Mittwoch, 20. April 2016

Archäologie im Vergnügungspark: Eindrücke vom 81. Jahrestreffen der Society for American Archaeology in Orlando, Florida

Beitrag von Detlef Gronenborn

Zunehmend wird im letzten Jahrzehnt die Jahrestagung der Society for American Archaeology (SAA) auch von europäischen Kolleginnen und Kollegen besucht, dies mittlerweile auch im Zuge engerer offizieller Kontakte zwischen der European Association of Archaelogists (EAA) und der SAA, aber auch der Society of Africanist Archaeologists (SAfA). So gelingt es, zumindest strukturell, die verschiedenen Archäologien Afroeurasiens und beider Amerikas enger zusammenzuführen. Freilich bleiben die individuellen kulturgeschichtlichen Entwicklungen auf den jeweiligen Kontinente im Vergleich miteinander ebenso faszinierend.

Bei Walt Disney unter Palmen

Zu ihrem 81. Jahrestreffen hat sich die ehrwürdige SAA ein bislang noch nicht gewähltes Tagungszentrum ausgesucht, das Dolphin Hotel auf dem Gelände der Walt Disney World bei Orlando in Zentral-Florida.

Für manchen war diese Ortswahl problematisch, in erster Linie wohl auch aus finanziellen Gründen, denn die Übernachtungspreise im Tagungshotel wie auch den angebotenen umliegenden Hotels waren zum Teil erheblich. Wer weiter entfernt unterkam, musste mit dem Auto anfahren und Parkgebühren zahlen. Auch mag die zwar schön gestaltete aber auch völlig künstliche und abgeschlossene Resort-Landschaft nicht jedem angenehm gewesen sein. Für Lebensmitteleinkäufe musste man jedenfalls etliche Kilometer fahren, oder war auf die recht hochpreisigen Angebote im Hotelbereich angewiesen. Insgesamt schienen, gerade für europäische Tagungsteilnehmer, die Wahl von Tagungsorten im urbanen Bereich wie etwa in Austin, Texas (2007, 2014) oder Vancouver, British Columbia, Kanada (2008) aufgrund der dichteren Infrastruktur glücklicher. So waren in Florida nach Angaben der SAA 3,577 Tagungsteilnehmer zu verzeichnen.
Unter den Palmen Floridas fand sich vom 6. bis 10. April 2016 die Society of American Archaeology zu ihrem 81. Jahrestreffen zusammen.
(Foto: D. Gronenborn)

President’s Forum

Neben einigen Vorprogrammen setzte die Tagung am 6. Abends mit der Opening Session ein, dem President’s Forum, das dieses Jahr dem Thema „Climate Change and Archaeology“ gewidmet war. Vor den eigentlichen Vorträgen wurde von der derzeitigen Präsidentin, Diane Gifford-Gonzales (Emerita an der University of California Santa Cruz mit Schwerpunkt Zooarchäologie und Archäologie Ostafrikas) im Namen der Tagungsteilnehmer und der Organisation eine Respektsbezeugung gegenüber den Indigenen von Zentral-Florida ausgesprochen.

Das President’s Forum bestand dann aus einer Reihe von Vorträgen, eigentlich Diskussionsbeiträgen, namhafter mit Klimaforschung befasster Kolleginnen und Kollegen. Die Themen waren entsprechend vielfältig, einige der Vorträge jedoch etwas oberflächlich. Deutlich wurde allerdings, dass die Klimaarchäologie weiterhin ein wichtiges Thema in der globalen Archäologie sein wird, auch wenn es nicht nur in Europa vielfältige Gegnerschaft gibt.

Aus den Sektionen

Ab Donnerstag früh um 8:00 bis einschließlich Sonntag morgen 12:00 liefen die diversen Sektionen, Diskussionsforen, Symposien und Roundtables, abends auch die für die SAA so typischen von Vereinen oder Universitätsinstituten organisierten Parties. Letztere, wie auch die stets sehr lebendige cash bar am frühen Abend bieten gute Gelegenheit zur individuellen Diskussion und zum networking, denn innerhalb der Sektionen sind die Vorträge eng getaktet und Diskussionen sind selten möglich.

Da es einer Einzelperson, die ja auch direkt eigene wissenschaftliche Interessen verfolgt, kaum möglich ist, alle Veranstaltungen zu kommentieren, hier nur Bemerkungen zu den persönlich länger besuchten:

Donnerstag morgen stand da zunächst das Syposium zu den Hopewell Ceremonial Landscapes auf dem Programm, unter anderem mitorganisiert von Friedrich Lüth (DAI Berlin). Aus eigenen Schultagen im Mittelwesten wohl vertraut mit der Archäologie der Hopewell, war es interessant zu sehen, welche Möglichkeiten in dieser stark agrarisch überprägten Landschaft die großflächigen Prospektionsmethoden bieten.
Am Nachmittag stand dann das Symposium zu den „’Skull Cults’ amongst Hunter-Gatherers“ an, in dem eine Reihe von archäologischen und ethnographischen Vorträgen aus Eurasien und Nordamerika das Themenfeld umfangreich beleuchtete. Besonders im Gedächtnis – allerdings aus individuellem Interesse – blieb der Vortrag von Frederik Hallgren über mesolithische Schädeldeponierungen in Schweden und den noch nicht publizierten aber referierten DNA-Untersuchungen dazu. Diese Ergebnisse werden für die holozäne Humangeschichte Europas bedeutungsvoll werden.

Am Donnerstag abend stand dann das von mir mit organisierte Symposium zu neuen Ansätzen der Klimaarchäologie in Europa statt, was hier jedoch unkommentiert bleiben soll. Wir waren angesichts des Interesses zu abendlicher Zeit und an eigentlich abgelegenem Raum sehr zufrieden.

Vom Freitag Morgen ist von einem Symposium mit dem Titel „Terraforming and Monumentality in Hunter-Gatherer-Fisher Landscapes“ zu berichten, in dem diverese Befunde von künstlichen Muschelgärten bis zu Befestigungen und Ritualmonumenten in aneignenden Gesellschaften vorgestellt wurden. Besonders zu Fragen von Agglomerationsprozessen wurden anregende Beiträge von der Nordwestküste, aber auch dem Mississippi-Tal und Japan gegeben.

Der Nachmittag war dann einer langen Sektion zur afrikanischen Archäologie gewidmet in der die aktuellen Forschungsergebnisse beginnend vom Early Stone Age bis zum 19. Jahrhundert vorgestellt wurden. Zwar war das mit fünf Stunden Dauer kein Parforceritt, aber dennoch umfangreich und vielfältig.

Das m. E. eindrucksvollste Symposium war das von Nicole Boivin, ab Juli 2016 Direktorin für die Abteilung Archäologie am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, und Mary Pendergast (Saint Louis University, Madrid Campus) organisierte, mit dem Thema „Biological Exchange in the Anthropocene: Archaeological and Genetic Perspectives“. Hier wurden die Ergebnisse des auslaufenden Sealinks-Projektes (http://www.sealinksproject.com/) aus archäologischer wie auch bioarchäologischer Sicht vorgestellt. Es ging unter anderem um die Ausbreitung der Ratte, um die Besiedlung Madagaskars, um die Pest, aber auch um die Veränderung der microbakteriellen Flora im menschlichen Darm im Zuge der Globalisierung. Letzteres war meisterhaft vorgetragen von Christina Warinner von der University of Oklahoma.

Ein Blick in die Zukunft

Neben den ausführlicher dargelegten Symposien wurden auch noch etliche andere zumindest kurz besichtigt, um einen breiten Eindruck der Gesamtveranstaltung zu bekommen. Schließlich ist es für Europäer interessant, den Blick über den Nordatlantik zu richten, auch um eine Idee zu bekommen, wie sich das Fach global in den nächsten Jahren entwickeln könnte. Allerdings verblieb der leise Eindruck, dass die innovativste Forschung zur Zeit aus Europa kommt. Die Nordamerikanische Archäologie befindet sich seit einigen Jahren auf einem Rückzug von einer ehedem stark theoretischen Ausrichtung und versucht, sich auf das Studium materieller Kultur zu besinnen, oder aber Aspekte der britischen post-prozessualen Archäologie aufzugreifen, gelegentlich gar Ideen – eher allerdings unbewusst – des deutschen Historismus. Mit Anerkennung wird zudem die europäische, auch deutsche, archäogenetische Forschung betrachtet, und junge deutsche Genetiker konnten Professuren in Nordamerika besetzen. 

Zusammenfassend kann man daher vorsichtig formulieren, dass in den nächsten Jahren die Rolle von Klima und Umwelt in den Analysen weiter steigen wird, ja insgesamt die Bioarchäologie, insbesondere sicher die Genetik. Letztere wird wohl weiterhin mehr und mehr Deutungshoheit, zumindest beim Verfassen einer Geschichte der longue durée, erhalten. Noch wenig beachtet, zumindest auf dieser Veranstaltung, war hingegen die mathematische Simulation historischer Prozesse. Das alles sind jedoch freilich nur Eindrücke, ja Ahnungen, einer Einzelperson, die längst nicht das gesamte Spektrum der Veranstaltung aufnehmen und bewerten konnte. Dennoch, wissenschaftlich lohnend war es wieder einmal, auch zur Erweiterung des Horizontes.


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Bearbeitungsvermerk (20.4.2016): Nachtrag Teilnehmerzahl

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