Eine Podiumsdiskussion der AG TidA (Theorien in der Archäologie), organisiert von Doreen Mölders ging auf der Verbandstagung des MOVA (Mittel- und Ostdeutscher Verband für Altertumsforschung) am 17. Juni 2015 drei Stunden lang der Frage nach dem Stand der Theoriediskussion und ihren aktuellen und künftigen Aufgaben in der deutschen Archäologie nach.
Auf dem Podium saßen:- Prof. Sabine Rieckhoff (Leipzig)
- Dr. Andrea Zeeb-Lanz (Speyer)
- Prof. Thomas Meier (Heidelberg)
- Stefan Schreiber (Berlin)
- Martin Renger (Freiburg)
In einer Einstiegsrunde reflektierten die Diskutanten die Entwicklung der Theorie-Auseinandersetzung in der deutschen Archäologie - insbesondere, wie Theorie an den Universitäten zu ihren Studienzeiten rezipiert wurde. Sabine Rieckhoff berichtete aus den 1970er und 80er Jahre, wobei sei Wert darauf legte, dass man zunächst nicht von einer Theoriefeindlichkeit der deutschen Archäologie sprechen könne, sondern eigentlich eher eine Theorieabstinenz vorhanden war. Theoriefeindlichkeit sei erst eine sekundäre Entwicklung gewesen. Ihre Ausgangsthese, dass Theorie heute selbstverständlich an den Universitäten angekommen sei, wurde allerdings durch die folgenden Statements stark relativiert. Thomas Meier erzählte, wie sich Münchner Studenten in den 1990er Jahren heimlich auf eine Berghütte zurückgezogen haben, um die am Institut verpönte theoretische Literatur zu lesen. Stefan Schreiber und Martin Renger bemängelten, dass auch heute eine Theorie nur bedingt Bestandteil der Curricula sei.
Podiumsdiskutanten im Kapitelsaal des Augustinerklosters in Erfurt TidA (Foto R. Schreg) |
Aus den Einstiegsstatements ergab sich die Frage nach dem Stellenwert von Theorie heute. Etwas unscharf blieb dabei jedoch, über welche Theorie eigentlich gesprochen wird: Theorien über Entwicklungen und Gesellschaften der Vergangenheit, Theorien über archäologische Erkenntnis, Theorien über die gesellschaftliche Bedeutung der Vergangenheit oder eine Theorie bzw. Ethik der Denkmalpflege? Eine Runde der Diskussion gerade auch mit dem Publikum entspann sich um die Frage nach dem Stellenwert der Theorie für die Denkmalpflege. Martin Nadler vermerkte, dass hier die juristischen Grundlagen sehr viel grundlegender seien, als theoretische Erwägungen. Allerdings: Das jüngste Urteil zur Denkmalpflege in Nordrhein-Westfalen, wo ein Richter einem Kotten den Denkmalcharakter abgesprochen und die Notwendigkeit einer Grabung verneint hat (vergl. http://www.verband-archaeologischer-fachfirmen.de/news/neues-urteil-des-vg-duesseldorf-zur-bodendenkmalpflege/). Das Beispiel macht deutlich, dass eine Theorie über einen konkreten Begriff eben auch für die Praxis grundlegend ist. Sabine Rieckhoff betonte, Theorie sei wichtig zur Rechtfertigung und Konzeptualisierung.
Die Frage, was genau wir unter „Theorie in der Archäologie“ verstehen, war eine der Kernfragen der Diskussion.
Die Frage, was genau wir unter „Theorie in der Archäologie“ verstehen, war eine der Kernfragen der Diskussion.
Ist sie die Summe von Konzepten des Prozessualismus, Postprozessualismus, Marxismus, Strukturalismus, Konstruktivismus etc., derer wir uns zur Deutung des archäologischen Quellenbestandes bedienen? Oder ist sie vor allem die Garantie für eine reflektierte Wissenschaft, sowohl in Bezug auf die differenzierte Interpretation empirischer Forschungsergebnisse als auch hinsichtlich der kritischen Bewertung unserer diskursiv bestimmten Forschungspraxis? (Einladungsflyer)
In der Tagungsdiskussion spielten die verschiedenen -ismen bemerkenswerterweise keine Rolle. Stattdessen wurde unter anderem die Frage aufgeworfen, inwiefern man aus Geschichte lernen könne. Unter Verweis auf Adorno äußerte sich Rieckhoff skeptisch. Doreen Mölders verwies hingegen auf ein "reflektives Potential archäologischer Funde". Mir scheint angesichts der Tatsache, dass der Rechtfertigungsdruck der Archäologie immer größer wird, diese Thematik von großer Bedeutung. Die "gesellschaftliche Relevanz" der kleinen Fächer wird heute immer wieder beschworen, aber Überlegungen, wie man diese konkret darstellen bzw. auch umsetzen kann, gibt es kaum. In einer eigenen Wortmeldung habe ich auf die Forschungsrichtung der "applied archaeology" hingewiesen, die hier im Blog verschiedentlich bereits angesprochen wurde (unter dem Schlagwort Lernen aus der Vergangenheit; weiterer Blogpost in Planung), die in Deutschland aber kaum bekannt ist. Wohl vor allem aufgrund der deutschen Forschungsgeschichte tut man sich hier besonders schwer, sich auf aktuelle Themen einzulassen, die dann zwangsläufig auch einmal politische Brisanz besitzen.
Die TidA vertritt generell ein breites Verständnis von Theorie. Interessanterweise fehlt im Themenspektrum meines Erachtens aber ein ganz wesentliches Themenfeld, nämlich, die Frage des Geschichtsbilds der Archäologie. Vielleicht fällt mir das mit einem Forschungsschwerpunkt der vermehrt in der historischen Archäologie liegt, besonders auf, aber auch für eine prähistorische Archäologie ist das absolut relevant: In der Diskussion um eine Archäologie als Anthropologie oder als Kulturwissenschaft wird das traditionelle Gegenmodell der Archäologie als Geschichtswissenschaft kaum diskutiert. Dabei ist das Geschichtsbild entscheidend für die Positionierung gegenüber vielen der verschiedenen -ismen. Die ablehnende Haltung der deutschen Archäologie gegenüber Theorie liegt nicht zuletzt in einer tiefen Verwurzelung im Historismus, die in Vielem unreflektiert bis heute nachwirkt.
Die Schaffung von Gegenwartsbezügen ist nicht unproblematisch und vielfach gefährlich. Eine Aufgabe der Theorie in der Archäologie ist es diese Bezüge selbstkritisch zu reflektieren. Dies betrifft beispielsweise die politische Vereinnahmung von Archäologie. Thomas Meier führet in der Diskussion dazu als ein Negativbeispiel die einseitige Präsentation des Limes als einer militärischen Grenzlinie dar, die im Kontext der aktuellen Abgrenzung Europas gegen die Flüchtlingsströme im Mittelmeerraum eine problematische Botschaft aussendet.
In einer letzten Diskussionsrunde ging es um die Frage, inwiefern Theorie in der Archäologie auch bedeutet,"sich zu engagieren, gegen die Zerstörung von Kulturgütern, gegen
Antikenhandel und gegen Sparmaßnahmen". Dazu wurde ich selbst aufs Podium gebeten, um aus den Erfahrungen mit Archaeologik zu berichten. Selbstverständlich bin ich der Meinung, dass wir dies tun müssen und dass wir auch Chancen haben, im Interesse des Fachs als Wissenschaft eine Lobby zu bilden (vergl. Archaeologik [17.4.2015]).
Ich habe die Diskussion in Vielem für anregend empfunden. Eine Diskussion über die Gegenwartsbezüge der Archäologie, insbesondere aber auch über die Methoden, wie dies zu bewerkstelligen ist, wie auch über die kritischen Punkte wird man in den nächsten Jahren verstärkt führen müssen. Immerhin gibt es Kollegen, die von einem reflektierten Standpunkt aus, solche Gegenwartsbezüge für nicht realistisch halten. Allerdings gehören sie in der aktuellen Antragsrhetorik längst zu den Allgemeinplätzen. Deshalb hängt die Glaubwürdigkeit des Faches auch davon ab, dass wir uns bemühen, solche Versprechungen einzulösen - oder uns gegebenenfalls realistischere Ziele setzen.
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