Werner Meyer
Ritterturniere im Mittelalter
Lanzenstechen, Prunkgewänder, Festgelage
(Mainz am Rhein: Nünnerich-Asmus-Verlag 2017)
184 Seiten, 93 Abbildungen
ISBN 978-3-961760-08-4
24,90 €
Werner Meyer, der Altmeister der deutschsprachigen Burgenforschung, nimmt sich in dem schön ausgestatteten Band ein Thema vor, das eng mit unserem Bild des Mittelalters verbunden ist. Während Pest, Aberglaube und Raubrittertum in der Wahrnehmung für die dunkle Seite des Mittelalters stehen, so vertreten Ritter, Burg und Turnier die positive, jedenfalls romantische Sicht auf das Mittelalter. Meyer stellt die ganze Breite des Turnierwesens vor, untersucht seine Anfänge, seine soziale Bedeutung und die verschiedenen Ausprägungen. Eingangs stellt er klar, dass Ritter, Burg und Turnier keineswegs so eng aufeinander bezogen werden können, wie das unsere Idealvorstellung annimmt. Nicht alle Burgherren waren Ritter und nicht alle Ritter verfügten über eine Burg. Nicht alle Ritter durften an Turnieren teilnehmen, aber durchaus Adlige, die nie formal zum Ritter geschlagen wurden. Und schließlich fanden Turniere meist nicht in der Burg statt, sondern eher im Umfeld der Städte. “Als im 10./11. Jahrhundert die ersten Adelsburgen errichtet wurden, gibt es den ‘Ritterstand' mit seiner Standeskultur noch gar nicht“ (S. 13).
Insgesamt vermittelt Werner Meyer ein lebendiges Bild einer uns heute fremden Lebenswelt. Er zeigt das Turnier als Element der sozialen Praxis, das sowohl im Alltag als auch in den sozialen Netzwerken des Adels eine wichtige Rolle spielt. Dargestellt wird beispielsweise “die Gewaltbereitschaft im Mittelalter“ bei einer fehlenden effektiven staatlichen Kontrolle, das Verhältnis von “Turnier und Fehde“ und schließlich das Turnier im Rahmen der mittelalterlichen Spielkultur. Desweiteren behandelt Meyer Bedeutung und Symbolik des Turnierwesens, gibt einen Überblick über die Anlässe und die verschiedenen Formen des Turniers. Immer wieder wird deutlich, wie sich das Turnier in Abhängigkeit etwa von veränderten Kriegstechniken aber auch sozialen Entwicklungen verändert hat. Beispielsweise wurde eine immer wieder vorkommende Gewalteskalation im Umfeld von Turnieren im Lauf der Zeit immer stärker sanktioniert. Gleich im ersten Kapitel schildert der Autor die Entwicklung des Turniers von seinen Anfängen hin zur Standesrepräsentation im 13. Jahrhundert und weiter bis zum Niedergang im 14./15.Jahrhundert, als sich immer weniger Ritter das Turnieren leisten konnten und es in der Folge immer mehr an die Fürstenhöfe gezogen wurde.
Drei ausgewählte Turnierberichte, die Meyer in Kapitel 2/ Drei Turbierberichte (Unsinnigerweise dienen die Kapitelnummern im Band als Querverweise, obwohl sie weder in den Kapitelüberschriften noch im Inhaltsverzeichnis aufgeführt sind) heranzieht, erlauben es, den Ablauf von Turnieren sehr anschaulich nachzuvollziehen. Die Quellentexte werden indes nur auszugsweise zitiert. Im Literaturverzeichns finden sich die klassischen Druckeditionen zitiert, doch stehen die Texte in verschiedener Form auch online:
- Ulrich von Liechtenstein, “Frauendienst“, um 1350 über ein Turnier in Kärnten - http://gutenberg.spiegel.de/buch/frauendienst-4102/7
- Konrad von Würzburg, “Turnei von Nantheiz“, vor 1287 über ein fiktives Turnier in Nantes - K. Bartsch (Hrsg.), Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur: Turnei von Nantheiz - Sant Nicolaus - Lieder und Sprüche (Wien 1871)
- NN, Ein spanischer Bericht über ein Turnier in Schaffhausen im Jahr 1436. -
K. Stehlin, Ein Spanischer Bericht über ein Turnier in Schaffhausen 1436. Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, 14/1, 1915, S. 145-176 urn:nbn:de:hebis:30-1091767
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Ulrich von Liechtenstein: Codex Manesse, 1305-1315
UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, fol. 237r, Herr Ulrich von Liechtenstein
(via WikimediaCommons) |
Zur Anschaulichkeit des Buches tragen die vielen Abbildungen aber auch zahlreiche Zitate aus zeitgenössischen Quellen bei. Archäologische Funde spielen dabei eine untergeordnete Rolle, mehrheitlich werden bildliche Quellen sowie obertägig erhaltene Objekte gezeigt. Nur 7 der 93 Abbildung repräsentieren archäologische Funde. So kann der Band auch dazu herangezogen werden, einmal mehr über die Rolle der Archäologie des Mittelalters nachzudenken.
In seinem Text verweist Werner Meyer ganz selbstverständlich immer wieder auch auf archäologische Funde, etwa, wenn es darum geht, zu zeigen, dass bestimmte Praktiken verbreitet waren. Die häufigen Funde von Würfeln auf Burgen sind so ein Beleg dafür, dass das Spielen Teil des Alltags auf Burgen war (S. 39). Im Falle der Armbrustbolzen konstatiert Meyer, dass "die häufigen Funde von Pfeileisen auf Burgen - die nicht von Belagerungen stammen können - (...) die große Bedeutung der Armbrust für die adlige Oberschicht (belegen)" (S. 40). Beide Aussagen beruhen auf einer Klassifikation der Funde mit einer bestimmten Funktionsgruppe (Würfel, Armbrust), die dann eine Kontextualisierung mittels der schriftlichen Quellen ermöglicht. Im Falle der Armbrust beispielsweise zeigt die Gegenüberstellung mit Schriftquellen, dass das dort immer wieder zu findende Verurteilung von Fernwaffen als unritterliche und das Ideal des Kampfes Mann gegen Mann in der Realität keine besondere Bedeutung gehabt haben kann.
Die Klassifikation von Fundobjekten erlaubt also eine Kontrastierung mit den Aussagen der Schriftquellen und gibt so nicht nur eine bessere Einschätzung der Rolle materieller Kultur im Alltag, sondern gibt aus den Widersprüchen mit der schriftlichen/ literarischen Überlieferung heraus auch Einblicke in die tatsächlichen Wertesysteme.
Nur relativ selten skann Meyer konkrete archäologische Funde für seine kulturgeschichtliche Darstellung heranziehen. Zu nennen sind zum Beispiel die Topfhelme von der Burg Madeln bei Pratteln (Kanton Basel-Landschaft), die 1940 bei leider nicht ganz sachgemäßen Ausgrabungen gefunden wurden:
http://www.archaeologie.bl.ch/Pages/Funde/topfhelme_pratteln.html. Die Burg war bei dem großen Basler Erdbeben von 1356 zerstört worden und die Helme fandn sich unter dem Versturz einer Mauer. Nur dieser außergewöhnliche Umstand habe dazu geführt, dass die beiden Helme erhalten geblieben sind. So kennen wir die Austattung der Ritter des 14. Jahrhunderts vor allem aus bildlichen Quellen. Rüstungen und Waffen, die sich in Rüstkammern erhalten haben, sind in der Regel deutlich jünger. Wichtig an den Helmen aus Pratteln sind jedoch die Gebrauchs- und Reparatuspuren, die zeigen, dass und sogar wie sie im Kampf eingesetzt wurden. Einer der Helme weist an der Schläfe den Abdruck einer dreispitzigen Turnierlanze auf (Abb. S. 89).
Ein wesentlicher Beitrag der Archäologie scheint indes an anderer Stelle präsent zu sein. Hier geht es nicht um konkrete Funde, sondern um Fragestellungen und Betrachtungsweisen, die typisch archäologisch sind. In Kapitel 9 "Jenseitsvorstellungen und Ahnenverehrung im Turnierbrauchtum" skizziert Meyer mögliche Hintergründe des Turnierwesens in frühmittelalterlichem Begräbnisritualen und Jenseitsvorstellungen. Er argumentiert damit, das einzelne Elemente des Turniers in ähnlcher Form in den Schriftquellen im Kontext von Begräbnisritualen genannt werden - so z. B. der
buhurt , der im 13. Jahrhundert allgemein Kampfspiele bedeutet, ursprünglich aber als Kreisreiten aufzufassen ist, wie es literarisch für die Begräbnisse des Beowulf und des Attila geschildert wird. Ergänzt sei hier, dass die rund um das Grab des Chlodwig in Tournai nachgewiesenen Pferdekörper vielleicht auch mit solch einem Ritual zusammen hängen. Desweiteren betrachtet Meyer die Lokalität von Turnieren und vermerkt dabei, dass sich oft ein Bezug von Turnierplatz und Begräbnistätte erkennen lässst. Auch die große Bedeutung der Wappen bei den Turnieren deutet nach Meyer in Richtung Jenseitsvorstellungen. Mit seiner heraldischen Maskierung werde nicht die Identität des Kämpfers dargestellt, sondern die seiner Familie. Der Kämpfer verliere vielmehr seine individuelle Identität und werde zum Vertreter seiner Ahnen. Meyer bietet mit diesen Anmerkungen eine Grundlage für einen interdisziplinären Diskurs. Wenn er dabei auch kaum mit archäologischen Funden argumentiert, so dürfte doch sein langjähriger archäologischer Hintergrund entscheidenden Anteil an dieser Perspektive haben:
Der Band bietet so einen bemerkenswerten interdisziplinären Blick auf das Phänomen der Ritterturniere. Er wird zu Recht großes Interesse bei Fachleuten und Mittelalter-Fans finden. Dass der Band ohne Fotos von modernen Ritterspektakeln und ohne Reenactment auskommt, sei besoders angemerkt.Obgleich der Band sehr anschaulich ist, geht es ihm nicht um die oberflächliche Rekonstruktion der Ritterrüstungen, sondern sehr viel tiefer gehender und Gewinn bringender um die Ritterturniere als ein soziales Phänomen.
Inhaltsverzeichnis
- Ritter, Burgen und Turniere - ein Überblick
- Drei Turnierberichte
- die Gewaltbereitschaft im Mittelalter
- Turnier und Fehde
- Bemerkungen zur spätmittelalterlichen Spielkultur
- Turniere im Jahresablauf
- Schwertleite, cirocinium und Ritterschlag
- Ursprünge und Anfänge
- Jenseitsvorstellungen und Ahnenverehrung im Turnierbrauchtum
- König Artus und seine Tafelritter an Turnieren
- Frauen an Turnieren
- Waffen - Bedeutung, Gebrauch und Entwicklung
- Turnei, Turniere und cornecimentum
- Tjost, hastiludium, stechen und rennen
- Der buhurt
- Quintanreiten und Ringstechen
- Sonderformen, vom Fotrstspiel zum Gralsturnier
- Das Turnier als Fest
- Helfer, Diener und Begleiter
- Verletzungen und Todesfälle
- Turnierkritik und Turnierverbote
- Kinderspiel und Waffentraining
- Der Zweikampf
- Der Schaukampf von 1428 in Basel
- Turniergesellschaften im Spätmittelalter
- Ausklang und Weiterentwicklung