Integration ist in Deutschland zur Zeit ein heiß diskutiertes politisches Thema. Speziell geht es um die türkischen Zuwanderer und ihre inzwischen in Deutschland geborenen Kinder und Enkelkinder. Wie so oft fehlt es der Diskussion an der historischen Perspektive. Der Blick zurück kann zeigen, wie Integrationsprozesse ablaufen können. Dabei kann auch die Archäologie eine interessante Rolle spielen.
Ende des 17. Jahrhunderts wurden in Frankreich die Protestanten verfolgt und viele flohen ins damalige deutsche Reich. In verschiedenen Regionen entstanden Waldenser- oder Hugenottensiedlungen. Ihre Geschichte zeigt, wie lange Integrationsprozesse dauern können und in welchen Bereichen Traditionen besonders lange lebendig bleiben.
An vielen Orten hatte sich bis ins 20. Jahrhundert die französische Sprache erhalten, ebenso lange dauerte die Integration der Waldenser in die evangelischen Landeskirchen, wo sie aber bis heute eine gewisse Sonderrolle spielen.
Foto R. Schreg |
Die Veränderung der Alltagskultur ist hingegen sehr schwer zu erfassen. Hier bietet sich ein interessantes, bisher nicht aufgegriffenes Arbeitsfeld für die Archäologie der Neuzeit. M.W. liegen allenfalls von siedlungsgeographischer und heimatgeschichtlicher Seite einzelne Studien vor.
Das Beispiel Louisendorf in Nordhessen wirft ein Schlaglicht auf die Möglichkeiten: 1687 wurde der Ort an Stelle einer älteren Wüstung gegründet. Es erfolgte eine planmäßige Anlage als Straßendorf mit Kirche und Schule, die an der Mitte der Straße einander gegenüber lagen. Die Häuser wurden von heimischen Handwerkern im nordhessischen Stil errichtet. Teilweise finden sich an den Gebäuden jedoch französische Inschriften.
Louisendorf: französische Inschrift an einer Scheune (Foto R. Schreg) |
Louisendorf: Schulscheuer (Foto R. Schreg, 2010) |
Zur Schule gehörte eine Scheune, da der Lehrer eine eigene Landwirtschaft betrieb. Sie wurde allerdings erst später erbaut. In einem Ortsplan von 1732 ist sie noch nicht verzeichnet. In ihrer Bauweise unterscheidet sie sich von den Fachwerkhäusern nordhessischen Stils, die das sonstige Ortsbild prägen. Sie ist als Feldsteinbau ausgeführt, wie er Parallelen in den Herkunftsgebieten der Siedler findet. Ein bis zwei Generationen nach der Ansiedlung wurde offenbar auf ältere Bautraditionen zurück gegriffen.
Interessant wäre es, weitere Elemente der Alltagskultur genauer zu betrachten. Keramik bietet sich dafür an, doch fehlt es bislang an Fundmaterial (allerdings habe ich erste Hinweise, wo evtl. Material vorliegen könnte).
Wahrscheinlich ist mit lokalen Unterschieden des Integrationsprozesses zu rechnen. In Louisendorf sind die Flurnamen 1732 zumindest in der damaligen Karte deutsch verzeichnet, während im württembergischen Perouse noch Mitte des 19. Jahrhunderts die Flurbezeichnungen auf französisch erscheinen.
Integration dauert und braucht Geduld.
Abgesehen davon, dass hier exemplarisch Integrationsprozesse verfolgt werden können, scheint eine archäologische Studie zu den Waldensersiedlungen vor dem Hintergrund der Debatte um Migration und ethnische Identitäten auch methodisch sehr interessant: In welchen Bereichen der archäologischen Überlieferung lassen sich Fremde tatsächlich erfassen?
Vergleichbare Studien gibt es aus der amerikanischen Historical Archaeology. Vielleicht lässt sich ja ein Forschungsprojekt initiieren, das exemplarisch zwei bis drei Siedlungen ins Auge fasst. Bis dahin braucht es noch etwas Vorarbeiten...
(academia.edu)
3 Kommentare:
Ein sehr interessanter Beitrag... mein Wohnort Walldorf war eine der größten Waldensergemeinden in Deutschland - auch der Ortsname ist wohl aus dem Begriff "Waldenser" entstanden:
http://www.wernerwabnitz.de/WalldorferStadtgeschichte.htm
Hinsichtlich dieser Debatte wäre es wohl förderlicher, auch die Größenordnungen sowie den Umfang der kulturellen Diskrepanzen zu betrachten. Ein adäquater Vergleich zu den heutigen und noch kommenden Vorgängen ist m.E. nur mehr die Völkerwanderungszeit.
Schon richtig: Die Skalenfrage spielt eine entscheidende Rolle.
Dabei muss man aber auch bedenken:
1.) befinden wir uns in vormoderner Zeit, in der für die Durchschnittsbevölkerung der eigene Erfahrungshorizont sicher deutlich begrenzter war als unter den Bedingungen moderner Reise- und Kommunikationsmöglichkeiten.
2.) haben wir es hier auf der folglich relevanten lokalen Ebene mit einer ganz erheblichen Zuwanderung zu tun, die mit modernen Größenordnungen vielerorts wohl durchaus vergleichbar ist.
3.) sollte man Mobilität in der Vergangenheit nicht unterschätzen - sie ist wohl oft nur deshalb nicht wahrnehmbar, weil Nation und folglich 'Ausländer' nicht als wesentliche Größen angesehen wurden.
4.) Kulturelle Diskrepanzen sind damals wie heute vor allem eine Frage subjektiver Wahrnehmungen.
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