Samstag, 19. Juli 2025

Mütter-Kinder-Heime in Irland: Ein Fall für die Archäologie der Moderne

Mindestens 9000 Kinder sollen in irischen Mutter-Kind-Heimen von Staat und Kirche ums Leben gekommen sein. Bis in die 1960er Jahre wurden uneheliche Kinder von ihrer Mutter getrennt und illegal zur Adoption freigegeben - oder kamen durch Vernachlässigung um. Die Frauen wurden oft zu Zwangsarbeit heran gezogen.
Dass es Diskrepanzen zwischen offiziellen Bestattungen und Todesfällen gab, war ein offenes Geheimnis. Leichenfunde, die spielende Kinder auf dem Areal eines Mutter-Kind-Heimes des katholischen Ordens der Bon-Secours-Schwestern in Tuam (Galway) in den 1970er Jahren gemacht hatten, blieben ohne Konsequenzen. Erst 2016/17 führten die Nachforschugen einer Amateur-Historikerin zu offiziellen Sondagen, bei denen im Abwassersystem des Heimes in Tuam mehrere Baby- und Kinderleichen entdeckt wurden. Nach 14C-Datierungen gehören sie vorwiegend in die 1950er Jahre.

Jetzt beginnen im Juli 2025 unter großem Medieninteresse forensisch-archäologische Ausgrabungen. Nach Aktenlage werden mindestens 796 tote Kinder in Tuam vermutet. Es wurde ein internationales Team zusammen gestellt, das unter der Leitung von Daniel MacSweeney steht, der humanitäre Missionen für das Internationale Rote Kreuz durchgeführt hat. Er wurde 2023 vom Jugendministerium nach dem irischen Bestattungsgesetz von 2023 zum Direktor der unabhängigen Ermittlungsgruppe ernannt. Solche sind gesetzlich vorgesehen, um die irregulären Gräber der Mutter-Kind-Heime zu untersuchen und in würdige Begräbnisstätten zu überführen. Dem Team in Tuam stehen 7 Mio € zur Verfügung. Zwei Jahre sind für die Ausgrabungen mitten im Wohngebiet, das hier nach dem Abbruch des Heimes entstanden ist, angesetzt.



Areal des Massengrabs des ehem. Mutter-Kind-Heimes der Bon-Secours-Schwestern in Tuam
(Foto: AugusteBlanqui, CC BY SA 4.0 via WikimediaCommons)



 

Wie bei den kanadischen Residental-School zeigt sich ein unfassbarer Umgang mit Kindern, Frauen und Eltern, die juristisch, aber auch gesellschaftlich aufgearbeitet werden müssen. Hier kommt eine forensische Archäologie zum Einsatz, die sich jeweils auf die toten Kinder konzentriert und den Anthropologen zuarbeitet. Die Archäologie der Zeitgeschichte verfolgt hier kein Forschungsprojekt mit klassischen Fragestellungen zum Verständnis der Vergangenhei. Die Ausgrabungen sind so zugleich forensische Ermittlungen, wie ein behördlicher Vollzug des Bestattungsrechts, aber auch Erinnerungs- und Trauerarbeit.

Von der Suche nach den Kinderleichen erhoffen sich Angehörige Klarheit. Einige wissen nicht, ob ihre Geschwister ihr umgekommen sind oder zur Adoption freigegeben worden sind und noch irgendwo leben. Es geht aber auch um Trauerarbeit. Vor Ort ist schon vor Jahren eine Gedenkstätte entstanden und gezielt wurden die Erinnerungen im Tuam Oral History Project (TOHP) als Teil der kollektiven Trauer gesammelt. Hier können auch Funde persönlicher Objekte bedeutend sein. 

Wie geht man hier mit einer Publikation um? Eine Fund- und Befundvorlage nach archäologischen Standards gehört wahrscheinlich nicht zu den Zielvorstellungen der Akteure, die sich der Archäologie hier als Methode bedienen. Ein öffentlich zugänglicher Bericht wird notwendig sein, aber eine Veröffentlichung der Dokumentation der toten Kinder verbietet die Ethik. Deutlich ist aber, dass die Archäologie der Zeitgeschichte gesellschaftliche Bedürfnisse bedient und wesentlich für Erinnerungsarbeit und Vergangenheitsbewältigung ist.


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Freitag, 11. Juli 2025

Vor 50 Jahren: Der Tod des Bürgerwillens in Faurndau - die Bedeutung einer Alltagsgeschichte des Dorfes in der Nachkriegszeit

Dieser Blogpost hat erst mal nichts mit Archäologie zu tun... (und doch werde ich am Ende darauf zurück kommen).

1975 wurde Faurndau (mein Heimatort im Filstal, ca 32 km östlich von Stuttgart, tiefstes Baden-Württemberg) nach Göppingen eingemeindet. Gegen den Willen der Bürger. Heute wird offiziell eher eine positive Bilanz gezogen - wie fast überall bei der Gemeindereform und Flurbereinigung.  Ein genauerer Blick zeigt ein anderes Bild.

Aufkleber 1975
 

In Faurndau entsand 1973 eine Bürgerinitiative gegen die Eingemeindung, nachdem im März des Jahres die Landesregierung ihre Vorstellungen zur Gemeindereform  vorgelegt hat und dabei die Eingemeindung Faurndaus nach Göppingen vorsah. Bereits 1971 hatte Göppingen eine Eingemeindung vorgeschlagen, das damals Ambitionen hatte, Sitz eines großen Hohenstaufenkreises zu werden.

Die Bürgerinitiative rechnete vor, dass die Eingemeidnung dem Ort keine Vorteile bringen würde, einen Verlust der Selbstverwaltung und demokratischen Mitbestimmung, eine finanziell höhere Belastung und eine fehlende Weiterentwicklung der Ortsstrukturen. Mitte der 1970er Jahre war Faundau hier mit der Erschließung des Neubaugebiets am Haier, das ein Schulzentrum und ein Hallenbad beinhaltete und der Neugestaltung des Schillerplatzes (heute Hirschplatz) auf gutem Weg.

Haierschúle mit Hallenbad nach der Eröffnung 1973
(Foto: S. Schreg)

 

Am 20. Mai 1973 wurde eine Bürgeranhörung durchgeführt, in der sich die Faurndauer mehrheitlich (96,5%) gegen die Eingemeindung aussprachen, die damit aber keineswegs vom Tisch war.. Darum kam es im Juli 1973 zu einer großen Demonstration gegen die Eingemeindung auf dem Schillerplatz.

Dennoch verlor Faurndau durch das Gemeindereformgesetz zum 1. Januar 1975 seine Selbständigkeit. 

Plakat der Bürgerinitiative
(HStA Stuttgart J 153 Nr 542 via Archivportal-D)

Flyer der Bürgerinitiative, zum rechten Flyer, datiert vor den 20.5.1973, gehört obiger Aufkleber

Man wehrte sich auch gerichtlich. Die Bürgerinitiative reichte eine Normenkontrollklage gegen das Gemeindereformgesetz ein, das die Eingemeindung Faurndaus nach Göppingen bestimmte. Am 11.7.1975 lehnten die neun Richter des Staatsgerichtshofs (heute Verfassungsgericht Baden-Württemberg) die Klage einstimmig ab. Sie gingen dabei nicht auf die demokratisch festgestellte Ablehung ein, sondern betonten, es sei nicht Aufgabe des Gerichts der Politik die Verantwortung abzunehmen und es habe nur festzustellen, ob die gefundene Regelung mit Gründen des öffentlichen Wohls vertret- und vereinbar sei, ob diese offensichtlich fehlerhaft sei oder gegen die Systemgerechtigkeit verstoße. Letzteres war ein Argument der Kläger, die auf den Bürgerwillen verwiesen und auf die Tatsache, dass im Falle Eislingens, für das auch eine Eingemeindung nach Göppingen diskutiert worden war, eine andere Entscheidung gefallen sei.

Das Gericht urteilete zudem, die Landesregierung sei an das Votum der Bürgeranhörung nicht gebunden. Karl Schiess (CDU, 1972-73 Innenminister), wird mit dem Kommentar zitiert , der Bürgerwillen sei etwas mehr als gar nichts. Die Wut im Dorf war groß. 

Meine Eltern waren bei der Urteilsverkündung in Stuttgart dabei. Mein Vater hatte bei der Gemeinde Faurndau als Techniker im Bauamt gearbeitet und war von dem Urteil unmittelbar betroffen. Am Nachmittag - die Verhandlung war am Vormittag - trafen sich einige Nachbarn bei uns im Wohnzimmer und ich erinnere mich an die miese Stimmung und auch die Wut. Wahrscheinlich ist es keine Erinnerung unmittelbar von diesem Tag, aber ich erinnere mich daran, dass sich der Frust vor allem gegen Franz Steinkühler richtete, der spätere IG-Metall-Chef, der kurz vor dem Urteil als Richter in den Staatsgerichtshof gewählt wurde.

Am folgenden Samstag - wenige Tage nach einem Festzug zur 1100-Jahr-Feier - wurde Faurndaus Selbständigkeit zu Grabe getragen - genauer gesagt der "Bürgerwille" und zwar mit dem Schiess-Zitat. 


NWZ 12.7.1975

 

der Leichenzug an der Ecke Hirsch-/Filseckstraße
(Foto: S. Schreg)
der Leichenzug in der Filseckstraße
(Foto: S. Schreg)
der Leichenzug in der Filseckstraße
mit MP Filbinger und OB König

(Foto: S. Schreg)
der Leichenzug vor dem Friedhof
(Foto: S. Schreg)
Sargverbrennung vor dem Friedhof
(Foto: S. Schreg)
Sargverbrennung vor dem Friedhof - der Bürgerwillen wollte nicht so recht in lodernden Flammen aufgehen
(Foto: S. Schreg)


 

Die Taruerrede

Die Trauerrede, die am 12.7. auf dem Schillerplatz gehalten wurde, ist aufschlußreich. Sie beklagt weniger den Verlust der Selbständigkeit als den Umgang mit dem Bürgerwillen und die Ignoranz.

 

Flurbereinigung und Gemeindereform 

Tatsächlich ist Faurndau damit nicht untypisch für die Entwicklung in weiten Teilen der alten Bundesrepublik während der 1960er und 70er Jahre. 

Mit Flurbereinigung und Gemeindereform wollte man die landwirtschaftlichen Erträge steigern und die Verwaltung effizienter machen. Ersteres ist gelungen, indem die Industrialisierung der Landwirtschaft damit begünstigt oder gar erst ermöglicht wurde. Allerdings ist die Rechnung grundlegend falsch, denn die Landwirtschaft produziert heute keine Energie mehr, sondern verbrennt welche. Seit der Neolithisierung hat sich der Mensch die Photosynthese der Pflanzen zu nutzen gemacht, um Energie in Form von Nahrungsmitteln zu gewinnen. Mit der  Modernisierung ist die Landwirtschaft zum Energieverbraucher geworden, da Kunstdünger und Kraftstoffe aus fossilen Energien stammen. Effizient ist sie also keineswegs. Heute wissen wir auch, dass die agrarische Optimierung der Landschaft für schwere ökologische Schäden verantwortlich ist und auch kein geringer Faktor für den Klimawandel ist.  

Die Flurbereinigung basiert auf einem Bundesgesetz, das zunächst 1956 einfach die Regelungen der NS-Zeit aufgriff. Die Durchführung aber wurde an die Länder delegiert. 

Mit der Verwaltungsreform wollte man effektivere Strukturen schaffen, auf der Ebene der Regierungsbezirke, der Landkreise und der Kommunen. Allenthalben war man bestrebt, die kleinen Gemeinden zu größeren Einheiten zusammen zu fassen. In Baden-Württemberg war man dabei noch vergleichsweise zögerlicher als anderswo.

Gemeindereform und Flurbereinigung galten als ein Projekt der Modernisierung und der effektiveren Verwaltung. Sie haben aber auch zur Auflösung der alten Dorfgemeinschaften beigetragen, indem die Flurbereinigung das Höfesterben maßgeblich angestoßen, damit auch die Abwanderung aus dem ländlichen Raum begünstigt und auch die Auto-Abhängigkeit geschaffen hat. 

Diese strukturellen Veränderungen führten und führen auch heute noch oft zu einem massiven Verlust der alten Bausubstanz, die oft als Schandfleck oder unmodern gebrandmarkt wurde. Faurndau kam lange Zeit mit geringen Schäden davon - erst jetzt verliert es mit dem Abriß der alten Bauernhäuser an der Hirschstraße sein Gesicht, im Umfeld der romanischen Stiftskirche ein immenser Schaden. Die Neubauten am Schillerplatz und die mitten in den Ort geklotzte Bahnüberführung "Over-Fly" waren für die Lebensqualität am Ort kein Gewinn, markieren eher die Marginalisierung des Ortes im Vergleich zur Kernstadt. Auch das ist ein Muster: Entwicklungsprojekte zielten in der Folge auf die Zentren, weniger auf die Vororte oder gar die abgelegenen Bauerndörfer. Bestenfalls sorgte man dort mit Umgehungsstraßen für eine Verkehrsentlastung der Durchfahrtsstraßen, mit der Folge allerdings, dass es nun auch schneller war, in die Einkaufszentren auf der grünen Wiese zu gelangen, als in den eatblierten Geschäften im Ortskern einzukaufen. Ein Aussterben der Orte folgte.

Zudem ist die Bürgernähe abgestorben. Dabei geht es nicht um die Präsenz eines Bürgerbüros vor Ort, sondern um den Verlust einer örtlichen Autonomie und eine Entfremdung von der Politik. Man argumentierte, die Gemeinden hätten früher vor allem Ordnungsaufgaben gehabt, im 20. Jahrhundert seien aber neue Aufgaben hinzugekommen, wie Schulen, öffentliche Büchereien, Sportanlagen, Kindergärten, Friedhöfe und Kläranlagen. Der damalige Innenminister Walter Krause: (SPD, Innenminister BaWü 1966-72) „Wer diesen Aufgabenkatalog sieht, weiß, dass mit der Verwaltung von gestern die Welt von morgen nicht mehr gemeistert werden kann.“

Die Reformen stärkten die Bürokratie, denn nun wurde zunehmend anonym entschieden, was nicht unbedingt gerechter ist, sondern eher zu Härtefällen und Frust führt. Anders als erwartet, waren die größeren Ämter auch nicht unbedingt effektiver. Bürgernähe und Vertrauen in den Staat gingen verloren. Dazu trugen auch Fälle wie der in Faurndau bei, in der das Ergebnis der Abstimmung, das sch zu 96,5% gegen die Eingemeidnung aussprach, einfach arrogant übergangen wurde. In anderen Fällen - so im fränkischen Ermershausen kam es 1978 zum offenen Widerstand und zum "Polizeiüberfall".

Diese Vorgänge sind heute vielfach vergessen - in Faurndau kam es seit den 1975 auch  zum Zuzug neuer Einwohner, die um die damaligen Auseinandersetzungen nicht mehr wissen. Dennoch zögerte man in Göppingen 2015 die Eingemeindung zu feiern - auch bei den aktuellen Feiern zur 1150-Jahrfeier scheint die Eingemeindung thematisch eher vermieden zu werden.

Wenn wir aktuell ein verlorenes Vertrauen in die Politik feststellen, so dürften diese Vorgänge um Flurbereinigung und Verwaltungsreform einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet haben. Sie sind in der konkreten Erinnerung kaum noch präsent, haben aber sicher vielfach  die Erfahrungen mit dem Staat unterschwellig geprägt. Die historische Aufarbeitung von Diktaturen mit ihrem offenen Unrecht fällt leichter als die Aufarbeitung des damaligen Alltags, der harmlos daher kommt, aber eben doch genauso eine Grundlage der aktuellen Demokratie- und Umweltkrise darstellt. Sehr eindrücklich ist hier eine Dokumentation des NDR von 2021: Unsere Dörfer - Niedergang und Aufbruch

In der öffentlichen Diskussion fehlt eine Ursachenanalyse und man schließt sich bequemerweise dem rechten Narrativ an, die Migration sei an allem Schuld. Flurbereinigung und Gemeindereform bedürfen dringend einer historischen Aufarbeitung, die auch der Frage nachgehen sollte, ob sich die Auseinandersetzungen um Eingemeindungen und die Flurbereinigung nicht auch mit heutigen Hochburgen extremer Parteien korrelieren und vielleicht auch ursächlich verbinden lassen. Derartige Aufarbeitungen scheinen noch weitgehend zu fehlen, für Bayern liegt eine solche Analyse mit einer Münchner Dissertation vor.  Faurndau wäre hier sicherlich ein spannendes Fallbeispiel.

 

Die Folgen der Landesentwicklung kamen keineswegs unerwartet, viele "Nörgler" haben genau damit argumentiert. Vielen ging es dabei nicht um das Verhindern, sondern damals schon um ein smartes Modernisieren und Neu-Organisieren aus den Gemeinden heraus. Tradition und Modernisierung werden heute als Gegensatz begriffen, tatsächlich schließen sie sich nicht aus. Vorauissetzung ist freilich, dass man Veränderung akzeptiert, aber eben auch kommunal demokratisch organisiert und überlegt handelt. Dazu gehört, dass man sich der historischen Entwicklung bewusst ist, sie erst zeigt die Tragweite der Entscheidungen. Hier ist die Zeitgeschichte gefragt, die Soziologie und die heimische Ethnologie in ihrer Rolle als historische Kulturwissenschaften. - Und hier kann letztlich auch die Archäologie und die Denkmalpflege dazu beitragen, diese gar nicht so weit zurückliegenden Veränderungen sichtbar zu machen, durch Konservierung, aber auch durch Forschung, indem beispielsweise die Veränderungen des Alltags seit den 1970er Jahren illustriert werden. Eine Archäologie der Moderne wäre hier etwa gefragt, verlassene Zeitkapsel-Wohnungen zu dokumentieren und vor Augen zu führen. Vielleicht gibt es so was auch in Faurndau - ein Wohnzimmer etwa, das noch aus der Zeit der Selbständigkeit stammt?



Quellen

  • S. Lang, Der Traum vom "Hohenstaufenkreis" . Der Landkreis Göppingen in der württembergischen Kreisreform 1970-1972. Veröff. Kreisarchiv Göppingen 20 (Göppingen 2023)
  • W. Ziegler, Faurndau 875-1975 (Faurndau 1975) 
  •  Faurndaus Selbständigkeit wurde zu Grabe getragen. NWZ 14.7.1975
  • Es gibt kein 1101. Jahr eigener Faurndauer Geschichte. NWZ 11.7.1975 

Literatur

  • E. Frahm / W. Hoops (Hrs.), Dorfentwicklung. Aktuelle Probleme und Weiterbildungsbedarf. Referate einer Arbeitstagung des Deutschen Instituts für Fernstudien an der Universität Tübingen. Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen 71 (Tübingen 1987). 
  • E. Frie, Ein Hof und elf Geschwister. Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben in Deutschland (München 2023). 
  • L. Haffert, Stadt, Land, Frust. Eine politische Vermessung. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 10884 (Bonn 2022).  
  • G. Henkel, Das Dorf. Landleben in Deutschland - gestern und heute (Darmstadt 2012). 
  • J. Thomas, Handbuch zur ländlichen Bodenordnung und Flurbereinigung in Deutschland (Nischin, Ukraine 2023). - https://www.landentwicklung.de/fileadmin/sites/Landentwicklung/Dateien/Publikationen/Handbuch_zur_laendlichen_Bodenordnung_und_Flurbereinigung_in_Deutschland.pdf
  • J. Mattern, Dörfer nach der Gebietsreform. Die Auswirkungen der kommunalen Neuordnung auf kleine Gemeinden in Bayern (1978-2008) (Regensburg 2020). - ISBN 978-3-791-73133-9  
  • A. Pufke (Hrsg.), Ländliche Strukturentwicklung - ein Kulturereignis? Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz 78 (Bonn 2011). 
  • M. SChaab. Verwaltungsgliederung in Südwestdeutschland 1939-1981, Hist. Atlas Bad.-Württ Erl. VII, 12 (Stuttgart 1988). - https://www.leo-bw.de/media/kgl_atlas/current/delivered/pdf/HABW_7_12.pdf 

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Donnerstag, 10. Juli 2025

"Russen plündern über 100 Schätze auf der Krim" - auch aus UNESCO-Welterbe

Ein Bericht im Fokus lenkt die Aufmerksamkeit auf archäologische Funde der Krim.

Der Bericht bietet leider wenig konkrete Informationen, verweist aber auf die ukrainische Seite von RBC-Ukraine,  von wo aus man die interessante urkainische Seite War-sanctions - Stolen Heritage erreicht. Sie listet archäologische Funde aus den russisch besetzten Gebieten in der Ost-Ukraine und auf der Krim. 

Zwei Fundstellen, die hier gelistet werden, möchte ich herausgreifen. 

 

Almalyk-Dere

Diese Fundstelle kenne ich aus der Zeit eines deutschen Krim-Projektes, das am RGZM in Mainz mit Mitteln der Leibniz-Gemeinschaft 2006-2009 durchgeführt wurde. in dem Gräberfeld waren damals bereits mehrere Kampagnen an Grabungen durchgeführt worden, die im Rahmen des Projektes publiziert wurden.
  • A. Gercen / M. Maczyńska / S. Černyš / A. Urbaniak / J. Bemmann / K. Schneider / I. Jakubczyk, Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Almalyk-dere am Fuß des Mangup-Plateaus. In: S. Albrecht / F. Daim / M. Herdick (Hrsg.), Die Höhensiedlungen im Bergland der Krim. Umwelt, Kulturaustausch und Transformation am Nordrand des Byzantinischen Reiches. Monogr. RGZM 113 (Mainz 2013) 125–145. 
  • J. Bemmann / K. Schneider / A. Gercen / S. Černyš / M. Maczyńska / A. Urbaniak / U. von Freeden, Die frühmittelalterlichen Gräberfelder von Adym-Čokrak, Južnyj I und Južnyj II am Fuße des Mangup. Monogr. RGZM 108 (Mainz 2013). 

Es handelt sich um ein völkerwanderungszeitliches Grberfeld am Fuß der Höhensiedlung Mangup, die von byzantinischer Zeit bis in das 18. Jahrhundert hinein (kontinuierlich?) besiedelt war. Ausgehend von Simferopol fanden hier schon lange Ausgrabungen statt, die bis zur Unabhängigkeit der Ukraine in der Sovjetunion mit Unterstütung und Expertise aus Leningrad durchgeführt worden sind, Ein Ziel des deutschen  Engagements auf der Krim war es, diesen Forschungen wieder Zugang zu Ressourcen wie Analyse-Möglichkeiten zu bieten. Dabei waren wir uns bewusst, dass der Platz aus deutscher Sicht ein sensibler Forschungsplatz ist, wurde die Region um den Mangup und die benachbarte Festung Eski-Kermen doch während der deutschen Besatzung der Krim im Zweiten Weltkrieg zu einem wichtigen Hotspot der deutschen Propaganda. Ich selbst habe michdeshalb etwas intensiver mit der Aufarbeitung dieser forschungsgeschichtlichen Aspekte befasst.

  • R. Schreg, Zentren in der Peripherie: Landschaftsarchäologische Forschungen zu den Höhensiedlungen der südwestlichen Krim und ihrem Umland. In: F. Daim / J. Drauschke (Hrsg.), Byzanz – Das Römerreich im Mittelalter. Teil 3 Peripherie und Nachbarschaft. Monogr. RGZM 84/3 (Mainz 2010) 95–109. 
  • R. Schreg, Forschungen zum Umland der frühmittelalterlichen Höhlenstädte Mangup und Eski Kermen – eine umwelthistorische Perspektive. In: S. Albrecht / F. Daim / M. Herdick (Hrsg.), Die Höhensiedlungen im Bergland der Krim. Umwelt, Kulturaustausch und Transformation am Nordrand des Byzantinischen Reiches. Monogr. RGZM 113 (Mainz 2013) 403–445. 
  • R. Schreg, Zwischen Nazis und Sowjets. Archaeologik 28.6.2020. - https://archaeologik.blogspot.com/2020/06/zwischen-nazis-und-sowjets-die.html

Wir arbeiteten damals auch mit dem heutigen Grabungsleiter Valerij Naumenko, den die Seiten als illegalen Ausgräber brandmarken zusammen, der als junger Nachwuchswissenschaftler als Assistent des damaligen Grabungsleiter Prof. Aleksandar Gercen von der aurischen Universität in Simferopol fungierte. Andere der damaligen Kollegen haben nach der russischen Okkupation 2014  die Krim verlasen und mit dem nach Kiew ausgewichenen Institut  gearbeitet.

Grabkammer in Almalyk dere
(Foto: R. Schreg, RGZM, 2007)

 

Bei der Kampagne 2024 wurden weitere Gräber geöffnet, mit offenbar reichen Funden aus Gold und Silber, die trotz Plünderungen auf diesem Gräberfeld durchaus häufig auftreten. Das Bild, mit dem das  Portal War-sanctions - Almalyk dere die Grabungen illustriert gehört m.E. nicht zu den Grabungen im Gräberfeld Almalyk, das weitgehend im bewaldeten Hangbereich des Mangup liegt.

Völkerrechtlich sind diese Grabungen in besetztem Gebiet illegal. Es handelt sich am Almalyk und auf dem Mangu zunächst nicht um Notgrabungen, die sich ja noch irgendwie rechtfertige liesen, wenn auch das Gebiet zumindest früher massiv von Raubgräbern heimgesucht wurde. Über die aktuelle Situation ist nichts bekannt., da die ukrainische Seite keinen Unterschied zwischen Raubgrabungen und völkerrechtlich illegalen, aber fachlich wahrscheinlich akzektablen Forschungsgrabungen differenzieren. Die früheren Grabungen  um 2006 waren in Bezug auf die Grabungstechnik nicht unproblematisch, da gezielt Gräber angegangen wurden, die von Raubgräbern aufgspürt wurden, d.h., man wurde damit auf die Grabkammern gelenkt, konnte aber so nicht feststellen, ob ggf. kleinere, ärmere Gräber dazwischen lagen oder ob jüngere beigbenlosen irgendwo im Anschluß an das Gräberfeld lagen. Die aktuell vorliegenden Informationen über die nun russischen Grabungen lassen kein Urteil darüber zu, ob nun besser oder schlechter gegraben wird, als dies unter ukrainischer Aufsicht geschah.

Die Seite  https://ciss.org.ua/en/map.html  des Crimean Institute for Strategic Studie präsentiert ebenfalls eine Liste der Kulturgutzerstörungen inklusive aller Grabungen, die auf der Krim nach 2014 ohne Genehmigung der ukrainischen Behörden durchgeführt wurden. Die Beschreibungen wurden offenbar von Archäologen vorgenommen, bieten aber leider keine Quellen zu den Aussagen über die russischen Grabungen und sind wohl auch nicht mehr aktuell. Die neuen Seiten der War-Sanctions bieten zu den Fundstellen zahlrecihe Links zu Internetquellen, in denen über die illegalen Grabungen berichtet wird.

Chersonessos

Die zweite Fundstelle, die es zu thematisieren gilt betrifft den Skandal, der in den westlichen Medien trotz seiner Brisanz verhältnismäßig wenigregistriert wurde: Da lässt Putin ins Weltkulturerbe eine Propagandastätte bauen, wobei in der Pufferzone des UNESCO-Welterbe nur Alibi-Grabungen durchgeführt werden. War-Sanctions charakterisiert den Vorfall wie folgt:
"In der Nähe von Chersonesos Tavriya befand sich eine antike Nekropole mit frühchristlichen Bestattungen sowie eine Vorstadt. Hier ließen sich Veränderungen im Bestattungsritus sowie die Entstehung des Klosters der Jungfrau Maria auf dem Jungfrauenhügel beobachten, das nach dem Tod von Chersonesos weitergeführt wurde. Dieses Kloster wird in türkischen Quellen des 16. Jahrhunderts erwähnt. Im Rahmen des Projekts des sogenannten „Neuen Historischen und Archäologischen Parks Chersonesos“ führten die Besatzer illegale archäologische Ausgrabungen und Bauarbeiten auf dem Gelände von Militäreinheiten an der Drevniy- und der Jeroshenko-Straße durch, das Teil des zukünftigen Schutzgebiets und der Pufferzone des Schutzgebiets der Taurischen Siedlung Chersonesos ist. Bei diesen Ausgrabungen wurde die Kulturschicht der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Gegenwart auf einer Fläche von 85.797 Quadratmetern zerstört. Zerstört wurden eine antike Nekropole mit Bestattungen nach Erd- und Einäscherungsritualen, Krypten mit vielfältiger und reicher Grabbeigabe sowie rituelle Architekturstrukturen; eine frühchristliche Nekropole mit in den Fels gehauenen Grabkrypten mit komplexer Architektur; hydraulische Strukturen zur Wasserrückgewinnung (Zisternen und Brunnen), Nymphen, Taufbecken; Wirtschafts- und Industriegebäude, Straßen, Stütz- und Verteidigungsmauern; französische Schane aus dem Krimkrieg von 1854–1855, jurtenartige Strukturen aus dem 19. Jahrhundert; Wirtschaftsgebäude aus dem frühen 20. Jahrhundert; Spuren der Verteidigung Sewastopols im Zweiten Weltkrieg. Insgesamt wurden 6.495.877 Gegenstände sichergestellt, davon 351.780 Gegenstände mit Museumswert, die gestohlen und der Rest zerstört wurden. Mehr als 900.000 Knochenreste osteologischen und anthropologischen Materials wurden sichergestellt. " (übersetzt mit Google Translator)

War-Sanctions bildet Tafeln aus wissenschaftlichen Publikationen ab, zitiert diese aber nicht. Bislang ist es mir nicht gelungen, diese zu identifizieren. Wahrscheinlich wäre damit besser zu beurteilen, wie zerstörerisch die Ausgrabungen tatsächich waren. Nebenbei bemerkt befindet sich unter den Funden auch die Formschüsselfür Reliefkeramik, möglicherweise Terra Sigillate (https://war-sanctions.gur.gov.ua/en/stolen/objects/3683).

Die UNESCO scheint diese  massiven Eingriffe in das Welterbe zu ignorieren. Auf dem aktuellen 47.  UNESCO-Treffen wurde das Thema offenbar umgangen.

Anders als es die Medienberichte und die War-Sanctions vermitteln, geht es nur zweitrangig um geklaute Funde oder "Schätze", sondern um völkerrechtlich illegale Grabungen.  Inhaltlich muss man hier differenzieren. Während die Grabungen am Mangu und Almalyk-dere früher mit ukrainischer Lizenz durchgeführt wurden und wohl den gewohnten Standards entsprechen, wurden am UNESCO-Welterbe Cherson mutwillig archäologische Quellen für ein Propaganda-Projekt Putins zerstört. Hier wäre eigentlich zu erwarten, dass die UNESCO sich dazu zumindest einmal äußert. Bislang jedenfalls blieb dieser ungeheuerliche und sehr sprechende Vorgang auffallend unbeachtet.


interne Links

  • Beiträge auf Archaeologik zur Krim

 

Freitag, 27. Juni 2025

Zwischen Maßhalten und Massaker – Die Trierer Marc-Aurel-Ausstellung

Jutta Zerres 

Am 15.06.2025 eröffnete erneut eine große Sonderausstellung des Landes Rheinland-Pfalz ihre Pforten. Nach „Konstantin der Große“ (2007), „Nero – Kaiser, Künstler und Tyrann“ (2016), „Der Untergang des Römischen Reiches“ (2022) (und der großen Ausstellung anlässlich des runden Geburtstages von Karl Marx 2018) steht nun wieder eine römische Herrscherpersönlichkeit im Zentrum der Betrachtung.

 

Marc Aurel – Kaiser, Feldherr, Philosoph im Landesmuseum

Das Konzept der zweiteiligen Schau folgt dem bewährten Schema: Das Landesmuseum beleuchtet brav chronologisch geordnet die Biographie (und sollte deshalb zuerst besucht werden) und das Stadtmuseum Simeonstift befasst sich mit Rezeptionsgeschichte. Anders als bei vergangenen Landesschauen ist das Dommuseum dieses Mal nicht beteiligt (warum eigentlich?). Das Verhältnis von Stoischer Philosophie und Christentum, geprägt von Gegensätzen und wenigen Berührungspunkten, hätte m. E. ein  interessantes Thema für eine Beteiligung des Hauses an der Landesausstellung bilden können. Dafür steuert die Stadtbibliothek einen kleinen Beitrag hinzu.

Die Trierer selbst haben die Messlatte hoch angesetzt, denn schließlich waren die früheren Schauen Publikumsmagneten, die nicht nur Museumskassen klingeln ließen, sondern auch die der gesamten regionalen Tourismusbranche.

Man wird nicht enttäuscht: 400 Objekte, darunter zahlreiche Leihgaben aus 117 internationalen Museen, beispielsweise dem Louvre, dem British Museum London oder den Vatikanischen Museen werden präsentiert. Eingebettet in eine kulissenhaft inszenierte Ausstellungslandschaft erzählen sie von Marc Aurels Herkunft, seiner Jugend- und Thronfolgerzeit, seinen philosophischen Neigungen, seinem Umfeld und seinen Herrscherjahren. Digitale Stationen illustrieren und vertiefen das jeweilige Thema.

Das Ganze spielte sich ab in einer Zeit, die als die Blüte des Römischen Reiches gilt. Die Ausdehung des Machtraumes ist auf dem Höhepunkt, mehrere Jahrzehnte währt Frieden, die Wirtschaft floriert.

Einzig das Auftreten der „Antoninischen Pest“ bereitet mancherorts Sorgen. Um welche Krankheit es sich konkret handelte, ist unbekannt. Erst in der späten Regierungszeit Marc Aurels kommt es zu einer Kette militärischer Auseinandersetzungen mit Barbarenstämmen an den Rändern des Reiches, gewissermaßen als leise Vorboten für den Niedergang im folgenden Jahrhundert.


Gegensätze sind das Salz in der Suppe

Da ist der feinsinnige Philosophenkaiser, der seine von der Stoa geprägten Ansichten über eine gute Lebensführung in griechische Sätze zu gießen weiß, darunter Aussagen wie diese: „Bleibe ein einfacher, guter Mensch, integer, ernsthaft, schlicht, ein Freund der Gerechtigkeit, gottesfürchtig, wohlwollend, liebevoll und standhaft in der Erfüllung deiner Pflichten.“ Sein Schreibtisch steht währenddessen in Militärcamps an der Donau, in deren Umfeld sich die gesamte Grausamkeit des Krieges entfaltet. Prägnant wird dieses durch vergrößerte Ausschnitte von Reliefs der Marcus-Säule, prominente Bildquelle zu den Markomannenkriege, illustriert: Barbarische Krieger in römischen Diensten enthaupten gefangene Barbaren, eine Germanin mit Kind wird an den Haaren fortgezerrt.

Eines wird klar: In der Wahrnehmung der Zeitgenossen galt Marc Aurel als tatkräftiger und pflichtbewusster Staatsmann und erfolgreicher Feldherr. Militärische Führungsstärke gehörte zur Stellenbeschreibung eines römischen Kaisers, Philosophie hingegen nicht. Diese mag so mancher Mann und so manche Frau des einfachen Volkes eher als nerdige Freizeitbeschäftigung der upper class angesehen haben.

 

Selbstbestrachtungen des Marc Aurel 
(Ausgabe des Artemis Verlags 1951, Foto: R. Schreg)

Was ist gute Herrschaft? Die Ausstellung im Stadtmuseum Simeonstift

Das Werk, das unsere moderne Sicht auf Marc Aurel prägt, die „Selbstbetrachtungen“, bildet den Konnex zu dem zweiten Teil der Ausstellung im Stadtmuseum Simeonstift. Der Autor hatte es wohl zu privaten Zwecken geschrieben und nie eine Veröffentlichung intendiert - die Schrift dürfte also bestenfalls nur einem sehr kleinen Kreis im Umfeld des Kaisers bekannt gewesen sein. Dieses einzigartige Selbstzeugnis eines antiken Menschen enthält den Entwurf des idealen Mindsets eines Herrschers. Die Karriere der Schrift in der Geistesgeschichte begann erst mit der Wiederentdeckung im 16. Jahrhundert. Denker und Politiker von Machiavelli bis Helmut Schmidt outen sich als Fans. In Zitate verhackstückt findet es heute Eingang in die Popkultur und begegnet uns etwa in Form von Kalendersprüchen oder Merksätzen für Führungskräfteseminare, quasi als westliches Pendant zu fernöstlichen Gelassenheitsweisheiten.
Die Ausstellung verlässt dann allerdings Marc Aurel und weitet die Perspektive auf die zeitlose Frage, was ein guter Herrscher bzw. eine gute Herrschaft sei. Kunstwerke illustrieren die unterschiedlichen Antworten, die seit der Antike gegeben wurden. Somit schlägt der letzte Teil der Ausstellung im Simeonstift die Brücke zurück in die Gegenwart.


Fazit

Der Fall Marc Aurel ist ein Lehrstück für die zeitbedingte Geschichtsdeutung und dieser Aspekt hätte im Rahmen der Ausstellung m. E. eine etwas weitergehende Betrachtung verdient. Trotz dieses kleinen Verbessungsvorschlags möchte ich einen Besuch der Ausstellung dringend empfehlen, noch bis zum 23.11.2025 ist Zeit dafür.


Links:



Freitag, 20. Juni 2025

Die Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes

Am 22. Mai 2025 wurde im deutschen Bundetstag eine Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes beraten. In den Medien hat das kaum Interesse gefunden, denn hier herrscht seltene Übereinstimmung aller Parteien. Auf den Websiten des Deutschen Bundestags lassen sich die Debatten und Gesetzesentwürfe aber nachvollziehen.

Der Gesetzesentwurf geht in die Zeit der Ampel-Koalition zurück. Der neue Kulturstaatsminister Wolfram Weimar hat das bereits von seiner Vorgängerin Claudia Roth angestoßene Novellierungsverfahren rasch fortgesetzt.

2016 wurde das Kulturgutschutzgesetz beschlossen und 2022 im Wesentlichen positiv evaluiert. In der aktuellen Debatte sprechen sich alle Redner*innen ungwöhnlich einhellig für den Gesetzesentwurf aus, wenn auch die Redner der Rechten in absurde Verdrehungen abschweifen und zuvorderst die Rückgabe von Beutekunst aus der ehemaligen Sowjetunion und eine Negierung der Ansprüche der rechtmäßigen Eigentümer von NS-Raubkunst fordern. Die Bundestagsreden betonen, dass Kulturgut identität stifte und Orientierung schaffe und einen Wert für kulturellen Austausch darstelle. Ziel der Novellierung ist eine Anpassung an das zwischenzeitlich weiter entwickelte EU-Recht, das unter anderem eine nationale Behörde vorsieht, die für die Erteilung der Einfuhrbewilligungen zuständig sein solle. Diese Aufgabe wird dem BKM zugewiesen (das die Aufgabe delegieren kann), während Rückgaben in den Aufgabenbereich des Auswärtigen Amts fallen.

Praktisch soll der Leihverkehr erleichtert werden,etwa dadurch, dass nun maximal 10jährige Ausleihen statt lediglich 5jährige vorgesehen sind. Gestärkt werden soll der Rechtsanspruch auf Herausgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut. Der Handel soll erleichtert werde, indem die Bagatellgrenze bei der Sorgfaltspflicht auf 5000€ angehoben wird. Die Sorgfaltspflicht bei Einfuhr archäologischer Funde - die im Gesetzesentwurf ohnehin kaum Thema sind - betrifft dies nicht.

Bemerkenswert ist, dass bei Sicherstellungen des Zoll die Frist für die Ermittlungen im Verdachtsfall von 10 auf 15 Tage ausgedehnt wird.

So positiv die Reaktionen auf das Gesetz und dessen Novellierung ausfallen, sollte nicht vergessen werden, dass mit der Novellierung 2016 Verjährungsfristen eingeführt worden sind, die viel archäologisches Raubgut legalisiert hat. Im Vorfeld der aktuellen Novellierung hat der Kunsthandel erfolgreich lobbyiert, um Bestrebungen abzuwenden, solche Fristen komplett zu kippen. Eben diese Fristenregelungen, die nun nicht angetastet werden, waren der Hauptkritikpunkt an dem Gesetz. Immerhin ist es gelungen die Zahl der Rückgaben zu steigern, Zahlen über sichergestellte Raubgrabungsgüter liegen nicht vor, sie scheinen nach den ILLICID-Erfassungen weiterhin viel zu hoch - weil die Fristenregelung gefälschte Provenienzen generiert .

 

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