
     
  • Panamanian Coarse Handmade Earthenware – Cultural traditions and cultural change - Rainer Schreg
     
  • German stoneware in the Spanish colony of Old Panamá - Annette Zeischka-Kenzler – Hans Mommsen – Aline Kottmann
     
  • Domestic animals in Panamá la Vieja – An analysis of bone material from the Convent of Las Monjas de la Concepción and the Hospital San Juan de Dios - Maria Ronniger
    with an appendix: Analysis of the archaeological material of wild animals from the Hospital San Juan de Dios
     
  • A European town in a tropical environment – Cultural adaptation and environmental change in colonial Panamá - Rainer Schreg
     
  • Studies in cultural processes – German historical archaeology at Panamá la Vieja - Rainer Schreg – Annette Zeischka-Kenzler

    List of illustrations


Interne Links

Blogposts zu eigenen Forschungen in Panama und zu den präkolumbischen Feldsystemen sowie allgemein zur Archäologie in Panama

Dienstag, 18. August 2015

Kulturgut der Indianer? - Muss ich haben!

Eher Hobby-Forscher und Sammler als solche, die damit Geld verdienen wollen plündern derzeit indianische Siedlungsplätze in Kalifornien:

Die zuständige Archäologin Robin Connors: "Diese Leute sind einfach ewiggestrige Sammler. Sie können einfach nicht damit aufhören". Sie zitiert einen Fall der 1980er, als ein Lehrer indianische Pfeilspitzen gesammelt hat, um daraus Mosaike zu machen. Daneben gäbe es aber auch systematische Plünderungen.

Und auch hier: Die Kommentare zum Artikel lassen (neben einem merkwürdigen Freiheitsbegriff) ein völliges Unverständnis für Kontexte erkennen und zeigen sich aggressiv gegenüber den offiziellen Archäologen.

Sonntag, 16. August 2015

Kulturgut der Aboriginees? - Das kann dann mal weg!

Auf der stark industrialisierten Burrup-Halbinsel im Norden Australiens wurden Feldsbilder aus der Denkmalliste gestrichen. Der Fall steht nicht nur für den Interessenskonflikt von Wirtschaft und Kulturerbe, sondern berührt auch die Rolle des Kulturerbes indigener Bevölkerungen.   
"When ISIS wrecked the temples in Iraq recently the world seethed in anger. An important Australian heritage site is now in danger from being destroyed by government-sanctioned mining which will be every bit as bad as the ISIS-sponsored vandalism."
Burrup Halbinsel
(Foto: Tradimus [CC BY SA 3.0], via Wikimedia Commons)
Grabungen
"It can be hard for European Australians to conceptualise that Aboriginal occupancy of the Pilbara is over five times more ancient than the Egyptian pyramids."

Interner Link



Dienstag, 11. August 2015

Faurndau - vor 875

Vorliegender Blogpost geht auf eine Festveranstaltung "1125 Jahre Faurndau" im Jahr 2000 zurück. Mein Vortrag zur Christianisierung im Filstal wurde im Mitteilungsblatt Faurndau der Ortschaftsverwaltung am 29.7. und 5.8. 2000 sehr abgelegen grau publiziert (bei academia.edu). Der Text sei hier mit minimalen Aktualisierungen und ergänzten Abbildungen eingestellt. Inhaltlich habe ich vieles in einem Artikel "R. Schreg, Christianisierung im Filstal. In: Geppo. Krieger, Bauer, Siedlungsgründer? Veröff. Stadtarchiv Göppingen 43 (Göppingen 2003) 60-69" aufgegriffen und in einen mehr regionalen Kontext gestellt.


Am 11. August 875 wird Faurndau in einer Urkunde (WUB I,149), die heute in St. Gallen aufbewahrt wird, erstrnals erwähnt. Tatsächlich ist Faurndau älter. Im Spiegel neuerer Forschungsergebnisse - die manche ältere Ansätze komgieren und ergänzen - lässt sich eine grobe Skizze der Faurndauer Geschichte vor 875 zeichnen.

Das Kloster in Faurndau

Die Urkunde in St. Gallen belegt nicht die Gründung Faurndaus, sondem die Übertragung des bereits bestehenden Klösterchens Furentouua durch König Ludwig den Deutschen an den Hofkaplan Liutbrand.
Die Verleihung Faurndaus an seinen Hofkaplan fügt sich gut in das Gesamtbild von Ludwigs Politik ein. Ludwig der Deutsche, ein Enkel Karls des Großen war mit dem Vertrag von Verdun 843 ostfränkischer König geworden. Sein Regierungsstil maß seiner Hofkapelle und der Reichskirche große Bedeutung zu, Bistümer und Abteien verhalf er insbesondere im bayerischen Donauraum, der damals wichtiges Aufmarschgebiet gegen die unruhigen Gebiete irn Osten war, zu Grundherrschaften. Wichtige, ihm nahestehende Geistliche förderte er tatkräftig.
In diesem Zusammenhang muss man auch die Verleihung des Klösterchens Faurndau an Liutbrand sehen. So wie vielen anderen Geistlichen seiner Hofkapelle, die als Institution wichtige Funktionen der Regierung übernahm, belohnte er ihn für seine Dienste durch die Verleihung eines Klosters oder einer Kirche. Wahrscheinlich waren es eher der Dauerdienst als Kapellan als die mehr gelegentlichen Dienste als Notar für die Liutbrand, der keineswegs zu den bedeutenderen Notaren an der Hofkapelle gehörte, Faurndau übertragen erhielt. Interessant erscheint, dass noch arn selben Tag eine zweite Urkunde die Übertragung Faurndaus durch eine Kapelle in Brenz an der Brenz ergänzt. Möglicherweise war Faurndau aileine keine angemessene Ausstattung.

Faurndau war Königsgut. Auch 875 wurde es nicht aus der Hand gegeben. Die Übertragung an Liutbrand erfolgte unter der Bedingung, dass es nach seinem Tode an die königliche Macht zurückfallen solle. Erst 888 erhielt Liutbrand, mittlerweile vom Diakon zum Kapellan aufgestiegen, Faurndau als Eigentum geschenkt (WUB I,161). Speziell wird Liutbrand erlaubt, seinen Besitz entweder dem Kloster Reichenau oder dem Kloster St. Gallen weiterzuschenken, "damit er umso besser einen Vertrag abschließen könne'. Dahinter steht offenbar die Absicht, dass Liutbrand irn Alter in eines der Klöster eintreten und dazu auch einen Besitz in Kloster einbringen könne. Konig Arnulf verfolgte hier die Politik seines Vaters, der sich bemüht hatte, Schenkungen auf die Klöster St. Gallen und Reichenau zu konzentrieren.

Für König Ludwig waren Frankfurt am Main und Regensburg Zentren seiner Herrschaft, wahrend Alamannien in deren Fernbereich lag. 854, 856 und 858 hielt sich Ludwig in Ulm auf, damals mag er auch auf dem Königsgut in Faurndau Station gemacht haben. Welche Infrastruktur er hier vorgefunden hat, ob das Kloster damals bereits bestanden hat - darüber schweigen die schriftlichen Quellen.

Es ist nicht viel, was wir aus diesen Urkunden konkret über Faurndau erfahren: Es bestand hier ein Klösterlein ('monasteriolum'), zu dem weitere Liegenschaften, Ländereien, Wiesen, Weiden, Wälder, Wasserläufe, Ein- und Ausgänge, bewegliche und unbewegliche Habe, aber auch Weinberge gehörten. Interessant ist der Vergleich mit dem in der zweiten Urkunde (WUB I,150) genannten Zubehör der Kapelle in Brenz, wo Zehnten, Felder, Mühlen gesondert genannt werden. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Klösterchen in Faurndau eher auf Viehwirtschaft ausgerichtet war, da es weder über erwähnenswerte Felder noch über eine Mühle, aber über Wiesen und Weiden verfügte.

Grabungen in der Stiftskirche
Wollen wir nähere Einblicke in die Zeit vor 875 erhalten, sind wir auf archäologische Quellen, d.h. auf Bodenfunde angewiesen. Als die Stiftskirche in den Jahren 1956 und 1957 renoviert wurde, führte Prof. Konrad Hecht von der Technischen Universität Braunschweig Grabungen durch. Damals existierte jedoch noch keine Archäologie des Mittelalters, die solche Grabungen hätte fachgerecht durchführen können - sie konnte sich als wissenschaftliche Disziplin erst während der 1960er Jahre etablieren und die notwendigen Standards setzen. So sind die Grabungen in Faurndau leider in ihrer Aussagekraft sehr beschränkt und nur unzureichend dokumentiert. Die Phasengliederung, die Hecht erarbeitet hatte, muss weitgehend hypothetisch bleiben. Dabei bleibt auch unsicher, ob die Apsidenreste, die nördlich des romanischen Chors angetroffen wurden, tatsächlich zum Kloster des 9. Jahrhunderts gehören. Interessant ist jedenfalls, dass diese Apsis keinesfalls zum ältesten Bau an dieser Stelle gehört, sondern eine ältere gerade Mauer überlagert.
Auch die Ablösung dieses Baues durch eine ottonische, weiter nach Osten gelegene Kirche, wie sie T. Dames rekonstruiert hat, ist so nicht richtig. Die Rekonstruktion beruht nämlich auf einer Fehlinterpretation des Grabungsplanes, der eine Nord-Süd-verlaufende Mauer zeigt (Abb. 2, Phase II), die hinter dem Altar kurz unterbrochen ist. Man hat dies als Türdurchbruch verstanden und daraus geschlossen, dass es sich allenfalls um den Westabschluss einer Kirche, nicht aber um deren östlichen Abschluss handeln könne. Tatsächlich zeigt der Grabungsplan, dass hier ein kurzes Stück der Mauer hinter dem Altar nicht ergraben, sondern nur ergänzt wurde. Auch die Periodisierung der zahlreichen Mauerzüge im Westteil der Stiftskirche ist kaum möglich, da die verfügbaren Profilzeichnungen den Aufbau der Erdschichten viel zu idealisiert wiedergeben.
Abb. 1 Faurndau, Innenansicht der romanischen Stiftskirche
(Foto R. Schreg)
Bemerkenswert ist ein kleines Mauerstück, das in dem Plan von Hecht eingetragen und auch auf einem der Grabungsfotos zu erkennen ist: In Bereich der nordöstlichen Apsis, die außerhalb des heutigen Baus liegt, verläuft ein kurzes Mauerstück, das unter der ausgebrochenen Apsismauer läuft und älter sein dürfte als die Apsis, in Abb. 2 darum als Phase 0 markiert.


Abb. 2 Faurndau, Grabungen 1956/57 in der Stiftskirche
(Graphik R. Schreg,nach K. Hecht, modifiziert [Phase 0])


Die Grabungen in der Stiftskirche helfen also leider nicht weiter, die Frage nach den Anfängen Faurndaus zu klären. Hier wird man bei künftigen Bodeneingriffen in der Kirche, wie auch in ihrem Außenbereich, aber auch im Bereich des Vorplatzes sorgfältig auf archäologische Befunde und deren sachgerechte Dokumentation zu achten haben. Immerhin ist damit zu rechnen, dass neben den Gebäuden des eigentlichen Klosters auch Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude vorhanden waren. Diese könnten dabei durchaus als einfache Holzbauten errichtet worden sein.

Vorgeschichtliche und römische Besiedlung
Faurndau ist altes Siedlungsland. Zwar haben die ersten Bauern der Zeit um 5000 v. Chr. das Filstal offenbar noch weitgehend gemieden, doch zeigen mehrere Fundstellen um Faurndau, dass wohl im 4. Jahrtausend v.Chr. erste Siedlungen bestanden.
Sie lagen nicht irn Tal, sondern auf den benachbarten Anhöhen (Kammeräcker, Am Haierbrunnen). Zuvor haben jedoch schon Jäger und Sammler das Filstal durchstreift und auch bei Faurndau Station gemacht (Stauferhalde, Kühberg[?]). Aus den folgenden Jahrtausenden ist lediglich ein Bronzemesser der Zeit um 1200 v. Chr. bekannt geworden (Hasenhalden), das auf eine Bestattung der späten Bronzezeit hinweist. Insgesamt sind dies jedoch relativ wenige Funde, die keine kontinuierliche Besiedlung belegen können.
Abb. 3 Faurndau, Hasenhalde,
Griffzungenmesser der späten Bronzezeit, Fund S. Schreg, 1987
(Foto R. Schreg 1987, Verbleib: Landesmuseum Württemberg)
Abb. 4 Faurndau, Brunnenbachtal:
Fragmente eines römischen Helms
(nach Klumbach 1957)
Aus römischer Zeit ist seit den 1950er Jahren der Helm aus dem Brunnenbachtal (Geigenwiesen) bekannt. Er ist kein Beleg für die Existenz eines römischen Gutshofes am ehemaligen Lengenbad, sondern könnte hier verloren gegangen sein. Trotz intensiver Begehungen im Bereich des mittelalterlichen Lengenbades konnten dort keine römischen Funde gemacht werden (vergl. Wölbäcker im Vorland der Schwäbischen Alb - Spuren einer Wüstung Lengenwang. Archaeologik [21.9.2012]).


Abb. 5 Faurndau, Brunnenbachtal
(Zeichnung R. Schreg)
Leider lässt sich die genaue Fundstelle eines Fragments eines römischen Henkelkruges aus dem Brunnenbachtal, das viel eher eine römische Besiedlung belegen könnte, nicht mehr lokalisieren. Römische Siedlungsspuren scheinen indes im Bereich nördlich des Nordbahnhofes vorzuliegen. Hier wurde  das Fragment einer Terra-Sigillata-Schüssel gefunden (Lehlestraße 10). Terra Siglllata war das Tafelgeschirr römischer Zeit, das häufig mit Reliefverzierungen versehen war. Das Faurndauer Fragment zeigt Hercules mit einem Hund und stammt von einer Schüssel, die im 3. Jahrhundert n. Chr. in Rheinzabern produziert worden war. Die Fundstelle liegt nicht weit von der Stelle, wo schon seit langem die Abzweigung einer römischen Straße von der Filstalstraße nach Norden zum Kastell Lorch angenommen wird. Die römische Straßenverbindung durch das Brunnenbachtal nach Süden kann nicht als gesichert angesehen werden und hatte allenfalls lokale Bedeutung.
Das Filstal war gegen 120 n. Chr. ins römische Reich integriert worden. Damals hat man die Grenze vom Albtrauf, wo sie gegen 90 n. Chr. angelegt worden war, ins Filstal vorverlegt, wo sie bei Eislingen mit einem Kastell gesichert wurde. Bereits um 140 wurde die Grenze erneut korrigiert und ins Remstal vorverlegt, so dass sich Faurndau und das Filstal nun im Hinterland befanden. Wir müssen mit einer relativ dichten Aufsiedlung mit römischen Gutshöfen rechnen. Irn Neckarland liegen sie in einigen Regionen in Abständen von gerade einmal 300 rn. Neufunde der letzten 30 Jahre - neben der Fundstelle in der Lehlestraße sind neu entdeckte römische Gutshöfe unter der Oberhofenkirche Göppingen sowie bei Hattenhofen und Ebersbach zu nennen - zeigen, dass mit weiteren Funden zu rechnen ist und hier weiterer Forschungsbedarf besteht.
Abb. 6 Römische und frühmittelalterliche Siedlungstopographie von Göppingen und Faurndau - braun: spätmittelalterl. Stadt
(Graphik: R. Schreg)

Der Blick auf die römische Besiedlung ist wichtig, da das Faurndauer Kloster immer wieder mit einer Anknüpfung an römische Besiedlung in Verbindung gebracht wurde. Die karolingischen Könige nahmen z.T. bewusst Bezug auf römische Städte, um damit ihre Legitimation in der Nachfolge des römischen Reiches zu untermauern. Im rechtsrheinischen Gebiet lasst sich solches bisher jedoch kaum nachweisen. Die Beobachtung, dass immer wieder Kirchen auf römischen Ruinen errichtet wurden, dürfte eher siedlungsgeschichtlich, denn politisch begründet sein. In frühalamannischer Zeit (4./5. Jahrh.) hat man bewusst die Nähe der römischen Gutshöfe gesucht, da die Ruinen einerseits gutes Baumaterial boten und andererseits die umliegenden römischen Feldfluren bewirtschaftet werden konnten. Die Ruinengelände selbst waren jedoch fur eine ackerbauliche Nutzung wenig attraktiv, so dass es als Brachland in direkter Nähe der Siedlung einen geeigneten Baugrund für die Anlage erster Kirchen bot.
Die These, wonach in Faurndau Königsgut bestand, weil man bewusst an eine römische Besiedlung anzuknüpfen versuchte, ist daher nicht stichhaltig. Die Möglichkeit dazu hätte fast überall bestanden.

Faurndau im frühen Mittelalter
Werfen wir einen Blick auf die Verhältnisse den Merowingerzeit (5. - 7. Jahrh.). Wir sind dabei vor allem auf die alamannischen Grabfunde angewiesen. lm industrialisierten Filstal sind sie schon weitgehend zerstört. Nur aus wenigen Gräberfeldern liegen moderne Untersuchungen vor. Immerhin zeigen die wenigen Funde, dass im 7. Jahrhundert eine dichte Besiedlung bestand.
Abb. 7 Fundstellen der Merowingerzeit im Filstal
(Graphik: R. Schreg)
Aus Faurndau sind bislang keine Zeugnisse einer frühmittelalterlichen Besiedlung bekannt. Gräberfelder und wohl auch die zugehörigen Siedlungen lagen damals irn Bereich östlich des Berufschulzentrurns Öde, am Christophsbad in Göppingen, im Bereich von Landratsamt und Oberhofenkirche in Göppingen, sowie im Bereich der Frma Allgaier nordöstlich von Uhingen.
Südwestlich von Bartenbach weist ein weiteres Gräberfeld auf eine merowingerzeitliche Besiedlung. Ein Fund aus Jebenhausen (Eichert) muss in seiner Datierung unsicher bleiben. Immerhin wird deutlich, dass Faurndau ringsum von Siedlungen umschlossen war. Zu einem ähnlichen Ergebnis ist man früher schon aufgrund der langgestreckten Gemarkung gekommen. Wir müssen aber damit rechnen, dass während des Mittelalters im Süden sowie auf der Öde mit starken Veränderungen der Gemarkungsgrenzen zu rechnen ist [vergl. Wölbäcker im Vorland der Schwäbischen Alb - Spuren einer Wüstung Lengenwang? Archaeologik 21.9.2012], so dass sie nicht bis in die Frühzeit des Klosters zurückreichen dürften.
Die verkehrstopographische Situation der römischen Zeit, die durch die Filstalstraße und den Abzweig durch das Marbachtal nach Lorch geprägt war, dürfte während des frühen Mittelalters keine besondere Rolle mehr gespielt haben. Reiche Grabfunde aus Geislingen an der Steige legen es jedoch nahe, dass der Albaufstieg und die Route durch das Filstal irn fühen Mittelalter große Bedeutung hatte. Die Filstalstraße verlief ab Göppingen wahrscheinlich jedoch immer nördlich der Fils, so dass sie an Faurndau vorbeiführte.
Der Ortsname 'Faurndau' - 875 'Furentouua" zeigt, dass der Ort nicht besonders siedlungsgünstig lag. Der lange umstrittene Name kann heute als geklärt gelten. Er bedeutet "Siedlung an einem zerstörenden Fluss" und ist auf häufig auftretende Hochwässer der Fils zurückzuführen. Andere Ableitungen des Namens, etwa auf römische Ursprünge, entsprechen nicht den methodischen Grundsätzen der Namensforschung und können nicht aufrecht erhalten werden. Diese Namensform ist interessant, da sie sich von dem althochdeutschen Wort 'furen' = zerstören herleitet und daher nachrömisch sein muss.

Christianisierung im Filstal
Klostergründungen setzen irn inneralamannischen Raum erst spät ein. Sie gehören hier zur jüngsten Phase der Christianisierung. Archäologische Funde aus den alamannischen Gräberfeldern, vor allem aber Spuren von Kirchen in Göppingen, Gruibingen und Donzdorf geben Einblicke in die Christianisierung der Merowingenzeit, die wohl von der sozialen Oberschicht ausging.
Neben iro-schottischen Monchen, die in der schriftlichen Überlieferung dominieren, waren auch Burgunder und möglicherweise auch arianische Langobarden an der Mission in Südwestdeutschland beteiligt. Heidnisches und christliches Brauchtum und Symbolik lassen sich nur ungenügend trennen und könnten auf einen Synkretismus, eine Vermischung der Vorstellungen und Glaubensinhalte hinweisen, gegen den sich das kirchlich geprägte Christentum erst allmählich durchsetzen konnte.
Erst im 8. Jahrhundert organisierten der Angelsachse Bonifatius und in seiner Nachfolge weitere, dem karolingischen Königshaus eng verbundene Kleriker die Kirche. Damals kam es zur Gründung zahlreicher Klöster. Eines der frühesten irn inneralamannischen Raum dütfte die Vitalis-Cella in Esslingen gewesen sein.
Im Dezember 861 wurde in Wiesensteig auf Gruibinger Gemarkung ein Kloster gegründet. Es vermittelt eine Vorstellung davon, wie auch die Gründung Faurndaus vonstatten gegangen sein könnte. Die Urkunde darüber ist nicht mehr im Original, sondern nur in jüngeren Abschriften erhalten. Stifter ist der adlige Rudolf mit seinen Söhnen Erich und Rudolf. Er handelt "auf wiederholte Bitten meines gnädigsten Herm, des Königs Ludwig, sowie aus Sorge um mein Seelenheil und dasjenige meiner Angehörigen" und stattet das Kloster mit Gütern aus seinem Besitz im unmittelbaren Umland, aber auch in Südhessen aus. Es ist anzunehmen, dass auch das Faurndauer Kloster eine solche Gründungsausstattung hatte, wenngleich in den Urkunden davon nichts mehr fassbar wird. Wir erkennen im Drängen des Königs - es handelt sich um eben jenen Ludwig den Deutschen, der auch für Faurndau urkundet - die politische Komponente solcher Klostergründungen.

Ortsname, archäologisch erfassbare Siedlungstopographie, die eingangs postulierte Ausrichtung auf die Graswirtschaft und die topographische Situation in einer Engstelle des Filstales zeigen eine Situation, die für die Lage des Klosters geeignet schien. Faurndau vereinte das Ideal der Abgeschiedenheit mit der Lage inmitten des Altsiedellandes und in nicht allzu großer Nähe zu der wichtigen Durchgangsstraße nördlich der Fils - Voraussetzung für Mittelpunktsfunktionen, die ein Kloster in kultureller, politischer, aber auch wirtschaftlicher Hinsicht - übernahm.

Literaturhinweise
Wer sich näher für Faurndaus Frühgeschichte interessiert, dem bieten folgende Arbeiten wichtige Informationen:
  • Die Alamannen. Begleitband zur Ausstellung 'Die Alamannen' (Stuttgart 1997).
  • J. Fleckenstein, Die Hofkapelle der deutschen Könige 1: Grundlegung. Die karolingische Hofkapelle. Schriften MGH 16/1 (Stuttgart 1959).
  • K. Hecht, Von der karolingischen Cella zur spätromanischen Stiftskirche. Das Ergebnis der Ausgrabungen in der Faurndauer Kirche. Stauferland. Heirnatbeilage der NWZ 2, März 1957.
  • L. Reichardt, Ortsnamenbuch des Kreises Goppingen. Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde Baden-Württemberg, Reihe B112 (Stuttgart 1989).
  • H. Schäfer, Die archäologischen Untersuchungen in der Oberhofenkirche. In: Oberhofenkirche Göppingen. Festschrift zur Wiedereinweihung arn 11. Dezember 1983 (Göppingen 1983) 31-42.
  • W. Ziegler, Faurndau 875 - 1975 (Faurndau 1974)
Weitere Literatur
  • T. Dames, Zur Baugeschichte der Faurndauer Kirche. Stauferland. Heimatbeilage der NWZ, 2.3.1957
  • H. Schäfer, Die Oberhofenkirche. In: W. Ziegler (Hrsg.), Stadt, Kirche, Adel. Göppingen von der Stauferzeit bis ins späte Mittelalter. Veröffentlichungen des Stadtarchivs Göppingen 45 (Göppingen 2006) 170–181.
  • H. Klumbach, Bruchstücke eines römischen Helmes von Faurndau (Kr. Göppingen). Fundber. Schwaben N.F. 14, 1957, 107–112.
  • R. Schreg, Alamannen in Göppingen. In: A. Hegele (Hrsg.), Geppo. Krieger Bauer Siedlungsgründer? [Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung im Städtischen Naturkundlichen Museum Göppingen in der Alten Badherberge Jebenhausen 28. Mai bis 2. November 2003]. Veröffentlichungen des Stadtarchivs Göppingen 43 (Göppingen 2003) 22–43.
  • R. Schreg, Göppingen in der Siedlungslandschaft des Frühmittelalters. In: A. Hegele (Hrsg.), Geppo. Krieger Bauer Siedlungsgründer? [Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung im Städtischen Naturkundlichen Museum Göppingen in der Alten Badherberge Jebenhausen 28. Mai bis 2. November 2003]. Veröffentlichungen des Stadtarchivs Göppingen 43 (Göppingen 2003) 44–59.

Montag, 10. August 2015

Blickpunkt Tunesien: Zur Bedrohung archäologischer Fundstellen

Gastbeitrag von Jutta Zerres

Im Schatten der umfangreichen aktuellen Berichterstattung zu Kulturgutzerstörungen in Syrien und im Irak, gehen Berichte über ähnliche Vorgänge in anderen Ländern wie beispielsweise Tunesien fast unter. Dabei fördert das Netz in der letzten Zeit gehäuft Meldungen zutage, die zeigen, dass auch das kulturelle Erbe des nordafrikanischen Landes akut gefährdet ist:
 
Der Tunesier Mouheli Chaker lebt in der zentraltunesischen Stadt Makthar (dem antiken Mactaris) und veröffentlicht auf seiner Facebookseite und bei Flickr.de immer wieder Fotos von Beschädigungen und Verschmutzungen von antiken Monumenten und von  Raubgrabungen in seiner Heimatstadt:

Der Archäologie-Blog veröffentlichte vor kurzem auf YouTube ein kurzes Video von Samir al-Farabi, dass auf die derzeitige Gefährdung des numidischen Mausoleums von Henchir Bourgou (franz. wikipedia) auf der Insel Djerba durch Erosion, Vermüllung, wilden Tourismus, Plünderung und Landwirtschaft verweist. Das Mausoleum datiert in das 2. oder 3. Jh. v. Chr. und stand 2012 zusammen mit einigen anderen tunesischen Monumenten aus der numidischen Epoche auf der Tentativ-Liste der UNESCO.
Felsengräber von Souk el Guebli
(Foto: Rais67 [CC BY SA 3.0] via Wikimedia Commons)
Das tunesische Onlinemagazin „Kapitalis“ berichtete Ende Juli über aktuelle Zerstörungen und Plünderungen der antiken Nekropole von Souk el Guebli, die sich im Südosten der Insel Djerba befindet. Die archäologische Stätte besitzt eine Ausdehnung von 5000 m² und besteht aus 12 in den Felsen eingehauenen Grabanlagen von guter Erhaltung. Die Grabarchitektur ist ein herausragendes Zeugnis für die Verschmelzung der einheimischen und punischen Kultur im 3. Jh. v. Chr. Seit den 1950er Jahren waren hier Ausgrabungskampagnen durchgeführt worden. Obwohl die Akteure der Plünderungen und Zerstörungen den Strafverfolgungsbehörden bekannt sind, blieben ihre Taten bisher folgenlos. Der Autor des Artikels prangert deutlich die Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit und der Justizbehörden an.   

Samstag, 8. August 2015

Weg frei für einen neuen Beton-Tsunami! - Italien kippt den Umwelt- und Denkmalschutz

In Italien setzt die Regierung Renzi eine Neuorganisation der Verwaltung um, die möglicherweise verheerende Auswirkungen auf den Denkmalschutz hat. Zum einen sollen die eigenständigen regionalen Soprintendenzen als eigenständige Ämter aufgelöst und den Praefekten der Regionalregierungen unterstellt werden. Zudem sieht ein Gesetzesentwurf vor, dass Fachgutachten künftig innerhalb von 90 Tagen eingehen müssen. "Es ist unschwer vorauszusehen, dass die chronisch überlasteten und von Bürokratie gelähmten Behörden vielfach ihrem Auftrag nicht mehr nachkommen werden." urteilt die deutschsprachige Südtiroler Nachrichtenplattform UnserTirol24 in einem Artikel:
https://www.change.org/p/non-si-uccide-cos%C3%AC-l-art-9-della-costituzione
Eine Petition richtet sich gegen diese Schwächung des Denkmalschutzes:
Sie bezeichnet das geplante Gesetz als die schwerste Attacke einer italienischen Staatsregierung auf den Landschafts- und Denkmalschutz, ja, als deren letzte Vernichtung. Das Gesetz sei nicht verfassungskonform, denn in Italien hat der Kulturgüterschutz Verfassungsrang. Artikel 9 der italienischen Verfassung bestimmt: "Die Republik fördert die Entwicklung der Kultur und die wissenschaftliche und technische Forschung. Sie schützt die Landschaft und den historischen und künstlerischen Reichtum der Nation."
Rom, Via Appia: Einsturz einer historischen Mauer
(Foto R. Schreg 2014)
Die Petition hat inzwischen nach nur zwei Wochen fast 25.000 Unterschriften. Sie richtet sich an den Senatspräsidenten, den Staatspräsidenten, die Vorsitzende der Abgeordnetenkammer und den zuständigen Minister, die, wenn sie sich diesem Gesetz nicht entgegenstellen würden, die Totengräber der Zivilisation würden. Zu den Erstunterzeichnern gehört u.a. der international bekannte Kulturwissenschaftler Carlo Ginzburg und der langjährige Archäologe und Denkmalpfleger Fausto Zevi.  

Ministerpräsident Renzi ist seit langem als Gegner des Denkmalschutzes bekannt, den er als "Hinderniss auf dem Weg zur Modernisierung des Landes" sieht. Die zitierte Südtiroler Plattform sieht hinter der Veränderung das Werk der Betonlobby (vergl. http://www.unsertirol24.com/2015/04/27/denkmalpflege-kompatscher-hat-seinen-laden-nicht-im-griff/). Mit den aktuellen Gesetzsänderungen solle der Weg freigemacht werden für einen neuen "Beton-Tsunami."

Widerstand regt sich auch aus dem Umweltschutz, der eine Demonstration in Rom organisert hatte und mit den internationalen NGOs WWF und Greenpeace auch einen deutlichen internationalen Rückhalt hat, der dem Kulturgutschutz mal wieder fehlt. Dabei scheint fraglich, ob das Gesetz mit der Europäischen Konvention von La Valetta zum Schutz des archäologischen Erbes konform geht.

Weitere Links

Freitag, 7. August 2015

Zur Diskussion über das „wilde Sondeln“ - Möglichkeiten, Schwierigkeiten und Perspektiven des „Schleswiger Modells“

Gastbeitrag von Ilja Saev

Das Problem der illegalen Bodeneingriffe in die archäologische Substanz ist schon so alt wie die Denkmalpflege selbst (vergl. Archaeologik v. 18.7.2011). Sie steht seit fast einem Jahrhundert in der Diskussion der zuständigen Ämter. Das Auffinden von Bodendenkmälern mit Hilfe von Metallsonden stellt seit den letzten drei Jahrzehnten einen Spezialfall dieses Problems dar. Die allgemeine Zugänglichkeit sowie die Übersättigung des Marktes mit Metallsuchgeräten, die in allen Preisklassen zu haben sind, ermöglicht einen leichten Einstieg in das Hobby, dessen rechtliche Konsequenzen von Anfängern überhaupt nicht abgeschätzt werden können. Je nach Landesgesetzgebung reicht die Strafe für das Führen von Metallsonden im Bereich eines eingetragenen Bodendenkmals oder eines Grabungsschutzgebietes von einer Ordnungswidrigkeit bis hin zu einer Straftat (so z.B. in Schleswig-Holstein [SH]) und wird demzufolge von den Behörden der Länder unterschiedlich handgehabt. 

Allerdings zeichnet sich seit Jahren auch ab, dass restriktive Maßnahmen nur wenig Wirkung in der Szene der Sondengänger zeigen. Die Szene nimmt jährlich zu. Parallel dazu ist ein Rückgang der Anzahl wie die Überalterung der ehrenamtlichen Helfer und Heimatforscher zu verzeichnen, auf deren Hilfe heute wie auch schon vor 100 Jahren die Denkmalpflege angewiesen ist. 

Seit dem Artikel von Ch. Huth (2013) in den Archäologischen Informationen 36, 2013, wo das „Portable Antiquities Scheme [PAS]“ vorgestellt und positiv beurteilt wurde, wird das bestehende Verhältnis zwischen den deutschen archäologischen Landesämtern und den Sondengängern im Forum der Archäologischen Informationen unter dem Thema „Schatzregal“ heftig diskutiert. 

Forum "Schatzregal" in den Archäologischen Informationen
  • Huth, Christoph: Vom rechten Umgang mit Sondengängern: Das "Portable Antiquities Scheme" in England und Wales und seine Folgen. Archäologische Informationen 36, 2013, 129 -137 [pdf]
  • Karl, Raimund: Unseres? Deins? Meins? Wem gehören archäologische Kulturgüter? Archäologische Informationen 36, 2013, 139 -152  [pdf]
  • Schreg, R. (2015). Das Portable Antiquities Scheme als Vorbild? Anmerkungen zum Beitrag von Christoph Huth, Arch. Inf. 36, 2013. Archäologische Informationen [pdf im early view]
  • v. Carnap-Bornheim, C./ Ickerodt, U./ Siegloff, E. (2015). Einige Bemerkungen zu Christoph Huths Beitrag "Vom rechten Umgang mit Sondengängern" – die Schleswig-Holsteinische Perspektive. Archäologische Informationen [pdf im early view]
  • Schoellen, A. (2015). Metalldetektoren: Militärische Kampfmittel als Rettungsanker für unser archäologisches Erbe? Archäologische Informationen [pdf im early view]

Wie R. Schreg (2015) in seinem Beitrag erläutert hat, wurzelt das Modell des PAS stark in der engllischen Rechtstradition und ist an die Etablierung der Denkmalpflege im Königreich eng gebunden. Die rechtlichen Grundlagen des deutschen Raumes sind wesentlich anders ausgerichtet, wobei die Denkmalpflege in Deutschland seit ihrer Etablierung im 19. Jh. als hoheitliche Aufgabe verstanden wird – mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen für die nicht im Auftrag und mit dem Einverständnis des Staates handelnden „Bodenforscher“. 
Das Modell aus Schleswig-Holstein, das auf die amtliche Betreuung und Zertifizierung von Sondengängern setzt, stellt eine Alternative zum englischen Modell dar und baut auf das historisch gewachsene System der Denkmalpflege in Deutschland mit hauptamtlichen Archäologen und ehrenamtlichen Heimatforschern auf.

Kurze Beurteilung des Schleswiger-Modells 
(nach Informationen aus dem Aufsatz von Carnap-Bornheim/Ickerodt/Siegloff 2015)
Das sog. Schleswiger Modell im Umgang mit Sondengängern, das vom archäologischen Landesamt SH ausgearbeitet, eingeführt und seit ca. 10 Jahren mit Erfolg praktiziert wird, zeigt zweierlei positive Entwicklungen:
1.) Die Voraussetzungen zur Erlaubnis der Sondenführung sind mit einer entsprechenden Zertifizierung und einem Lehrgang beim Landesamt SH verbunden. Ein Austausch der Erfahrungen, Meinungen und Erfolge von registrierten und ausgebildeten Sondengängern geschieht in einem geschlossenen Internetforum, in dem auch die Funde vorbestimmt werden können. Die Informationen und vorsortierten Funde werden dann an das Landesamt weitergeleitet, in dem die Auswertung und Ausweisung von möglichen neuen Bodendenkmälern sowie die Kartierungsanpassung von alten Denkmälern nach den frisch gewonnenen Erkenntnissen durchgeführt werden kann. Zunehmend interessieren sich die (gerätebedingt primär nach Metall suchenden) neuen ehrenamtlichen Mitarbeiter auch für die Stein-, Keramik- und Knochenartefakte. Da die Sondengänger einer Altersgruppe (hauptsächlich) von 20 bis 40 angehören, wird so indirekt der Überalterung der ehrenamtlichen Denkmalpfleger entgegengewirkt.

2.) Die registrierten Sondengänger bekommen vom archäologischen Landesamt SH eine räumlich und zeitlich gebundene Erlaubnis zur Sondenführung und Fundbergung aus den oberen Bodenschichten. Sie sind in Schleswig-Holstein regional selbstverwaltend organisiert. Somit wurde eine strenge soziale Kontrolle innerhalb der Szene geschaffen, in der die ausgebildeten und registrierten Sondengänger gegenseitige Kontrollen sowie die Überwachung auf dem ihnen zugewiesenen Territorium vornehmen. Den zuständigen Polizeiwachen wird dadurch auch die Aufsicht erleichtert, da einerseits die Erlaubnisinhaber mit den ihnen zugewiesenen Suchbereichen bekannt sind und andererseits die Grabungsschutzgebiete als solche ausgewiesen sind, in denen das Sondeln weder für registrierte Sondengänger noch für „Wilderer“ erlaubt ist. Das Selbstverständnis der zertifizierten Sondengänger als ehrenamtliche Helfer des Landesamtes und der sorgfältige Umgang mit der Denkmalsubstanz sowie die ständige Kontrolle des eigenen und der angrenzenden Gebiete hat zu einer positiven Entwicklung hinsichtlich der Kartierung von bekannten Bodendenkmäler sowie zur allgemeinen Verdichtung der Kenntnisse über den archäologischen Bestand des Landes geführt.
Zeichnung: I. Saev

Schwierigkeiten der Praxis
Allerdings ist die praktische Umsetzung des Modells mit gewissen Schwierigkeiten verbunden, die in meisten Fällen in der dünnen personellen Besetzung des Amtes begründet sind:
  • Die Nachfrage nach einer zertifizierten Sondenausbildung übertrifft das vorhandene Angebot bei Weitem.
  • Die Fundmeldungen, auch nach der selbstständigen Vorsortierung und Diskussion im Forum, überschreiten die Kapazitäten des Amtes. Wie dem Aufsatz von Carnap-Bornheim/Ickerodt/Siegloff (2015) zu entnehmen ist, zieht eine Fundmeldung wie Bearbeitung eines Fundobjekts im PAS-Projekt in England und Wales (vgl. Huth 2013) erfahrungsgemäß ca. 1 Stunde Arbeitszeit nach sich. In Deutschland wird das Arbeitspensum wohl auch kaum anders sein.
  • Das Eigentumsrecht bei den Bodenfunden, die eine Aussage zur Landesgeschichte ermöglichen, was allgemein gesehen auf fast jeden Gegenstand zutrifft, liegt bei dem Land. Die Erhöhung des Fundeingangs erfordert mindestens die Erhöhung des Personals für die konservatorische Erstversorgung der Funde sowie für die Lagerkapazitäten, die gegenwärtig vom Land jedoch nicht bereitgestellt werden können.

Ausweg mit Vorteilen
Ein Ausweg aus den oben genannten Schwierigkeiten, ohne den Verlust der aufgeführten Vorteile hinsichtlich der Ausbildung und der Bindung der Sondengänger an die Ämter zu riskieren, bietet die Privatisierung der damit verbundenen Dienstleistungen, wie sie etwa in Form eines Werkvertrages vom zuständigen Landesamt an ein gemeinnütziges Unternehmen vergeben werden kann. Der dahinter stehende Gedanke folgt einer einfachen Logik: Für das Führen eines Kraftfahrzeugs, eines Jagdgewehrs oder sogar des Einsatz einer Sportangel bedarf es in Deutschland eines entsprechenden Ausbildungsnachweises, der die sichere und für die Öffentlichkeit tragbare Ausführung der mit dem Gerät verbundenen Tätigkeiten garantiert. Aber weder die Verkehrs- noch die Naturschutzbehörden sind verpflichtet, einschlägige Lehrgänge dafür anzubieten. In ihrer Obhut liegen jedoch die entsprechenden Qualitätskontrollen der Ausbildung (z.B. in der Form einer Prüfung) sowie die Kontrolle bezüglich der Erfüllung der mit der Nutzung verbundenen Auflagen. 

Wenn wir uns jetzt am Beispiel des Angelscheines orientieren, würde die Ausbildung nach den Vorgaben des Landes in geeigneten privaten Einrichtungen mit dem vom Land geprüften Ausbildern stattfinden. Es wäre eine theoretische und praktische Prüfung abzulegen, die von den Behörden mitbetreut und zertifiziert wird. Für das Angeln in öffentlichen Gewässern, um weiter bei diesem Beispiel zu bleiben, benötigt der Angler neben den Angelschein eine zeitlich und räumlich begrenzte Erlaubnis zum Angeln. Das Angeln in unter Naturschutz stehenden Gewässern ist (mit oder ohne Angelschein) strengstens untersagt. Die Angler sind meistens in Vereinen organisiert, die darüber hinaus eine Vereinsgebühr verlangen. Die Vereine beteiligen sich aktiv an der Landschafts- und Gewässerpflege und sind ehrenamtlich organisiert.
Zusammengefasst müssen von einem Angler folgende Zahlungen entrichtet werden:
  1. eine Ausbildungsgebühr (an die Ausbildungsstätte)
  2. eine Prüfungsgebühr (an die zuständige Behörde)
  3. eine Nutzungsgebühr (an den Grundstückseigentümer bzw. an die Gemeinden) sowie
  4. eine Vereinsgebühr (an einen Anglerverein).

Neben der Vereinsgebühr verlangen manche Vereine noch einen Arbeitseinsatz bei der Gewässerpflege sowie der Betreuung von neuen Vereinsmitgliedern. Alle hier aufgeführten Leistungen werden kaum von aktiven Anglern in Frage gestellt und demzufolge als ein selbstverständlicher Teil ihres (kostspieligen) Hobbys betrachtet. Wieso kann man Entsprechendes nicht auch von den Sondengängern verlangen?

Wie kann so etwas praktisch ablaufen?
Bei der Anfrage nach einer Erlaubnis beim betreffenden Landesamt, wird ein Interessierter an den zuständigen Verein verwiesen. Der Verein empfiehlt einige Ausbildungsstätten, die auch gemeinnützig organisiert werden können. Der Interessent wird ausgebildet und anschließend zusammen mit vielen anderen an einem Sammeltermin von dem zuständigen Mitarbeiter des Landesamts geprüft und nach erfolgreicher Prüfung registriert. Anschließend erfolgt ein Beitritt zu einem regional organisierten Verein. Für das praktische Sondengehen wird bei der Unteren Denkmalschutzbehörde eine flächen- und zeitlich begrenzte Erlaubnis beantragt, die mit denkmalrechtlichen Auflagen verbunden ist und von dem zuständigen Referenten des Landesamtes bestätigt wird. Im Vereinswesen erfolgen die soziale Kontrolle, die Weiterbildungen zu regional-historischen und archäologischen Themen sowie zur Vorbestimmung der Funde. Sogar die Publikation der Funde und die Öffentlichkeitsarbeit für die Teilhabe der Bevölkerung am eigenen Kulturgut und der Heimatgeschichte könnten in einem derartigen Verein erfolgen. Das Landesamt übernimmt dabei die gesetzliche Kontroll- und Betreuungsfunktion, die die Tätigkeit der Vereine im Sinne des Landesgesetzes und Gemeinwohls lenken soll.


Welche Aufgaben kann nun eine private Ausbildungseinrichtung übernehmen?
Ganz eindeutig fällt in den Aufgabenbereich dieser Einrichtungen primär die qualifizierte Ausbildung der Sondengänger, die vier Teile (in Anlehnung an Carnap-Bornheim/Ickerodt/Siegloff 2015) umfasst:
  1. Eine Einführung in die archäologischen Forschungsmethoden (dabei liegt der Akzent auf der Betrachtung und Dokumentation der Fundzusammenhänge und dem Wert des geschlossenen Fundes).
  2. Formenkunde, chronologische Einordnung und typologische Bestimmung.
  3. Eine Einführung in die Bodenkunde und Stratigraphie (gestörte und ungestörte Erdschichten, Scheidung und Überlagerung sowie geologische Datierung) sowie
  4. Eine Darstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen, Pflichten und Auflagen seitens des Denkmalamtes.
Des Weiteren können von der Ausbildungseinrichtung folgende anschließende Dienstleistungen erbracht werden:
  1. die detaillierte Bestimmung und Datierung der Funde von den hier ausgebildeten Sondengängern;
  2. die fachgerechte konservatorische Erstversorgung der Funde;
  3. die Dokumentationsausarbeitung mit entsprechender Kartierung der Funde und Interpretation;
  4. die Meldungen über alle oben erwähnten Einzelschritte an das zuständige Landesamt, die eine sofortige und zeitsparende Ausweisung eines Bodendenkmals und die Eintragung in die Datenbank/Ortsakte ermöglichen;
  5. sogar die vorläufige fachgerechte Lagerung der Funde kann dann von einem Bildungsträger gewährleistet werden.

Mit der entsprechenden, vom Amt vorgegebenen Standardisierung dieser Leistungen kann ein höchst wirksames Werkzeug zur Erfassung der Bodendenkmäler im Land errichtet werden, das einen sparsamen Personaleinsatz mit dem steigenden Informationsgehalt zur Landesgeschichte verbindet. Diese Zusatzleistungen können teilweise aus den Einnahmen der Prüfungs- und Nutzungsgebühren, teilweise durch die Privatkunden selbst direkt finanziert werden.

Einschätzungen und Einwände
Unter dieser Perspektive erscheint es möglich, das „Schleswiger Modell“ hinsichtlich der Lösung des „Sondenwildererproblems“ und der Entkriminalisierung der „Heimatforscher mit Sonde“ mit einer wirtschaftlich und ethisch tragbaren Lösung zu verbinden. Natürlich gibt es dazu gewisse Einwände. Der größte davon ist der Einwand, dass manche Sondengänger die Gutmütigkeit des Amtes ausnutzen werden, um private Raubgrabungen mit dem Anschein des gesetzestreuen Heimatforschers zu bemänteln. Derartiges ist jedoch nie ganz auszuschließen, jetzt nicht und auch nicht in der Zukunft. Doch je nach Landesgesetzgebung gehören in den meisten Bundesländern die denkmalrelevanten Bodenfunde dem Land, womit der Handel und der Behalt von solchen Funden auch in der Zukunft genau wie heute untersagt ist und strafrechtlich verfolgt wird. 

Aus der Praxis betrachtet, haben sich solche merkantilen Schatzsucher nur in einem quasi rechtsfreien Raum etablieren konnten, in dem die Hand des Gesetzes auf der einen Seite keine Differenzierung kennt, andererseits Raubgrabungen und Zerstörung des Kulturgutes als ein Kavaliersdelikt betrachtet werden. Bei einer flächendeckenden Kriminalisierung schaffen es nur die Hartnäckigsten, deren Interessen weit weg von der Heimatforschung und dem Erhalt des kulturellen Erbes liegen, sich zu etablieren. 

Solchen bei der Polizei aktenkundigen Sondengängern darf selbstredend keine Erlaubnis gegeben werden. Wie auch beim KFZ-Führerschein führen grobe Verstöße gegen die aktuelle Rechtslage sowie psychische Unreife (z.B. das Fahren unter Alkoholeinfluss) zum Führerscheinentzug, der in Ausnahmefällen auch für immer verhängt werden kann. Warum sollte ein solches Verfahren nicht auch auf eine Sondenerlaubnis angewendet werden können? Somit können die Verstöße gegen das Denkmalschutzgesetz, die Konvention von La Valletta, die Icom-Richtlinien in Bezug auf den Handel mit geraubtem Kulturgut sowie soziale und geistige Unreife des Betreffenden (z.B. im Falle des systematischen Anlügens der zuständigen Behörden (auch in der Vergangenheit) zur Ablehnung eines Antrages auf eine Sondenausbildung oder den Entzug der Erlaubnis zur Sondenführung als Folge haben.

Gesamt-gesellschaftliche Perspektive
Bei der Denkmalpflege im Allgemeinen und der Bodendenkmalpflege im Besonderen handelt es sich um keine Zustände, sondern um Prozesse, die stets an das soziale Geschehen angepasst werden müssen. Was ein Denkmal ist und wie man es am besten schützt, stellt sich nicht nur in einem wissenschaftlichen, sondern auch einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs heraus, bei dem das Aushandeln von Bedeutungen zur Substanz und dem Erhalt des kulturellen Erbes stattfindet. Zu den Akteuren dieses Diskurses gehört auch die Landesdenkmalpflege. Allerdings haben die meisten Ämter gegenwärtig eher die Rolle eines Beobachters eingenommen und stets nur reagieren, statt aktiv zu agieren und gestalten. 

Es geht immer wieder bestimmte gesellschaftliche Umbrüche, deren Niederschlag sich mittelbar auch in der Bodendenkmalpflege wiederfindet: Durch die Energiewende und Subventionierung des Maisanbaus sind viele Denkmäler in den landwirtschaftlich genutzten Flächen durch das Tiefpflügen akut gefährdet. Das betrifft insbesondere die Reihengräberfelder sowie die eisenzeitlichen Urnengräberfelder, die bis zu tausend Einzelbestattungen aufweisen können und flächendeckend dem schweren Pflug zum Opfer fallen. Der personalmäßig stark reduzierten Landesarchäologie gelingt es nicht mehr, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Und genau in diesen Bereichen könnten die ausgebildeten und der Heimatforschung zugetanen Sondengänger unter der Oberaufsicht des Landesamtes auch im ausgewiesenen Denkmalbereich eine wesentliche Hilfestellung für die Landesarchäologen leisten. Aber bis es so weit sein wird, ist es noch ein langer Weg.

Resümee
Wie jede Neuerung wird die Etablierung des Systems der Zertifizierung mit vielen Anlaufschwierigkeiten behaftet sein, deren Überwindung Jahre in Anspruch nehmen kann. Allerdings führten die Jahrzehnte der restriktiven Haltung der Landesämter zur unkontrollierten Denkmalzerstörung und einem unwiderruflichen Denkmalverlust. Es muss also dringend etwas geschehen und je länger wir mögliche praktische Lösungsansätze vor uns her schieben, desto mehr unwiederbringliche Verluste hinsichtlich unseres gemeinsamen Kulturguts haben wir gegenüber den kommenden Generationen zu verantworten.


zitierte Literatur
Carnap-Bornheim/Ickerodt/Siegloff 2015:
Cl. v. Carnap-Bornheim/U. Ickerodt/E. Siegloff, Einige Bemerkungen zu Christoph Huths Beitrag ‚Vom rechten Umgang mit Sondengängern’ - die Schleswig-Holsteinische Perspektive. Archäologische Informationen, Early View, online publiziert 6. Juli 2015 (pdf)


Huth 2013
Ch. Huth, Vom rechten Umgang mit Sondengängern: Das „Portable Antiquities Scheme“ in England und Wales und seine Folgen. Arch. Inf. 36, 2013, 129-137 (pdf).

Schreg 2015
R. Schreg, Das Portable Antiquities Scheme als Vorbild? Anmerkungen zum Beitrag von Christoph Huth, Arch. Inf. 36, 2013. Archäologische Informationen, Early View, online publiziert 6. Juli 2015 (pdf)





Ilja Saev hat von 2006-2010 Ur- und Frühgeschichte in Kiel studiert und  2011-2014 dort über Gefäßkeramik und deren Rolle bei Modellierungen von zivilisatorischen Abläufen in der Vorgeschichte (Gefäßkeramik - Funktion, Form, Habitus 2015) promoviert. Zur Zeit ist er als Volontär in der Bodendenkmalpflege tätig.

Donnerstag, 6. August 2015

Moskau übernimmt Kontrolle in 'Nationalheiligtum' auf der Krim

Etwas mehr Details hat The Guardian, was zeigt, dass es um mehr geht, als um eine Personalie:
Vladimir-Kathedrale inmitten der antiken Fundstelle
von Chersonessos
(Foto: R.Schreg/RGZM, 2007)
Von Cherson soll mit der Taufe des Großfürsten Vladimir I im Jahr 988 die Christianisierung Russlands ausgegangen sein.
Auf dem Gelände der antiken Stadt liegt die neue Vladimir-Kathedrale. Nach dem Ende der Sowjetunion hat die orthodoxe Kirche in der Ukraine und in Russland an Einfluß gewonnen und ist daran interessiert, die Vladimir-Kathedrale im Ruinengelände als religiöses Zentrum und als Pilgerstätte aufzuwerten. Zuletzt war ein Priester der Kathedrale zum Direktor des Grabungsgeländes ernannt worden, weshalb das wissenschaftliche Personal in Streik getreten ist. Es wurde befürchtet, dass kirchliche Interessen über den Erhalt der Fundstelle gestellt werden könnten.

Jetzt hat Putin selbst eingegriffen, und den Platz der direkten Kontrolle des Kultusministeriums in Moskau unterstellt. Cherson mit seiner Bedeutung für die russsische Geschichte ist ein Rechtfertigungsargument für die russische Okkupation der Krim.




Nachtrag (17.8.2015)

Montag, 3. August 2015

Varus verstummt

Gastbeitrag von
Johann Friedrich Tolksdorf


Wenn der Fundzusammenhang zerstört wird, verlieren wir für immer die Chance, Münzfunde als archäologische Zeugnisse zum Sprechen zu bringen.


Was ist "ein Stück Geschichte" wert?
Wie auf jedem anderen Markt, so bestimmen auch im Münzhandel Angebot und Nachfrage den Preis eines Objektes. Daher verwundert es auch nicht, wenn Münzen, die mit einer historisch bedeutenden Person verbunden sind, auf einschlägigen Auktionen Spitzenpreise erzielen und den Handel mit diesen Objekten besonders lukrativ machen. Eine solche herausragende historische Persönlichkeit stellt unbestritten Publius Quinctilius Varus dar, der auch der breiten Öffentlichkeit als tragischer Besiegter der Schlacht im „Teutoburger Wald“ aus dem Geschichtsunterreicht bekannt ist. Entsprechend erfreuen sich römische Münzen mit dem Gegenstempel »VAR« des Varus in Sammlerkreisen einer außerordentlichen Beliebtheit. Das hat verheerenden Folgen für die archäologische Forschung, da hierbei die Objekte aus ihrem Fundkontext herausgelöst und ihrer wichtigsten Aussagekraft beraubt werden.
Münze des Varus mit Gegenstempel VAR:
As Lugdunum I (RIC 230), Vorderseite, Augustus nach rechts mit Gegenstempel des Varus ("VAR" = Werz Typ 1)
(Foto: Fotografie für das Bildarchiv der Abteilung. - Fotobestand der Goethe-Universität Frankfurt, Institut für Archäologische Wissenschaften, Abteilung II [PD, CC0 1.0] via Wikimedia Commons)

Wie Münzen mit bekanntem Fundort uns helfen können, die Geschichte zu rekonstruieren
Bei den begehrten »VAR« Gegenstempeln (auch als Kontermarken bezeichnet) handelt es sich um sekundäre Einprägungen auf Münzen, die höchstwahrscheinlich im Rahmen von Sonderzahlungen an die Truppen eingestempelt wurden. Ihr außergewöhnlicher archäologischer Wert liegt darin, dass sich in einem Objekt unmittelbar zwei Aktivitäten wiederspiegeln: Die Prägung der Münze selbst und das nachträgliche Anbringen des Gegenstempels. Wird eine solche Münze im Rahmen einer archäologischen Untersuchung dokumentiert, kann sie uns wertvolle Hinweise zur Datierung eines Befundes und zum historischen Münzumlauf liefern.
Dass es sicher hierbei nicht um rein akademisches Wunschdenken handelt, sondern vielmehr überregional von der Öffentlichkeit mit Interesse wahrgenommene Ergebnisse erzielt werden können, haben gerade die Münzen mit VAR-Gegenstempel bewiesen: Ihr verstärktes Auftreten unter den in archäologisch dokumentierten Funden in der Kalkriese-Niewedder Senke hat dazu beigetragen, ein römisches Schlachtfeld des frühen 1. Jahrhunderts n. Chr. zu entdecken. Auch hätte einer Debatte zur möglichen Identifikation dieser Fundstelle als Ort der Varusschlacht ohne Auffindungszusammenhang der Münzen jegliche Grundlage gefehlt.

Gefahr einer Degradierung historischer Quellen zu kontextlosen Sammlerobjekten
Dass jedoch der Handel mit begehrten Gegenstempeln wie dem »VAR« des Varus nicht nur zu einem Verlust der wissenschaftlichen Aussagekraft führt, sondern sogar die Forschung durch die Entstehung von „Mischinventaren“ zusätzlich erschwert, hat U. Werz bereits am Beispiel eines vermeintlichen Münzkonvolutes aus Xanten dargelegt (Werz 2007). Zugleich führte er in seiner akribischen und umfassenden Zusammenstellung der römischen Gegenstempel aus dem Rheinland (Werz 2009) die Aussagekraft dieser Quellengattung vor Augen, die sich insbesondere durch die räumliche Auswertung ihrer Auffindungsorte ergibt.

Wie können wir als Archäologen die Öffentlichkeit mit diesem Anliegen erreichen?
Das Verständnis der breiten Öffentlichkeit (und damit auch der politischen Akteure) für die Problematik der „verstummenden Quellen“ muss daher verbessert werden, zumal durch die illegalen Aktivtäten von Raubgräbern mit Metallsuchgeräten besonders Münzen von einer Degradierung zu kontextlosen Sammlerobjekten bedroht sind. Gerade die Archäologie muss daher nachdrücklich zeigen, dass es sich bei Münzen - wie beispielhaft denen mit VAR-Gegenstempeln - um historische Quellen handelt, die, wie die Urkunden in einem schriftlichen Archiv, immer wieder mit neuen Methoden und Blickwinkeln befragt werden müssen. Nur wenn es der Archäologie gelingt, den Mehrwert einer gut vernetzen Museumslandschaft und der von ihr immer wieder neu für die Forschung zur Verfügung gestellten Objekten mit gesichertem Kontext aufzuzeigen, können die hiermit verbundenen Anliegen gegenüber den politischen Akteuren hervorgehoben werden.

Forschungsperspektive durch Kontext
Zu diesem Zweck ist es auch notwendig, wissenschaftliche Projekte öffentlichkeitswirksam zu begleiten. Im Rahmen unseres Projektes »Charonspfennige: Kann HR-3D-Scanning von Gegenstempeln auf römischen Münzen helfen, ein »Bewegungsprofil« der Legionen des Varus in den letzten Monaten vor der Varusschlacht (9 n. Chr.) zu rekonstruieren?« werden wir die Gegenstempel des Varus in unterschiedlichen Museen in der Schweiz, Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden mit einem hochauflösenden 3D-Scanner erfassen und versuchen, aus den im Abdruck erkennbaren Abnutzungsspuren des Stempeleisens eine relative Abfolge der Stempelabdrücke zu rekonstruieren. Erst durch die Einbeziehung der Fundorte der Münzen kann in einem zweiten Schritt versucht werden, die historischen räumlichen Beziehungen zu erschließen und vielleicht neue historische Ergebnisse zu möglichen Aufenthaltsorten des Varus zwischen 7 -9 n.Chr. zu erzielen. Dieses wäre bei Münzen mit ungeklärtem Auffindungsort unmöglich und muss als Botschaft in die öffentlichkeitswirksame Präsentation einfließen. Sie bleiben stumm und ihr wissenschaftlicher Wert ist bei allem technischen Fortschritt für immer verloren.
 
zitierte Literatur
Werz 2007
U. Werz, Besuch des Vetters aus Dingsda? Bemerkungen zu einigen Fundmünzen aus Xanten. Numismatisches Nachrichtenblatt 26/3, 2007, 1-7 - http://www.fan-niedersachsen.de/attachments/article/72/vetterausdingsdaneu.pdf

Werz 2009
U. Werz, Gegenstempel auf Aesprägungen der frühen römischen Kaiserzeit im Rheingebiet: Grundlagen, Systematik, Typologie (Diss. Frankfurt 2009) - urn:nbn:de:hebis:30-68931
 
Interner Link





Dr. Johann Friedrich Tolksdorf ist Archäologe mit einer Spezialisierung im Bereich der Geoarchäologie und am Landesamt für Archäologie Sachsen in der Bodendenkmalpflege tätig. Die Äußerungen in diesem Blogbeitrag sind seine private Meinung. https://sachsen.academia.edu/JohannFriedrichTolksdorf

Sonntag, 2. August 2015

Die Nesenbach-Frau geht um: Aprilscherz wird wahr


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