Sonntag, 4. Mai 2025

Vereinfachung des Wirtschaftslebens zu Lasten der archäologischen Stätten Frankreichs

In Frankreich bedroht eine Mittelkürzung und Entbürokratisierung die Archäologische Denkmalpflege.
Als 2001 die Archäologie in Frankreich mit dem Gesetz zur präventiven Archäologie ("LOI n° 2001-44 du 17 janvier 2001 relative à l'archéologie préventive") neu organisiert wurde, um die Konvention von La Velletta umzusetzen, wurden zwar funktionierende etablierte Strukturen zerschlagen, aber erstmals wurden in Frankreich staatliche Archäologiedienste und eine präventive Archäologie geschaffen, die möglichst viele bedrohte Fundstellen identifiziert und dokumentiert.. 2004 wurde auch das Denkmalschutzgesetz (Code du patrimoine) angepasst. Allerdings leidet die neue Struktur seitdem an einer permanenten Unterfinanzierung und an ihrer eigenen Komplexität im Zusammenspiel natioanler, regionalre und kommerzieller Insitutionen. Ein Reformbedarf ist durchaus zu erkennen, nun aber soll mit einem neuen Gesetz einfach dafür gesorgt werden, dass weniger Fundstellen  ins Blickfeld der Archäologie geraten.

 

Komplexe Archäologie-Strukturen

Schutz und Erhaltung archäologischer Stätten liegen in der Zuständigkeit des Ministeriums für Kultur und Kommunikation (Ministère de la Culture et de la Communication - MCC), das diese Aufgaben jedoch an regionale Archäologie-Dienste (Services régionaux de l’Archéologie SRA) delegiert hat. Die SRA unterstehen den  Regionaldirektoren für kulturelle Angelegenheiten (DRAC) und den Präfekten der Region. Sie sind für die Umsetzung der Rechtsvorschriften zuständig und erteilen in Verbindung mit der Archäologischen Forschungskommissionen (CTRA) Grabungsgenehmigungen. Weiterhin überwachen sie die Durchführung archäologischer Maßnahmen, koordinieren die regionale archäologische Forschung, setzen die notwendigen Maßnahmen zum Schutz, zur Erhaltung und Förderung des archäologischen Erbes um und gewährleisten Vermittlung und Auswertung der Forschung.

Auf nationaler Ebene agiert jedoch das Institut national de recherches archéologiques préventives (INRAP), das als staatliches Institut vor allem administrativem Charakter hat (sog. "établissement public administratif - epa"). Nach dem Gesetz von 2001 übernimmt INRAP die prospektiven und präventiven archäologischen Ausgrabungen. INRAP löste die private Association pour les fouilles archéologiques nationales (AFAN) ab, die  in ein staatliches Institut überführt wurde.  INRAP soll die wissenschaftliche Verwertung ihrer Tätigkeiten und die Verbreitung ihrer Ergebnisse, insbesondere im Rahmen von Kooperationsvereinbarungen mit öffentlichen Forschungs- oder Hochschuleinrichtungen unterstützen. Sie leistet einen Beitrag zur Lehre, kulturellen Verbreitung und Förderung der Archäologie. Zur Erfüllung dieses Auftrags beteiligt sich INRAP an den regionalen Archäologie-Diensten (SRA) und anderen öffentlicher Organisationen, nicht nur im In-, sondern auch im Ausland. In Forschungsprojekten arbeiten die Archäolog*innen des INRAP mit anderen Institutionen, wie etwa dem Centre national de la recherche scientifique (CNRS) zusammen.

Damit ist INRAP eine einzigartige staatliche Einrichtung, die zwei verschiedenen Ministerien unterstellt ist: dem Ministerium für Kultur und Kommunikation sowie dem Ministerium für Forschung und Hochschulen (Ministère de la Recherche et de l’Enseignement supérieur). 

Im Code du patrimoine sind die Aufgaben und Kompetenzen von INRAP in §L523 bestimmt:

  1. Personal der archäologischen Dienste der Gebietskörperschaften, der öffentlichen Forschungs- oder Hochschuleinrichtungen oder anderer französischer oder ausländischer juristischer Personen aufzunehmen; (Accueillir des personnels appartenant aux services archéologiques des collectivités territoriales, aux établissements publics de recherche ou d'enseignement supérieur ou à d'autres personnes morales françaises ou étrangères) ;
  2. Entgeltliche Dienstleistungen zu erbringen, die die Ergänzung ihrer Aufgaben darstellen (Assurer les prestations à titre onéreux qui sont le complément de ses missions)
  3.  die unmittelbaren Rechte, die sich aus den Ergebnissen seiner Tätigkeit ergeben, zu verwerten (Exploiter les droits directs et dérivés des résultats de ses activités)
  4. Teilnahme an Forschungsorganisationen (Participer à tout groupement ou s'associer à toute personne morale)

INRAP unterhält - hierin den meisten deutschen Ländern weit voraus - beispielsweise den Dienst Archipel, über den Tausende von Grabungsberichten erschlossen sind, wenn auch nicht alle online zugänglich sind.

Deutlich wird, dass INRAP einen doppelten Charakter hat: Einerseits Staatsinstitution mit administrativen Aufgaben, andererseits ein Forschungsinstitut, das andere Akteure unterstützen, zugleich aber die eigenen Rechte wahrnehmen soll. 

INRAP ist damit auch das bedeutendste archäologische Forschungsinstitut Frankreichs. Mit mehr als 2000 Wissenschaftlern und weiteren Mitarbeitern führt Inrap jedes Jahr etwa 1800 archäologische Prospektionen und etwa 230 Ausgrabungen durch (Koenig 2021, 29).  Anders als in Deutschland, wo die Genehmigungsverfahren meist nur nach nach Aktenlage geschehen und Sachstandsermittlungen mit Sondagen oder Geophysik eher die Ausnahme sind, sind die Prospektionen in Frankreich Teil des Genehmigungsverfahrens. Sie umfassen bis zu 10% der geplanten Baufläche.

INRAP wird von einem Vorstandsgremium verwaltet. Es setzt sich neben seinem Vorsitzenden aus Vertretern des Staates, qualifizierten Personen, Vertretern der öffentlichen Forschungs- und Hochschuleinrichtungen und Einrichtungen auf dem Gebiet der archäologischen Forschung, Vertretern der lokalen Behörden und öffentlichen und privaten Personen, die sich mit der präventiven Archäologie befassen, sowie gewählten Vertretern des Personals zusammen. Der Vorstand wird von einem Wissenschaftlichen Rat unterstützt, sein Vorsitzender durch ein Dekret des Staatspräsidenten eingesetzt.

INRAP gliedert sich  in acht überregionale Direktionen und verfügte 2015 über ca. 40 archäologische Stützpunkte, die in ganz Frankeich (und seine Überseedepartments) verteilt sind. Ihr Zeitspektrum reicht vom Paläolithikum bis in die Moderne. Das Institut ist in der Stadtarchäologie ebenso tätig wie im ländlichen Raum, in der Unterwasserarchäologie sowie in der Trassenarchäologie.

 

Jahrelange Ineffizienz und Unterfinanzierung

Das komplexe System war schon in den ersten Jahren wenig effektiv, obgleich es sehr viel mehr als in Deutschland gelungen ist, systematisch zu prospektieren und im Genehmigungsverfahren Sachstandsermittlungen durchzuführen. Schon in den ersten Evaluierungen wurde festgestellt, dass Frankreich  nicht über ausreichende personelle Ressourcen verfüge, um die Aufgaben zu bewältigen.

Wenn die Denkmalpflege in Frankreich dennoch eindrucksvolle Ergebnisse vorlegen kann (z.B. Garcia 2021), so liegt das v.a. daran, dass anders als in Deutschland Grabung und Auswertung als eine Einheit zusammen gedacht werden.

    Demonstration gegen die Arbeitsbedingungen  
in der französischen Präventivarchäologie
(Foto: François GOGLINS, verändert,
C BY SA 4.0 via WikimediaCommons)

Von Anfang an, war das System auch unterfinanziert. Das liegt aber vor allem daran, dass der Staat Einnahmen aus der präventiven Archäologie über die Jahre und verschiedene Regierungen hinweg der Archäologie entzogen und dem Staatshaushalt zugeführt hat.

Finanziert werden sollte das System der Archéologie préventive über die "Präventive Archäologiesteuer" (TAP) und eine Gebühr für die Präventivarchäologie (RAP). Damit ist prinzipiell ein Verursacherprinzip installiert, das anders als in Deutschland nicht nur für die Notgrabung, sondern auch für Auswertung und Vermittlung Geld haben sollte. Mit TAP und RAP wurdenr 2024 fast 191 Millionen € eingenommen - diese für die Archäologie vorgesehenen Einnahmen würden auch mehr als ausreichen, um die Denkmalpfleget zu finanzieren!

Tatsächlich hat der Staat aber etwa ein Viertel dieser Einnahmen in die allgemeine Staatskasse übernommen und so der Archäologie entzogen. Aktuell fehlen dennoch 48 Mio €.

Die Arbeitsbedingungen und Gehälter der französischen Koleg*innen scheinen schon lange deutlich unterdurchschnittlich und es ist auffallend, wie gering ihre Teilnahme an internationalen Tagungen geworden ist, da INRAP den Kolleg*innen weder Reisekosten noch Dienstzeit einräumen kann. Leider hat Frankreich nicht in den europäischen Arbeitsmarktanalysen von "Discovering the Archaeologists of Europe" teilgenommen, so dass ein einfacher Vergleich nicht möglich ist. Aufgrund der prekären Situation kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Demonstrationen und auch jetzt  im April 2025 wurde INRAP wegen der neuen Gesetzespläne bestreikt.

Dieses Jahr wird erwartet, dass ein Drittel der Maßnahmen nicht bearbeitet werden kann. Es stockt bereits bei den Voruntersuchungen/Prospektionen, die den eigentlichen Genehmigungsverfahren voraus gehen. Nur bei 6% der Bauanträge kann aktuell eine Voruntersuchung durchgeführt werden. 400 Kolleg*innen, die regelmäßig bei INRAP mit befristeten, Maßnahmen-bezogenen Verträgen beschäftigt sind, sind arbeitslos und diejenigen, die in den Ruhestand gehen, werden nicht ersetzt. Bei den SRA ist die Situation indes nicht viel besser.

 

Aktueller Gesetzesentwurf soll Archäologie aushebeln

Aktuell versuchen nun Interessensverbände, die Archäologie bei Großprojekten, wie dem Bau von Rechenzentren oder linearen Projekten unter dem Vorwand der „Entbürokratisierung“ oder „überragender nationaler Interessen“ zu übergehenn. In der Nationalversammlung liegt aktuell ein Gesetzesentwurf zur Vereinfachung des Wirtschaftslebens („Projet de loi de simplification de la vie économiques“). Art. 15, Abs. xii  sieht vor, dass abweichend von Artikel L. 522-1 des Code du Patrimoine Entwicklungs- und Baumaßnahmen und -maßnahmen den aktuell geltenden Verpflichtungen aus der präventiven Archäologie nicht mehr unterliegen sollen. In den Verhandlungen zur ersten Lesung wurden bereits einige Änderungen vorgenommen, aber der Passus zur Archäologie scheint unverändert.

Es sollen weniger Fundstellen erkannt werden, um weniger auszugraben und zu sparen. 


Petition

Archäolog*innen der archäologischen Dienste Frankreichs haben auf der Plattform change.org eine Petition gestartet, mit der sie sich gegen die Gesetzesinitiative wenden.


Die Petition erscheint mir wichtig, denn angesichts der Sparzwänge und Entbürokratisierungsbestrebungen dürfte die Idee, den Denkmalschutz zu begrenzen auch bei Politikern in anderen Staaten Anklang finden. Der Apell der Initiatoren "Das archäologische Erbe ist unser Erbe, lasst uns es gemeinsam schützen!" ist richtig und die Archäologie benötigt hier europäische Solidarität.

Die Initiator*innen sehen das archäologische Erbe Frankreichs in Gefahr. Die archäologische Community werde gezwungen, mit immer weniger Geld immer weniger zu tun! "Wenn all dies zum Tragen kommt, werden viele archäologische Stätten zerstört und wir alle werden eines immer größeren Teils unseres Erbes beraubt."

Seit Jahrzehnten warnen Archäologen ständig vor den irreparablen Schäden, die archäologischen Relikten durch Entwicklungsarbeiten zugefügt werden. Dieses gemeinsame Erbe der Menschheit, das unter unseren Füßen oder vor unseren Augen schläft, ist nicht erneuerbar. Es wurde 2001 nach starker Mobilisierung der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der Zivilgesellschaft endlich gesetzlich geschützt.

Mit dem Gesetz zur präventiven Archäologie wurde damals der Schutz des archäologischen Erbes als öffentliche Aufgabe etabliert., soll sein Schutz Mittels wissenschaftlicher Erforschung, Identifikation und Erhaltung soll ein Schutz der archäologischen Stätten gewährleistet werden, die tatsächlich oder potentiell durch öffentliche oder private Arbeiten gefährdet sind. Die gesetzliche Regelung ermöglichte die Organisation eines öffentlichen Archäologiedienstes, nämlich einerseits die Regionalen archäologischen Dienste (SRA) und das Nationales Institut für präventive archäologische Forschung (Inrap) andererseits. 

Mir scheinen die Forderungen der Petition leider etwas zu unkonkret, um in der Politik Wirkung entfalten zu können. Die Petition - deren Initiator*innen nicht namentlich auftreten und die auch nicht deutlich macht, ob sie sich an die Nationalversammlung, die zuständigen Ministerien oder allgemein die Regierung richtet - fordert:

  • Einhaltung des Gesetzes über präventive Archäologie und des Heritage Code, mit Verschreibungsrichtlinien, die den wissenschaftlichen, kulturhistorischen und kulturellen Herausforderungen gerecht werden!
  • die bedarfsgerechte Finanzierung öffentlicher Aufgaben!
  • Ein Ende der Angriffe auf die Grundsatz der Erhaltungslogik wegen Rentabilitätslogiken, die mit den grundlegenden Aufgaben der Denkmalpflege unvereinbar sind!
  • Die Definition einer starken öffentlichen und kulturellen Politik, die über wirtschaftliche Fragen hinausgeht, um ein solides und nachhaltiges gesellschaftliches Projekt zu gewährleisten, bei dem die Erhaltung des ökologischen und historischen Erbes nicht zur Deckung kurzfristiger Haushaltsanforderungen verkauft wird!

 

Ich halte die Forderungen grundsätzlich für richtig, auch die beiden letzten Punkte, mit denen Politiker aber wenig werden anfangen können. Natürlich muss genauso beim Natur- oder dem Verbraucherschutz nach der Staatlichen Verantwortung gefragt werden. Für die Archäologie wäre es bereits ein Erfolg, wenn

  1. die Präventivarchäologie  aus dem Gesetzesentwurf gestrichen würde und die gesetzlichen Regelungen in Kraft blieben und
  2. das Geld, das für die Archäologie gedacht ist, ihr auch zur Verfügung stünde.

 

Bitte, die Petition unterstützen, denn wir brauchen zum Schutz der archäologichen Quellen europäische Solidarität.

 

Literatur

  • Aitchison 2013: K. Aitchison, Discovering the Archaeologists of Europe. In: J. H. Jameson (Hrsg.), Training and practice for modern day archaeologists. Social sciences / archaeology (New York, NY 2013) 15–29. 
  • Garcia 2021: D. Garcia (Hrsg.), La fabrique de la France. 20 ans d'archéologie préventive (Paris 2021).
  • Koenig 2021: M.-P. Koenig, Das Institut national de recherches archéologiques préventives (Inrap) – ein wichtiger Akteur der archäologischen Forschung in Frankreich. Struktur, Aufgaben und Arbeitsschwerpunkte. In: M. Koch (Hrsg.), Archäologie in der Großregion. Beiträge des internationalen Symposiums zur Archäologie in der Großregion in der Europäischen Akademie Otzenhausen vom 7. - 9. März 2014. Archäologentage Otzenhausen 1 (Nonnweiler 2015) S. 302-314.

Pressemeldungen

 

Links

 

 Änderungsvermerk 8.5.2025: redaktioneller Durchgang

Mittwoch, 30. April 2025

100 Tage Don. Trump: US-Wissenschaft ist abgetaucht

 

via WikimediaCommons


Nicht mal 100 Tage nach seinem Amtsantritt hat Don Trump die Welt systematisch mit Verunsicherung und Tabubrüchen überzogen. Wenig sicher Geglaubtes  hat noch Gültigkeit. Systematisch wird die Axt an Demokratie, sozialer Empathie und Wissenschaft zugunsten von Profit und Egoismus gelegt - und eine Opposition ist kaum erkennbar.

Die massiven Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit werden weitgehend hingenommen. Zwar zieht die Harvard University gegen die Finanzkürzungen vor Gericht, andere Universitäten sind aber gegenüber Trumps Forderungen eingeknickt und haben die Prinzipien der Wissenschaftlichkeit hintenangestellt.

Vordergründig geht es um die propalästinensischen Demonstrationen Studierender, tatsächlich verlangt die Trump-Regierung ein Mitbestimmungsrecht bei der Zulassung von Studierenden, bei der Berufung der Professoren und in der Auswahl der Forschungsthemen. Der Regierung unangenehme Themen sollen nicht mehr thematisiert werden. Dazu zählt auch eine seriösen Geschichtsforschung - der Begriff "cultural heritage" steht auf der Liste unerwünschter Themen und Worte, stört sie doch das konstruierte Eigenbild der MAGA-Bewegung.

Der Aufschrei jält sich auffallend in Grenzen. 1000 Demonstranten in Washington Anfang März unter dem Motto "Stand Up for Science" sind keineswegs viel, auch wenn es auch in anderen Städten Demos gab. Der March for Science im April 2017 hatte allein Washington 100.000 Teilnehmer. (lt. wikipedia) Damals war die Situation bei weitem nicht so ernst  Eine Initiative unter dem Label #DefendResearch hat am 15. Februar eine Erklärung veröffentlicht und sammelt international Unterstützer. Unter den 100 Institutionen sind nur wenige bemerkenswerte einflussreiche Gesellschaften. Nicht mal 5000 Unterschriften nach rund zwei Monaten sind ebenfalls keine beeindruckende Marke.

Dabei stehen die Chancen besser denn je, Protest zu organisieren und auszudrücken. Es gibt sogar wissenschaftliche Untersuchungen zum Wissenschaftsprotest, die immerhin auf Erfahrungen aus Trumo I aufbauen können (Fisher 2019).

Anscheinend geht das Kalkül der Verunsicherung und berechneten Unberechenbarkeit auf: Es herrscht bereits eine Atmosphäre der Verängstigung über die Sicherheit der eigenen Lebensmodelle und dubiose Deals erscheinen als die bessere Überlebensstrategie. Forscher an einer Universität arbeitet, sprach von einer in 30 Jahren Karriere "nie dagewesenen" Situation. Sein Arbeitgeber habe Angestellte angewiesen, sich mit öffentlicher Kritik an den Sparplänen zurückzuhalten - aus Furcht davor, die Bundesregierung könnte als Vergeltung Mittel kürzen. So zitiert der Stern (hier) einen US-Forscher, seine Universität habe aus Furcht vor einer Vergeltung mit weiteren Mittelkürzungen Angestellte angewiesen, sich mit öffentlicher Kritik an Trumps Sparplänen zurückzuhalten. Auch die Präsidentin der National Academy of Sciences Marcia McNutt spricht sich gegen starke Positionierungen aus (), denn diese hätten das große Risiko, dass sie andere, erfolgversprechendere Zugänge verhindere und langfristig zu schlimmeren Entscheidungen führe (hier). Angestellte der Environmental Protection Agency (EPA), die in der Mittagspause an einer Demonstration gegen die Mittelkürzungen teilgenommen hatten, erhielten per eMail die Information, dass ihre Gebäudezugangstransponder künftig getrackt würden (hier).

International - und eben auch in den deutschen Medien - findet das Thema ebenfalls wenig Aufmerksamkeit, da sich diese ganz dem Chaos widmet, das Trump mit seinen Zöllen und seiner Pro-Putin-Politik anrichtet. Es geht hier nicht mehr allein um die Freiheit der Wissenschaft, sondern angesichts der Methoden, die hier im Einsatz sind, geht es um Gleichschaltung und Unterbindung der Meinungsfreiheit und des Demonstrationsrechts.


Literatur

  • Fisher 2019: D. R. Fisher (Hrsg.), American resistance. From the Women's March to the blue wave (New York 2019).






Samstag, 12. April 2025

Verantwortung für Deutschland: Hochschulpolitik im Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag der nicht mehr ganz so großen großen Koalition:

Es lohnt sich, einen Blick auf die Aussagen zur Hochschul-/ Wissenschaftspolitik zu werfen. Vor allem im Abschnitt 2.4 Bildung, Forschung und Innovation finden sich ein wenig klar strukturierter Abschitt zur Wissenschaft.  Da heißt es einleitend (S. 75):

Wissenschaftsfreiheit
Wir erhalten Deutschland in Zeiten globaler Polarisierung als attraktives Zielland und sicheren Hafen der Wissenschaftsfreiheit für Forschende aus aller Welt. Mit einem „1.000 Köpfe-Programm“ werden wir internationale Talente gewinnen. Förderentscheidungen folgen wissenschaftsgeleiteten Kriterien. Wissenschaftlich relevante Datenbestände, deren Existenz bedroht sind, wollen wir weltweit sichern und zugänglich halten.

Der Passus liest sich als unmittelbare Reaktion auf die Wissenschaftsdestruktion durch POTUS Trump. Die Größen lesenswert, und wichtig sind die Überlegungen zur Datenrettung durch eine weltweite Sicherung. Das macht auch Deutschland für den Fall resilient, dass dereinst eine rechte Partei bei uns in die Regierung kommt… Wie realistisch es ist, mit der aktuellen Ausstattung deutscher Universitäten für US-Wissenschaftler attraktiv zu sein, das sei dahingestellt. Anstelle von "erhalten" wäre hier angesichts netto schrumpfender Hochschuletats besser die Rede von "wiederherstellen".


Resilienz des Wissenschaftssystems
Wir stärken die Forschungssicherheit, entwickeln gemeinsam mit der Allianz der Wissenschaftsorganisationen Leitlinien für den Umgang in sensiblen internationalen Kontexten und verbessern die Beratungsinfrastruktur. Wir bauen die Forschung zu Desinformationsakftvitäten aus und entwickeln ein Kompetenznetzwerk für unabhängige Chinawissenschaften.

 

Arbeits- und Studienbedingungen

 Karrierewege in der Wissenschaft

Wir verbessern die Arbeitsbedingungen für Forschende, Lehrende und Studierende nachhaltig, machen Karrierewege verlässlicher und bilden dies in der Förderung des Bundes ab. Wir novellieren das Wissenschaftszeitvertragsgesetz bis Mitte 2026. Mindestvertragslaufzeiten vor und nach der Promotion werden wir einführen und Schutzklauseln auf Drittmittelbefristungen ausweiten. Mit einer Mittelbau-Strategie straffen wir die Projektförderung, sorgen grundsätzlich für längere Programmlaufzeiten, setzen Anreize für Departmentstrukturen und zur Entwicklung von Stellenprofilen. Wir bauen das Tenure-Track-Programm aus und verbessern die Rahmenbedingungen für mehr Dauerstellen. Wir wollen den Anteil von Frauen an wissenschaftlichen Führungspositionen weiter erhöhen – wir unterstützen das Kaskadenmodell und verstärken das Professorinnenprogramm.

Eine Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ist dringend notwendig, wobei die Überlegungen der Ampelkoalition zu einer weiteren Verkürzung der Fristen eher kontraproduktiv waren, hätten die doch bereits die übliche Projektlaufzeiten von nur drei Jahren unterlaufen.  Insofern ist es hier positiv zu vermerken, dass die Ideen statt weiterer Verkürzung der Befristung eher in Richtung längerer Mindestlaufzeiten der Verträge gehen. Beruhigend ist, dass dann auch für "längere Programmlaufzeiten" vorgesehen sind - wobei ich das möglicherweise misverstehe, wenn ich das als längere Projektlaufzeiten verstehe. Jedenfalls müssen Beschäftigungs- und Finanzierungsmöglichkeiten im Einklang stehen, da ansonsten Forschungsfreiheiten gar nichts bringen, denn Forschung wäre dann in der Praxis gar nicht mehr nicht umsetztbar. Prinzipiell spricht nichts gegen Karrierewege, die auf eine Abfolge von Projekten setzen, es dürfen diese nur nicht zu Prekariat und einziger Berufsoption werden. Mit den bisherigen Regelungen sind einige fähige Kolleg*innen nach einigen Jahren wertvoller Berufserfahrung einfach aus der Forschung in die Perspektivlosigkeit katapultiert worden. Das ist prekärer als alle prekären Situationen, die mit dem Gesetz verhindert werden sollen. Vielleicht wird das mal anders?

Wir gestalten die Regelungen zur Arbeitszeiterfassung an Hochschulen rechtssicher und praktikabel. Wir schaffen eine Regelung im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG), die Arbeitsverhältnisse während eines Studiums vom Anschlussverbot ausnimmt.

Das klingt nach dem Gegenteil von Entbürokratisierung.

Studienfinanzierung
Wir wollen das BAföG in einer großen Novelle modernisieren. Die Wohnkostenpauschale erhöhen wir  zum Wintersemester 2026/27 einmalig auf 440 Euro pro Monat und überprüfen diese regelmäßig. Die Freibeträge werden dynamisiert. Den Grundbedarf für Studierende passen wir in zwei Schritten (hälftig zum Wintersemester 2027/28 und 2028/29) dauerhaft an das Grundsicherungsniveau an. (...) Die Darlehensdeckelung bleibt unverändert. Den BAföG-Bezug wollen wir weiter vereinfachen, digitalisieren und beschleunigen. Die jährlichen Folgeanträge wollen wir vereinfachen, den Antrag für die Studienstarthilfe wollen wir in den BAföG-Antrag integrieren. Die Hinzuverdienstgrenze bleibt an die Minijobgrenze gekoppelt. Den Gesetzesvollzug für das Auslands-BAföG wollen wir beschleunigen und zentral im Bundesverwaltungsamt verankern. Beim KfW-Studienkredit als Ergänzung in besonderen Situationen setzen wir uns für faire Konditionen ein und stellen auch ein Produkt mit Zinsbindung zur Verfügung.

Begabtenförderung und Stipendien
Wir stärken Begabtenförderwerke und die Stiftung Begabtenförderung Berufliche Bildung und heben die Förderung deutlich an. Dabei sind bei allen Instrumenten die vollständige Digitalisierung und Vereinfachung des Antragsprozesses wichtig. Stipendien müssen in Art und Umfang ausgebaut und möglichst unbürokratisch vergeben werden.

Bemerkenswerterweise ist hier nicht von Chancengleichheit die Rede. Grundstzlich sind Verbesserungen hier dringend notwendig. Ob hier gute oder ausreichende Modelle dahinter stehen, kann ich nicht beurteilen. 

Hochschulsanierung und -modernisierung
Wir legen eine Schnellbauinitiative von Bund und Ländern zur Modernisierung, energetischen Sanierung und digitalen Ertüchtigung von Hochschulen und Universitätskliniken, inklusive Mensen und Cafeterien als befristetes Investitionsprogramm auf.

Viele Unis leiden unter der zerbröselnden Betonarchitektur. Oft stehen aber auch einfach nicht ausreichende und brauchbare Lagerflächen zur Verfügung. Gut ist, dass hier auch Sozialflächen genannt werden. Neben großen Mensen und Cafeterien sind aber Sitzecken und Teeküchen, wie auch Gemeischaftsarbeitsräume ein wichtiges Element für den wissenschaftlichen Austausch und  die Studienbedingungen der Studierenden.

Studium und Lehre
Wir stärken Studium und Lehre systematisch und dynamisieren den „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ auch über 2028 hinaus. Die Stiftung „Innovation in der Hochschullehre“ wird auf Basis der Evaluationsergebnisse weiterentwickelt.

Gut. Vor allem braucht es mehr Flexibilität in den Studiengängen - weniger Modularisierung, mehr individuelle Studienfreiheit bzw. Studienprofilierung. Hier muss Interdiszipinarität leichter werden.

Internationalisierung (S. 77)
Wir werden die Mittel von Deutschem Akademischen Austauschdienst (DAAD), Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) sowie der Max Weber Stiftung ressortübergreifend kontinuierlich verstärken, damit sie ihre Programme wieder ausbauen können. Wir setzen uns für eine Fortsetzung von Erasmus+ ein, den Anteil beruflich Qualifizierter werden wir weiter steigern. Wir vereinfachen die Visa-Vergabe für Fachkräfte aus der Wissenschaft und Studierende.

Erasmus-Programme wären bürokratisch wieder einfacher zu gestalten. früher gab es hier viele Möglichkeiten zwischen einzelnen Professuren für studierende individuelle Studienprogramme zu gestalten, jetzt muss es auf Ebene der Universitätsleitungen Vereinbarungen geben und Studienleistungen in die heimischen Module passen.  Das ist für kleine Fächer und Universitäten zu aufwändig.

Forschungsförderung

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) (S. 76)
Die DFG-Programmpauschalen werden wir für Neuanträge auf 30 Prozent anheben. Die Hälfte der Anhebung erbringt die DFG. Die andere Hälfte übernehmen Bund und Länder zu gleichen Teilen.

Das bedeutet unter dem Strich weniger geförderte Projekte. Oben ist von längeren Programmlaufzeiten die Rede.  Unterm Strich bedeutet das sinkende Bewilligungsraten und mehr Arbeitszeiten für erfolglose Anträge für den Papierkorb.

Exzellenzstrategie (S. 77)
Die Exzellenzstrategie werden wir in den Förderlinien Exzellenzcluster und Exzellenzuniversitäten für eine mögliche Förderperiode ab 2030 grundlegend evaluieren.

Das sagt eigentlich gar nichts aus. Bislang hat dies zur Förderung weniger großer Universitäten zu Lasten der kleinen Universitäten geführt. Eine Fächervielfalt an einzelnen Universitäten steht dem Sterben kleiner Fächer in der Breite gegenüber.

Europäische und internationale Zusammenarbeit (S. 80)
Wir setzen uns für ein eigenständiges, starkes EU-Forschungsrahmenprogramm und einen weiterhin unabhängigen European Research Council (ERC) ein. Wir unterstützen nicht erfolgreiche Projekte bei Wiedereinreichung eines vom ERC als exzellent bewerteten Antrags. Wir wollen das Weimarer Dreieck um eine Wissenschaftsplatform erweitern und die Wissenschaftsbeziehungen in der EU, insbesondere mit Mittel- und Osteuropa, ausbauen. Etablierte Instrumente wie die Wissenschaftskonferenz „Building Bridges for the Next Generation“ unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten, stärken wir.

Strukturreformen
Wir hebeln Forschungsmittel mit Dritten. Wir bündeln Forschungsförderung des Bundes. Die Ressortforschung ist davon ausgenommen. Wir bauen Bürokratie zurück und denken Prozesse von Grund auf neu. Wir unterstützen die außeruniversitären Forschungseinrichtungen (AuF) dabei, sich komplementärer und effizienter aufzustellen. Forschung muss in der gesamten Bandbreite, von Grundlagen bis Anwendung, gedacht werden. Durch Hub-Strukturen wollen wir Innovationsräume schaffen. Diese sollen Forschungsinfrastrukturen und Forschungsaktivitäten standort- und akteursübergreifend zu Ökosystemen vernetzen.

Bündeln von Forschungsförderung klingt sehr nach einem Euphemismus für das Kürzen von Forschungsförderung.

Unter dem Begriff Bildung, Forschung und Innovation (S. 71) heißt es allerdings:

Bildung, Forschung und Innovation sind der Schlüssel für die Zukunft unseres Landes. Wir sind stolz auf die herausragenden Leistungen, die die Wissenschaft in den Neuen Bundesländern, durch unsere gemeinsamen Investitonen erbringt. Wir wollen Deutschland fit machen und Bildung, Forschung und Innovation einen größeren Stellenwert in unserem Land geben. Dazu werden wir massiv investieren. 

Im Jahr 2023 betrug der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland nach vorläufigen Angaben rund 3,11 Prozent (ca. 129 Milliarden €). Der Koalitionsvertrag sieht eine Steigerung bis 2030 auf jährlich mindestens 3,5 Prozent des BIP vor:

Verlässlichkeit und Planbarkeit der Forschungsförderung
Wirtschaft und Staat sollen bis 2030 jährlich mindestens 3,5 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung aufwenden. Wir werden bis 2028 die Weichen für eine dynamisierte Fortschreibung des PFI stellen. Damit schaffen wir Planungssicherheit für die Leibnitz-Gemeinschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer-Gesellschatt und die Deutsche Forschungsgemeinschatt (DFG). Bei der steuerlichen Forschungszulage heben wir den Fördersatz und die Bemessungsgrundlage deutlich an und vereinfachen das Verfahren. Großen Forschungsmaßnahmen des Strukturwandels eröffnen wir ab 2029 die bewährten Rahmenbedingungen der Regelfinanzierung der Forschungsförderung.

Ein Element dieser nicht näher präzisierten Investitionen scheint der DigitalPakt 2.0 (S. 72). 

Mit dem neuen DigitalPakt bauen wir die digitale Infrastruktur und verlässliche Administration aus. Wir bringen anwendungsorientierte Lehrkräftebildung, digitalisierungsbezogene Schul- und Unterrichtsentwicklung, selbst-adaptive, KI-gestützte Lernsysteme sowie digitalgestützte Vertretungskonzepte voran.

Investitionen in die Forschungsinfrastruktur (S. 80)
Deutschland soll die erforderlichen Investitionen der FIS-Roadmap tätigen und sich damit in der EU erfolgreich einbringen. Wir entwickeln die FIS-Roadmap kontinuierlich weiter. Wir werden die Aktivitäten für die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) verstetigen. Wir beteiligen uns am Wettbewerb um einen Gravitationswellendetektor. Wir setzen mit einer Bund-Länder-Initiative im Forschungsbau Impulse, unter Einschluss strukturschwacher Regionen. Wir stärken das Forschungsbauprogramm nach Art. 91b Grundgesetz und bilden darin Anforderungen an Klimaschutz und Nachhaltigkeit ab.

Insgesamt liegt ein Schwerpunkt der Förderung in einigen Themen der Digitalisierung und Schlüsseltechnologien:.

Forschungs- und Innovationsförderung (S. 77ff.)
Wir starten eine Hightech Agenda für Deutschland unter Einbindung der Länder. Wir wollen dazu in definierten Missionen technologieoffene Innovationsökosysteme und Forschungsfelder organisieren und fördern mit klaren Zielen und Meilensteinen und unter Einbeziehung von universitären und außeruniversitären Akteuren, Industrie und Start-ups. Neben Förderprogrammen wird der Staat auch als Ankerkunde tätig. Wir priorisieren für die Hightech Agenda in einem ersten Schritt die Forschungs- und Innovationsförderung des Bundes auf folgende Schlüsseltechnologien:

  • Künstliche Intelligenz: Wir starten eine KI-Offensive mit einem 100.000-GPU-Programm (AIGigafactory). Wir stellen eine exzellente Infrastruktur bereit, die Forschung und Hochschulen durch den Auf- und Ausbau von Hoch- und Höchstleistungsrechenzentren den Zugang zu entsprechenden Rechnerinfrastrukturen ermöglicht. Wir wollen im Verbund KI-Spitzenzentren errichten.
  • Quantentechnologien: Wir bauen das nationale Quantenökosystem aus. Leistungsfähige Quantensysteme machen wir in der Fläche verfügbar und sorgen für die beschleunigte Entwicklung von mindestens zwei Quantenhöchstleistungsrechnern im Wettbewerb.
  • Mikroelektronik: Wir stärken den Mikroelektronikstandort Deutschland und denken dabei Forschung, Fachkräfte und Fertigung zusammen – wir bauen ein Kompetenzzentrum für Chipdesign auf.
  • Biotechnologie: Wir fördern die Entwicklung neuer Wirkstoffe und Therapien durch die lebenswissenschaftliche, molekularbiologische und pharmazeutische Forschung sowie die Agrar-/Ernährungswissenschaften und Biodiversitätsforschung. Wir schaffen eine Nationale Biobank als Grundlage für Präventions-, Präzisions- und personalisierte Medizin.
  • Fusion und klimaneutrale Energieerzeugung: Wir bringen neuartige Klimatechnologien voran. Wir bauen die Forschung im Bereich Photovoltaik, Windenergie, Geothermie, Wasserstoff sowie  Speichertechnologien wie zum Beispiel Batterien aus. Wir wollen die Fusionsforschung stärker fördern. Unser Ziel ist: Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen.
  • Klimaneutrale Mobilität: Wir intensivieren unsere Forschungsaktivitäten für die Dekarbonisierung der bodengebundenen Mobilität sowie der Schiff- und Luftfahrt. Der verlässliche Auf- und Ausbau der Batterieforschung über die Kompetenzcluster spielt ebenso wie die vernetzte Mobilität eine zentrale Rolle.
Strategische Forschungsfelder
  • Gesundheitsforschung: Wir stärken die Gesundheitsforschung auch mit Fokus auf personalisierte Medizin. Den strategischen Ansatz bei der Gen- und Zelltherapie führen wir fort. Wir unterstützen die Bemühungen des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) zur Gründung von Außenstellen, um so den Zugang zu Innovationen und Forschung flächendeckend zu verbessern. Wir bauen im Bereich der onkologischen Forschung und klinischen Versorgung relevante Netzwerke aus (DKTK, NCT). Wir fördern Forschung zu Frauengesundheit und positnfektiösen Erkrankungen (Long COVID, ME/CFS und PostVac).
  • Meeres-, Klima- und Nachhaltigkeitsforschung: Wir erneuern die deutsche Forschungsflotte und verstetigen die Deutsche Allianz Meeresforschung. Wir stärken die Forschung zu Klimawandel, Klimafolgen und Klimaanpassung sowie zu klimarelevanten Ökosystemen wie Wäldern, Küsten, Mooren, Hochgebirgen und zur Kreislaufwirtschaft.
  • Geistes- und Sozialwissenschaften: Wir stärken die Förderung von Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften, vor allem die Erinnerungskultur, politische Bildung und Demokratieforschung sowie die Sozialpolitikforschung. Wir entwickeln ein Kompetenznetzwerk für jüdische Gegenwartsforschung und stärken die Antisemitismusforschung.
  • Sicherheits- und Verteidigungsforschung sowie Dual-Use: Wir bauen die Friedens- und Konfliktforschung sowie Regionalforschung (zum Beispiel zu Osteuropa, China, USA) aus und schaffen eine Förderkulisse für Sicherheits- und Verteidigungsforschung einschließlich Cybersicherheit und sicherer Infrastrukturen, um Kooperation von Hochschulen und außeruniversitärer Forschung mit Bundeswehr und Unternehmen gezielter zu ermöglichen.
  • Luft- und Raumfahrt: Wir starten eine Offensive für Luft- und Raumfahrt und bringen Spitzenforschung und Kommerzialisierung erfolgreich zusammen. Wir errichten eine Nationale Hyperloop Referenzstrecke.

Wider Erwarten werden die Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften hier explizit als strategisches Forschungsfeld genannt. Prinzipiell sieht es hier auch so aus, als hätte jemand erkannt, dass eine kulturelle und historische Bildung wichtig ist, um eine Gesellschaft gegenüber populistischer (und nationalistischer) Geschichtsdeutung resilient zu machen und Demokratie und ein soziales Zusammenleben zu stärken. (Vorausgesetzt, man hat richtige und nicht rechte Geschichtslehrer.)


Transfer

Viel Raum nehmen Fragen des Transfers ein (S. 79).
 
 Stärkung und Beschleunigung des Transfers
Wir schaffen eine Dachmarke „Initiative Forschung & Anwendung“ mit drei Säulen: (1) Die Programme  ZIM, IGF und INNO-KOM, (2) „Transferbooster“ mit den Transfer-Programmen des BMBF inklusive DATI Pilot unter Konsortialführerschaft der HAW, (3) „Deutsche  Anwendungsforschungsgemeinschaft“ (DAFG) mit den Programmen „Forschen an HAW“ und „FH Personal“. Die DAFG soll perspektivisch in den Pakt für Forschung und Innovation (PFI) aufgenommen werden. Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) müssen angemessen am Förderaufkommen der DFG beteiligt werden. Wir bauen die Förderprogramme WIR, RUBIN und T!Raum aus. Wir fördern soziale Innovationen und nutzen dafür Gelder aus nachrichtenlosen Konten in einem revolvierenden Fonds.

Transfer aus den Wissenschaften ist sicher wichtig, bedenklich ist aber, dass dies auch noch unter dem Förderaufkommen der DFG geschehen soll.

Open Access/ Open Data

Von "open access" ist in dem Dokument nirgendwo die Rede, was verwundert, da der Text doch ansonsten schlagwortstark ist. Tatsächlich sind einige dem Begriff OA affine Aussagen durchaus präsent:
Wir sorgen für unsere digitale Souveränität
Wir definieren Ebenen übergreifend offene Schnittstellen, offene Standards und treiben Open Source mit den privaten und öffentlichen Akteuren im europäischen Ökosystem gezielt voran, unter anderem mit dem Zentrum Digitale Souveränität (ZenDiS), der Sovereign Tech Agency, der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND). Dafür richten wir unser IT-Budget strategisch aus und definieren ambitionierte Ziele für Open Source. Wir verankern ein Datendoppelerhebungsverbot (Once-Only) und beseitigen Digitalisierungshemmnisse.

Anderswo (S. 69) ist von dem Grundsatz „public money, public data“ und einem Rechtsanspruch auf Open Data bei staatlichen Einrichtungen die Rede.


Innovationsfreiheitsgesetz (S. 79)
(...) Wir erleichtern die Datennutzung (BDSG) und werden ein Forschungsdatengesetz noch dieses Jahr vorlegen. Wir legen eine nationale IP-Strategie (geistiges Eigentum) vor. Wir ermöglichen Ausgründungen in 24 Stunden und führen dazu an Hochschulen und Forschungseinrichtungen verbindlich standardisierte Ausgründungsverträge ein, die insbesondere Nutzungsrechte von geistigem Eigentum gegen einen marktüblichen Anteil ermöglichen. Wir wollen Gemeinnützigkeitsschranken entlang aller Transferpfade reduzieren. Wir stellen sicher, dass die Agentur SPRIND weiterhin wissensgetriebene Sprunginnovationen fördert. Das Besserstellungsverbot für gemeinnützige Forschungseinrichtungen flexibilisieren wir und novellieren dazu das Wissenschaftsfreiheitsgesetz.

Bemerkenswerterweise erhält die Wissenschaftskommunikation einen eigenen Abschnitt:

Wissenschatsskommunikation und -verbreitung (S. 75f.)
Wissenschaftskommunikation muss fester Bestandteil von Wissenschaft und Forschungsförderung sein. Wir setzen im Rahmen des PFI und im Akademienprogramm hier ein Ziel. Wir gründen eine unabhängige Stiftung für Wissenschaftsskommunikation und -journalismus. Zur wissenschaftsbasierten Faktenvermittlung sind Forschungsmuseen wichtig.

 

Entbürokratisierung

Viel ist von Entbürokratisierung die Rede. 

Innovationsfreiheitsgesetz (S. 79)
Wir geben der Forschung mehr Freiheit und entfesseln sie von kleinteiliger Förderbürokratie. Wir schaffen Bereichsausnahmen für Forschung unter anderem im Umsatzsteuergesetz und identifizieren weitere Bereiche etwa im Vergaberecht. Wir werden Antragslogiken, Nachweiserfordernisse und Regularien entschlacken und Entscheidungen beschleunigen. Hierzu gehören zum Beispiel eine flexiblere Bewirtschaftung von Projektmitteln und Verschlankung der Steuerungssystematik der Projektträger. Wir regulieren die Fusionskraftwerke außerhalb des Atomrechts. Wir führen eine zeitgemäße Regelung von Zell- und Gentherapien in der Forschung ein. Wir schaffen ein eigenständiges Gesetz für wissenschaftliche Tierversuche. ...

 Höchst notwendig und dringend ersehnt! Hoffentlich gilt das nicht nur für die Atomforschung.

Es gibt noch viele weitere Punkte, an denen das nötig wäre.  Vorsorglich sollte betont werden, dass Digitalisierung nicht automatisch eine Entbürokratisierung bedeutet. Vielleicht bedeutet sie weniger Papier, aber nicht unbedingt weniger Zeitaufwand.

 

Kulturelles Erbe

Im Vergleich zum Vertrag der gescheiterten Ampelkoalition (Archaeologik 25.11.2021) scheint das eher viel Text zur Wissenschaft. Allerdings ist vom kulturellen Erbe nur in Bezug auf die Heimatvertriebenen die Rede (S. 121).

Kulturelles Erbe der Heimatvertriebenen
Zur Förderung des kulturellen Erbes der Heimatvertriebenen werden wir die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung und die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen auf eine verlässliche finanzielle Basis stellen und die Bundesförderung nach §96 Bundesvertriebenengesetz zukunftsfest gestalten.
Archäologie wird gar nicht genannt. Die Ampel hatte wenigstens auf die Bedeutung des DAI verwiesen.


Interne Links

Beobachtungen zu Koalitionsverträgen auf Archaeologik:

aus den Ländern

Link


Montag, 7. April 2025

Niedrigwasser am Bodensee: Klimawandel betrifft auch Pfahlbauten

Aktuell werden insbesondere vom Untersee des Bodensees extrem nedrige Waserstände gemeldet. Der Hafen von Mannenbach gegenüber der Insel Reichenau auf der Schweizer Seite ist trocken gefallen.  Auch am Pegelstand Konstanz ist der Niedrigstand zu beobachten, doch ist insbesondere der Untersee betroffen. Der Durchfluss durch den Seerhein schafft  derzeit nicht genügend Wasser ausgleicht. Betroffen vom Niedrigwasser sind auch weitere Seen in der Schweiz, die bisher unkritisch gesehen werden,  

Ursache der neidrigen Wasserstände ist die aktuelle Trockenheit mit ausbeleibenden Regenfällen wie auch die geringe Menge an Schmelzwasser nach einem schneearmen Winterhalbjahr.  Seit 1974  war der Wasserstand nicht mehr so niedrig wie derzeit.

Wollmatinger Ried, März 2025. Nach der Aufnahme ist der Wasserstand weiter gesunken
(Foto: R. Schreg)

 

Die Uferzone des Untersee ist ein Kernberich des UNESCO-Welterbes "Prähistorischen Pfahlbauten um die Alpen". Hier liegen die Stationen auf der Insel Werd, Wangen-Hinterhorn, Hornstaad-Hörnle, Allensbach-Strandbad und Wollmatingen-Langenrain,. Inzwischen ist bekannt, dass sich in der Uferzone der Insel Reichenau auch mittelalterliche Palisadenanlagen unter Wasser erhalten haben. Daneben liegen in den Sedimenten der Uferzone aber auch Funde und Befunde der historischen Fischerei und Schiffahrt.

Unter Sauerstoffabschluß unter dem Wasserspiegel haben sich hier organische Reste erhalten, die anderswo längst verrottet sind. Schon vor Jahren wurde der Klimawandel als Risiko für den Erhalt der Pfahlbaustationen am Bodensee erkannt.  Problematisch ist nicht nur, dass Fundstellen trocken fallen und dadurch organische Reste dem Sauerstoff und der Verrottung ausgesetzt werden, sondern dass veränderter Wellengang bislang stabile Sedimente angreift und aberodiert. "Durch den Abtrag der schützenden Sedimentschichten treten die Kulturschichten oder Pfahlreste zutage, werden mikrobiell zersetzt oder durch Wellengang und Abrieb mit Sedimentpartikeln mechanisch zerstört. Bei winterlich niedrigem Wasserstand am Bodensee kommt es zusätzlich zum Ausfrieren der wassergesättigten Keramik und Bauhölzer, die daraufhin in ihre Bestandteile zerfallen (Frostsprengung,)" (Ostendorp u.a. 2007, 233).

Niedrige Wasserstände sind zwar ein wesentlicher Trigger der Forschung, haben überhaupt erst zur Entdeckung der Pfahlbauten überhaupt geführt. Immer wieder wurden Funde bei Niedrigwasser gemacht, so beispielsweise 2005/06 an der Insel Werd (EschenzTG), wo neben den Pfahlbauten auch Reste einer römischen Rheinbrücke sowie mittelalterliche Befunde  (https://archeobase.ch/ark:/17447/x34022). Zugleich aber sind die Niedrigstände eine Periode erhöhter Gefährdung durch Wellenschalg, Austrocknung, ggf. aber auch unkontrolliertes Absammeln.

Die genaue Situation ist bei jeder Fundstelle etwas anders, da teilweise noch schützende Schlickpakete vorhanden sind, die das aktuelle Risiko etwas abmildern. Die Fundstelle Wangen-Hinterhorn ist bereits im Sinne einer konservatorischen Überdeckung mit Geotextil und Kies abgedeckt und es erfolgt ein Monitoring durch das Landesamt für Denkmalpflege (Hagmann u.a. 2011, ). 

 

Aktuelle Medienberichte

weitere Links

Literaturhinweis

  • „Was haben wir aus dem See gemacht?“. Kulturlandschaft Bodensee Teil II – Untersee. Zweite Tagung der Projektgemeinschaft des Arbeitskreises Denkmalpflege am Bodensee, 12. Oktober 2001. Arbeitshefte Landesamt für Denkmalpflege 12  (Stuttgart 2001). -  ISBN 978-3-8062-1792-6 
  • S. Hagmann/ H. Schlichtherle/ U. Schlitzer, UNESCO-Welterbe. Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen. Denkmalschutz in Baden-Württemberg und Bayern (Stuttgart 2011) - https://www.unesco-pfahlbauten.org/fileadmin/media/pfahlbauten/PDF/Broschuere_Weltkulturerbe_Pfahlbauten.pdf
  • W. Ostendorp / H. Brem / M. Dienst / K. D. Jöhnk / M. Mainberger / M. Peintinger / P. Rey / H. Rossknecht / H. Schlichtherle / D. Straile, Auswirkungen des globalen Klimawandels auf den Bodensee. Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 125, 2007, 199–244. - http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-opus-38282