Dienstag, 10. Oktober 2017

Die Gewalt der Authentizität

2009 habe ich mir einen Zeitungsartikel aus der Berliner Morgenpost ausgedruckt, der mir v.a. wegen seines Panama-Bezugs interessant schien. Er scheint mir nun aber aus einem anderen Grund wert, ihn hier doch noch zu posten: Er präsentiert ein drastisches Beispiel für die Frage der Authentizität und die Wirkung von Original und Kopie auf das Publikum.

Atalaya in der Provinz Veraguas in Panama ist das bedeutendste Pilgerzentrum des Landes. Seit mindestens 1730 finden Wallfahrten zum Bild des Jesús Nazareno de Atalaya statt, dem Wunderkräfte nachgesagt werden, heute etwa 300000 Pilger jährlich. Die heutige Statue wurde allerdings erst Anfang des 20. Jahrhnderts geschaffen (lokale Internetseiten betonen jedoch, es stünde schon seit Jahrhunderten hier), sollte nun aber restauriert werden. Der Priester vor Ort hatte die Statue dazu im November 2008 gegen eine Kopie ausgetauscht. "Die Volksseele war übergekocht, als sich das Gerücht verbreitete, bei der restaurierten Figur handele es sich um eine Kopie. Bürger begannen darauf mit einer Mahnwache vor dem Gotteshaus, und ein Komitee für die Rettung von Jesus begann mit der Suche nach dem Original." Die Frage, weshalb eine Kopie schon vor der Restaurierung vorhanden war, wird in den Artikeln nicht geklärt, gleichwohl wurde der Verdacht geäußert, dass das Original verhökert werden sollte.
Jesús Nazareno de Atalaya
(Foto: Suarex [CC BY SA 4.0] viw WikimediaCommons)
Als der damalige Bischof von Santiago de Veraguas Oscar Mario Brown Jiménez schließlich die originale Statue am 12.1.2009 zurück brachte, blockierten laut Berliner Morgenpost tausende Menschen das Fahrzeug mit dem Geistlichen. Polizisten konnten Brown nur mit knapper Not in das Innere der Kirche in Sicherheit bringen. Der Bericht der panamaischen Zeitung La Prensa liest sich zwar weniger gewaltvoll,  doch macht er die Komplexität der Motive deutlicher als die deutsche Meldung. Bei der Statue geht es nicht schlicht um ein historisches Objekt, sondern eben um ein Kultbild, dem gar Wunderkraft zugeschrieben wird. Die Statue ist zudem kulturelles identitätsstiftendes Gut der Gemeinde, das jährlich Tausende von Pilgern anzieht und somit auch einen Wirtschaftsfaktor darstellt. Dass die Wundertätigkeit dabei einer Statue zugeschrieben wird, die selbst erst deutlich nach dem Beginn der Wallfahrt geschaffen wurde, scheint dabei keine Rolle zu spielen.

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