"Keramik als Identitätsmarker. Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation" war das Thema einer Tagung von topoi und DAI in Berlin vom 21-24.11.
Häufig werden Keramikstile mit spezifischen sozialen oder gar ethnischen Gruppen gleichgesetzt - auch bei der Tagung versuchten sich einige Beiträge am archäologischen Nachweis von Identitäten, wie sie aufgrund schriftlicher Quellen vermutet wurden. Zumeist wurde "Identität" (ein Begriff, der in der Archäologie aus soziologischer Sicht nur ungenügend definiert wird - und meist immer noch Herkunftsgruppen impliziert) aber nur bedingt als ein geeignetes Konzept zur Interpretation archäologischer Daten gesehen - wohl aber als eine interessante Fragestellung, die vor allem in der Prozesshaftigkeit des Kulturwandels zu analysieren ist.
Ich stelle hier eine Kurzfassung meines Beitrags zur Tagung ein, der auf einer inzwischen publizierten Bearbeitung der handgemachten Keramik aus Panamá la Vieja (Panamanian Coarse Handmade Earthenware - PCHEW) aufbaut (Schreg 2010).
handgemachte Keramik aus Panama la Vieja (Foto R. Schreg; Patronato Panama Viejo) |
Die Bearbeitung von Keramikfunden aus der spanischen Kolonialstadt Panamá la Vieja erwies sich als interessante Fallstudie, um Prozesse des Kulturwandels zu erfassen. Hier zeigt sich, dass Interpretationsmuster der archäologischen Keramikforschung, wie sie etwa in der frühgeschichtlichen Archäologie oder der mittelalterlichen Stadtarchäologie üblich sind, zu kurz greifen, um den komplexen sozialen Entwicklungen gerecht zu werden.
Unterschiedliche kulturelle Traditionen treffen nach Gründung der Stadt 1519 - der ersten "europäischen" Stadt an der Pazifikküste - aufeinander: Spanier, Indios und Afrikaner. Sie alle sind aus ihrem gewohnten sozialen Umfeld gerissen. Die Spanier sind dabei zwar insgesamt die Profiteure, aber auch sie finden eine neue Welt: sozial, klimatisch, ökonomisch und ökologisch. Gewohnte Lebensweisen lassen sich nicht eins zu eins übertragen. Schlimm trifft es die Indios. Nach einem erheblichen Bevölkerungseinbruch, den die spanische Conquista durch Krankheiten und Krieg verursacht, kommt es zu Deportationen. Viele Indios im kolonialen Panama stammen aus anderen Regionen Mittelamerikas. Kulturelle Traditionen brechen ab. Aus Afrika werden seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zunehmend Sklaven ins Land gebracht. Die Formation dieser Gesellschaft ist ein komplizierter Prozess, in dessen Verlauf sich kulturelle Traditionen vermischen.
Europäische, afrikanische, chinesische und indigene Warenarten
Panama besitzt ein umfangreiches Keramikspektrum:
Transportgefäße (Contenedores) in der Tradition von Amphoren: 67,6 %
glasierte Drehscheibenware: 3,5 %
tongrundige Drehscheibenware: 2,7 %
feldspar inlaid: 0,6 %
Majolica: 8,1 %
Steinzeug: Einzelstücke
Porzellan: 0,1 %
handgemachte Keramik: 16,7 %
Beispiele für die einzelnen Warenarten finden sich im Catalogo del Sitio y Museo de Panamá Viejo (Abfrage nach kolonialzeitlicher Keramik).
Mix der Traditionen - Ethnische Interpretation greift nicht
Die koloniale Gesellschaft war freilich von Extremen geprägt, die
durchaus dazu führen, dass materielle Kultur auch unterschiedliche
soziale Identitäten widerspiegelt. Spanische Importkeramik scheint
überwiegend auf der Tafel der Oberschicht gestanden zu haben, doch wurde
sie bald auch in Panama nachgeahmt - und scheint in denselben
Werkstätten produziert worden zu sein, wie die handgemachte Keramik, die
die Forschung wechselweise als indigener oder afrikanischer Wurzel
bestimmt hatte und den entsprechenden Bevölkerungsgruppen zugeschrieben
hatte. Handgemachte Keramik findet sich aber durchaus auch unter den
Funden aus dem Haus des Bischofs sowie aus dem Rathaus (cabildo) der
Stadt.
Die Analyse der handgemachten Keramik, die in der Forschungsgeschichte schon mit den unterschiedlichsten ethnischen Interpretationen verbunden wurde, zeigt aber, dass es nicht möglich ist, einzelne Gruppen der Sachkultur mit einer der ursprünglichen Bevölkerungsgruppen zu verknüpfen.
Vielmehr bilden die unterschiedlichen kulturellen Traditionen einen Pool, aus dem die neu entstehende Sachkultur schöpfen kann. Technik und Formen der PCHEW legen Beziehungen nahe zu handgemachter Keramik in
der Karibik (Formen, Leistenauflagen), zu präkolumbischer Keramik in
Mittel- und dem nördl. Südamerika (Verzierungen, Herstellungstechnik),
aber auch zu mittelalterlicher handgemachter Keramik aus Spanien.Welche Techniken, Formen oder Verzierungen aufgegriffen werden, hängt stark von der Funktionalität aber auch von subjektiver Wahrnehmung und Bewertung ab. In der "Panamanian Coarse Handmade Earthenware" sind einheimische wie spanische Traditionen fassbar, möglicherweise auch afrikanische. Einzelne typologische Elemente - wie applizierte Leisten - finden sich in zahlreichen Keramiktraditionen, in denen sie wohl unabhängig voneinander entwickelt worden sind. Das aber begünstigte es wohl auch, dass die eher "primitive" handgemachte Keramik sich auch im kolonialen Panama gegenüber den spanischen Tradition der scheibengedrehten Keramik durchsetzen konnte. Wobei freilich zu bedenken ist, dass auch im spätmittelalterlichen Spanien handgemachte Keramik nicht unbedeutend war.
Ein weiterer Aspekt kommt indes noch dazu: die scheibengedrehte Gebrauchsware spanischer Tradition weist Standböden, die handgemachte Keramik hingegen Rundböden auf - was auf unterschiedliche Kochsitten und unterschiedliche Herdstellen schließen lässt.
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Renaissance und Traditionen der Neuen Welt
Ein interessantes Beispiel für die Interaktion verschiedener Traditionen bietet auch die "fine red slipped ware". Sie ist aufwändiger hergestellt und in ihren Formen elaborierter, so dass typologische Vergleiche hier eine größere Aussagekraft haben als bei der PCHEW.
Obwohl auch im präcolumbischen Panama bereits eine rot engobierte Feinware auftritt, hat man die kolonialen Produkte vor allem mit einer mexikanischen rot engobierten Keramik in Verbindung gebracht und als Import angesprochen. Die Ware tritt in Panama mit immerhin 1% Anteil am Gesamtkeramikspektrum auf. Charakteristisch sind Buckel- und Dellenverzierungen, wie sie auch bei der sogenannten Iberischen Terra Sigillata auftreten - einer in Portugal im 17. Jahrhundert hergestellten Warenart, die antike Terra Sigillata und antike Gefäßformen imitiert, unter anderem Gläser mit Facettenschliff. Sie findet sich häufig auf Stillleben abgebildet und tritt als Import auch in London, Amsterdam, aber auch in Neufundland auf.
Die starke Ähnlichkeit zwischen dieser Terra Sigillata und der mexikanischen rot engobierten Feinware dürfte deren Akzeptanz und Absatz zugute gekommen sein. Traditionen der Neuen Welt etablieren sich durch den Rückgriff auf die griechisch-römische Antike!
Phasen der gesellschaftlichen Transformation
Der derzeitige Stand der Forschung erlaubt es in Panama noch nicht, den genauen Ablauf der Entwicklung der materiellen Kultur in Relation zur gesellschaftlichen Formierung zu beschreiben. Man kann aber annehmen, dass auch hier - bezogen auf die Keramik als Alltagsgut und ähnlich der in der Karibik festgestellten Prozesse - mehrere Phasen unterschieden werden können:
- Kontaktperiode: wenig Übersee-Import, Import aus einheimischem Umfeld
- Etablierungs-Phase: wenig Übersee-Import, lokale Produktion in spanischer Tradition unter Beteiligung indigener Bevölkerung, zunehmender Nutzerkreis mit nicht-spanischen Traditionen
- Stabilisierungs-Phase: zunehmender Import von Qualitätskeramik (u.a. italien. Fayence), lokale Produktion von handgemachter Gebrauchsware
- "End"-Phase: lokale Produktion von Qualitätskeramik (u. Majolica Panamena, glasierte Drehscheibenware), lokale Produktion
Eine abschließende Klärung ist derzeit sicher noch nicht möglich, da in Panama kaum Aufschlüsse aus den frühen Phasen vorliegen (der Status als UNESCO-Weltkulturerbe verhindert Grabungen unterhalb der jüngsten Fußböden).
Fazit
Die Fallstudie zeigt, dass Keramik als Marker von Identitäten nur einen begrenzten Wert hat, so lange wir versuchen, soziale (oder ethnische) Gruppen mit bestimmten Formen materieller Kultur zu identifizieren.
Analysiert man Fertigungs- und Formtraditionen sowie den sozialen und funktionalen Kontext der Keramik aber näher, so bieten sie Einblicke in die sozialen Prozesse der Identitätsfindung und Gruppenbildung innerhalb einer Kolonialgesellschaft.
Literaturhinweise
- J. M. Baart, Terra Sigillata from Estremoz, Portugal. In: D. R. M. Gaimster/M. Redknap (Hrsg.), Everyday and Exotic Pottery from Europe. Studies in honour of John G. Hurst (Oxford 1992) 273–278.
- T. H. Charlton/P. Fournier, Pots and Plots The Multiple Roles of Early Colonial Red Wares in the Basin of Mexico (Identity, Resistance, Negotiation, Accommodation, Aesthetic Creativity, or Just Plain Economics?). In: M. Liebmann/M. S. Murphy (Hrsg.), Enduring conquests. Rethinking the archaeology of resistance to Spanish colonialism in the Americas1. School for Advanced Research advanced seminar series (Santa Fe, N.M 2011) 127–148.
- B. E. Rovira/F. Gaitán, Los búcaros. De las Indias para el mundo. Canto Rodado 5, 2010, 39–78 (pdf).
- R. Schreg, Panamanian coarse handmade earthenware as melting pots of African, American and European traditions? Postmedieval Archaeology 44/1, 2010, 135-16.
(DOI: 10.1179/174581310X12662382629256 ) - Zusammenfassung
- leider kein OA
- R. Schreg, Mix der Traditionen – Keramik und Kulturadaption in der Neuen Welt. Kolonialzeitliche Keramikfunde aus Panamá la Vieja, Mittelamerika. In: P. Stockhammer (Hrsg.), Keramik jenseits von Chronologie. Theorie-AG auf der Tagung des West- und Süddeutschen Verbandes für Altertumsforschung in Xanten, 6. bis 10. Juni 2006. Internationale Archäologie. Arbeitsgemeinschaft, Symposium, Tagung, Kongress 14 (Rahden/Westf. 2009) 117-134 (online bei academia.edu).
- R. Schreg, Panamanian Coarse Handmade Earthenware - Cultural Traditions in objects of Daily Life. In: B. Scholkmann/ A. Zeischka/ R. Schreg (ed.), A step to a global world. Historical Archaeology in Panamá – German Research on the first Spanish city at the Pacific Ocean (in Druck-Vorbereitung)
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