Dienstag, 9. August 2011

Archäologen: Nach der akademischen Ausbildung für die schmutzige Praxis unbrauchbar (1979) - Die Arbeitssituation in der Braunkohlearchäologie

Das ZEIT-Archiv enthält einen Artikel von 1979, in dem Hugo Borger, damals Vorsitzender des Verbands der Landesarchäologen, die universitäre Ausbildung der Archäologen heftig kritisiert.

Hugo Borger konstatierte schon damals ein „enorm wachsendes Interesse der Bevölkerung an unserer Arbeit" - und äußerte seinen Zorn, weil das vorhandene Interesse nicht genügend genutzt werde. „Der Archäologe muß imstande sein, seine Funde didaktisch aufzubereiten. Aber nicht mal das lernt er auf der Universität " 

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Tagebau Hambach
(Foto: Bernd Brägelmann [CC BY SA 2.0])
Im Hintergrund seiner Kritik steht die Misere im rheinischen Braunkohletagebau: Trotz 13 Jahre Vorlauf war es nicht gelungen, vor dem Beginn des Tagebaus in großem Umfang archäologische Grabungen anzusetzen. Hugo Borger machte damals die mangelnde Bereitschaft und Ausbildung des wissenschaftliches Nachwuchses dafür verantwortlich. Und er wunderte sich, dass Zeitverträge nicht attraktiv seien.

War Borgers Analyse richtig? Rückblickend stellt sich diese Frage - ob die Schuld bzw. Ursache der Braunkohle-Misere tatsächlich in der mangelnden universitären Ausbildung und dem ungenügend qualifizierten und motivierten Personal lag.



Im Rheinischen Braunkohlerevier sind Archäologen heute regelmäßig tätig und eine Stiftung trägt zur Finanzierung bei. Allerdings: Auch heute können - trotz aller vorgeblichen Erfolgsmeldungen - "aus Gründen der Arbeitskapazität" nur 5 % der Fundstellen im rheinischen Tagebau angemessen untersucht werden (siehe früherer Blogeintrag). Ob die personelle Ausstattung mit 33 festen Stellen für Wissenschaftler, Techniker, Grabungsarbeiter, Archiv- und Verwaltungskräfte sowie Zivildienstleistende und Praktikanten im „Freiwilligen Jahr in der Denkmalpflege" wirklich so gut ist, wie die Stiftung Archäologie im Rheinischen Braunkohlerevier meint, mag man deshalb bezweifeln. Ein Problem des Nachwuchses ist das vermutlich nicht - auch wenn es sich tatsächlich häufig als schwierig erweist, für Forschungsprojekte geeignete Bearbeiter zu finden.

Als der ZEIT-Artikel entstand, waren die Magisterstudiengänge mit "klaren" Regelstudienzeiten gerade im Kommen. Der Druck, das Studium rasch zu absolvieren ist jedenfalls größer geworden. Ob das Ziel eines stärkeren Praxisbezugs durch die neuen BA/MA-Studiengänge erreicht wird, erscheint fraglich. Zeit, wie früher üblich, um mal für ein Semester graben zu gehen, bleibt nicht mehr.

Perspektiven für den Nachwuchs

Das Problem liegt aber wohl dennoch eher in den schlechten Berufsperspektiven. Die zunehmenden befristeten Verträge führen dazu, dass sich Absolventen anderen, sichereren Jobs zuwenden, wenn sich diese bieten. Dass dies schon zu Borgers Zeiten nicht anders gewesen sein dürfte, zeigt die Statistik (bezogen allerdings eher auf klassische Archäologen, denn auf Prähistoriker), die der Artikel präsentiert. Die meisten Absolventen sind wohl gar nicht so schlecht damit gefahren, sich nicht auf solche Verträge einzulassen.

Der Ansatz, auf Absolventen und wissenschaftlichen Nachwuchs zu setzen, führt dazu, dass Auswertungen meist von unerfahrenen Wissenschaftlern durchgeführt werden, die Fortgeschritteneren aber entweder außerhalb des Faches oder in mehr administrativen Tätigkeiten in der Denkmalpflege oder auch in der Lehre unterkommen, selten aber eigene Forschung betreiben können. Im Braunkohletagebau auf den wissenschaftlichen Nachwuchs zu setzen, der befristet in Projekten beschäftigt wird, stellt das beklagte Problem der mangelnden Erfahrung stets aufs Neue.
In 13 Jahren Vorlauf hätte man durchaus selbst Personal qualifizieren und ihnen bei der Langfristigkeit des geplanten Abbaus durchaus auch eine längerfristige Perspektive bieten können. Und auch heute muss man sich fragen, ob "Stipendien für den wissenschaftlichen Nachwuchs, insbesondere Magistrierende, Doktoranden und Habilitierende, sofern sie sich mit archäologischen Themen aus dem rheinischen Braunkohlengebiet befassen" das Problem grundsätzlich lösen können.

Das Selbstverständnis der Archäologie

Archäologen, die "eine alte Scherbe wie eine Hostie betrachten" gibt es sicher auch heute noch. Eine nennenswerte Rolle dürfte das aber kaum spielen, gleichwohl zeigt sich hier, wie wichtig auch eine in Deutschland fehlende Theoriedebatte für die Praxis sein kann. Auseinandersetzungen über Sinn und Zweck des Faches sind in der Tat grundlegend.



Die Probleme, die Borger damals ansprach, sind auch nach 30 Jahren aktuell, wenn sich auch die Rahmenbedingungen verschoben haben.
Als Erklärung für die damalige (und heutige) Braunkohle-Misere reicht die mangelnde Qualifikation der Absolventen nicht aus - längst hätte man dafür Arbeitsbedingungen schaffen müssen, um langfristig Personal auszubilden und zu halten. Das ist allerdings teurer als ein paar Stipendien.

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