Dienstag, 30. April 2019

Schliemann und sein Erbe - Die Inszenierung als Schatzsucher und Abenteurer

Stefanie Samida
Die archäo­logische Entdeckung als Medienereignis. Heinrich Schliemann und seine Ausgrabungen im öffentlichen Diskurs, 1870­-1890 

Edition Historische Kulturwissenschaften Band 3

(Münster: Waxmann 2018).

Softcover, 336 Seiten.
ISBN 978-3-8309-3789-0


Bis heute ist Heinrich Schliemann der bekannteste aller Archäologen, wahrscheinlich nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Das liege nicht nur an seinen sensationellen Entdeckungen in Troja und Mykene, sondern auch daran, dass er seine Forschungen geschickt popularisierte und eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit betrieb, meint Stefanie Samida.

Wissenschaftspopularisierung war und ist aber, wie Samida darlegt (S. 30) kein linearer top-down Diffusionsprozess. Beteiligt sind hier viele Akteure. neben dem Wissenschaftler sind es interaktiv verschiedene Vermittler wie auch die Öffentlichkeit selbst.

Samida hat die damaligen Pressemeldungen in Deutschland und in der englischen Times wie auch einige Briefe aus Schliemanns Korrespondenz ausgewertet und in dem Band auch ediert. Sie hebt auf eine medienhistorischen Perspektive ab, die gerade auch wichtig erscheint, um die Bedeutung Schliemanns für die moderne Archäologie zu verstehen. Hier wurde ein Narrativ geschaffen, das des Entdeckers und Abenteurers, das heute Fluch und Segen für die Archäologie darstellt. Segen insofern, als die Faszination des Entdeckens und Findens und der Geruch des Abenteuers öffentliches Interesse schafft, auf das die Wissenschaft dringend angewiesen ist. Fluch aber auch, weil die Vorstellung, in der Archäologie ginge es vor allem um Funde und Sensationsmeldungen oft die eigentlichen wissenschaftlichen Belange schädigt. So sind Sondengänger oft der Meinung, sie seien die besseren Archäologen, da sie die besseren Funde machten, andererseits sind Anliegen der Erhaltung von Bodendenkmäler, aber auch komplexere Fragestellungen nur schwer zu vermitteln.

Schliemanns Grabungsberichte wendeten sich gezielt an das damalige Bürgertum. Sie schildern den Fortgang der Arbeiten und erzählen von den glänzenden Funden. Dieses auch heute in der Archäologie häufige Narrativ der Entdeckungsgeschichte, erlaubte es Schliemann, seine Tatkraft und seine Leistungen besonders gut herauszustellen und so den noch heute wirksamen Mythos Schliemann zu begründen. Die mediale Inszenierung seiner Grabungsergebnisse prägte auch das bis heute wirksame Bild der Archäologie als Spatenwissenschaft.
Kladderadatsch 29, Nr. 60, 31.12.1876
(via Heidelberger Historische Bestände,
dort mit CC BY SA 3.0)


Ein vergleichender Blick auf die damaligen Grabungen in Olympia und Pergamon zeigt die wichtige Rolle, die der Person Schliemanns zukam. Er etablierte sich als Medienstar, über den auch persönlich berichtet wurde. Wie wohl 1869 in Rostock promoviert, galt Schliemann der damaligen Altertumswissenschaft aber als Außenseiter. Sein Selbstbewusstsein, aber auch seine Eitelkeit waren wesentliche Elemente seiner Selbstinszenierung. Er prägte das Bild in der Öffentlichkeit, war aber deswegen noch lange kein akademischer Meinungsführer. Als Medienstar des 19. Jahrhunderts hat er damit die Archäologie über das engere Fachgebiet hinaus getragen und als Tagesthema in den Medien popularisiert. Die Rolle, die Schliemann in der Wahrnehmung der Zeitgenossen spielte, zeigt sich in den vielen Nachrufen, aber auch in Witzblättern und Schmähschriften.


Eine Auseinandersetzung mit Schliemann ist auch heute noch wichtig, weil seine Rezeption (die nicht Thema des Bandes ist) bis heute nachwirkt. Eine öffentlichkeitswirksame Darstellung der Archäologie ist in Zeiten, in denen deren Finanzierung nicht mehr von Monarchen und reichen Mäzenen, sondern vor allem vom Steuerzahler und Verursacher finanziert werden, wichtiger denn je. Auch heute gibt es Archäologen, die ihre Person in den Mittelpunkt stellen und damit bis zu einem gewissen Grad bei der Medialisierung auch kurzfristig erfolgreich sind. Das Beispiel von Schloemann ist aber nicht zuletzt deshalb interessant, weil es die langfristigen Folgen einer Personalisierung und Sensationalisierung archäologischer Forschung zeigt. Seine Eitelkeit und Selbstinszenierung haben erheblichen Anteil daran, dass Archäologie als Abenteuer und Privatvergnügen wahrgenommen wird, bestenfalls als “Spatenwissenschaft“. Schliemanns Orientierung an der Ilias und seine sensationalisierenden Verknüpfungen von Funden mit Personen aus der Ilias (Schatz des Priamos, Maske des Agamemnon) haben langfristig der Archäologie als Wissenschaft eher geschadet. Einerseits wurde der Archäologie auf die Bestätigung schriftlicher Quellen reduziert, was bis heute ein spürbares Handicap für die historische Archäologie darstellt. Andererseits wurden die archäologischen Methoden auf das Entdecken reduziert, während die Interpretation rein assoziativ vorgenommen wurde. So ist auch heute bei der Medialisierung und Personalisierung jenseits der kurzfristigen Aufmerksamkeitserfolge der Verlust an Glaubwürdigkeit und Wissenschaftlichkeit wie auch die Verhärtung von Klischees als Kollateralschden der Sensationalisierung verantwortungsvoll zu bedenken.


Übrigens: Die Publikation wird im Print on Demand-Verfahren hergestellt, was heutzutage keine Qualitătseinschränkung sein muss - mein Exemplar ist trotzdem nach der halben Lektüre auseinandergebrochen. Schade.


Links


Dienstag, 16. April 2019

Das Großfeuer in Nôtre Dame: Wikipedia hat die besten Berichte

natürlich mehr noch die französische Wikipedia als die deutsche:
Paris, Notre Dame, Brand 15.4.2019
(Foto: LeLaisserPasserA38 [CC BY SA 4.0]
via WikimediaCommons)
Zwar ist es zu früh, um Schäden im Detail zu beurteilen, aber während die Medien sich sonst auf Tweets von A- und B-Prominenz (z.B. VIP.de (RTL); Tagesschau; Stern; t-online)  und ihre absonderlichen Vorschläge (z.B. @realDonaldTrump) konzentrieren, findet sich hier eine erste Einschätzung, was genau abgebrannt sein dürfte. Natürlich gibt es hier auch weiter verwendbare Bilder (verbunden freilich mit dem Risiko, dass hier Gaffer ihre Beute präsentieren).
Insgesamt scheint es mir spannend zu sein, die Berichterstattung genauer zu analysieren, da sie viel über die Bedeutung aussagt, die die moderne Gesellschaft einem so hochkarätigen Kulturdenkmal zubiligt. Hier aber auf die Schnelle nur ein paar subjektive Impressionen, die sich aus den via GoogleNews gewichteten Berichten ergeben.
Zwar gehen viele Medien kurz auf Geschichte und Kunstgeschichte des Baus ein, bemühen sich aber kaum, jenseits der Bedeutung für Touristenströme und die Pariser die historische und kunsthistorische Bedeutung aufzuzeigen. Vielleicht kommt da ja noch etwas nach. Was ohne lange Recherche passieren kann, hat BILD gezeigt: https://bildblog.de/109772/falsche-dame/. ZDF und ARD wurden kritisiert, dass sie statt dem Brand nur Tierfilme gezeigt hätten (Tierdoku statt Notre-Dame-Brand: Laschet knüpft sich ARD und ZDF vor. Focus 15.4.2019). Noch mehr Live-Übertragungen waren aber sicher nicht nötig - eher eine gehaltvolle Information, was denn eigentlich gebrannt hat. CNN immerhin hat das Interview mit einem Kunsthistoriker der Live-Schalte zu Präsident Macron vorgezogen (weil keine Übersetzung parat war). 
Und natürlich kommen auch schon diejenigen um die Ecke, denen ein Attentat lieber gewesen wäre oder die zumindest darauf hoffen, dass die Untersuchung der Brandursachen noch auf etwas anderes weise als auf einen Unfall bei der eben begonnenen Restaurierung. Im „katholischen Journalismus, der alles Vorübergehende und Unmittelbare im Licht ewiger Prinzipien betrachtet“ gerät das fast schon zu Verfolgungswahn und Hetze: https://katholisches.info/2019/04/15/der-symboltraechtige-brand-von-notre-dame-de-paris/
Dachstuhl
(Foto: Harmonia Amanda, 2005
[CC BY SA 3.0]
via WikimediaCommons)
Dass der abgebrannte Dachstuhl tatsächlich zu guten Teilen aus dem 12. Jahrhundert stammte, wurde kaum irgendwo gesagt. CNN hat dazu einen Bericht: https://edition.cnn.com/style/article/nortre-dame-fire-oak-wood-trnd/index.html, der auch auf die Zimmermannsleistung und die Menge Wald verweist, die nötig war, um das Bauholz zu gewinnen.

Weitere Links


Eine Gute Wahl: Der Deutsche Archäologiepreis 2019 für Open Access

Dr. Maria Effinger und Dr. Katrin Bemmann (Heidelberg) erhalten den Deutschen Archäologiepreis 2019 für ihre Verdienste um die Einführung und den Ausbau eines modernen offenen Publikationswesens in der deutschsprachigen Archäologie:

Samstag, 13. April 2019

Abstimmen für die Archäologie!

Auch nach dem Kohlekompromiss und dem Votum für den Erhalt der Reste des Hambacher Forstes geht im Rheinischen Braunkohlerevier der Abrisses des Dorfes Manheim unbeirrt und gar forciert weiter. Da das Verursacherprinzip im Falle des Braunkohletagebaus nicht greift und die Denkmalpflege nicht so ausgestattet ist, auch nur annähernd die Kulturdenkmale zu dokumentieren, bemüht sich der Verein Heimatfreunde Kerpen für sein Projekt „Spurensuche im Dunkeln“ um Spendengelder.
Um die Ortsgeschichte wenigstens ansatzweise zu erfassen, soll in einer Kooperation von professionellen Archäologen und ehrenamtlichen Engagement ein Projekt verwirklicht werden, das exemplarische Grabungen, eine Kellererfassung und - sofern es gelingt, eine Finanzierung aufzubauen - ein Sondagenprogramm unter Beteiligung auch der Mittelalterarchäologie Bamberg umfasst. Die Einwerbung von Fördermitteln benötigt jedoch eine Kofinanzierung durch den Verein, der sich nun bemüht, eine finanzielle Grundlage zu schaffen. Deshalb hat er sich auch bei der Aktion der Kreissparkasse Köln "Wir für die Region" beworben, wo 3.000,00 € zu gewinnen sind.
Bitte unterstützen! - das ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt, um die archäologischen Geschichtsquellen eines Dorfes vor der endgültigen Zerstörung doch noch zu bewahren. 

Der Abbruch geht weiter. Manheim, April 2019
(Foto: R. Schreg)


Freitag, 5. April 2019

Erdbeben, Feuer, Wasser und andere Katastrophen

Auf der Plattform Peristyle werden die umwelthistorisch und -archäologisch hochinteressanten Beiträge eines Basler Kolloquiums online bereit gestellt.

Im einzelnen sind das die folgenden Beiträge:

Von drei 'Ausreißern' abgesehen, die den Blick nach Ostia, Dalmatien und Ägypten wenden, liegt der Schwerpunkt im süddeutschen Raum. Schon die bloße Vielzahl der umwelthistorischen Ereignisse und Katastrophen vor unserer Haustür ist jenseits eines kleinen Spezialistenkreises weitgehend unbekannt.
Daher ist es sehr zu begrüßen, dass die Publikation im Open Access online erfolgt.
Ungünstig ist aber, dass die einzelnen Kapitel-pdfs weder eine doi noch sonst eine persistente Adresse aufweisen.  Sinnvoll wäre es auch, auf den einzelnen pdfs die ganze Publikationsreferenz anzugeben, um eine Zitierbarkeit sicherzustellen. Online-Artikel werden mehrheitlich über Repositorien gefunden, die nicht immer den Publikationskontext erkennen lassen Eine Angabe zur Lizenzierung der Inhalte wäre ebenso sinnvoll.