Montag, 1. Dezember 2014

Kampf gegen Terror und Raubgrabungen (Syrien und Irak im November 2014)

UNESCO-Direktorin Irina Bokova vergleicht die "kulturelle Säuberung", die IS derzeit im Nordirak und in Syrien betreibt, mit Völkermord.
“Das ist eine Möglichkeit, Identitäten zu vernichten. Man beraubt die Menschen ihrer Kultur, ihrer Geschichte und ihrer Sprache - deshalb geht das mit Völkermord Hand in Hand. Abgesehen von der physischen Verfolgung wollen sie auch das Gedächtnis der verschiedenen betroffenen Kulturen löschen, d.h. zerstören.” (“This is a way to destroy identity. ... You deprive them of their culture, you deprive them of their history, their heritage, and that is why it goes hand in hand with genocide. Along with the physical persecution they want to eliminate – to delete – the memory of these different cultures.”) Bokova fordert bessere Maßnahmen gegen den internationalen Handel mit geplünderten Antiken. 
Finanzierung des IS-Terrors durch den Antikenhandel 
Im Schatten der Greueltaten des IS haben Raubgrabungen und Antikenhandel in Syrien und Irak in den Medien große Aufmerksamkeit gefunden.
In Deutschland hat vor allem die Doku der ARD vom 20.10.2014 "Das geplünderte Erbe"  das Thema aktuell gemacht.

In den Medien ist dabei von Milliardengewinnen durch den IS und vom Antikenhandel als zweitwichtigster Einnahmequelle die Rede. Dass der IS von Raubgrabungen profitiert, steht aufgrund einiger Zeugenaussagen außer Zweifel. Zweifelhaft sind allerdings die wohl tatsächlich überzogenen Zahlen zu den Einnahmen des IS aus dieser Quelle:
Ein Beitrag von Jason Felch bei Chasing Aphrodite zeigt auf, wie die Aussage, Raubgrabungen und Antikenhehlerei seien die zweitwichtigste Einnahmequelle von IS, zustande kam. Es gibt freilich keinen Zweifel am Ausmaß der Plünderungen, denn Luftbilder belegen, wie vollständig viele Fundstellen inzwischen durch Raubgrabungslöcher vernichtet sind, was jedoch nicht allein auf das Gebiet des IS zutrifft. Aber bislang ist der Verbleib der sicher in die Hunderttausende gehenden Funden unklar. Noch wird der westliche Markt damit nicht überschwemmt - wobei die komplexe Handelskette und die Provenienzfälschung "alter Sammlungen" auch eine gewisse Zeit benötigt. So fehlt es an gerichtsfähigen  Beweisen, dass IS damit tatsächlich so viel Geld verdient - sind doch die Herkünfte meist gut verschleiert und liegen die Gewinne doch eher am Ende der Handelskette.
Um hier Klarheit zu schaffen und um dann auch effektiv gegen den IS vorgehen zu können, ist es von zentraler Bedeutung, dass der Kunsthandel an der Aufklärung mitarbeitet und die Handelswege offen legt.
Schon früher hat Derek Fincham die Frage aufgeworfen (vergl. Archaeologik 1.9.2014), wie die Archäologie mit dem Terroraspekt umgehen soll, da dieser zwar kurzfristig die Aufmerksamkeit auf das Thema lenkt, mittel- bis langfristig der Sache des Kulturgüterschutzes aber schaden könne. Immerhin besteht ein hohes Risiko, dass die Archäologie hier für die Interessen der US-Außenpolitik mißbraucht werden kann.
Die ZEIT berichtet über die Finanzierungsmethoden des IS, wobei zunächst das Geschäft mit dem Kidnapping im Mittelpunkt steht:
Eine aktuelle Zusammenfassung des Kenntnisstandes bringt
Verschärfung des Kulturgüterschutzgesetzes in Deutschland
Die bisherigen Regelungen des 2006 erlassenen Kulturgütergesetzes (mit dem erst nach über 30 Jahren auch Deutschland die UNESCO-Welterbe-Konvention mehr schlecht als recht umgesetzt hatte), hatten einer Überprüfung nicht stand gehalten. Die unzureichenden Regelungen haben im Gegenteil dem Antikenhandel in Deutschland einen Freischein ausgestellt. Vergl.

Die Ankündigungen von Staatssekretärin Monika Grütters im Oktober gingen in die richtige Richtung.

Ein Verbot des Antikenhandels fordert beispielsweise die Zeit:

Am 11./12.12.2014 findet dazu eine Tagung in Berlin statt: 'Kulturgut in Gefahr':

Es wird darauf zu achten sein, dass ein neues Gesetz nicht wieder vor den Profitinteressen des Kunsthandels einbricht. Wichtig dürfte es sein, dass auch ausländische Exportverbote im deutschen Recht berücksichtigt werden und dass keine Fristenregelung eingeführt wird, die einen Legalitätsnachweis vollständig entwerten würde, indem einfach weiterhin alte Sammlungen als Provenienz angegeben werden (eine archäologische Provenienz ist immer ein Fundort und eine Angabe der Fundumstände, nicht eine "alte Sammlung").
Wenn das neue Gesetz ebenso wirkungslos bleibt, wie die bisherige Fassung, wird Deutschland international lächerlich und kulturpolitisch und im Kampf gegen den Terror auch außenpolitisch unglaubhaft.

Angesichts zunehmender Importe syrischer Antiken in den USA gibt es auch dort eine Initiative zur Verschärfung der Importbestimmungen, die ausnahmsweise von Republikanern und Demokraten gemeinsam getragen wird:

Reaktionen des Kunsthandels
Das Auktionshaus Gorny&Mosch und der Kunsthändlerverband wehren sich:
Es wird allerdings in keiner Weise ein Beweis erbracht, weshalb man annehmen sollte, die Funde stammten tatsächlich nicht aus Raubgrabungen. Angesichts jahrhundertelanger Exportverbote, der großen Zahl von Funden, die erstaulicherweise meist nur sog. "Provenienzen" bis in die 1980er Jahre liefern und der Dokumentation von Raubgrabungen in den Herkunftsländern ist es mehr als unwahrscheinlich, dass die angeblichen Provenienzen wirklich aussagekräftig sind. Schon öfters haben sie sich als falsch erwiesen. Stattdessen richtet sich die 'Argumentation' ad personam gegen M. Müller-Karpe und trägt nichts zur Aufklärung der tatsächlichen Verhältnisse bei.
Dass sich der Kunsthandel sehr wohl bewusst ist, dass seine Ware aus der Zerstörung von Kulturstätten stammt, zeigt der Versuch, wissenschaftliche Kriterien kleinzureden und die Bedeutung des archäologischen Kontexts mit manipuliert ausgewählten "Stimmen aus der Wissenschaft" zu leugnen:

Ein Kunsthändler schießt sich auf den Kollegen Müller-Karpe ein, um den Eindruck zu erwecken, die ganze Kritik am Kunsthandel sei eine Einzelmeinung. Die Finanzierung des IS durch Raubgrabungen sei eine Erfindung der Archäologen (dazu siehe oben), da der Kunsthandel schon seit 40 Jahren aktiv sei, IS aber erst seit einem. Vermutlich steckt dahinter die Strategie des Kunsthandels, die derzeit enge Verknüpfung des Themas Antikenhehlerei und Raubgrabung mit dem IS dazu auszunutzen, für künftige Legitimitätszeugnisse ein junges Stichdatum zu erzielen, das es erlaubt, wie gewohnt mit der nichtssagenden Provenienzangabe "alte Sammlung" fortzufahren.
Die nötigen Kommentare und Richtigstellungen zu den Nicht-Argumenten liefert im übrigen bereits Paul Barford:
    Interessanterweise gibt es auch aus der deutschen Sondengängerszene, aus der häufig bekundet wird, sie hätte mit einem Antikenmarkt nichts zu tun, den Rat "die Fehlinfo, dass sich die IS mit Antikenhandel finanziert, nicht öffentlich zu postulieren", verbunden mit der Drohung einer teuren anwaltlichen Abmahnung. Man sieht dies hier in völliger Verkenntnis der Faktenlage als "Anti-Sondengänger/Anti-Sammler-Hetzkampagne":

    Die Antikenhändler wehren sich mit fiktiven Argumenten gegen eine Gesetzesnovellierung und schieben den schwarzen Peter den bürgerkriegsgeschüttelten Ländern zu. Wie immer kommt der Verweis auf die angeblichen alten Privatsammlungen (wobei alt in aktuellen Auktionskatalogen meist nicht einmal mehr bis 1970 zurückreicht), der bei den Massen an gehandelten Funden unglaubhaft ist. Außerdem wird mit herausgelesenen Zitaten von Archäologen behauptet, archäologische Kontexte hätten auch ohne Kontext noch einen Wert. Das ist dann richtig, wenn man die Fragestellungen des 19. Jahrhunderts nach Stil und (aber auch das nur sehr bedingt:) Funktion als interessant ansieht.
    Ein Basler Kunsthändler redet allerdings Klartext und gibt zu, dass sich der Handel sehr wohl der Illegalität und Barbarei bewusst ist. Geschätzt sind nur etwa 1 Promille der gehandelten Antiken tatsächlich legal:


    Zerstörungen und Plünderungen
    Wiederum sei hier nur auf die anderswo zusammengestellten Schadensberichte verwiesen:

    Neu kommt nun der wöchentliche Bericht von ASOR’s Syrian Heritage Initiative hinzu:

    Nur auf einige Berichte und erschreckende Foto sei exemplarisch verwiesen:
    Zustandsbericht zur Zitadelle in Aleppo:
    Nicht zum ersten Mal ist das Museum von Aleppo unter Beschuß geraten:
      Der Souk von Aleppo ausgestorben und in Ruinen:
      In einer Reuters-Bilderserie aus Raqqa, die angeblich den Luftangriff vom 26.11. zeigen, ist die Ruine des Museums zu erkennen:
      Problematisch ist eine Sensationshascherei in manchen Medien, die die Schäden offenbar noch übertreibt:

      'religiös' motivierte Zerstörungen durch IS


      Der Krak des Chevaliers: Beschuß am 13.8.2013, 14.23 Uhr
      (Foto: Syria 963 [CC BY SA 3.0] via WikimediaCommons)
      Weitere Medienberichte und Meldungen
      Grabungen auf der durch die syrisch-türkische Grenze durchschnittenen Fundstelle von Karkemisch auf türkischer Seite direkt an der syrischen Grenze und in Nachbarschaft zu IS:
        Wie attraktiv sind palmyrenische Grabstelen für Sammler?

        Aktionen/ Maßnahmen
        einwöchige Schulung von Denkmalpflegern durch die UNESCO im Rahmen des EU-finanzierten Projekts "The Emergency Safeguarding of the Syrian cultural Heritage" in Beirut:
          Alle vorgestellten Maßnahmen setzen - zwangsweise - erst an, wenn die Fundstellen bereits geplündert sind und man nur noch nach illegalen Funden im Kunsthandel fahnden kann, die natürlich immer das Problem haben, dass eine Provenienz von einer Fundstelle ohne Beobachtung vor Ort nicht nachgewiesen werden kann. Schon unter Friedensbedingungen lassen sich Raubgräber nicht gerne beobachten, unter Kriegsbedingungen ist das für die Denkmalpfleger lebensgefährlich. Die Bestrebungen des deutschen Kunsthandels, die Verantwortung für die Verhinderung von Raubgrabungen an die Institutionen vor Ort abzuschieben, ist eine unverschämte Verhöhnung der dort unter Einsatz ihres Lebens arbeitenden Kollegen.

            Interner Link


            Änderungsvermerk (1.12.2014): Korrektur in der Übersetzung Bokova

            1 Kommentar:

            Antiquitäten RSA hat gesagt…

            ich finde es persönlich sehr schade, dass so wertvolle Kunstgüter aus der antiken Zeit zerstört werden und der Nachwelt nicht mehr zur Verfügung stehen.