Dienstag, 2. Juni 2015

IS in Palmyra: Kulturgut in Syrien und Irak (Mai 2015)

IS in Palmyra
IS rückt auf Palmyra vor und nimmt die antike Stadt ein. Nach den Zerstörungen des IS in Nimrud hat diese Nachricht große Aufmerksamkeit gefunden, auch als noch keine Zerstörungen tatsächlich bekannt geworden sind. Die syrische Armee hat hier schon seit langem Stellungen angelegt und ist dabei wohl auch nicht besonders sorgfältig mit den archäologischen Resten umgegangen (http://archaeologik.blogspot.de/2012/07/plunderung-in-palmyra-ein-video.html [Video inzwischen offline]). Und Plünderer waren auch schon vor dem Bürgerkrieg in Palmyra unterwegs (z.B. "Es war nacht und da waren Schlangen". Archaeologik [15.11.2010] - http://archaeologik.blogspot.de/2010/11/es-war-nacht-und-da-waren-schlangen.html).

Palmyra 1993
(Foto M. Scholz)

13.5. IS rückt gegen Palmyra vor. Die Zerstörung des Kulturerbes wird beschworen.
20.5. IS erobert Palmyra
23.5. IS in Palmyra

    Währenddessen bietet ebay Reliefs aus Palmyra an:
    und auch sonst kreisen schon die Geier:
    Kritisch zu den Feuilleton-Beiträgen:

    IS sprengt Zikkurat in Ashur

    Irakische Quellen berichten von Sprengungen in der assyrischen Hauptstadt Assur im Irak. IS soll den Zikkurat, die Zugänge der Zitadelle und "historische Bögen" zerstört haben. Seit 2003 ist Assur UNESCO-Weltkulturerbe, steht jedoch wegen eines (seit dem Irak-Krieg auf Eis liegenden, aber offiziell nicht aufgegebenen) Staudamm-Projektes auf der roten Liste gefährdeten Erbes. Assur ist die namengebende erste Hausptstadt des Assyrereiches, die später nach Nimrud und Ninive - beide schon früher Ziele der IS-Attaken - verlegt wurde. das Zentrale Heiligtum blieb jedoch in Assur. Die Stadt erlebte nach dem Ende des Assyrerreiches im 7. Jahrhundert v. Chr. weitere Besiedlungsphasen. Assur war seit über 100 Jahren Ziel deutscher Grabungsprojekte (Deutsche Orient-Gesellschaft - [Stellungnahme zur aktuellen Situation im Vorderen Orient: http://www.orient-gesellschaft.de/aktuelles/mitteilung.php?n=44]). 
    Plan des antiken Assur (katalan.)
    (Graphik: Jolle [CC BY 3.0] via WikimediaCommons)



    Weitere Zerstörungen

    Aleppo:
    Im Stuttgarter Rathaus konnte der Verein Freunde der Altstadt von Aleppo am 29.4. eine Ausstellung "Zerstörung syrischen Kulturerbes" eröffnen, die leider nur etwa eine Woche lang zu sehen war. Ein Blogpost auf dem Blog Preservation Journal berichtet:  


    Eine Überblickskarte zu den Zerstörungen in Syrien: http://www.dgam.gov.sy/?d=314&id=1688

    Medienberichte über IS 

    Zum Problem der Raubgrabungen und des Antikenhandels  
    IS richtet ein Antiken-Ministerium ein, um archäologische Stätten effektiver auszubeuten. Zuvor hatte IS die Plünderungen regional organisiert, wie 'Grabungslizenzen' von IS-Ministerien in Aleppo und Deir Ezzor zeigen, die angeblich in einem "Ministerium für wertvolle Rohstoffe" zusammengeführt waren. Bislang wurden die Raubgrabungen gegen eine 20%ige Steuer von Banden durchgeführt worden, jetzt häufen sich die Anzeichen, dass sich IS selbst in den Raubgrabungen engagiert. "In some areas, workers have been contracted to carry out digs, helped by local archaeologists who identify the most lucrative sites. "
    Am 16.5 haben US-Spezialeinheiten im Osten Syrien den IS-Führer Abu Sayyaf aufgespürt und getötet (was, nebenbei bemerkt, bedeutet, dass US-Bodentruppen in Syrien im Einsatz sind). Dabei wurde ein Schatz von Antiken, darunter antike Münzen und eine Bibel sichergestellt - möglicherweise ein Indiz, dass IS-Führer auch persönlich in das Geschäft mit Antiken involviert sind.

    Weitere Berichte über Raubgrabungen

    Ein Hilferuf des Direktors der syrischen Altertumsbehörde Maamoun Abdelkarim: http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/ndr/antiken-behoerde-100.html als Material zur Fernsehdokumentation Die Story im Ersten: Das geplünderte Erbe. Terrorfinanzierung durch deutsche Auktionshäuser. ARD (20.5.2015) - http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/ndr/20102014-die-story-im-ersten-das-gepluenderte-erbe-100.html.
    Dazu weiterhin als ergänzende Materialien: Antikenhandel: Deutschland droht in Verruf zu geraten - http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/ndr/interview-bka-100.html (Interview mit Sylvelie Karfeld vom BKA)





    Maßnahmen zur Einschränkung des Antikenhandels und der Plünderungen in Deutschland
     Forschungs- und Restaurierungsprojekte vor Ort 
    Berichte von Forschungs- und Renovierungsarbeiten aus Syrien vermitteln immer wieder den Eindruck von Normalität und sollen auch die Stabilität des Regimes in Syrien demonstrieren.  
    aber:

    Mamoun Fansa weißt in einem Interview darauf hin, dass in Aleppo nicht an einen Wiederaufbau gedacht würde, sondern mit Investoren um die frei gewordenen Grundstücke verhandelt würden. Gezielt hätte Syrien Altstadtquartiere zerstört. "Das syrische Regime hat nicht um Palmyra gekämpft". Deutschlandfunk (25.5.2015) - http://www.deutschlandfunk.de/archaeologe-mamoun-fansa-das-syrische-regime-hat-nicht-um.694.de.html?dram:article_id=320749 

    Crowd Sourcing für ein Survey-Projekt in Kurdistan. Francesca Simi, eine PhD-Studentin aus Venedig/Udine bittet um Unterstützung für die Finanzierung eines 10-wöchigen Surveys im Umfeld des Tell Gomel im Hinterland von Ninive und Khorsabad. Die Arbeit steht in Verbindung mit dem “Land of Nineveh Archaeological Project (LoNAP)” der “Missione Archeologica Italiana in Assiria” (MAIA) dell’Università degli Studi di Udine. Während deren Internetseiten die aktuelle politische Situation und die Zerstörungen in Ninive, vollkommen schweigen, richtet sich Francesca Simi an ihre potentiellen Sponsoren mit dem Hinweis, dass in Kurdistan 2014 und 2015 mehrere archäologische Expeditionen gearbeitet hätten und dass ein neues Projekt ein Zeichen der Hoffnung setzen könne:

    Kulturzerstörung in Relation 
    Bei all den schockierenden Berichten aus Syrien und Irak über Zerstörungen durch IS darf man nicht vergessen, dass die Zerstörung archäologischer Fundstellen auch anderswo an der Tagesordnung ist - 'legitimiert' durch wirtschaftliche Interessen und eben durchaus nicht immer mit einer 'Notgrabung' verbunden. IS wird zum Argument gegen Zerstörung anderswo: Australian heritage site in danger from government sanctioned mining. YourNewsWire.com (2.5.2015) - http://yournewswire.com/australian-heritage-site-in-danger-from-government-sanctioned-mining/ - "When ISIS wrecked the temples in Iraq recently the world seethed in anger. An important Australian heritage site is now in danger from being destroyed by government-sanctioned mining which will be every bit as bad as the ISIS-sponsored vandalism." 

    interne Links

    Montag, 1. Juni 2015

    Von Menschen und Steinen. - Eine Erwiderung auf den Artikel „Die zynische Empörung in den deutschen Feuilletons“ vom 26. Mai 2015 im „Cicero“

    Jutta Zerres

    Im Politmagazin „Cicero“ prangert die Autorin Judith Hart an, dass derzeit die Feuilletons deutscher Zeitungen die Eroberung und Zerstörung der antiken Stätte Palmyra umfänglich thematisieren. Es sei Zynismus, den Verlust von Kulturgütern mit äußerster Empörung zu beklagen, während das Leid der Menschen keiner Rede wert sei.
    Archäologen schauen ebenso wie andere Menschen entsetzt auf das nicht mehr zu beschreibende Leid im Irak und Syrien und ich vermute, dass die Feuilletonisten (ich kenne keinen, den ich persönlich fragen könnte) dieses genauso tun. Es gibt in Wahrheit gar kein „entweder...oder“. Das Entsetzen über das Kulturmorden schließt das Entsetzen über das Menschenmorden nicht aus. Die Autorin sieht die Zerstörungen des IS in Mossul, Hatra, Ninive und Nimrud und jetzt wohlmöglich auch in Palmyra als Ereignisse an, die eine andere Qualität besitzen als das Massenmorden, Verschleppen und Foltern von Menschen. Tatsächlich aber handelt es sich bei der systematischen Zerstörung von Kulturerbe nur um eine weitere Facette der Barbarei des IS gegen Menschen. Es geht der Terrororganisation eben nicht nur um die physische Schädigung und Vernichtung von Menschen, sondern sie zielt auch auf die nachhaltige Zerstörung des geistigen Erbes ihrer Opfer, das in den historischen Stätten sicht- und greifbar wird. Für die Verwirklichung des verqueren Welt- und Geschichtsbildes des IS, in dem es nichts anderes geben darf als das wiedererstandene Kalifat aus der Zeit des Propheten, das es in Wirklichkeit nie gab. Dafür wird erst mal tabula rasa gemacht und dabei sind alle vorislamischen Kulturzeugnisse und auch die anderer muslimischer Gruppen zu eliminieren. Mit dieser Klappe wird auch noch eine andere Fliege geschlagen: Ganz nebenbei kann der IS auch noch den Westen auf das Vortrefflichste provozieren und ihm seine Machtlosigkeit vor Augen zu führen.
    Mensch oder Stein?
    Ny Carlsberg Glyptothek, Kopenhagen. Grabrelief of einer Dame aus Palmyra ( 120 n.Chr. ).
    Die Türklopfer in Form von Löwenköpfen symbolisieren den Zugang zur Welt der Toten.
    (Foto: W. Sauber [CC BY-SA 3.0] via WikimediaCommons)


    Die entscheidenden Auswirkungen der Kulturbarbarei werden viel langsamer, schleichender in Kraft treten, ohne dann noch medienwirksame Bilder zu produzieren, nämlich dann, wenn nachwachsende Generationen nach dem Bürgerkrieg Fragen an die Geschichte ihres Landes oder ihrer ethnischen oder religiösen Gruppen stellen, die nun nicht mehr beantwortet werden können. Die Herrschaft des IS wird nicht mehr durch eine geschichtliche Reflektion in Frage gestellt werden. Terrorherrschaft und Morden werden ohne eine vielfältige, über die Region hinaus verflochtene Vergangenheit nicht mehr in Frage zu stellen sein.

    Kulturgutzerstörung und den damit verbundene Verlust von Identität gab es schon vor dem IS und es gibt ihn gleichzeitig mit den Vorgängen im Irak und Syrien in aller Welt: Er findet im Stillen bei Raubgrabungen und anderweitigen Zerstörungen statt und wird schon gar nicht mit plakativen Youtube-Videos visualisiert. In der Presse (vermutlich auch beim Cicero) fand das Thema bislang kaum Beachtung. Jetzt rauscht es ausnahmsweise mit voller Wucht durch die Medienlandschaft. Endlich wird öffentlich sichtbar gemacht, worauf Kulturgutschützer schon lange hingewiesen haben und schon wird das alles mit dem Zynismusvorwurf niedergebügelt. Man möchte die Autorin fragen, wann ihrer Meinung nach der richtige Zeitpunkt für den Kulturgüterschutz ist. Wenn die Welt ein paradiesischer Ort ohne Kriege, Gewalt und andere Probleme wie Armut, Ausbeutung oder Krankheiten ist? Dann könnte es zu spät sein. Hören wir doch auf mit der sinnlosen Diskussion „Alte Steine versus Menschen“ und hinterfragen lieber die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft.

    Mittwoch, 27. Mai 2015

    Archäologie der Enteignung

    "Das historische Narrativ darf deshalb nicht nur von einer Nation, von einer Epoche, oder nur einer Religion handeln" (Yonathan Mizrachi, ein israelischer Archäologe der Gruppe "Emek Shaveh", die sich gegen die politische Instrumentalisierung von Archäologie einsetzt)

    Samstag, 23. Mai 2015

    Quellenverlust - Der Diebstahl historischer Grenzsteine

    H. Steidle, Raubgräber klauen historische Grenzsteine. Schwäbische.de (20.5.2015) - http://www.schwaebische.de/region_artikel,-Raubgraeber-klauen-historische-Grenzsteine-_arid,10236114_toid,353.html berichtet über den Diebstahl historischer Grenzsteine im Raum Laichingen, im nordwestlichen Alb-Donau-Kreis auf der Schwäbischen Alb. Geklaut wurden Grenzsteine auf Gemarkung Feldstetten, die dort einen alten Rechtsbezirk um Egelsee abgegrenzt hatten.
    Verwiesen sei in diesem Kontext auf zwei Beiträge auf Archaeologik, die nun erkennen lassen, welchen Quellenverlust dies bedeutet:
    R. Schreg, Wüstungen im Blaubeurer Lagerbuch von 1457. Archaeologik (8.7.2013) mit einer knappen Skizze der regionalen Siedlungsgeschichte, in deren Kontext die geklauten Steine zu sehen waren. Ihre genaue Lage und Beschriftung ist ein wichtiges Puzzlestück zur Rekonstruktion des mittelalterlichen Siedlungsgefüges und war ein wesentliches Element der historischen Kulturlandschaft. Da in Egelsee das Vorgängerkloster des Klosters Blaubeuren zu lokalisieren ist, wird hier die landesgeschichtliche Dimension solcher Grenzsteine deutlich, die aber auch so, eine wesentliche Quelle zur Rekonstruktion des mittelalterlichen Siedlungsgefüges darstellen. Seine Kenntnis ist insofern von Bedeutung, als sich abzeichnet, dass die ländliche Siedlungsgeschichte viel bewegter war, als bisher vermutet. Die Vorstellung alter Ortskerne, die auf eine Siedlungsgründung in der Merowingerzeit zurückreichen sollten, hat sich als falsch erwiesen und wir stehen vor der Herausforderung, das unstete Wesen des frühmittelalterlichen Siedlungen zu verstehen - und den Übergang zu den heute noch existenten Dörfern, was v.a. eine Entwicklung des Spätmittelalters scheint.

    Wüstungen im Blaubeurer Lagerbuch von 1457, darunter Egelsee bei Feldstetten. Die jetzt geklauten Grenzsteine waren ein wichtiges Geländezeugnis für die Rekonstruktion der spätmittelalterlichen Siedlungslandschaft (Gaphik R. Schreg, Kartengrundlage aufgrund SRTM-Daten - weiß - Wüstungen, rot - bestehende Ortschaften).
    Der noch nicht so alte Blogpost zu den Zeugensteinen (R. Schreg, Zeugen des Untergangs. Archaeologik [6.5.2015]) hat das Thema der Grenzen angeschnitten, die für uns heute so selbstverständlich sind. Tatsächlich ist die Vorstellung von Grenzen historisch gewachsen und Grenzsteine sind ein Zeugnis dieses geistigen Wandels. Für die Kenntnis der Zeugen sind historische Grenzsteine so lange von Bedeutung, so lange sie in situ sind und wir - bei methodisch sorgfältig durchgeführter Grabung - die Lagebeziehung von Zeugen und Grenzstein erkennen können. Auch das haben die Diebe der Grenzsteine zunichte gemacht.
    Die Diebe haben nicht nur Steine geklaut, sondern Quellen der Geschichte - und nicht nur der Heimatgeschichte.