Donnerstag, 23. Januar 2014

Ökologische Ansätze in der Archäologie ländlicher Siedlungen des Mittelalters

Soeben erschienen:
  • R. Schreg, Ecological Approaches in Medieval Rural Archaeology. European Journal of Archaeology 17(1), 2014, 83-119
    DOI 10.1179/1461957113Y.0000000045

    [Die EAA und Maneys bieten regulär leider kein Open Access].

In den vergangenen Jahren haben neue Methoden der Bio- und Geoarchäologie innerhalb der Altertumswissenschaften zunehmend an Bedeutung gewonnen. Politische Veränderungen seit den 1990er Jahren haben die archäologische Wissenschafts-Community verändert. Zugleich sind Umwelt-Themen in der Gesellschaft immer wichtiger geworden, doch fehlt den entsprechenden Debatten meist die zeitliche Tiefe. Bezogen auf die Archäologie ländlicher Siedlungsräume des Mittelalters ist es an der Zeit, darüber zu reflektieren, welche Konsequenzen sich daraus für die archäologische Forschung ergeben
und wie ökologische Ansätze sich mit dem Selbstverständnis des Faches als historischer Disziplin vereinbaren lassen.

Der Artikel geht auf mein Keynote-Referat beim Medieval Europe Research Congress 2012 in Helsinki zurück. Meine Aufgabe war es, eine gewisse Bilanz und Perspektiven der Siedlungsarchäologie des Mittelalters zu skizzieren. Ich habe mich dafür entschieden, dies nicht durch ein Review der Grabungstätigkeiten der vergangenen Jahre zu machen, sondern eher theoretisch anzugehen und zu fragen, welche Perspektiven sich aus einer eher umwelthistorisch oder ökologischen Perspektive ergeben.
MERC 2012 wurde im Rahmen der Tagung der European Association of Archaeology abgehalten. Auf Wunsch der anonymen Reviewer wurden gegenüber der Vortragsfassung die Fallbeispiele jedoch etwas auführlicher gehalten.

Ziel des Artikels ist es, ausgehend von den Fallstudien, auf komplexere ökologische Fragestellungen in der Landschaftsarchäologie hinzuweisen. 

Fallstudie:
Stubersheimer Alb
(Foto: R. Schreg)
Fallstudie: Würzbach
im Norschwarzwald,
geoarchäologischer Schnitt
(Foto: R. Schreg)
Die Forschungen im Geislinger Talkessel und auf Stubersheimer Alb sowie die Arbeiten in der Wüstung Würzbach im Nordschwarzwald dienen dazu, die Zusammenhänge und Fragestellungen zu entwickeln. Auf dieser Basis wird das Konzept des Dorfökosystems skizziert. Die Beispiele zeigen die Interaktion verschiedener Faktoren, die kaum allein aus sich heraus, wohl aber als Teil eines spezifischen Humanökosystems verstanden werden können. Die Analyse solcher Humanökosysteme setzt die Beschäftigung mit eng umgrenzten Räumen, etwa einzelnen Siedlungen oder Siedlungskammern voraus, die mittels kombinierter archäologischer, geographischer und historischer Quellen und Methoden zu untersuchen sind. Eine zweite Voraussetzung liegt in der Betrachtung längerer Zeiträume. Zu vermeiden ist eine Meistererzählung von Aufstieg und Untergang oder die bloße Darstellung zeitlicher Koinzidenzien. Wir brauchen vielmehr klare Vorstellungen darüber, wie die höchst unterschiedlichen Faktoren und Akteure zusammengewirkt haben. Ein ökologischer Ansatz ist eine Möglichkeit dazu.


Das Dorfökosystem bezieht sich auf kleinere agrarisch wirtschaftende Gemeinschaften, die typischerweise durch eine Dorfgemeinschaft repräsentiert werden. Ich möchte den Begriff des Dorfökosystems aber nicht auf das typische spätmittelalterliche Dorf begrenzen, sondern weiter fassen, um einen größeren chronologischen, wie kulturellen Kontext zuzulassen.

Die Dorfgenese während des Mittelalters und die Krise des Spätmittelalters werden beispielhaft aufgegriffen, um Hypothesen und Fragestellungen aufzuzeigen. Dabei hilft beispielsweise die Perspektive des Dorfökosystems, sehr unterschiedliche Ansätze der Wirtschaftsgeschichte, der Humanökologie und der Umweltgeschichte aufeinanderzu beziehen. Sowohl auf der theoretischen wie auf der praktischen Ebene ergibt sich daraus Diskussionsbedarf: Traditionelle Ansätze der Landschaftsarchäologie erweisen sich als ungenügend, wenn es darum geht, den Wandel von Dorfökosystemen wirklich zu verstehen. Soziale Aspekte und subjektive Umweltwahrnehmung müssen als grundlegende Elemente der Mensch-Umwelt-Interaktion berücksichtigt werden. Die Dorfökosystem-Perspektive bietet eine Möglichkeit, in spezifischen historischen Detailstudien speziell die Rolle menschlichen Handelns zu berücksichtigen. Eine stärkere Vernetzung mit Humanökologie und Umweltgeschichte kann künftig dazu beitragen, vergangene Gesellschaften und kulturellen Wandel besser zu verstehen.

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