Samstag, 2. April 2016

Die "Befreiung" von Palmyra (Syrien/Irak im März 2016)

Ende März wurde die Oase von Palmyra von syrischen Regierungstruppen von Daesh zurück erobert.
Palmyra war im Mai 2015 von Daesh erobert worden, gefolgt von Massenhinrichtungen, dem Mord an dem Archäologen Khalid al-Asaad sowie gezielter Zerstörungen der antiken Hinterlassenschaften. Der vor allem Nordsyrien betreffende Waffenstillstand zwischen syrischer Regierung und oppositionellen Kräften, hat nun dem Assad-Regime die Möglichkeit gegeben, verstärkt gegen Daesh vorzugehen.

Erste Meldungen über die Rückeroberung der Ruinenstadt erschienen am 24.3.2016, doch gingen die Kämpfe insbesondere im modernen Stadtgebiet und am Flugplatz der Stadt noch am 26.3. weiter. Am 27. war dann von 400 toten Daesh-Kämpfern und der vollständigen Rückeroberung die Rede. Den Meldungen ist wenig über die Bewohner Tadmors zu entnehmen, die Daesh vor der Rückeroberung 'zur Flucht aufgefordert', evakuiert oder gar entführt hatte.

einige Links
Bei den Angaben, welche Truppen an den Kämpfen um Palmyra auf syrischer Seite beteiligt waren, gibt es unterschiedliche Angaben. Die USA hatte Meldungen über russische Luftunterstützung widersprochen. Die Rede ist auf einer australischen Website auch von iranischen Spezialeinheiten, die an der Offensive gegen Daesh beteiligt gewesen sein sollen.

Die syrische Armee will Tadmor als Operationsbasis für einen weiteren Vormarsch nach Osten nach Rakka und Deir-ez-Zor nutzen. Im Irak rücken derweil Truppen gegen Daesh in Mosul vor.

Schäden

Zerstörungen im Museum von Palmyra
(Foto: DGAM [CC BY SA 4.0]
via http://dgam.gov.sy/index.php?d=314&id=1957)
Erste Bilder aus Palmyra von DGAM: Außer den durch Daesh propagandistisch in Szene gesetzten Zerstörungen scheinen die übrigen Ruinen weitgehend unbeschädigt.



Zerstörungen in Palmyra durch Daesh (rot) und frühere Zerstörungen durch militärische Aktivitäten der syrischen Armee
Destruction in Palmyra by Daesh (red) and earlier destruction by military activities probably of the Syrian army (yellow), damage during military campaign against Daesh (light yellow)


Weitere Bilder aus der Stadt zeigen Verwüstungen im Nationalmuseum mit antiken (originalen?) Statuen, aber auch Zerstörungen, die durch Beschuss erfolgt sind. Die DGAM hatte alle beweglichen Funde vor dem Einmarsch von Daesh noch in Sicherheit gebracht, doch konnten größere und an den Wänden montierte Plastiken und Reliefs nicht evakuiert werden. 

    Schwere Schäden scheint es infolge der Kämpfe um die Zitadelle zu geben:
    Die Einschätzung der Schäden fällt höchst unterschiedlich aus. DGAM ist positiv überrascht, andere Archäologen sind schockiert:
    Letzterer Artikel konstatiert, Daesh hätte in seinen Kulturgutzerstörungen in Palmyra in den letzten Monaten nachgelassen. Laut Mahmood Abdulkarim, dem Leiter der Alterumsbehörde DGAM hätten sich Einwohner gegen die Zerstörung gestellt. Für sie sei die Ruinenstadt nicht nur ein Schatz, sondern eine Säule der lokalen Identität. “I think Daesh understood very strongly that if they continued to destroy buildings, they would be attacked by the local community.” Ich kann die lokale Wertschätzung der Ruinen für die lokale Bevölkerung - abgesehen davon, dass vor dem Krieg ca. 150.000 Touristen jährlich die Stadt besucht hätten - nicht einschätzen. Vielleicht ist das Wunschdenken: vergl.  Die Zerstörung des alten Palmyra - 1929. Archaeologik (28. Dez. 2015). Vielleicht hatte sich die Kulturgutzerstörung im Augenblick als Propagandamittel für Daesh nur abgenutzt?

    Wichtig erscheint der Hinweis, dass mit der Rückeroberung Palmyras dessen Bedrohung und Zerstörung keineswegs gestoppt sind.  Schon vor Daesh gab es Bilder aus der Stadt, die Uniformierte beim Verladen von Grabrelief zeigten. Plünderungen sind kein Alleinstellungsmerkmal des Daesh. Gerade die palmyrenischen Grabreliefs werden von Pseudo-gebildeten Sammlern gerne als schickes Accessoire ins Wohnzimmer gestellt.
     


    Der am 23.8.2015 gesprengte Tempel des Baal Schamin, 1993
    (Foto: M. Scholz)

    Reaktionen & Propaganda
    Die Reaktionen und Deutungen der Rückeroberung sind voll politischer Propaganda:
    Zweifellos stärkt die Rückeroberung das Assad-Regime.
    Russische Medien feiern die Befreiung als vorrangig russischen Erfolg, den nun auch der Westen anzuerkennen hätte

    Verständlicherweise reagiert der Westen zurückhaltender:

    Irina Bokova, Generaldirektorin der UNESCO begrüßt die Rückeroberung
    Ob die Begrifflichkeit der "Befreiung" aus Sicht der Einwohner des modernen Tadmor zutreffend ist, mag man im übrigen bezweifeln. Auch scheint es mehr als zweifelhaft, dass die Rückeroberung ein Sieg der Menschenrechte darstellt, wie ein unglücklich formulierter twitter-Post von Irina Bokova impliziert:




    Eines fällt mir negativ auf (Stand 27.3., ich hoffe auf die kommenden Tage): Kaum irgend welche Nachrichten aus Palmyra geben Auskunft über die Einwohner Tadmors. Die Stadt soll bei der Rückeroberung weitgehend leer gewesen sein. Daesh hatte die Bewohner vor Tagen "evakuiert" (laut http://aranews.net/2016/03/isis-fights-back-palmyra/). Stellt sich die Frage, ob, wie und wo die Einwohner überlebt haben oder ob sie nicht vor den Assad-Truppen trotz IS-Terror lieber in deren Gebiete geflohen sind? Stattdessen wird viel über den Wiederaufbau der Ruinen geredet. Da scheinen mir die Prioritäten dann doch etwas fragwürdig. Dass es durchaus Tradition vor Ort hat, dass Ruinen vor Menschen gehen (http://archaeologik.blogspot.de/2015/12/die-zerstorung-des-alten-palmyra-1929.html), macht die Sache nicht besser. 

    Die  eingehendste Analyse stammt bislang von der ARD-Korrespondentin Cornelia Wegerhoff, die nun auch auf das Schicksal der Bewohner und die propagandistische Bedeutung der "Befreiung" verweist.  
    In diesem Kontext auch:

    Die Frage von Restaurierung und Rekonstruktion

    Die syrische Altertumsbehörde kündigte noch am Tag der Rückeroberung eine Inspektion mit UNESCO; ICOMOS und ICCROM (International Centre for the Study of the Preservation and Restoration of Cultural Property) an sowie Planungen für einen Wiederaufbau.
    2,7 Mio € für den Wiederaufbau stehen via UNESCO bereit:
    Der italienische Außenminister Paolo Gentiloni fordert laut der staatsnahen russischen Nachrichtenagentur TASS eine größere Rolle der UNESCO beim Wiederaufbau Palmyras. "It could be an opportunity for culture-sector peacekeepers to seek more active role of UNESCO when this city of incredible importance is liberated."
    Auch Großbritannien möchte mitmachen:

      ASOR bereitet eine Bestandaufnahme auf Basis der neuen Bilder vor:
      Eine Einschätzung von russischen Archäologen
      Dass Russland politische Interessen am Wiederaufbau von Palmyra hat, zeigt sich darin, dass Putin sich persönlich dafür einsetzt
      Die Frage des Wiederaufbaus
      nachdenkliche Stimmen:

       
      weitere Reaktionen und Einordnungen

       

            Neue Pressemeldungen und Medienberichte  zu Syrien und Irak


              DAI nimmt nach 14 Jahren Unterbrechung Feldarbeiten im Südirak wieder auf

              Schadensmeldungen

                Bilanz in Mosul

                    Raubgrabungen und Antikenhehlerei

                    Kriegs- und Terrorfinanzierung durch Blutantiken

                    Neill Brodie konstatiert zunehmenden Realismus in der Wahrnehmung der tatsächlichen Rolle der Raubgrabungen für die Finanzierung von Krieg und Terror, indem neben Daesh auch die anderen Kriegsparteien verstärkt wahrgenommen werden:

                    Maßnahmen und Aktionen


                    Palmyra – Was bleibt? Louis-François Cassas und seine Reise in den Orient. - Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum Köln mit Graphiken zu Palmyra
                    Der französische Künstler, Archäologe und Architekt Louis Francois Cassas hat im Jahre 1785 die Ruinen von Palmyra in rekonstruierenden Ansichten, aber auch in Schnitten dokumentiert.   

                    Fassadenaufriss des Bel-Heiligtums in Palmyra von Louis-François Cassas (1756-1827), Ansicht von Norden, Tuschefeder in Schwarz, laviert, 1785 (Wallraf-Richartz-Museum, Köln, Inv.-Nr. Hittorff-Nachlass, Ba. 011)
                    (gemeinfrei, via WikimediaCommons)

                    Ein Blogpost von Neill Brodie geht der Frage nach, inwiefern Medienberichte die politischen Aktionen gegen Raubgrabungen beeinflussen. Er greift ein Blogpost von Christopher Jones auf, der postuliert hat, dass Medienberichte die Raubgrabungsaktivitäten förderten:
                    Italien unterstützt die Polizei im Irak durch Ausbildung zu den Feldern Antikenhehlerei und Raubgrabungen:
                    wieder ein Versuch, die Händler einzubinden
                    UNESCO-Erklärung
                     Appell des Direktors der Syrischen Alterumsbehörde DGAM Maamoun Abdulkarim
                    3D

                    Technische Uterstützung für syrische Kollegen hat sich http://iconem.com/syria/ vorgenommen. ICONEM "is a young Paris based start-up focused on 3D reconstruction and analysis of endangered archaeological sites, which are part of our common heritage. To prevent destruction caused by conflict, looting or natural disasters, we send teams on the ground to train people and help them document their heritage." Die neue Homepage drückt die Kontakte zur syrischen Altertumsbehörde durch deren Logo auf der Startseite aus.

                    Ein tschechischer Beitrag zur Dokumentation der Schäden in Mosul:

                          Links

                          Änderungsvermerk: Links korrigiert 2.4.2016

                                Keine Kommentare: