Sonntag, 17. Oktober 2021

Unser Raubgut


Moritz Holfelder 
Unser Raubgut 
eine Streitschrift zur kolonialen Debatte 
Berlin 2019

Originalpublikation:
ISBN - 978-3-96289-058-2: Ch. Links Verlag

Sonderausgabe der Bundeszentrale für Politische Bildung (2020)
 ISBN - 9783742505446
 
222 Seiten 

 
Ein wichtiger Beitrag zur Debatte um  das koloniale Raubgut war - und ist - das 2019 erschienene Buch des Journalisten Moritz Holfelder "Unser Raubgut". Es nimmt die aktuelle Deabatte um die Benin-Bronzen als Ausgangspunkt und war sicher auch ein Impuls dafür, dass diese inzwischen einige Fortschritte gemacht hat - wenngleich einige der Kritikpunkte Holfelders sicher noch immer aktuell sind.
 
Büste der Benin-Bronzen, 16. Jh.
Berlin Ethnologisches Museum
(Foto [CC0] via WikimediaCommons, freigestellt)



Am 28. November 2017 hielt der französische Präsident Emmanuel Macron in Ouagadougou in Burkina Faso eine vielbeachtete Rede, in der er Afrika eine Rückgabe seiner in der Kolonialzeit geraubten Kulturgüter versprach.  Frankreich war eine der größten Kolonialmächte in Afrika.  Die modernen Staaten Togo, Kamerun, Madagaskar, Benin, Niger, Burkina Faso, Republik Cote d'Ivoire, Tschad, Zentralafrikanische Republik, Republik Kongo, Gabun, Senegal, Mali und Mauretanien sind aus ehemaligen französischen Kolonien hervorgegangen. Vor allem in den 1960er Jahren hat Frankreich sie in ihre Unabhängigkeit entlassen. Aber noch immer finden sich zahlreiche afrikanische Kunstwerke in französischen Museen, bemerkenswerterweise nicht im Hort der Kunst, im Louvre, sondern im Musée des Hommes, wo sie neben anthropologischen Funden des Urmenschen ausgestellt wurden.

In Deutschland fand Macrons Rede nur zögerlich Resonanz. Hier war es ein Beitrag der französischen Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy in der FAZ, der das Thema aufgriff und zugleich mit der Diskussion um das Humboldt-Forum in Berlin verband.

Dieses ist seit einiger Zeit der Fokus der Kolonialdebatte in Deutschland. Im wieder aufgebauten Berliner-Schloss sollen ethnologische Ausstellungen realisiert werden, deren Objekte zu guten Teilen mit der deutschen Kolonialgeschichte in Verbindung stehen.

Da Deutschland aber seine Kolonien bereits im ersten Weltkrieg verloren hat, ist dieses historische Kapitel heute kaum im Bewusstsein, Dabei war Deutschland zutiefst in die Kolonialgeschichte verstrickt, nicht nur in Berlin und nicht nur in Afrika.

Bereits im Mai 2018 wurde als Folge der Macron-Rede auf der Kultusministerkonferenz ein “Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ vorgestellt. Das 130 Seiten starke Papier gibt allerdings keine direkten Handlungsempfehlungen und lässt - so Moritz Holfelder (S. 25) - keine “begeisternde Entschlossenheit“ spüren.

Aber auch in Frankreich verebbte der Elan bald wieder und betroffene Museen, aber auch der Kultusminister spielten auf Zeit und blockierten: Leihgaben statt Restitution…

Im März 2018 erhielten jedoch Bénédice Savoy zusammen mit dem senegalesischen Wirtschaftswissenschaftler Felwine Sarr von Präsident Macron den Auftrag, einen Bericht zur Rückgabe des afrikanischen Kulturerbes zu schreiben. Sechs Monate waren vorgesehen und im Oktober 2018 wurde der Bericht vorgelegt, der 2019 auch auf deutsch (und 2020 in einer Sonderausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung) erschien. In ihrem Fazit schreiben sie:
“Diese Objekte, die ihren Ursprungskulturen zu einem großen Teil durch die Gewalt des Kolonialismus entrissen wurden, die unfreiwillig in der Fremde weilten, aber von Generationen von Kuratoren in ihrem neuen Lebensumfeld aufgenommen und gepflegt wurden tragen heute unabänderlich einen Teil Afrikas und Europas in sich. Durch Inkorporierung mehrerer Bedeutungssysteme sind sie zu Orten der Kreolisierung der Kulturen geworden. Mit dieser Aura können sie als Vermittler neuer Beziehungen wirksam werden” (Sarr/ Savoy 2020, 165f.).
  • Felwine Sarr/ Bénédice Savoy, Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter. Schriftenr. bpb 10586 (Bonn 2020)

Im Oktober 2020 hat die französische Nationalversammlung ein Gesetz verabschiedet, das eine Restitution von 26 Benin-Bronzen im Pariser Musée du Quai Branly ermöglicht - ansonsten aber die Raubkunst weiterhin als französisches Kulturgut als unveräußerlich deklariert und eine Rückgabe eher ausschließt.

Dennoch steigt der Druck auf Deutschland, denn auch hier befinden sich unter Tausenden anderer kolonial geraubter Kulturgüter einige Objekte der besonders im Fokus der Aufmerksamkeit stehenden Benin-Bronzen. Bei den Benin-Bronzen handelt es sich um Metallarbeiten des 16. Jahrhunderts, die im Umkreis des Königshofs von Benin entstanden sind. 1897 plünderten britische Kolonialtruppen den Königspalast und raubten die Kunstobjekte, die anschließend versteigert wurden, um die Kriegskosten zu decken. Damals gelangten Objekte auch in die USA, nach Deutschland und Frankreich. Schon seit den 1930er Jahren gibt es Rückgabeforderungen von Seiten Nigerias.
Ein internationales Projekt trägt seit April 2020 die Informationen zu den Benin-Bronzen zusammen. "The aim is to create a well-founded and sustainable catalogue of the artworks and their history, " 2022 soll der Katalog online gehen.


Am 20. Juli 2021 wurde ein erster Abschnitt des Humboldt-Forums hat die Thematik in Deutschland eröffnet.  Bereits im Vorfeld fand das Thema der kolonilen Raubkunst daher  starke Medienresonanz.
Unter dem Druck dieser Aufmerksamkeit einigten sich Ende April 2021 Kulturpolitiker*innen und Museumsexpert*innen bei einem Spitzentreffen bei Staatssekretärin Monika Grütters auf die zeitnahe Rückgabe der Benin-Bronzen an Nigeria, verbunden mit der Bitte um Leihgaben.
Der Cicero warnt vor den Komplikationen und Risiken solcher Rückgaben - ohne diese als solche in Frage zu stellen. Er mahnt an, dass sich die Verantwortung nicht so einfach zurück geben lassen..
Kritisch zu dem Rückgabebeschluss merkt Jürgen Zimmerer, Professor für Globalgeschichte an der Universität Hamburg und Leiter der Forschungsstelle 'Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung' in einem Interview des Deutschlandfunks an, dass man im Grunde nicht weiter sei als in den vergangenen Jahren. “„Wir geben zurück, wenn etwas gestohlen ist“, habe es in den vergangenen Jahren geheißen „Und jetzt heißt es: Wir geben einen substanziellen Teil zurück.“ Für die nun folgenden Verhandlungen sei unklar, wer eigentlich entscheide, was substanziell ist und welche Stücke zurückgegeben würden und welche nicht. Im Unterschied zu Monika Grütters sieht er in dem Beschluß keine “historische Wegmarke im Umgang Deutschlands mit seiner kolonialen Vergangenheit”, sondern vermisst eine große Geste und ein klares Bekenntnis zur bedingungslosen Rückgabe aller gestohlenen Kulturgütern. Denn es geht um mehr als nur die Benin-Bronzen.
 
Im Oktober 2021 hat Deutschland in einer Absichtserklärung die Eckpunkte fixiert, wie die Eigentumsrechte an den als Raubgut aus der Kolonialzeit geltenden Benin-Bronzen an Nigeria übereignet werden. Vertretern beider Seiten haben in der nigerianischen Hauptstadt Abuja die Erklärung unterzeichnet.


Holfelders Buch ist hier also im Hinblick auf die Ereignissgeschichte schon nicht mehr aktuell. Auch andere prominente Autoren haben die Thematik inzwischen aufgegriffen, Götz Aly etwa, der ein ebenfalls im Humboldt-Forum eingeplantes Boot aus der Südsee in den Mittelpunkt rückt. Oder Hermann Parzinger, der eine chronologisch konzipierte Geschichte der Kulturgutzerstörung liefert und damit das Humboldt-Forum, für das er mit verntwortlich ist, in eine lange Traditionsreihe setzt.

Moritz Holfelder geht es in seiner Streitschrift zur kolonialen Debatte um den weiteren Kontext der gesamten Debatte. Er nutzt die Benin-Bronzen als Leitgeschichte, denn hier handelt es sich um ganz offensichtliches Raubgut. Es geht aber um den Umgang mit dem kolonialen Erbe insgesamt, um die Verdrängung der Geschichte und die fortdauernde Ausnutzung. So kommt der Franc de la Coopération Financière en Afrique (ehedem Franc colonies françaises d’Afrique) zur Sprache, ein Währungssystem, das in einigen Ländern West- und Zentralafrikas die französische Vormacht zementiert. Der Wert der Währungen ist an den französischen Franc bzw. heute den Euro gebunden, wobei Frankreich 1994 den Wechselkurs um 50% reduziert hatte, so dass über Nacht in den betreffenden Staaten Importe doppelt so teuer wurden und eigene Einkünfte drastisch reduziert werden. Die Banknoten werden in Frankreich gedruckt, dort befinden sich auch die Währungsreserven, auf die die betreffenden Staaten also keinen eigenständigen Zugang hätten.
Die Diskussion um die Rückgabe geraubter Kunst ist wichtig, aber sie erscheint teilweise als Feigenblatt und Ablenkung für andere Handlungsräume, die viel unmittelbarer für Gerechtigkeit und eine Verbesserung von Lebensumständen führen würden.

Holfelder macht denn auch sieben Vorschläge zum Umgang mit der kolonialen Vergangenheit:
  1. eine stärkere Auseinandersetzung mit Afrika und ein breiteres Wissen
  2. eine Beschäftigung mit unserer eigenen kolonialen Vergangenheit
  3. einen umfassenden Austausch und kooperative Projekte mit den ehemaligen Kolonialgebieten - unter Aufgabe der eigenen Deutungshoheit
  4. umfassende Rückgabe geraubter Objekte - und, so muss man Holfelder hier ergänzen: aller Überreste menschlicher Leichen
  5. eine Reform ethnologischer Sammlungen, die neue Narrative entwickeln, 
  6. Impulse geben und provozieren,
  7. die Idee gemeinsamen Welterbes mit einem anderen Umgang mit Besitz und Eigentum

 

Holfelders Buch hat durch den deutschen Rückgabebeschluß zu den Benin-Bronzen vordergründig an Aktualität verloren, nicht aber an Bedeutung. Seine Forderungen sind damit nicht erledigt

weitere Literaturhinweise

  • Felwine Sarr/ Bénédice Savoy, Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter. Schriftenr. bpb 10586 (Bonn 2020)
  • Bénédicte Savoy: Afrikas Kampf um seine Kunst - Geschichte einer postkolonialen Niederlage (München: C.H. Beck Verlag 2021)
  • Götz Aly, Das Prachtboot. Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten (Frankfurt: . S. Fischer 2021)' - ISBN 978-3-10-397036-4.
  • Hermann Parzinger, Verdammt und vernichtet. Kulturzerstörungen vom Alten Orient bis zur Gegenwart (München: C.H. Beck 2021). - ISBN 978-3-406-76484-4.


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