Gemälde vonPeter Monamy, Loss of HMS Victory, 4 October 1744 (Collections of the National Maritime Museum) [Public domain], via Wikimedia Commons |
ein Gastbeitrag von
Mathias Blobel
In der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober 1744 sank das Kriegsschiff HMS Victory im Ärmelkanal. Das Flaggschiff der britischen Ärmelkanalflotte war Opfer eines Sturmes geworden. Keiner der mehr als 1000 Mann starken Besatzung, darunter auch der Kommandeur der Flotte, Admiral John Balchin, konnte gerettet werden.
Das Wrack des Schiffes wurde 2008 von der amerikanischen Firma Odyssey Marine Exploration entdeckt. Was danach mit ihm geschah, ist eine Geschichte von politischer Einflussnahme, wirtschaftlichen Interessen und wissenschaftlich fragwürdigen Entscheidungen. Sie zeigt, wie wichtig die besonnene Verwaltung von Kulturerbe über und unter Wasser ist und welche Gefahren den zuständigen Institutionen zur Zeit vor allem in Großbritannien drohen.
Odyssey Marine Exploration ist keine unbekannte Größe in der Welt der Unterwasserarchäologie. Die einzige Schatzsucherfirma, die Aktien ausgibt, war schon in mehrere Skandale um Schiffswracks und deren Bergung verwickelt. Erst kürzlich entschied ein amerikanisches Gericht, dass das Unternehmen 17t Silbermünzen an die Regierung von Spanien zurückgeben müsse (Discovery News). Die Artefakte stammen aus einem Wrack, das von Odyssey mit dem Codenamen „Black Swan“ belegt worden war. Bei dem Schiff handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um die Nuestra Señora de las Mercedes, ein spanisches Kriegsschiff, das 1804 von der britischen Marine westlich von Gibraltar versenkt wurde. Laut Seerecht gehören Kriegsschiffe auch nach ihrem Untergang dem Staat unter deren Flagge sie fuhren.
Entsprechend ist für das Wrack der HMS Victory das britische Verteidigungsministerium (Ministry of Defence) zuständig. Odyssey Marine Exploration informierten das Ministerium nach der Entdeckung. Gleichzeitig unterbreitete die Firma dem Ministerium ein Angebot, das Wrack zu heben und den Gewinn mit dem britischen Staat zu teilen.
Einen solchen Vertrag hatte man bereits 2002 für das Wrack der HMS Sussex abgeschlossen, das in spanischen Gewässern vor Gibraltar liegt. Damals wurden nach massiven Protesten aus der archäologischen Fachwelt nachträglich schwere Auflagen erteilt, die die Wissenschaftlichkeit der Grabung sicherstellen sollen. Das Wrack ist bis heute nicht gehoben, auch weil die spanische Regierung nach dem „Black Swan“ Skandal nicht mehr mit Odyssey kooperiert.
Im Fall der HMS Victory lies sich der britische Staat zunächst nicht mehr auf eine solche Vereinbarung ein. Stattdessen wurde eine unabhängige Studie in Auftrag gegeben, die den wissenschaftlichen Wert des Wracks und den Grad seiner Gefährdung feststellen sollte. Anders als Odyssey, die das Wrack als sehr gefährdet durch Schleppnetze und Erosion darstellen, kam die beauftragte Firma, Wessex Archaeology, in ihrer Studie zu keinem definitiven Schluss über die Gefährdung. Gleichzeitig wurde es für unwahrscheinlich erachtet, dass das Schiff eine große Menge Edelmetall geladen hatte.
Die Wende
Jeremy Hunt (2010) (Dalton Firth Limited [CC BY-NC 2.5]) |
Wie kürzlich bekannt wurde, traf dieser sich bald nach seinem Amtsantritt mindestens einmal mit Lord Lingfield, einem Nachfahren von Admiral John Balchin, der mit der Victory unterging.
Kurze Zeit später gründete Lord Lingfield eine Stiftung, die Maritime Heritage Foundation. Keiner ihrer Direktoren hatte vor der Gründung der Stiftung Erfahrung im Bereich der Denkmalpflege oder der Unterwasserarchäologie. In einer inzwischen öffentlich gemachten E-Mail (siehe pdf bei Mortimer [savearchaeology.co.uk]) stellte ein Mitglied der englischen Denkmalschutzbehörde (English Heritage) fest, dass man den Mitgliedern der Maritime Heritage Foundation „grundlegende Prinzipien der Denkmalpflege beibringen müsse“.
Eine Verflechtung der Maritime Heritage Foundation mit Odyssey Marine Exploration, zeigt sich darin, dass beide Organisationen die gleiche Person als Ansprechpartner für die Presse angeben. Der Stiftung wurde das Wrack der HMS Victory vom Verteidigungsministerium geschenkt.
Kurz darauf gab die Stiftung bekannt, dass man das Schiff mit Hilfe von Odyssey Marine Exporation ausgraben wolle.
Der Gründer von Odyssey erklärte in einem Fernsehinterview, dass seine Firma 80% der Fracht erhalten werde und dass die erwarteten Münzen an Sammler verkauft würden. Im Grunde kommt dies der kommerziellen Plünderung eines archäologischen Befundes gleich.
Die Situation in Großbritannien
Die Art und Weise, wie mit dem Wrack der HMS Victory umgegangen wird, ist symptomatisch für die Situation der Denkmalpflege in der politischen Großwetterlage Großbritanniens.
Seit die Koalitionsregierung der Tories und Liberal Democrats an der Macht ist, senkt sie das Budget kultureller Einrichtungen, was auch die Denkmalpflege betrifft. Unter dem Schlagwort der „Big Society“ werden staatliche Einrichtungen geschlossen und ihre Aufgaben entweder privatisiert oder durch Ehrenämter ersetzt. Dass dies auch archäologische Einrichtungen betrifft, zeigt zum Beispiel der Fall des Suffolk Archaeological Service. Der von der Grafschaft Suffolk getragene archäologische Dienstleister, der viele denkmalpflegerische Aufgaben in der Region übernimmt, soll zusammen mit dem Bezirksarchiv privatisiert werden (Suffolk County Council).
Kulturminister Jeremy Hunt ist auch in einem anderen Fall der vermuteten Einflussname durch Privatunternehmen in der Kritik: sein Assistent stand während eines Versuches der Übernahme des Fernsehunternehmens BSkyB durch Rupert Murdochs News Corporation mit deren Lobbyisten in Kontakt (The Guardian).
Offensichtlich war die Situation im Fall der HMS Victory ähnlich: nach Absprachen hinter den Kulissen wurde das Wrack an eine eigens für diesen Zweck gegründete Stiftung verschenkt. Diese engagierte dann die Firma, die schon ursprünglich eine lukrative Bergung erreichen wollte. Dass dabei nicht archäologische Interessen im Vordergrund standen, zeigt die Tatsache, dass sich die amerikanische Stiftung ProMare bereit erklärt hatte, das Wrack unentgeltlich regelmäßig zu beobachten und auf mögliche Schäden zu überprüfen. Anders als von Odyssey behauptet, wäre damit eine Hebung aus denkmalpflegerischer Sicht vorerst nicht notwendig. Würden sich bei der Beobachtung Verschlechterungen des Zustands der Befunde zeigen, könnte immer noch die Initiative ergriffen werden. Bis dahin wäre das Wrack am Meeresboden am besten aufgehoben.
Eine Bergung des Wracks kommt einer Zerstörung der Befunde gleich und ist deshalb für die Denkmalpflege nur zu verantworten, wenn diese bedroht sind. Das Angebot von ProMare wurde von Seiten des Ministry of Defence elf Monate lang ignoriert, während derer die Maritime Heritage Foundation gegründet wurde.
Somit befindet sich die HMS Victory im Moment im Besitz einer wissenschaftlich nicht für ihre Verwaltung qualifizierten Organisation, welche sich für die Infrastruktur, die zur Beobachtung und Evaluation des Wracks nötig ist, ganz auf eine Firma verlassen muss, die ein klares finanzielles Interesse an einer Hebung hat.
Währenddessen denkt das britische Verteidigungsministerium darüber nach, der Maritime Heritage Foundation auch das Wrack der 1682 gesunkenen HMS Gloucester zu schenken...
Links:
- Mortimer, 28.5.2012
- Mortimer, 31.5.2012
- UNESCO UnderwaterCultural Heritage Convention
- Odyssey Marine Exploration!
Updates unter Eine Meile Abstand! und HMS Victory Update
Mathias Blobel studiert frühgeschichtliche Archäologie an der Universität Freiburg. Zur Zeit schreibt er an seiner Magisterarbeit über wikingerzeitliche Hafenanlagen.
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