Samstag, 1. April 2017

Kulturgut in Syrien und Irak, März 2017

Daesh/IS gerät immer stärker in Bedrängnis, nach den Kämpfen um Aleppo, Palmyra sind nun die Städte von Idlib, Mosul und auch Stadtteile im Osten von Damaskus, wo es vorher relativ ruhig geblieben ist. Damaskus war auch der Ort, an dem viele Objekte aus Syrien "in Sicherheit" gebracht worden sind. (Die Internetseite der syrischen Altertumsbehörde war am 30.3.2017 nicht mehr zuverlässig zu erreichen - deshalb laufen einige der unten angegebenen Links möglicherweise ins Leere).
Einige der  bislang verwendeten Quellen sind in den letzten Monaten weggebrochen, so z.B. die facebook-Seite Le patrimoine archéologique syrien en danger - https://www.facebook.com/Archeologie.syrienne/  oder
Auch die facebook-Seite des Nationalmuseums in Damaskus, die bis Mitte 2015 immer wieder - bisweilen durchaus propagandistische - Posts abgesetzt hat, ist seit langem still. Aktiv ist noch die facebook-Gruppe Archaeology in Syria - An eye over the WHL, wobei deren Website ebenfalls seit etwa einem Jahr auch keine Aktivitäten mehr zeigt. 

Eine Dokumentation der Maßnahmen und des internationalen Engagements zum Schutz des Kulturerbes bieten die Berichte Heritage for Peace. Der nun vorgelegte vierte Bericht bezieht sich auf den Zeitraum Oktober 2015 bis Dezember 2016. Hier ist unter den Reports und Databases auch Archaeologik aufgeführt.


Palmyra

1.3.2017
Erneutes Vordringen des russich-syrischen Militärs. Eingenommen wurde die Zitadelle und Gebiete im Westen der Stadt. Es bleibt zunächst unklar, ob das Ruinengelände bereits "befreit" ist.
Die russische Sicht:
Die inzwischen von Daesh zerstörte Bühne des Theaters von Palmyra
(Foto: M. Scholz, 1993)
2.3.2017
Die syrisch-russischen Kräfte haben Palmyra angeblich vollständig eingenommen. Daesh soll in der ganzen Stadt Minen deponiert haben.
3./4.3.2017
Erste Bilder aus der wieder befreiten antiken Stadt, aus der sich Daesh zwar zurückgezogen hat, deren Besetzung aber wegen Sprengfallen und Minen nur vorsichtig Schritt für Schritt erfolgt:



          Auf YouTube finden sich von RUPTLY mehrere Videos, die das Vordringen der syrischen Truppen zeigen:
          Russische Medien stellen die Rolle Russlands bei der Rückeroberung heraus:
          5.3.2017
          In Palmyra wird zu einem Pressetermin geladen.  Dabei entstehen Bilder mit Musikantinnen vor der zerstörten Bühnenwand des Theaters. Palmyra and Aleppo News Updates kommentiert auf facebook: "It is hard to dislike the photos of the musicians and surely the west will equal the absence of hijab with freedom and democracy but appearances are deceptive." Ein anderer Kommentar weißt darauf hin, dass die Berichte den Eindruck erweckten, Palmyra bestünde nur aus Archäologie und Sand, nicht aus Mesnchen.
          In einem Kommentar in The National, einer Zeitung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten wird die aktivere Rolle der USA bei der Rückeroberung herausgestellt:
          ab 6.3.
          "We were afraid and we expected the worst scenarios; luckily, the terrorists did not have enough time to carry out more crimes against the human heritage. Where we have not spotted any new damage so far in the Tomb of the Three Brothers, Temple of Bel, Temple of Nebo, Camp of Diocletian, the Straight Street, Agora and other monuments."
          Ein Militärführer von Daesh, Anführer Abu Hamid al-Sukhni wurde bei Kämpfen getötet. Er soll für die Zerstörungen in Palmyra verantwortlich gewesen sein.

                  Mosul

                  DIe irakischen Truppen dringen im Häuserkampf in den Westen von Mosul vor.
                  Unter dem von Daesh 2014 zerstörten Jonas-Schrein wurden die Reste eines assyrischen Palastes entdeckt. Entgegen der Medienberichte war die Fundstelle durchaus schon bekannt, doch war auf Ausgrabungen an der Stelle des Schreines verzichtet wurde. Als die irakischen Streitkräfte die Region östlich von Mosul zurück erobert haben, wurden zahlreiche Stollen entdeckt, mit denen Daesh den Palast hat plündern lassen. Es ist schwer zu bestimmen, was geraubt wurde und wie dramatisch die Zerstörungen der bislang weitgehend unbekannten Anlage sind.
                  Das Museum von Mosul wurde von irakischen Streitkräften eingenommen. Es seien nur noch Trümmer vorhanden.
                  "Zuvor hatten die irakischen Behörden mitgeteilt, dass einige der vernichteten Artefakte Reproduktionen gewesen seien. Man habe einige Originale nach Bagdad evakuieren können. ... Es wurde auch bekannt, dass die Terroristen einige Kunstgegenstände auf dem Schwarzmarkt verkauften." /RT today)
                  Die Universität Mosul
                  Verwiesen sei auf die facebook-Gruppe Monuments of Mosul in Danger,  die immer wieder Berichte aus der Stadt liefert.

                    Zerstörungen

                    Bakhira, 2010
                    (Foto: Jim Gordon [CC BY 2.0] via WikimediaCommons)

                    Idlib und das nordsyrische Kalksteinmassiv

                    Die syrische Altertumsbehörde postet Bilder, die Raubgrabungen und Steinraub in Bakhira, einer der toten Städte im nordsyrischen Kalksteinmassiv und Teil des UNESCO-Weltkulturerbes zeigen.

                    Die Region Idlib ist in den Händen der Oppositionskräfte. Nach dem Fall von Aleppo und Palmyra scheinen sich die Kämpfe dort nun zu verschlimmern.

                    Für Idlib ist die facebook-Präsenz des Idleb Antiquites Center [sic!] zu nennen 

                    Aleppo

                    In Aleppo gibt es erste Bestandsaufnahmen der Zerstörung. Zu nennen sind v.a. Posts der facebook-Gruppe Aleppo Archaeology und Berichte der DGAM.

                      Anschlags- und Morddrohungen gegen  Kulturprogramm in Babylon

                      Im Irak drohen radikale Gruppen den Verantwortlichen der Stätte Babylon mit Anschlägen und Mord, wenn dort weiterhin ein Kulturprogramm angeboten werde.

                      Terrorfinanzierung

                      Die Diskussion, inwiefern die Raubgrabungen und der Antikenhandel mit Terrorfinanzierung in Verbindung gebracht werden kann (und soll), hat erneut an Heftigkeit gewonnen. Ein Bericht über die Finanzierungslage des Daesh hatte im Februar festgestellt, dass keine Zahlen benannt werden können (Archaeologik 1.2.2017). Schon vor Jahren haben Stimmen gewarnt, die Verbindungen mit dem Terror zu stark herauszustellen, da sie natürlich nicht wirklich mit Beweisen hinterfüttert werden können und so die Glaubwürdigkeit leiden könnte. Anti-Terrormaßnahmen müssten auch nicht unbedingt den Interessen des Kulturgüterchutzes entsprechen (Archaeologik 9.8.2014, vergl. Der Beweis des Unbewieseneen. Archaeologik 28.11.2015).
                      Eine Resolution des UN-Sicherheitsrats vom 24.3.2017 betont hingegen die Rolle des Kulturgüterschutzes für den Kampf gegen den Terrorismus. Erstmals kam die UNESCO in diesem UN-Gremium direkt zu Wort. Außerdem gab es ein Statement der italienischen Carrabinieri, nachdem allein im letzten Jahr in Italien im Kampf gegen illegalen Kulturgüterhandel 800.000 Objekte sicher gestellt worden seine. 
                      Sehr gut zum Thema Raubgrabungen und Terrorfinanzierung:

                          Maßnahmen


                          Die Schaffung eines internationalen Fonds

                          Auf der UNESCO-Tagung  "Safe-guarding Endangered Cultural Heritage" in Abu Dhabi im Dezember 2016 war beschlossen worden, einen Fond für den Schutz bedrohten kulturellen Erbes einzurichten. Dafür sollen 100 Mio. US-$ zur Verfügung gestellt werden, wovon Frankreich alleine 30 Mio zugesagt hat. Mit dem Fond sollen  die weltweite Initiative "Unite for Heritage" und die Bemühungen der UNESCO zum Schutz von Kulturgut im bewaffneten Konflikt unterstützt werden (siehe http://archaeologik.blogspot.de/2017/01/morden-und-restaurieren-in-aleppo.html).  Jetzt fand in Paris ein Nachfolgetreffen statt, bei dem es darum ging, die Geldgeber zusammen zu bekommen.

                           

                          UN-Resolution


                          Im Kontext der oben genannten Sitzung des UN-Sicherheitsrates wurde Resolution Nr. 2347 verabschiedet, die Kulturgutzerstörung als Kriegsverbrechen einstuft. Dabei wird explizit auf das Urteil des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag um Zerstörungen von Weltkulturerbe in Timbuktu verwiesen (http://archaeologik.blogspot.de/2016/08/groere-aufmerksamkeit-fur-das.html)
                          Die Resolution wendet sich explizit auch gegen Plünderung und Schmuggel von Kulturgüterm.
                          Deplores and condemnsthe unlawful destruction of cultural heritage, inter alia destruction of religious sites and artefacts, as well as the looting and smuggling of cultural property from archaeological sites, museums, libraries,archives, and other sites, in the context of armed conflicts, notably by terrorist groups.


                            Exil und Weiterbildung

                            Das Beispiel des syrischen Archäologen Mohamad Fakhro, früher Vizedirektor des Nationalmuseums in Aleppo und Grabungsleiter in Tell Halaf, jetzt an der Universität Tübingen

                            Artefaktmarker

                            Internationales


                              online-Ausstellung des Gettys:

                              dazu eine Kritik

                              Palmyra-Ausstellung in Hannover

                              Bel-Heiligtum in Palmyra
                              von Louis-François Cassas (1756-1827)
                               (Wallraf-Richartz-Museum, Köln,
                              Inv.-Nr. Hittorff-Nachlass, Ba. 011)
                              (gemeinfrei, via WikimediaCommons)
                              Jetzt im Kestner-Museum. 2016 war die Ausstellung in Köln zu sehen (vergl. http://archaeologik.blogspot.de/2016/04/die-befreiung-von-palmyra-syrienirak-im.html).

                              Wiederaufbauplanungen für Aleppo

                              G7-Kulturgipfel in Florenz


                                Sonstiges


                                  Links

                                  frühere Posts zum Bürgerkrieg in Syrien auf Archaeologik (u.a. monatliche Reports, insbesondere Medienbeobachtung seit Mai 2012), inzwischen auch jeweils zur Situation im Irak

                                  Dank an diverse Kollegen für Hinweise und Übersetzungen.

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