Mittwoch, 1. Juli 2015

Das Kulturerbe in Syrien und Irak im Juni 2015

Im Juni verlagert sich der Schwerpunkt der Meldungen zurück nach Syrien. Nachrichten über Luftangriffe und Verminung kommen aus dem IS-besetzten Palmyra, doch auch aus zahlreichen anderen Städten gibt es Schadensmeldungen. Demgegenüber stehen einige eher hilflos wirkende Maßnahmen, die der Kulturgutzerstörung entgegen wirken sollen bzw. Dokumentationen zusammenstellen. Immerhin: Nach 60 Jahren unterzeichnet Großbritannien unter dem Eindruck der Vorgänge in Syrien und Irak die 1954 beschlossene Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten.
Palmyra 1993
(Foto M. Scholz)

Schadensmeldungen

eine Zusammenstellung für Syrien


Aleppo (Syrien)
Bosra (Syrien)
Luftangriffe auf die Zitadelle bei Bosra am 31.5. und 9.6.
Palmyra (Syrien)
  • Ausstellung zu Palmyra:
Tote Städte in Nordsyrien
APSA2011 hat im Mai einige Zustandsberichte zu den Toten Städten im nordsyrischen Kalksteinmassiv veröffentlicht. Teilweise sind massive Zerstörungen zu erkennen, wobei die Ursachen unklar sind - hier mag der normale Zerfall eine wesentliche Rolle spielen. In den Ruinen von Sergilla leben Flüchtlinge, deren Alltag ein Video der Kollegen zeigt: http://apsa2011.com/apsanew/sergilla-everyday-life-of-the-refugees-amidst-the-ancient-remains-where-they-have-found-shelter/

Auf  Tell Hizareen haben die Kollegen mehrere Sondengänger angetroffen, die die Fundstelle systematisch abgesucht haben. Über 50 neue Raubgrabungslöcher wurden festgestellt:
Maaret al-Numan (Syrien)
Am 15. oder 17.6. (widersprüchliche Angaben!) wurde das wegen seiner Mosaike berühmte Museum in der von Rebellen gehaltenen Stadt zerstört. 

    Samarra (Irak)
    Ein bereits im Mai veröffentlichtes Video zu Kämpfen verschiedener Milizen in Samarra lässt als Kulisse die Befestigungsmauer von Sur Shnas aus dem 9. Jh. erkennen. Bei den Kämpfen um Tikrit im Frühjahr diente die Anlage angeblich dem IS als Stellung.

      Al Qosh (Irak)
      Mar Behnam and Mart Sarah (Irak)
      Klöster nordöstlich von Nimrud.
        IS und die Kulturgüter
        Kurdische Einheiten haben bei türkischen IS-Kämpfern in Syrien archäologische Fachbücher sichergestellt. Während das eine erstaunlicherweise eine deutsche Ausgabe eines Buches über ägyptische Pyramiden ist, scheint es sich bei dem zweiten um ein numismatisches Fachbuch zu handeln.
        Auch in Libyen werden Kulturzerstörungen durch IS befürchtet. Hier bilden nun Anwohner eine bewaffnete Truppe zum Schutz von Leptis Magna: http://www.independent.co.uk/news/world/africa/isis-in-libya-the-new-centurions-protecting-the-ruins-of-leptis-magna-from-militants-cultural-jihad-10298153.html

        Eine 'irakische Sicherheits-Quelle' meldet, dass im Rahmen eines lokalen Konflikts zwischen zwei Dörfern Moscheen von Milizen, darunter Hisbollah,  gesprengt wurden: http://www.alquds.co.uk/?p=353659 (mittels GoogleTranslator).

        Sonstige Medienberichte und Meldungen
        Raubgrabungen und Antikenhandel

        Ein Video von France24 dokumentiert Raubgrabungen in Syrien und den Weg der Antiken über die türkische Grenze:
        Hier wird auch deutlich, dass die Gewinne nicht bei den Arbeitslosen ankommen, die aus Not antike Fundstellen plündern. Facebook bietet hier eine Kontaktbörse zwischen syrischen Raubgräbern und türkischen Zwischenhändlern. Der Film beschuldigt auch das Assad-Regime in Syrien, Museen ausgeräumt und Funde verhökert zu haben. Ein Zeuge - ein Raubgräber - schildert, wie im IS-Gebiet Lizenzen für Raubgrabungen vergeben werden und IS direkt im Antikenhandel engagiert sei.

        Antiken aus Syrien auf ebay:
        und bei Christie's - mit einer kläglichen Provenienzgeschichte, die grade mal bis 1996 zurückreicht und auf eine Sammlung in Montecito in Kalifornien verweist, was in keiner Weise eine ernst zu nehmende Provenienzangabe darstellt (vergl. Archaeologik v. 22.6.2015):
        IS-Plünderungsgut auf dem Weg nach Russland
        und Israel:
        Seiten auf facebook stehen im Verdacht IS-Raubgrabungsgut zum Verkauf anzubieten.
        Auf Medienanfragen hat facebook die Seiten geschlossen, was fb nun Kritik einbringt, da natürlich keine klare Beweise für den Verdacht vorliegen. Zudem wird bemängelt, dass mit der Schließung auch ein Ermittlungsansatz verloren geht, mit denen man die Händler vielleicht fassen und Schmuggelwege identifizieren könnte.
        Eine Zusammenstellung der International Association for Assyriology von Informationsquellen zum Thema:
        Der Direktor der irakischen Altertumsbehörde Qais Hussein Rashid hat in einem Interview - schon im Mai - den Verdacht geäußert, dass die Zerstörungen in Nimrud und Hatra (vergl. Archaeologik) nur dazu dienten vorausgegangene Raubgrabungen zu verschleiern.
            Initiativen und Maßnahmen
            UN-Resolution gegen Plünderungen und "cultural cleansing":
            US-Kongress beschließt Bann für den Import syrischer Antiken:
            Eher kontraproduktiv: Israel will Objekte zum Schutz vor IS aufkaufen - jedenfalls solche mit jüdischem Bezug:
            ein Plädoyer für ein syrisches Exilmuseum
            Online-Ermittlungen
            Lehren der Monuments' Men:
            Großbritannien unterzeichnet nun nach mehr als 60 Jahren die Konvention von Den Haag zum Schutz des Kulturerbes im Falle von bewaffneten Konflikten (Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict. The Hague, 14 May 1954 und eine Liste der bisherigen Unterzeichnerstaaten auf den Seiten des Roten Kreuzes).
            und finanziert ein Projekt

              Eine Infographik der UNESCO zu den Maßnahmen in Syrien:
              ein Update der Roten Liste gefährdeter Kulturgüter aus dem Irak.

              Raubgrabungsgut aus Syrien vorläufig in Obhut des British Museum:
              National Geographic zu Schutzmaßnahmen der ortsansässigen Bevölkerung am Tell Mozan in Syrien:
              Cyber Archaeology:
              Einige Bemerkungen zu den üblichen Argumenten, man solle froh sein, wenn Funde aus Syrien und Irak sicher in westlichen Sammlungen liegen und der Feststellung, Antiken zählten nichts angesichts des Verlusts an Menschenleben:
              • A.A. Bauer, Editorial: The Destruction of Heritage in Syria and Iraq and Its Implications. International Journal of Cultural Property 22, 2015, 1-6. - DOI: http://dx.doi.org/10.1017/S0940739115000090 - Dieser Beitrag ist OA, während die Zeitschrift sonst die üblichen teuren Zugriffsgebühren verlangt.
              interner Link

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