Mittwoch, 7. September 2016

Das graue Band von Hohenmölsen

Während sich die Medien auf die haarsträubenden sensationsheischenden Pressemeldungen um die höchst spekulative Entdeckung des "Vaters der Himmelscheibe" stürzen, bleibt eine andere, wesentlich handfestere Entdeckung in Sachsen-Anhalt ziemlich unbeachtet. 
Sie kommt auf den ersten Blick auch reichlich unscheinbar daher: Ein schmutzig-graues, circa zwei Meter breites Band in einer Grabungsfläche.
Rettungsgrabungen des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt im Vorfeld des MiBRAG-Braunkohletagebaus haben im Bereich des schon in den 1990er Jahren geräumten Ortes Groß-Grimma unter anderem eine frühneolithische Siedlungsphase erfasst. Eine Siedlung deser Zeit ist keine Sensation mehr: Es gibt tausende von diesen Siedlungen des frühen Neolithikums (6. Jahrtausend v.Chr.), die von den ersten Bauern angelegt wurden. Nicht wenige dieser Siedlungen sind sogar ausgegraben, und trotzdem - oder gerade deshalb - sind weitere Grabungen wichtig: Sie helfen, regionale Besonderheiten zu erkennen und genauer auf die "Dorfökologie" zu schauen: Wie haben sich die Menschen in den Siedlungen organisiert, wie sah ihr soziales Zusammenleben aus und wie haben sie ihre Umwelt genutzt?

Das graue Band: Relikte bandkeramischer Landwirtschaft

Genau hier wird das graue Band interessant. Laut Pressebericht wurde ein ganzes Grabennetz mit einer Gesamtlänge von 500 Metern gefunden. Diese Befunde lagen in einer Tiefe von zwei bis drei Metern unter der heutigen Oberfläche. Die Kollegen vor Ort interpretieren diese Grabenstrukturen "als Spuren der Nutzung des Auenbodens im Tal der Grunau", die der Entwässerung des feuchten Talgrundes gedient haben sollen. In einer Pressemeldung gilt dies als erstmaliger archäologischer "Nachweis bewusster Melliorationsarbeiten [sic!] – und das 7.000 Jahre vor heute!"
Felder aus der Zeit der Bandkeramik sind tatsächlich eine Sensation.
Sollte sich die Datierung der Grabenbefunde durch OSL und 14C-Datierungen bestätigen, gehört der Befund zu den ältesten Ackerrelikten, die bisher bekannt geworden sind und ist schon deshalb extrem wichtig. Erstmals gibt es hier Möglichkeiten, zu erforschen, wie die ersten Bauern ihre Felder bestellt haben und welches Know-How sie über die Balkanroute mit nach Europa brachten.

Hier wartet man gespannt auf die Publikation, die hoffentlich genauere Informationen über die Sedimente, mögliche Pollen- oder Phytolithenanalysen aus der Verfüllung, sowie einen Gesamtplan und eine Rekonstruktion der alten (ausnahmsweise noch erhaltenen?) Oberflächen enthält, der vielleicht eine Parzellierung erkennen lässt. Es ist eine wichtige Frage, ob die Gräben tatsächlich als bewusste Meliorationsarbeiten zu verstehen sind. Prinzipiell wäre zu prüfen, inwiefern es sich auch um ausgespülte Feldraine handeln könnte. Oder ob man nicht vielmehr angeschwemmte Bachsedimente zur Düngung der Felder genutzt hat.
Untersuchungen von Biomarkern könnten Aufschluss geben, wie die Felder gedüngt wurden, was angebaut wurde. Ob das Vieh der frühen Bauern zur Düngung der Felder ausgereicht hat, scheint fraglich, wie die Dynamiken der Bäche im Frühneolithikum ausgesehen hat, ist weitgehend unerforscht. Immerhin muss man davon ausgehen, dass die Bodenerosion auf den Hängen und die Sedimentation in den Tälern (und damit der potentielle nährstoffreiche Boden) eher gering waren.

Chance Braunkohletagebau

Die Chancen auf solche Befunde wie in Hohenmölsen sind selten. In der Regel wurden seit der Linearbandkeramik die alten Oberflächen aberodiert, so dass nur die Tallagen eine Möglichkeit bieten, dass sich einschlägige Befunde erhalten haben. Zudem sind solche befunde nur schwer aufzufinden. Unter den Bedingungen des Braunkohletagebaus im Rheinland, wo sich RWE billigst vom Verursacherprinzip freigekauft wird, ist man kaum in der Lage, solche wichtigen Befunde zu erkennen und angemessen zu untersuchen. In Sachsen-Anhalt werden die Grabungen durch die MiBRAG finanziert und ermöglichen eben auch eine großflächige systematische Untersuchung scheinbar leerer und siedlungsungünstiger Flächen in den Tallagen.


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1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ja, so ist das nunmal. Das goldene Band von Hohenmölsen hätte eine echte Chance als Konkurrenz zum "Mellerteller" und allem, was dort im Umfeld danach riecht wahrgenommen zu werden. Ein graues Band ist nicht vitrinentauglich und hat wenig Chancen auf Einzug in einen Bildband. Wäre das nicht so, müsste sich Archäologie nicht mehr erklären und gäbe es keine Funde wie die Himmelsscheibe, gäbe es vielleicht aber auch gar kein Geld für derartige Feldforschung. Die Wissenschaft muss erklären, warum graue Bänder wichtig sind, was hier aus meiner Sicht plausibel und interessant dargestellt wird. Dies ist für die Archäologie existenziell!.Ich habe nur die Befürchtung, die Entdeckung reicht nicht für einen beachteten Vierfarbendruck.