Montag, 1. August 2016

Kulturgut in Syrien und Irak, Juli 2016

Der monatliche Rückblick auf die Entwicklung der Situation archäologischer Kulturgüter in Syrien und Irak im Spiegel von Medienberichten.

Bombenanschlag in Bagdad, 3.7.2016
(Foto: http://www.tasnimnews.com/ar [CC BY SA 4.0]
via Wikimedia Commons)
 
Der Terroranschlag vom 3.Juli in Bagdad (wikipedia) mit mehr als 200 Todesopfern zeigt, dass mit den territorialen Erfolgen gegen Daesh nicht automatisch Frieden einkehrt. Er verweist aber auch  wieder einmal auf die Frage, warum es angesichts dieser Todesopfer dennoch oder gerade Sinn macht, sich für das Kulturgut des Landes zu interessieren und sich einzusetzen. In einer Nachlese der Internationalen Syrien-Konferenz in Berlin liefert die syrische Architekturstudentin Zoya Masoud dazu einige Gedanken aus der Sicht der betroffenen Länder. Kulturgut ist für sie ein Element, das eine gesellschaftliche Neubestimmung befördert und Orientierung schafft. „Es gibt ein ökonomisches Potential, das viele vergessen, die über Kulturgutschutz reden. Natürlich geht es um Tourismus als Einnahmequelle in der Zukunft. Aber auch um Wissen. Das Deutsche  Archäologische Institut etwa bildet Flüchtlinge zu Handwerkern aus, damit sie die historischen Gebäude schützen  können.“

Restaurieren oder Konservieren ist in Palmyra auch eine politische Frage. Ein blosses Konservieren würde die Schäden durch Daesh erhalten und könnte als Mahnmal, aber auch als Erfolg von Daesh gewertet werden:

Schadensmeldungen


    Aleppo. Am 11. Juli wurde im Rahmen der erneuten Kämpfe, bei denen das syrische Militär die Zivilbevölkerung eingekesselt hat, das bislang weitgehend unversehrte, am Stadtrand liegende Museum beschossen. Das Dach wurde schwer beschädigt. Beim Jahretreffen der UNESCO in Istanbul, das vom dortigen Putschversuch überschattet wurde, wurde diese Kulturgutzerstörung wie üblich verurteilt:
    Erneut wurde das Museum am 24.7. getroffen. Dabei wurde die Fassade zerstört.

      Maßnahmen

      In Großbritannien steht zwischen all dem Brexit-Chaos derzeit eine Umsetzung der erst spät ratifizierten Konvention von Den Hague an. Großbritannien hatte sich angesichts der Aktivitäten von Daesh zu einer Unterschrift entschlossen und muss nun die Regelungen der Konvention in nationales Recht umsetzen. Trotz des Anstoßes, den Daesh gegeben hat, blendet der aktuelle Gesetzesentwurf jedoch nicht-staatliche Kriegsparteien aus.

      Praktische - bislang einigermaßen erfolgreiche - Schutzmaßnahmen in Maarat al Numan mit zahlreichen römischen und byzantinischen Mosaiken:
      Tagungen
      Ein neuer internationaler Archäologie-Preis International Archaeological Discovery Award soll nach dem durch Daesh-Terroristen ermordeten Archäologen Khaled al-Asaad benannt werden. Der Preis, der von verschiedenen europäischen populärwissenschaftlichen Zeitschriften wie der Antiken Welt gestiftet wurde, würdigt übrigens nicht eine wissenschaftliche Erkenntnis, sondern lediglich einen herausragenden Fund. Vergeben wird der Preis erstmals im Oktober bei der Mediterranean Exchange of Archeological Tourism (BMTA) in Paestum/Italien:
      Die Krise in Syrien war in Bezug auf das Kulturerbe Thema einer Veranstaltung am Europäischen Parlament in Straßburg:
      Tagung in Cottbus
        UNESCO-Sitzung in Istanbul. Uruk im Irak wurde auf die Liste des Weltkulturerbes gesetzt, ansonsten wurde - abgesehen von der Verurteilung des Angriffs auf das Museum in Aleppo (s.o.) - das Kriegsgebiet in Syrien und Irak offenbar kaum thematisiert.
        Digitalisierung

                Publikationen

                • Maamoun Abdulkarim/ Lina Kutiefan (Hrsg.): Syrian Archaeological Heritage. Five Years of Crisis 2011 - 2015 (Damascus 2016). [ohne ISBN]
                Das Buch ist eine Neuauflage der früheren Dokumentation, die die Jahre bis 2013 behandelte. Es handelt sich um einen Bericht aus den verschiedenen Regionen und inhaltlichen Arbeitsbereichen der syrischen Altertumsbehörde DGAM, der zugleich eine Dokumentation der bekannt gewordenen Schäden ist. Die Angaben dazu sind vielfach sehr knapp, was daran liegt, dass viele Objekte in umkämpften Gebieten nicht begutachtet werden konnten. Allerdings fehlen auch Angaben zum Zeitpunkt der Beschädigung/Zerstörung.  Der Band steht unter http://www.dgam.gov.sy/archive/docs/File/downloads/Book_en_2016.pdf als  pdf  zum Download. Leider sind viele Abbildungen nur mit schlechter Auflösung enthalten.
                dazu: http://www.dgam.gov.sy/index.php?d=314&id=1998

                • Horst Bredekamp: Das Beispiel Palmyra (Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König: 2016)
                Dazu eine Rezension bei restauro: https://www.restauro.de/bredekamp-palmyra/
                Laut Verlagsinfo plädiert Bredekamp "für eine neue Perspektive des Wiederaufbaus: die kämpferische Rekonstruktion". Er begründet dies damit, dass "die Unterscheidung von Menschen und Monumenten angesichts einer Praxis, die Menschen als lebendige Bilder und Bilder als lebendige Feinde vernichtet, nicht mehr trennungsscharf zu vollziehen ist."

                Eine Bibliographie zum Thema hat ASOR online:
                 Eine Auseinandersetzung mit der Rolle des Daesh (ISIL) im internationalen Antikenhandel. Er untersucht das Volumen des Handels und schafft im vergleich mit dem illegalen Handel mit Kulturgütern aus Kambodscha einen theoretischen Rahmen, vor desen Hintergrund offizielle Akteure, wie Museen, Auktionshäuser und private Sammler als die treibende Kraft hinter Antikenhehlerei und Raubgrabungen identifiziert werden. Der Artikel stellt außerdem dar, wie der Handel seine Rolle herunterspielt. Er empfiehlt mit Blick auf die USA, dass der Antikenmarkt verstärkt geheimdienstlich beobachtet und aufgeklärt wird und die gesetzlichen Möglichkeiten der Terrorbekämpfung gegen den Antikenhandel ausgeschöpft werden.
                "On 13 November, 2015, ISIL members killed nearly 130 people, and wounded hundreds more, on a Friday night in Paris, France. Considering counterterrorism experts’ cost estimates for previous attacks in Europe, the Paris operation likely cost no more than 20,000 (US Dollars). This is less than ISIL makes in a single day by trafficking antiquities."

                  Medienberichte

                  Vorher-Nachher- Fotogalerien

                  Interviews


                  Daesh

                  7.7.2016: Um im Gespräch zu bleiben liefert Daesh ein Video zur Zerstörung des Museums in Palmyra nach:
                  7.7.2016: Anschlag auf ein schiitisches Heiligtum in Balad nördlich von Bagdad. Die Zahl der Todesopfer wurde von anfänglich 25 rasch auf rund 50 korrigiert. Den Medienberichten ist wenig über das Heiligtum zu entnehmen, wo es doch - nicht nur im Hinblick auf das Kulturgut - sicher nicht unwesentlich ist, genauer zu beleuchten, welche Anschlagsziele sich Daesh aussucht. Das Heiligtum beherbergt den Schrein des Muhammad ibn Ali al-Hadi, der 868 in Samarra den Märtyrertod gefunden ahben soll. Das Heiligtum war 2006 schon einmal mit Bomben attackiert worden. Bilder des jetzigen Anschlags zeigen ein Feuer im Markt im Eingangsbereich; inwiefern das Heiligtum selbst Ziel war, blieb zunächst unklar.
                  Daesh hat nun eigene Münzen aus Gold und Silber geprägt, wie 2014 bereits angekündigt. Im Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster wurden die historischen Bezüge der Daesh-Währung analysiert.
                  In der Türkei führt in Grenznähe zu Syrien der ausbleibende Tourismus zu einer Vernachlässigung des kulturellen Erbes::

                         

                        Links

                        frühere Meldungen zum Bürgerkrieg in Syrien auf Archaeologik (u.a. monatliche Reports, insbesondere Medienbeobachtung seit Mai 2012), inzwischen auch jeweils zur Situation im Irak

                        Dank an diverse Kollegen für Hinweise und Übersetzungen.

                          Keine Kommentare: