Sehr viel Aufsehen erregt der Fund eines "Barbarenschatzes". In einem Wald bei Rülzheim wurde er mit einer Metallsonde aufgespürt und anschließend illegal ausgeräumt.
Bei dem Finder handelt es sich um einen seit geraumer Zeit in der Sondlerszene engagierten Raubgräber, der in der Südpfalz offenbar schon zahlreiche Fundstellen heimgesucht hat und insbesondere mit seinem "Zauberwald" prahlt. Die Behörden kamen ihm wegen Ermittlungen in anderen Fällen auf die Spur.
Der Fund wird gefeiert - und doch ist er in erster Linie ein Alarmsignal. Er demonstriert die Vernichtung historischer Quellen durch Schatzsucher.
Der Fund umfasst zahlreiche Objekte, die eine Datierung ins 5. Jahrhundert nahelegen.
Wissensverlust
Der Gewinn an Fundobjekten wiegt den Verlust an Wissen bei weitem nicht auf. Unter den Funden liegen zahlreiche Goldbeschläge vor. Nun wird gerätselt, ob die "kreuzförmig ornamentierten Goldbuckel die Robe eines Römers oder eines germanischen Stammesfürsten" zierten. Denkbär wäre aber auch, dass sie zu Pferdegeschirr gehörten. Da jedoch keine Fundlage dokumentiert wurde, läßt sich das nicht mehr klären. Wir können nur anhand von besser bekannten Vergleichsfunden Mutmaßungen anstellen - die gibt es aber nur in geringer Zahl, da auch andere einschlägige Schätze durch Raubgräber ans Tageslicht gekommen sind.
Vielleicht gehören im Rülzheimer Fund weitere Goldbeschläge zu demselben Stück. Die Fundlage hätte uns das erzählen können.
Die Beschläge eines Klappstuhls sind als Einzelteile auf uns gekommen. Die möglicherweise zugehörigen Eisenteile fehlen. Der Räuber hat die Rostteile möglicherweise entsorgt. Ein etwas jüngeres Vergleichsstück wurde 2006 bei regulären Grabungen der baden-württembergischen Denkmalpflege aus einem Grab bei Hessigheim geborgen. Die Eisenteile wurden selbstverständlich ebenso geborgen, wie die Silberteile - und ermöglichten so eine Rekonstruktion des Klappstuhls. Beim Rülzheimer Klappstuhl erfahren wir leider nichts mehr über die Anordnung der Einzelteile und haben somit auch keine zuverlässigen Informationen mehr, um das Stück zu rekonstruieren. Wir können nur für Ausstellungszwecke nach anderen Beispielen ein mehr oder weniger plausibles Arrangement der Einzelstücke vornehmen - wissenschaftlich ist das aber wertlos.
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Die Wirkungen einer Raubgrabung sind vergleichbar
mit der Wirkung eines Aktenvernichters:
Das Material ist noch da, die Zusammenhänge sind vernichtet.
(Foto: wdwd [CC BY-SA 3.0] via Wikimedia Commons) |
Das sind nur einige Informationslücken, die der Raubgräber bezüglich der Kenntnis der Einzelobjekte gerissen hat. Wir erfahren aber auch nichts mehr darüber, ob der Fund in einer Kiste, in einem Sack, in einem Erdloch, in einem Keller begraben war - oder gar in einem Sumpf versenkt war.
Die Hackspuren an dem Silberteller legen immerhin nahe, dass es sich nicht um einen Grabfund handelt - was prinzipiell ebenfalls eine Möglichkeit darstellt, die wir nicht ausschließen können. Hätte der Raubgräber schlecht erhaltene Leichenreste überhaupt erkannt? Wohl kaum. Hätte er ein Grab pfleglicher behandelt?
Die Südpfalz ist eine Landschaft, die mit dem "Nibelungenschatz" verbunden wird. In den Medien wird hier nun jenseits jeder wissenschaftlicher Argumentation spekuliert. Fakt ist, dass der Rülzheimer Schatz nicht der erste aus der Region ist. Nur wenige Kilometer entfernt in Neupotz wurde seit 1967 bei Kiesbaggerarbeiten der "Hort von Neupotz" geborgen. Hier liegen ebenfalls keine Informationen zum Befundkontext vor, da die Funde aus dem Rheinkies ausgebaggert wurden. Vermutlich sind sie bei einer Rheinquerung verloren gegangen. Der Fund von Neupotz datiert ins 3. Jahrhundert, ist also um einiges älter als der neue Fund von Rülzheim.
"Schatzfunde" - der Archäologe spricht lieber von Hortfunden, da der heutige Wert nachrangig ist - sind aus der Völkerwanderungszeit in großer Zahl bekannt. Oft handelt es sich nur um eiserne Gerätschaften, die für Raubgräber eher uninteressant sind, da die Restaurierung aufwändig ist. Dabei gibt es ganz verschiedene Hintergründe, wie solche Hortfunde zustande kommen. Bisweilen ist es das Plünderungsgut, das Barbarenhorden auf ihren Zügen unterwegs verloren oder zurück gelassen haben. Das wird etwa für Neupotz vermutet. Bisweilen sind es Objekte, die die lokalen Bewohner vor Plünderern versteckt haben - und nicht wieder bergen konnten. In einigen Fällen sind es auch Opferfunde aus Sümpfen, Seen und Flußarmen. Hier haben sich die Objekte oft auch über einen längeren Zeitraum angesammelt. Eine genaue Beobachtung der Fundlage wäre entscheidend gewesen, diese grundätzliche Frage zu klären.
Und Rülzheim?
Er ging als Barbarenschatz in die Medien. Sicher ist das nicht - denn der freundliche Raubgräber hat uns leider alle sicheren Indizien dazu zerstört.
Die Beurteilung des Schatzes von Rülzheim wird immer ein Fragezeichen behalten müssen. Nur noch bedingt lässt er sich heranziehen, um den Zerfall des antiken Staatswesens genauer zu beleuchten und nach den konkreten Vorgängen zu fragen. Gerade heute, wo wir solche Szenarien des Staatszerfalls in Afrika und im Nahen Osten erleben, wäre es angebracht, darüber nachzudenken, welche Rolle solche Szenarien für unsere eigene Kultur spielen. Auch diese Kraft des Schatzes von Rülzheim hat der Räuber im Zauberwald zerstört - es sind nur noch Objekte.
Medienecho