In Frankreich bedroht eine Mittelkürzung und Entbürokratisierung die Archäologische Denkmalpflege.
Als 2001 die Archäologie in Frankreich mit dem Gesetz zur präventiven Archäologie ("LOI n° 2001-44 du 17 janvier 2001 relative à l'archéologie préventive") neu organisiert wurde, um die Konvention von La Velletta umzusetzen, wurden zwar funktionierende etablierte Strukturen zerschlagen, aber erstmals wurden in Frankreich staatliche Archäologiedienste und eine präventive Archäologie geschaffen, die möglichst viele bedrohte Fundstellen identifiziert und dokumentiert.. 2004 wurde auch das Denkmalschutzgesetz (Code du patrimoine) angepasst. Allerdings leidet die neue Struktur seitdem an einer permanenten Unterfinanzierung und an ihrer eigenen Komplexität im Zusammenspiel
natioanler, regionalre und kommerzieller Insitutionen. Ein Reformbedarf ist durchaus zu erkennen, nun aber soll mit einem neuen Gesetz einfach dafür gesorgt werden, dass weniger Fundstellen ins Blickfeld der Archäologie geraten.
Komplexe Archäologie-Strukturen
Schutz und Erhaltung archäologischer Stätten liegen in der Zuständigkeit des Ministeriums für Kultur und Kommunikation (Ministère de la Culture et de la Communication - MCC), das diese Aufgaben jedoch an regionale Archäologie-Dienste (Services régionaux de l’Archéologie SRA) delegiert hat. Die SRA unterstehen den Regionaldirektoren für kulturelle Angelegenheiten (DRAC) und den Präfekten der Region. Sie sind für die Umsetzung der Rechtsvorschriften zuständig und erteilen in Verbindung mit der Archäologischen Forschungskommissionen (CTRA) Grabungsgenehmigungen. Weiterhin überwachen sie die Durchführung archäologischer Maßnahmen, koordinieren die regionale archäologische Forschung, setzen die notwendigen Maßnahmen zum Schutz, zur Erhaltung und Förderung des archäologischen Erbes um und gewährleisten Vermittlung und Auswertung der Forschung.
Auf nationaler Ebene agiert jedoch das Institut national de recherches archéologiques préventives (INRAP), das als staatliches Institut vor allem administrativem Charakter hat (sog. "établissement public administratif - epa"). Nach dem Gesetz von 2001 übernimmt INRAP die prospektiven und präventiven archäologischen Ausgrabungen. INRAP löste die private Association pour les fouilles archéologiques nationales (AFAN) ab, die in ein staatliches Institut überführt wurde. INRAP soll die wissenschaftliche Verwertung ihrer Tätigkeiten und die Verbreitung ihrer Ergebnisse, insbesondere im Rahmen von Kooperationsvereinbarungen mit öffentlichen Forschungs- oder Hochschuleinrichtungen unterstützen. Sie leistet einen Beitrag zur Lehre, kulturellen Verbreitung und Förderung der Archäologie. Zur Erfüllung dieses Auftrags beteiligt sich INRAP an den regionalen Archäologie-Diensten (SRA) und anderen öffentlicher Organisationen, nicht nur im In-, sondern auch im Ausland. In Forschungsprojekten arbeiten die Archäolog*innen des INRAP mit anderen Institutionen, wie etwa dem Centre national de la recherche scientifique (CNRS) zusammen.
Damit ist INRAP eine einzigartige staatliche Einrichtung, die zwei verschiedenen Ministerien unterstellt ist: dem Ministerium für Kultur und Kommunikation sowie dem Ministerium für Forschung und Hochschulen (Ministère de la Recherche et de l’Enseignement supérieur).
Im Code du patrimoine sind die Aufgaben und Kompetenzen von INRAP in §L523 bestimmt:
- Personal der archäologischen Dienste der Gebietskörperschaften, der öffentlichen Forschungs- oder Hochschuleinrichtungen oder anderer französischer oder ausländischer juristischer Personen aufzunehmen; (Accueillir des personnels appartenant aux services archéologiques des collectivités territoriales, aux établissements publics de recherche ou d'enseignement supérieur ou à d'autres personnes morales françaises ou étrangères) ;
- Entgeltliche Dienstleistungen zu erbringen, die die Ergänzung ihrer Aufgaben darstellen (Assurer les prestations à titre onéreux qui sont le complément de ses missions)
- die unmittelbaren Rechte, die sich aus den Ergebnissen seiner Tätigkeit ergeben, zu verwerten (Exploiter les droits directs et dérivés des résultats de ses activités)
- Teilnahme an Forschungsorganisationen (Participer à tout groupement ou s'associer à toute personne morale)
INRAP unterhält - hierin den meisten deutschen Ländern weit voraus - beispielsweise den Dienst Archipel, über den Tausende von Grabungsberichten erschlossen sind, wenn auch nicht alle online zugänglich sind.
Deutlich wird, dass INRAP einen doppelten Charakter hat: Einerseits Staatsinstitution mit administrativen Aufgaben, andererseits ein Forschungsinstitut, das andere Akteure unterstützen, zugleich aber die eigenen Rechte wahrnehmen soll.
INRAP ist damit auch das bedeutendste archäologische Forschungsinstitut Frankreichs. Mit mehr als 2000 Wissenschaftlern und weiteren Mitarbeitern führt Inrap jedes Jahr etwa 1800 archäologische Prospektionen und etwa 230 Ausgrabungen durch (Koenig 2021, 29). Anders als in Deutschland, wo die Genehmigungsverfahren meist nur nach nach Aktenlage geschehen und Sachstandsermittlungen mit Sondagen oder Geophysik eher die Ausnahme sind, sind die Prospektionen in Frankreich Teil des Genehmigungsverfahrens. Sie umfassen bis zu 10% der geplanten Baufläche.
INRAP wird von einem Vorstandsgremium verwaltet. Es setzt sich neben seinem Vorsitzenden aus Vertretern des Staates, qualifizierten Personen, Vertretern der öffentlichen Forschungs- und Hochschuleinrichtungen und Einrichtungen auf dem Gebiet der archäologischen Forschung, Vertretern der lokalen Behörden und öffentlichen und privaten Personen, die sich mit der präventiven Archäologie befassen, sowie gewählten Vertretern des Personals zusammen. Der Vorstand wird von einem Wissenschaftlichen Rat unterstützt, sein Vorsitzender durch ein Dekret des Staatspräsidenten eingesetzt.
INRAP gliedert sich in acht überregionale Direktionen und verfügte 2015 über ca. 40 archäologische Stützpunkte, die in ganz Frankeich (und seine Überseedepartments) verteilt sind. Ihr Zeitspektrum reicht vom Paläolithikum bis in die Moderne. Das Institut ist in der Stadtarchäologie ebenso tätig wie im ländlichen Raum, in der Unterwasserarchäologie sowie in der Trassenarchäologie.
Jahrelange Ineffizienz und Unterfinanzierung
Das komplexe System war schon in den ersten Jahren wenig effektiv, obgleich es sehr viel mehr als in Deutschland gelungen ist, systematisch zu prospektieren und im Genehmigungsverfahren Sachstandsermittlungen durchzuführen. Schon in den ersten Evaluierungen wurde festgestellt, dass Frankreich nicht über ausreichende personelle Ressourcen verfüge, um die Aufgaben zu bewältigen.
Wenn die Denkmalpflege in Frankreich dennoch eindrucksvolle Ergebnisse vorlegen kann (z.B. Garcia 2021), so liegt das v.a. daran, dass anders als in Deutschland Grabung und Auswertung als eine Einheit zusammen gedacht werden.
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Demonstration gegen die Arbeitsbedingungen in der französischen Präventivarchäologie (Foto: François GOGLINS, verändert, C BY SA 4.0 via WikimediaCommons) |
Von Anfang an, war das System auch unterfinanziert. Das liegt aber vor allem daran, dass der Staat Einnahmen aus der präventiven Archäologie über die Jahre und verschiedene Regierungen hinweg der Archäologie entzogen und dem Staatshaushalt zugeführt hat.
Finanziert werden sollte das System der Archéologie préventive über
die "Präventive Archäologiesteuer" (TAP) und eine Gebühr für die
Präventivarchäologie (RAP). Damit ist prinzipiell ein Verursacherprinzip installiert, das anders als in Deutschland nicht nur für die Notgrabung, sondern auch für Auswertung und Vermittlung Geld haben sollte. Mit TAP und RAP wurdenr 2024 fast 191 Millionen € eingenommen - diese für die Archäologie vorgesehenen Einnahmen würden auch mehr als ausreichen, um die Denkmalpfleget zu finanzieren!
Tatsächlich hat der Staat aber etwa ein Viertel dieser Einnahmen in die allgemeine Staatskasse übernommen und so der Archäologie entzogen. Aktuell fehlen dennoch 48 Mio €.
Die Arbeitsbedingungen und Gehälter der französischen Koleg*innen scheinen schon lange deutlich unterdurchschnittlich und es ist auffallend, wie gering ihre Teilnahme an internationalen Tagungen geworden ist, da INRAP den Kolleg*innen weder Reisekosten noch Dienstzeit einräumen kann. Leider hat Frankreich nicht in den europäischen Arbeitsmarktanalysen von "Discovering the Archaeologists of Europe" teilgenommen, so dass ein einfacher Vergleich nicht möglich ist. Aufgrund der prekären Situation kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Demonstrationen und auch jetzt im April 2025 wurde INRAP wegen der neuen Gesetzespläne bestreikt.
Dieses Jahr wird erwartet, dass ein Drittel der Maßnahmen nicht bearbeitet werden kann. Es stockt bereits bei den Voruntersuchungen/Prospektionen, die den eigentlichen Genehmigungsverfahren voraus gehen. Nur bei 6% der Bauanträge kann aktuell eine Voruntersuchung durchgeführt werden. 400 Kolleg*innen, die regelmäßig bei INRAP mit befristeten, Maßnahmen-bezogenen Verträgen beschäftigt sind, sind arbeitslos und diejenigen, die in den Ruhestand gehen, werden nicht ersetzt. Bei den SRA ist die Situation indes nicht viel besser.
Aktueller Gesetzesentwurf soll Archäologie aushebeln
Aktuell versuchen nun Interessensverbände, die Archäologie bei Großprojekten, wie dem Bau von Rechenzentren oder linearen Projekten unter dem Vorwand der „Entbürokratisierung“ oder „überragender nationaler Interessen“ zu übergehenn. In der Nationalversammlung liegt aktuell ein Gesetzesentwurf zur Vereinfachung des Wirtschaftslebens („Projet de loi de simplification de la vie économiques“). Art. 15, Abs. xii sieht vor, dass abweichend von Artikel L. 522-1 des Code du Patrimoine Entwicklungs- und Baumaßnahmen und -maßnahmen den aktuell geltenden Verpflichtungen aus der präventiven Archäologie nicht mehr unterliegen sollen. In den Verhandlungen zur ersten Lesung wurden bereits einige Änderungen vorgenommen, aber der Passus zur Archäologie scheint unverändert.
Es sollen weniger Fundstellen erkannt werden, um weniger auszugraben und zu sparen.
Petition
- Sauvons le patrimoine archéologique !
Lasst uns das archäologische Erbe retten!
https://www.change.org/p/sauvons-le-patrimoine-arch%C3%A9ologique
Die Petition erscheint mir wichtig, denn angesichts der Sparzwänge und Entbürokratisierungsbestrebungen dürfte die Idee, den Denkmalschutz zu begrenzen auch bei Politikern in anderen Staaten Anklang finden. Der Apell der Initiatoren "Das archäologische Erbe ist unser Erbe, lasst uns es gemeinsam schützen!" ist richtig und die Archäologie benötigt hier europäische Solidarität.
Die Initiator*innen sehen das archäologische Erbe Frankreichs in Gefahr. Die archäologische Community werde gezwungen, mit immer weniger Geld immer weniger zu tun! "Wenn all dies zum Tragen kommt, werden viele archäologische Stätten zerstört und wir alle werden eines immer größeren Teils unseres Erbes beraubt."
Seit Jahrzehnten warnen Archäologen ständig vor den irreparablen Schäden, die archäologischen Relikten durch Entwicklungsarbeiten zugefügt werden. Dieses gemeinsame Erbe der Menschheit, das unter unseren Füßen oder vor unseren Augen schläft, ist nicht erneuerbar. Es wurde 2001 nach starker Mobilisierung der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der Zivilgesellschaft endlich gesetzlich geschützt.
Mit dem Gesetz zur präventiven Archäologie wurde damals der Schutz des archäologischen Erbes als öffentliche Aufgabe etabliert., soll sein Schutz Mittels wissenschaftlicher Erforschung, Identifikation und Erhaltung soll ein Schutz der archäologischen Stätten gewährleistet werden, die tatsächlich oder potentiell durch öffentliche oder private Arbeiten gefährdet sind. Die gesetzliche Regelung ermöglichte die Organisation eines öffentlichen Archäologiedienstes, nämlich einerseits die Regionalen archäologischen Dienste (SRA) und das Nationales Institut für präventive archäologische Forschung (Inrap) andererseits.
Mir scheinen die Forderungen der Petition leider etwas zu unkonkret, um in der Politik Wirkung entfalten zu können. Die Petition - deren Initiator*innen nicht namentlich auftreten und die auch nicht deutlich macht, ob sie sich an die Nationalversammlung, die zuständigen Ministerien oder allgemein die Regierung richtet - fordert:
- Einhaltung des Gesetzes über präventive Archäologie und des Heritage Code, mit Verschreibungsrichtlinien, die den wissenschaftlichen, kulturhistorischen und kulturellen Herausforderungen gerecht werden!
- die bedarfsgerechte Finanzierung öffentlicher Aufgaben!
- Ein Ende der Angriffe auf die Grundsatz der Erhaltungslogik wegen Rentabilitätslogiken, die mit den grundlegenden Aufgaben der Denkmalpflege unvereinbar sind!
- Die Definition einer starken öffentlichen und kulturellen Politik, die über wirtschaftliche Fragen hinausgeht, um ein solides und nachhaltiges gesellschaftliches Projekt zu gewährleisten, bei dem die Erhaltung des ökologischen und historischen Erbes nicht zur Deckung kurzfristiger Haushaltsanforderungen verkauft wird!
Ich halte die Forderungen grundsätzlich für richtig, auch die beiden letzten Punkte, mit denen Politiker aber wenig werden anfangen können. Natürlich muss genauso beim Natur- oder dem Verbraucherschutz nach der Staatlichen Verantwortung gefragt werden. Für die Archäologie wäre es bereits ein Erfolg, wenn
- die Präventivarchäologie aus dem Gesetzesentwurf gestrichen würde und die gesetzlichen Regelungen in Kraft blieben und
- das Geld, das für die Archäologie gedacht ist, ihr auch zur Verfügung stünde.
Bitte, die Petition unterstützen, denn wir brauchen zum Schutz der archäologichen Quellen europäische Solidarität.
Literatur
- Aitchison 2013: K. Aitchison, Discovering the Archaeologists of Europe. In: J. H. Jameson (Hrsg.), Training and practice for modern day archaeologists. Social sciences / archaeology (New York, NY 2013) 15–29.
- Garcia 2021: D. Garcia (Hrsg.), La fabrique de la France. 20 ans d'archéologie préventive (Paris 2021).
- Koenig 2021: M.-P. Koenig, Das Institut national de recherches archéologiques préventives (Inrap) – ein wichtiger Akteur der archäologischen Forschung in Frankreich. Struktur, Aufgaben und Arbeitsschwerpunkte. In: M. Koch (Hrsg.), Archäologie in der Großregion. Beiträge des internationalen Symposiums zur Archäologie in der Großregion in der Europäischen Akademie Otzenhausen vom 7. - 9. März 2014. Archäologentage Otzenhausen 1 (Nonnweiler 2015) S. 302-314.
Pressemeldungen
- Un mouvement social dans les organismes de fouilles préventives, en quête de budget. Le Monde 8.4.2025. - https://www.lemonde.fr/sciences/article/2025/04/08/un-mouvement-social-dans-les-organismes-de-fouilles-preventives-en-quete-de-budget_6592749_1650684.html (teilw paywall)
- Vienne : les CDD en archéologie impactés par le manque de budget. La Nouvelle République 9.4.2025. - https://www.lanouvellerepublique.fr/poitiers/vienne-les-cdd-en-archeologie-impactes-par-le-manque-de-budget-1744220914 (paywall)
- Comment l’archéologie préventive préserve notre patrimoine ? airzen radio 4.7.2024. - https://www.airzen.fr/en-quoi-larcheologie-preventive-permet-de-preserver-notre-patrimoine/
- Après la grève des archéologues, l’inquiétude persiste face au manque de financement. Le Figaro 11.4.2025. - https://www.lefigaro.fr/culture/patrimoine/apres-la-greve-des-archeologues-l-inquietude-persiste-face-au-manque-de-financement-2025041
- Nouvelles alertes sur la préservation de la patrimoine archéologique. Le Monde. Science&Medicine 30.4.2025, S. 7.
- INRAP threats to funding - Petition. BAJR.org 2.5.2025. - https://www.bajr.org/inrap-threat-to-funding/
Links
- SRA: https://www.culture.gouv.fr/thematiques/archeologie/acteurs-formations/les-services-de-l-archeologie-au-ministere-de-la-culture
- INRAP: https://www.inrap.fr/en franz. Wikipedia: https://fr.wikipedia.org/wiki/Institut_national_de_recherches_arch%C3%A9ologiques_pr%C3%A9ventives
- DRAC https://www.culture.gouv.fr/regions
Änderungsvermerk 8.5.2025: redaktioneller Durchgang