Freitag, 10. Februar 2012

Ein Merkblatt betreffend Vorgeschichtsfunde



Das Merkblatt wurde in Geislingen an der Steige erarbeitet und wahrscheinlich im ehemaligen Oberamt Geislingen (heute im wesentlichen Teil des Landkreis Göppingen) verteilt. Es trägt leider kein Datum. Es lässt sich jedoch durch die Nennung von Kreisleiter Decker auf den Zeitraum von 1932 bis 1937 eingrenzen.

Georg Burkhardt (1876-1967) war Gründer des Geschichts- und Altertumsvereins in Geislingen sowie des dortigen Heimatmuseums. Bevor Burkhardt als Gymnasiallehrer nach Geislingen kam, war er in Ehingen tätig und hat sich in Archäologenkreisen einen Namen mit den im Auftrag der Reichslimeskommission durchgeführten Grabungen im Kastell Rißtissen und schließlich in Emerkingen gemacht.


Theodor Wurm (1892-1966) war Oberforstmeister in Geislingen und Herausgeber einer Stadtgeschichte von Wiesensteig.

Im Unterschied zu Burkhardt und Wurm ist Friedrich Decker (1840-1951) nicht durch eigene Arbeiten zur Regionalgeschichte hervorgetreten. Als Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs war er seit 1923 Mitglied der NSDAP und wurde 1932 ehrenamtlicher Kreisleiter. Beruflich war er Postamtmann in Geislingen. 1937 wurde er mit der Zuschlagung des Kreises Geislingen zu Ulm wegen parteiinterner Zerwürfnisse als Kreisleiter abgesetzt, blieb jedoch in der NSDAP aktiv und beantragte 1943 die Aufnahme in die SS.
Seine Rolle als Pfleger in Geislingen ist mir bislang unklar.

Interessant erscheint mir, dass sich hier die Partei direkt in das Geschäft der Denkmalpflege eingeschaltet hat. Mir sind nur zwei Episoden der regionalen Forschungsgeschichte bekannt, in der nationalsozialistische Germanentümelei durchbrach: Einerseits die Deutungen der Reliefspolien an der Kirche in Kuchen und andererseits der "Fund" von Hakenkreuzdarstellungen, die man den römischen Inschrift- und Statuenfunden von Gingen untergeschoben hatte. Burkhardt unternahm in den 1930er Jahren mit Hilfe des Reichsarbeitsdienstes Grabungen auf Burg Helfenstein, die jedoch bereits vor der Machtergreifung begonnen hatten. Mit Georg Burkhardt und Albert Kley waren in Geislingen zwei - nach damaligen Maßstäben - Fachleute tätig, die der politischen Instrumentalisierung der Vorgeschichte kritisch gegenüber standen. Nach Aussagen von Albert Kley gingen die Grabungen an der Schuntershöhle auf die Initiative von Georg Burkhardt und Ephorus Kapff aus Bad Urach zurück. Mit der Erforschung des Mesolithikums wähnte man sich auf ideologisch neutralem Boden.

Die Empfehlungen des Merkblatts zur Dokumentation sind auch aus damaliger Sicht ungenügend. Zwar wird eine Lageskizze und eine Beschreibung des Bodens eingefordert, aber die Bedeutung von Bodenverfärbungen wird nicht genannt - obwohl sie Burkhardt bekannt gewesen sein müssen -, ebenso wenig wie ein Hinweis auf die Bedeutung des Kontextes gegeben wird. Die Beobachtung von Grabinventaren war damit nicht gewährleistet. Wie Fundbergungen alamannischer Gräber in jenen Jahren zeigen, achtete Burkhardt aber sehr wohl auf solche Kontexte.



Literaturhinweis
  • C. Arbogast, Herrschaftsinstanzen der württembergischen NSDAP. Funktion, Sozialprofil und Lebenswege einer regionalen NS-Elite 1920-1960. Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland 7 (München 1998) bes. 160ff.
  • R. Schreg, Zur archäologischen Situation auf Burg Helfenstein. In: H. Gruber/W. Lang/R. Schreg u. a. (Hrsg.), Von Gizelingen zum Ulmer Tor. Spurensuche im mittelalterlichen Geislingen. Begleitheft zur 9. Geislinger Weihnachtsausstellung (Geislingen a.d. Steige 1993) 37.
  • R. Schreg, Albert Kley – der Archäologe. In: G. Currle/H. Gruber (Hrsg.), Viele Wege und ein Ziel. Albert Kley zum 100. Geburtstag (Geislingen 2007) 84–124 (online)
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