Exkursion der Ruralia-Tagung, 29.9.2011: Werdenberg (CH) (Foto: R. Schreg) |
Über 30 Beiträge beleuchteten bei der 9. Ruralia-Konferenz, die vom 26.9. bis 2.10.2011 in Götzis in Vorarlberg (A) statt fand, die archäologischen Quellen, mit denen sich soziale Unterschiede und Hierarchien innerhalb ländlicher Siedlungen erfassen lassen (s. Programm [pdf]). Da die Beispiele vom Atlantik bis östlich der Wolga und von Spanien bis Grönland streuten und zeitlich vom frühen Mittelalter bis zur frühen Neuzeit reichten, deckten sie sehr unterschiedliche ländliche Gesellschaften ab, in denen Hierarchien auch sehr unterschiedlich ausgeprägt waren.
Mehrere Beiträge untersuchten "feudale" Gesellschaften und suchten nach Kriterien, beispielsweise Grundherrschaftsverbände in ihren unterschiedlichen Ausprägungen in den archäologischen Quellen zu erkennen oder Herrenhöfe zu identifizieren (C. Kropp/ Th. Meier). Dabei wurden immer wieder ähnliche Kriterien benannt, wie bestimmte Fundgruppen (Waffen, Spielzeug, wertvoller Schmuck etc.) oder herausragende große Hausformen (z.B. Frankreich [E. Peytreman], Österreich [S. Felgenhauer] oder Mitteldeutschland [S. König/St. Krabath]). An warnenden Stimmen fehlte es indes nicht, die darauf aufmerksam machten, dass Hofgröße nicht zwingend einen hohen Rang in der Dorfhierarchie bedeutete. Dazu führten nicht nur theoretische Überlegungen (v.a. M.S. Kristiansen), sondern auch Auswertungen anhand schriftlicher und kartographischer Quellen (Böhmen: Th. Klír). Untersuchungen in Norddeutschland zeigten, wie sich neben der adligen neuzeitlichen Schloß- und Villenarchitektur auch typisch bäuerliche Bauformen als Adelssitz ausgestaltet werden konnten (H. Stiewe). Im Falle von Grönland, wo man ebenfalls nach Analogien aus Norwegen und Island sowie nach schriftlichen Quellen von einer hierarchischen Struktur ausgegangen ist, hat sich dies bisher im archäologischen Quellenbestand nicht sicher zeigen lassen (M.S. Høegsberg). Hier ist freilich eine Fundarmut der Siedlungen zu konstatieren, die in einem krassen Gegensatz etwa zum Fundreichtum der Siedlungen in Nordrußland steht (Beiträge S. Chernov/E. Ershova; N. Makarov; S. Zakharov).
Hierarchie wurde in den meisten Beiträgen entweder mit Herrschaft oder mit Wohlstand gleichgesetzt. In der Realität waren Hierarchien in ländlichen Siedlungen aber weit komplexer. Einige der Beiträge ließen ansatzweise diese weiteren Aspekte erkennen. Exemplarisch sei auf die Beobachtungen zur Anlage von privaten und
gemeinsamen Brunnen in den Niederlanden verwiesen (B. Groenewoudt). Im Lauf der Zeit gewinnt der private, auf dem Hof prominent angelegte Brunnen an Bedeutung. Mit einem Blick auf Versammlungsplätze im ländlichen Raum insbesondere Norwegens (F. Iversen) wurde die politische Dimension der Hierarchie deutlich.
Mein eigener Beitrag "The Archaeology of Medieval land property" zielte darauf ab, Beobachtungen aus der historischen Geographie in die Diskussion einzubringen. Sie machen die besondere Rolle der bäuerlichen Unterschichten und der Besitz- und Nutzungsrechte des Wirtschaftslandes für die Sozialstruktur innerhalb des Dorfes des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit deutlich. Die historische und insbesondere die rechtshistorische Forschung der Nachkriegszeit hat hier in Abkehr von nationalromantischen Vorstellungen ursprünglich freier und gleicher Bauern sowie der Vorstellung einer Urgesellschaft möglicherweise die herrschaftliche bzw. obrigkeitliche Regelung zu hoch eingeschätzt und zu wenig berücksichtigt, dass die schriftlichen Quellen ja doch bekanntermaßen ein sehr einseitiges Bild der ländlichen Gesellschaft zeichnen. Einige - gerade auch archäologische - Beobachtungen legen nahe, dass Landbesitz sehr leicht veränderlich war. Insgesamt ist damit zu rechnen, dass das gemeinschaftliches Element der Nachbarschaft aufgrund der einseitigen Quellenlage und der Betonung der Gemeinde möglicherweise in der jüngeren Forschung unterschätzt wurde. Es wird zu prüfen sein, inwiefern auch im Ackerland während des Frühmittelalters eine Art Gemeinbesitz denkbar ist, da die ansonsten häufig nachgewiesenen Siedlungsverlagerungen sonst schwer erklärbar sind.
Die Analyse einer niederländischen Siedlungsgrabung durch M. Lascaris konnte anhand stratigraphischer Analysen zahlreicher Zaun- und Flurgräbchen im Detail zeigen, dass es im Früh- und Hochmittelalter nicht zur Ausbildung fester Hofplätze und Grenzen kam.
Deutlich wurde für mich bei der Konferenz, dass eine Reflektion dessen, was Hierarchien im Dorf tatsächlich bestimmt, in der Archäologie weitgehend fehlen. Nicht diskutiert wurde leider auch die Stellung ethnischer oder religiöser Minderheiten im Dorf oder die Frage, ob in Gebieten mit geschlossener Siedlungsweise grundsätzlich andere Hierarchien zu erwarten sind, als in solchen mit Streusiedlungsweise. Sicher richtig ist die Einschätzung von Mette Svart Kristiansen: "we are in the beginning of asking questions, not yet answering them".
Künftige archäologische Forschungen zum Thema werden einen viel engeren interdisziplinären Kontakt zu Historikern, Geographen und Soziologen zu suchen haben und sich stärker Rechenschaft über die theoretischen Konzepte der Interpretation der archäologischen Daten ablegen müssen. Die Gefahr, dass archäologische Daten sonst nur zur Illustration etablierter historischer Modelle dienen, ohne dass ihr tatsächlicher Quellenwert ausgeschöpft wird, ist groß. Damit wird die Möglichkeit verspielt, historische Modelle kritisch zu hinterfragen und weiter zu entwickeln - bzw. eigenständige Modelle zu erstellen und die Vergangenheit aus anderen Perspektiven zu beleuchten. Viele der Beiträge machten indes deutlich, dass mit den archäologischen Quellen nicht nur solche Bereich abgedeckt werden, die durch das Raster der schriftlichen Quellen fallen, sondern dass damit teilweise auch grundlegende Ergänzungen und Modifikationen gängiger historischer Modelle fällig werden.
Mein eigener Beitrag "The Archaeology of Medieval land property" zielte darauf ab, Beobachtungen aus der historischen Geographie in die Diskussion einzubringen. Sie machen die besondere Rolle der bäuerlichen Unterschichten und der Besitz- und Nutzungsrechte des Wirtschaftslandes für die Sozialstruktur innerhalb des Dorfes des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit deutlich. Die historische und insbesondere die rechtshistorische Forschung der Nachkriegszeit hat hier in Abkehr von nationalromantischen Vorstellungen ursprünglich freier und gleicher Bauern sowie der Vorstellung einer Urgesellschaft möglicherweise die herrschaftliche bzw. obrigkeitliche Regelung zu hoch eingeschätzt und zu wenig berücksichtigt, dass die schriftlichen Quellen ja doch bekanntermaßen ein sehr einseitiges Bild der ländlichen Gesellschaft zeichnen. Einige - gerade auch archäologische - Beobachtungen legen nahe, dass Landbesitz sehr leicht veränderlich war. Insgesamt ist damit zu rechnen, dass das gemeinschaftliches Element der Nachbarschaft aufgrund der einseitigen Quellenlage und der Betonung der Gemeinde möglicherweise in der jüngeren Forschung unterschätzt wurde. Es wird zu prüfen sein, inwiefern auch im Ackerland während des Frühmittelalters eine Art Gemeinbesitz denkbar ist, da die ansonsten häufig nachgewiesenen Siedlungsverlagerungen sonst schwer erklärbar sind.
Die Analyse einer niederländischen Siedlungsgrabung durch M. Lascaris konnte anhand stratigraphischer Analysen zahlreicher Zaun- und Flurgräbchen im Detail zeigen, dass es im Früh- und Hochmittelalter nicht zur Ausbildung fester Hofplätze und Grenzen kam.
Deutlich wurde für mich bei der Konferenz, dass eine Reflektion dessen, was Hierarchien im Dorf tatsächlich bestimmt, in der Archäologie weitgehend fehlen. Nicht diskutiert wurde leider auch die Stellung ethnischer oder religiöser Minderheiten im Dorf oder die Frage, ob in Gebieten mit geschlossener Siedlungsweise grundsätzlich andere Hierarchien zu erwarten sind, als in solchen mit Streusiedlungsweise. Sicher richtig ist die Einschätzung von Mette Svart Kristiansen: "we are in the beginning of asking questions, not yet answering them".
Künftige archäologische Forschungen zum Thema werden einen viel engeren interdisziplinären Kontakt zu Historikern, Geographen und Soziologen zu suchen haben und sich stärker Rechenschaft über die theoretischen Konzepte der Interpretation der archäologischen Daten ablegen müssen. Die Gefahr, dass archäologische Daten sonst nur zur Illustration etablierter historischer Modelle dienen, ohne dass ihr tatsächlicher Quellenwert ausgeschöpft wird, ist groß. Damit wird die Möglichkeit verspielt, historische Modelle kritisch zu hinterfragen und weiter zu entwickeln - bzw. eigenständige Modelle zu erstellen und die Vergangenheit aus anderen Perspektiven zu beleuchten. Viele der Beiträge machten indes deutlich, dass mit den archäologischen Quellen nicht nur solche Bereich abgedeckt werden, die durch das Raster der schriftlichen Quellen fallen, sondern dass damit teilweise auch grundlegende Ergänzungen und Modifikationen gängiger historischer Modelle fällig werden.
Ruralia - Tagungen zur Archäologie des ländlichen Mittelalters
Ruralia bietet ein Forum für die Zusammenarbeit
von Mittelalterarchäologen aus fast allen europäischen Ländern, die sich mit dem ländlichen Siedlungsraum auseinandersetzen. Der zeitliche Rahmen reicht dabei von ca. 500 bis um 1700 n. Chr.
Der Verband fördert den Gedankenaustausch über aktuelle Fragestellungen im Rahmen der ländlichen Archäologie. Ein besonderes Anliegen ist es zudem, die Ergebnisse archäologischer einschlägiger Forschungen anderen Disziplinen zugänglich zu machen. Zentral in der Arbeit von Ruralia stehen Tagungen, die alle zwei Jahre in einem der beteiligten Länder zu einschlägigen Themen stattfinden. Die Kongresssprachen sind Englisch, Deutsch und Französisch. Ein Koordinationsgremium umfasst Repräsentanten der beteiligten Länder (bislang ist der Mittelmeerraum sowie Osteuropa leider noch relativ schwach vertreten).
Entstanden ist die Tagung nach dem Vorbild der Château Gaillard-Konferenzen im Anschluß an die erste Medieval Europe Tagung 1992 in York, die ein breites Vortragsprogramm zur Siedlungsarchäologie des Mittelalters umfasste. Der erste Präsident des Verbandes war Jean-Marie Pesez (1929-1998).
Der Verband fördert den Gedankenaustausch über aktuelle Fragestellungen im Rahmen der ländlichen Archäologie. Ein besonderes Anliegen ist es zudem, die Ergebnisse archäologischer einschlägiger Forschungen anderen Disziplinen zugänglich zu machen. Zentral in der Arbeit von Ruralia stehen Tagungen, die alle zwei Jahre in einem der beteiligten Länder zu einschlägigen Themen stattfinden. Die Kongresssprachen sind Englisch, Deutsch und Französisch. Ein Koordinationsgremium umfasst Repräsentanten der beteiligten Länder (bislang ist der Mittelmeerraum sowie Osteuropa leider noch relativ schwach vertreten).
Entstanden ist die Tagung nach dem Vorbild der Château Gaillard-Konferenzen im Anschluß an die erste Medieval Europe Tagung 1992 in York, die ein breites Vortragsprogramm zur Siedlungsarchäologie des Mittelalters umfasste. Der erste Präsident des Verbandes war Jean-Marie Pesez (1929-1998).
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