Mittwoch, 13. November 2013

gebaut / gejagt / vergessen – Wolfsgruben als archäologisches Denkmal

ein Gastbeitrag von Iris Nießen

Rotkäppchen und der böse Wolf, Isegrim oder die Bestie von Gévaudan – auf vielfältige Weise werden wir mit dem Bild des bösen Wolfes konfrontiert. Diese über Jahrhunderte geschürte Angst macht auch vor dem modernen Menschen nicht halt. Deutlich wird dies in den aktuellen Diskussionen über die Rückkehr des Wolfes, die neben finanziellen Gesichtspunkten oft durch tiefsitzende Ängste bestimmt werden. Mit Schlagzeilen wie Wer hat Angst vorm bösen Wolf? ist der Konflikt um die Rückkehr der Wölfe in heimische Wälder längst in den Massenmedien angekommen. 
Wolfsgruben stellen nur einen Ausschnitt der vielfältigen Geschichte zwischen Mensch und Wolf dar. Und dennoch trägt die Erforschung dieser besonderen Denkmäler zur aktuellen gesellschaftlichen Diskussion bei, indem die unterschiedlichen Formen der Jagd und damit auch die Gründe für die Ausrottung des Wolfes untersucht werden.

Wolfsgruben – Vergessene Zeugnisse der Umweltgeschichte
Wolfsgruben waren ab dem frühen Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert üblich. Bereits Karl der Große befahl, dass Wölfe mittels Wolfsgruben gejagt werden sollten. Interessanterweise ist das Wissen um diese Jagdmethode heute nahezu vollständig in Vergessenheit geraten, obwohl erst 1882 der letzte Wolf im Fichtelgebirge erschossen wurde. Die Jagdmethode selbst war jedoch sehr verbreitet. Bisher sind allein aus Süddeutschland über 40 Standorte mit häufig mehreren Fanggruben bekannt. Flurnamen wie Wolfsgrube, Wolfsgrubenacker, Wolfsgarten, Wolfsluder, Wolfsgraben, Grubenholz sowie Wolfsloch sind sehr häufig und lassen erahnen, wie verbreitet diese Form der Wolfsjagd ursprünglich war. (Nießen 2012, 48, 88-93).

Konstruktionsweisen
Abb.1: Rekonstruktion der Wolfsgrube im Steinwald als quadratische Grube (Seitenlänge 2,4 x 2,4 m, Tiefe 3,5 m), welche aus dem anstehenden Granit geschlagen wurde und im oberen Bereich möglicherweise ein Trockenmauerwerk aufwies. In der Mitte wurde ein Posten in den Fels eingetieft, auf welchem die Abdeckung der Falle aus Ästen, Reisig und Laub ruhte. Der Köder war entweder ebenfalls auf dem Pfosten befestigt oder befand sich innerhalb einer Umzäunung der Falle.
(m. freundl. Genehmigung, I. Niessen, Gesellschaft Steinwaldia e.V., Zeichnung H. Losert, nach Niessen 2012, 27)
Bei Wolfsgruben handelt es sich um 3,5 bis 4 m tiefe Fanggruben. Sie waren je nach örtlichen Voraussetzungen entweder mit Holzbrettern verschalt oder aus dem anstehenden Gestein gehauen. Oft weisen sie auch ein Trockenmauerwerk aus Bruchsteinen auf. Da Wolfsgruben in der Regel einen Durchmesser von 2,5 m haben, sehen sie gemauert oft Brunnen zum Verwechseln ähnlich (Nießen 2012, 50-62). Meist sind sie im Gelände jedoch nur noch als flache Mulden erkennbar und werden als Bombentrichter, Bergbaurelikte oder als Grubenmeiler zur Holzkohleherstellung interpretiert. Wolfsgruben lassen sich jedoch meist sehr gut über den entsprechenden Flurnamen identifizieren.
Die obere Fallenkonstruktion konnte entweder eine einfache Abdeckung aus Reisig, dünnen Ästen und Stroh, wie es für die archäologisch untersuchte Wolfsgrube im Naturpark Steinwald (Nießen 2012, 27) (Abb. 1) wahrscheinlich ist, oder aber ein Drehdeckel (Abb. 2) oder eine Klappfalle sein (Nießen 2012, 55-57). Als Köder zum Anlocken des Wolfes wurden sowohl lebende wie tote Tiere und Schlachtabfälle verwendet.


Abb. 2: Darstellung einer Wolfsfalle,
aus J. Clamorgan, La chasse du loup, 1640
(PD, nach Bernard 1983, 81).

Wolfsgarten im Bischofsgrüner Forst (Lkr. Bayreuth, Bayern)
Wolfsgarten – Dies ist der klangvolle Flurname einer Abteilung im Bischofsgrüner Forst (Landkreis Bayreuth). Mitten im Wald untersuchten im Juli und August 2013 Archäologen der Universität Bamberg diesen in vielerlei Hinsicht besonderen Waldabschnitt.

Hinter dem Flurnamen Wolfsgarten versteckt sich eine erst jüngst wieder neu entdeckte Quellengattung. Es handelt sich um eine große Anlage zur Jagd von Wölfen aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Durch die archäologische Ausgrabung konnten zwei von insgesamt mindestens drei Fanggruben untersucht sowie erstmals eine groß angelegte Umzäunung dokumentiert werden. Die Schriftquellen legen eine Beziehung zu den Bayreuther Markgrafen nahe, weshalb es sich bei dieser großen Jagdanlage wohl um eine Form herrschaftlicher Repräsentation handelt.

Ergebnisse der Grabungskampagne 2012
Abb. 3: Wolfsgarten bei Bischofsgrün -
Deutlich zu sehen ist der Leichenschatten eines
Pferdekopfes in der unteren Verfüllung der Wolfsgrube.
Das Pferd wurde als Köder zum Anlocken der Wölfe verwendet.
(Foto: Iris Nießen).
Neben dem Flurnamen als Anhaltspunkt waren in der Waldabteilung lediglich drei Mulden im Gelände sichtbar. Nahezu vollständig von Blaubeeren bewachsen waren sie kaum noch als Wolfsgruben zu identifizieren.
Zu Beginn der archäologischen Untersuchung stellte sich heraus, dass die Wolfsgrube an der alten Verbindungsstraße zwischen Bischofsgrün und Wülfersreuth bis auf 3,5 m Tiefe mit modernem Hausmüll verfüllt war. Erst in dieser beträchtlichen Tiefe konnte der archäologische Befund erfasst werden. In der zweiten Fanggrube befand sich glücklicherweise weniger Müll. Dort wurden auch die wichtigsten archäologischen Funde geborgen. Ein innen gelb glasiertes Tongefäß mit Bandhenkel und Ausguss ist in großen Teilen erhalten. Die Datierung ist allerdings schwierig, da der archäologische Forschungsstand zur neuzeitlichen Gebrauchskeramik vielfach ungenügend ist. So kann das Gefäß nur grob ins 17./18. Jahrhundert datiert werden. Möglicherweise diente es zum Transport von Schlachtabfällen, um den Wolf mit diesen anzulocken. Darüber hinaus fanden sich noch weitere Hinweise auf Köder. Neben einem Ziegenhorn konnte der Leichenschatten eines Pferdekopfes mit noch erhaltenen Zähnen dokumentiert werden (Abb. 3). Knochen vergehen in dem sauren Milieu des Waldbodens leider sehr schnell.

Erster archäologischer Nachweis der Umzäunung
Die Fanggruben im Wolfsgarten waren nachweislich rund, holzverschalt und knapp über 4 m tief. Zur oberen Konstruktion der Falle konnten aufgrund der Zerstörungen keine Erkenntnisse gewonnen werden. Erstmals wurde jedoch die Umzäunung archäologisch dokumentiert.
Abb. 4: Wolfsgarten bei Bischofsgrün -
Der 80 cm tiefe Graben zeichnet sich als braune Verfärbung ab.
Er gehört zur weitläufigen Zaunanlage des Wolfsgartens.
(Foto: Iris Nießen).

Auf die Wolfsgrube am Wegrand laufen zwei Gräben im gleichen Winkel zu, die noch heute im Gelände zu erkennen sind. Die archäologische Untersuchung ergab, dass die Gräben ursprünglich 80 cm tief gegraben wurden (Abb. 4). Im unteren Bereich der Verfüllung fanden sich Eisennägel, die zur Befestigung der Zaunkonstruktion gedient haben dürften. Wie genau der Zaun ursprünglich ausgesehen hat, ist noch unklar. In Frage kommt ein einfacherer Bretterzaun mit Verstrebungen, die mit Nägeln befestigt waren. Auffällig ist jedoch weiterhin die immense Tiefe der Gräben, welche für einen einfachen Zaun nicht nötig ist. Möglicherweise spielt hier jedoch das große Verlangen nach Repräsentation bei der herrschaftlichen Jagd des 16. und 17. Jahrhunderts eine Rolle. Der Wolfsgarten diente demnach nicht nur der Lockjagd, sondern auch für groß angelegte Hetzjagden, bei denen die Wölfe in die Waldabteilung getrieben wurden. Durch die Umzäunungen mussten die Wölfe dann zwangsläufig in eine der Fallgruben stürzen.

Ausblick
Die archäologischen Untersuchungen sind eingebunden in ein Projekt des Fichtelgebirgsvereins (FGV) Bischofsgrün e.V., das vor allem der touristischen Erschließung und der Strukturförderung dient. Geplant ist die Rekonstruktion einer der Wolfsgruben am Wanderweg mit erklärenden Informationstafeln. Gefördert wird das Projekt durch das EU- Programm Leader, die Oberfrankenstiftung, die Naturschutzstiftung des FGV, die Gemeinde Bischofsgrün, die bayerischen Staatsforsten und viele Weitere.
Für 2014 ist die Ausgrabung der dritten Wolfsgrube beabsichtigt. Im Gegensatz zu den bereits untersuchten Fanggruben ist diese nicht durch modernen Müll und starke Erosion gestört, weshalb Erkenntnisse zur oberen Konstruktion der Falle zu erwarten sind.

Die Grundlagenforschung zu diesem Bereich der Wolfsjagd ist noch lange nicht abgeschlossen. Die vorgestellte Ausgrabung ist die erste wissenschaftliche Untersuchung eines Wolfsgartens. In den vergangenen Jahren wurden erst zwei Wolfsgruben überhaupt archäologisch dokumentiert und ausgewertet. Die Vielfalt der Konstruktionsweisen und die große Verbreitung von Wolfsgruben kann nach heutiger Quellenlage nur erahnt werden.


Literaturhinweise

D. Bernard, Wolf und Mensch (Saarbrücken 1983).
B. Ergert, Die Jagd in Bayern. Von der Vorzeit bis zur Gegenwart (Donauwörth 1984).
H. Fähnrich, Wolfsgruben – vergessene Jagddenkmäler (Landkreise Tirschenreuth und Cham), in: Beiträge zur Flur- und Kleindenkmalforschung in der Oberpfalz 15, 1992, 71-73.
H. Fähnrich, Wolfsgruben, heute Jagddenkmäler, in: Wir am Steinwald 16, 2008, 157-159.
J. Laursen, Faldgruber, in: Arkaeologi og renaessance 1. Hikuin 18 (Haderslev 1991) 257.
K. Lindner, Das Jagdbuch des Petrus de Crescentiis, in deutschen Übersetzungen des 14. und 15. Jahrhunderts (Berlin 1957).
K. Lindner, Deutsche Jagdtraktate des 15. und 16. Jahrhunderts, Teil 1 und 2 (Berlin 1959).
K. Lindner, Geschichte und Systematik der Wolfs- und Fuchsangeln. Occasional Papers III (Uppsala 1975)..
K. H. Mayer, Alte oberfränkische Jagdgeschichte (Bamberg 2009).
I. Nießen, Die Wolfsgrube im Naturpark Steinwald. Archäologie, Jagdgeschichte, Waldnutzung. Wir am Steinwald, Sonderausgabe Archäologische Reihe 1/2012 (Nürnberg 2012).
D. Müller, „die Wolff mit der wollfs Gruben zu fahen, jst überauß gemein und sehr leichlich zu machen“. Wolfsgruben – Denkmäler historischer Jagdausübung, in: Denkmalpflege in Bad Württemberg 24, 1995, 73-84.
D. Müller, Der Schacht – eine frühneuzeitliche Wolfsgrube, in: G. Wieland, Die keltischen Viereckschanzen von Fellbach-Schmieden und Ehningen. Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden Württemberg, 80 (Stuttgart 1999) 180-195.
G. Scherf, Wolfsspuren in Bayern. Kulturgeschichte eines sagenhaften Tieres (Amberg 2001).
E. Zimen, Der Wolf. Verhalten, Ökologie und Mythos (Regensburg 1990).


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Iris Nießen studiert Archäologie des Mittelalters an der Universität Bamberg. Ihr Interesse gilt der Landschaftsarchäologie und insbesondere Jagddenkmälern. Zur Zeit arbeitet sie an ihrer Master-Arbeit über Opferfunde aus dem Dom in Chur.

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