Sonntag, 26. Februar 2017

Zeichnerische Dokumentation von Keramikfunden

Die Dokumentation von Keramikfunden erfolgt in einer Kombination von Bild und Text. Traditionellerweise werden die Funde in Zeichungen vorgelegt, da diese am besten die formalen Eigenschaften darstellen und zudem schnell erfassbar machen. Zwingend  müssen die Zeichnungen aber durch eindeutig zuweisbare Beschreibungen ergänzt werden - was leider auch in wichtigen Keramikbearbeitungen nicht immer der Fall ist. Zusätzlich sollten unbedingt auch fotografische Farbabbildungen charakteristischer Scherben gegeben werden, die einen Eindruck von der Scherbenbeschaffenheit vermitteln können.


Hinweise zum Zeichnen

Richtlinien und Stile

Allgemeingültige Zeichenrichtlinien gibt es nicht, wohl aber Richtlinien für einzelne Zeitschriften oder Publikationsreihen (z.B. Landesdenkmalamt Baden-Württemberg). Ein gewisser Standard hat sich bei modemen Fundvorlagen jedoch durchgesetzt und sollte nicht unterboten werden. So müssen die Zeichungen das Profil und auch den Durchmesser des Gefäßes angeben.

Regional und auch innerhalb einzelner Wissenschafts-Communities innerhalb der Archäologie haben sich indes gewisse Gewohnheiten oder Konventionen ergeben. So wird römische Keramik, die relativ weitgehend standardisiert und gleichmäßig auf der Drehscheibe gearbeitet ist, meist schematischer gezeichnet als Keramikfunde der Vor- und Frühgeschichte oder des Mittelalters, indem beispielsweise auf eine Darstellung der einzelnen Scherben verzichtet wird.
römische Keramik aus Bräunisheim.
Die Zeichnung verzichtet auf eine Darstellung  der einzelnen Scherben
(Zeichnung: R. Schreg)


Bei vor- und frühgeschichtlichen Keramikfunden wird hingegen meist die einzelne Scherbe fein schattiert dargestellt. In der Regel wird dazu eine Punktierung vorgenommen.

Völkerwanderungszeitliche Keramikscherbe aus Treffelhausen. Die Zeichung zeigt mittels Punktschattierung die Unregelmäßigkeiten der Oberfläche, wie sie für handgemachte Keramik nicht untypisch ist. Da der Durchmesser des Gefäßes nicht zu bestimmen ist, wurde hier auf eine Rundergänzung verzichtet.
(Zeichnung: R. Schreg)

Oft haben die Stile einzelner Zeichner die Sehgewohnheiten der Forschung bestimmt. So hat über lange Jahre in Baden-Württemberg  der Zeichner Thomas Schwarz für das Landesdenkmalamt die mittelalterliche Keramik aus den Regierungsbezirken Stuttgart und Tübingen gezeichnet, mit seiner charakteristischen Schraffur aber bald auch darüber hinaus die Fundzeichnungen bestimmt.
 

Grundprinzipien

Auf der linken Bildseite befindet sich das Profil (nicht seitlich herausgezeiclmet) und die Innenansicht, auf der rechten Seite die Außenansicht des Scherbens. Vielfach werden die beiden Hälften durch eine Mittellinie getrennt, doch ist es oftmals praktischer, auf diese Mittellinie zu verzichten und stattdessen die vorhandene(n) Scherbe(n) in die Mitte zu rücken. Die Darstellung der einzelnen Scherben ist sinnvoll,, da so wesentliche Aussagen zur Erhaltung und zur Sicherheit der Rekonstruktion gemacht werden. Auch ist das Fundstück damit leichter im Originalbestand zu identifizieren. Bei großen Scherben oder bei fast vollständig erhaltenen Gefäßen ergeben sich durch die Rundung jedoch Schwierigkeiten, den Gesamtbestand an Scherben darzustellen, zumal die Dokumentation verschiedener Ansichten nicht üblich ist, selbst dann nicht, wenn manuell angebrachte Verzierungen vorliegen (siehe folgende Abb., Nr. 4). Hier behilft man sich ggf. durch Abrollungen der verzierten Partien des Gefäßes.
In einigen Fällen, vor allem bei weitgehend erhaltenen Gefäßen ist es pragmatisch, auf die Mittellinie zurückzugreifen. Zum einen wird so der Zeichenaufwand reduziert, zum anderen aber bleibt die Zeichnung leichter lesbar.
 
zeichnerische Keramikdokumentation: Hochmittelalterliche Keramik aus Merdingen FR (1-2) und Altdorf BB (3-5)
1 u. 2 Umzeichnung am Computer mit Fotomontage, 3-5 manuelle Umzeichnung. Im Falle der Zeichnung 4 wurde Wert darauf gelegtm, die Tülle in Frontalansicht zu zeigen, weshalb das Fragment auf der linken Seite nicht vollständig dargestellt werden kann. Vorliegende Scherbe beschränkt sich auf die Darstellung des Henkels im Profil und gibt weder Seitenansicht noch Profil der Tülle. Dies müsste gesondert herausgezeichnet werden
(Zeichnungen: R. Schreg)
 
Das Profil sollte freigestellt sein, d.h. die Binnenstruktur und die ergänzenden Linien für Rand und Kanten dürfen nicht direkt an das Profil angesetzt werden, sondern müssen einen Abstand von ca. 2 mm halten, damit die Details der Profilführung für den Betrachter leicht erkennbar bleiben. Das Profil selbst sollte dunkel angelegt werden, damit es bei einem Durchblättern der Abbildungen leicht ins Auge fällt. Ideal erscheint eigentlich die Schwärzung des Profiles, doch wird dies in jüngerer Zeit aus ästhetischen Gründen zunehmend aufgegeben. Eine Schraffur macht das Profil optisch unruhig, ein Raster ist bei traditioneller Ausführung mittels Rasterfolie teuer und aufwendig. Eine Punktierung des Profiles ist unüblich, obwohl sie genutzt werden könnte, Dichte und Größe der Magerung darzustellen. Eine digitale Bildbearbeitung erlaubt eine Graufüllung des Profils.

Der weitere Wandungsverlauf sollte im Profil mit einzelnen kurzen Strichen angegeben werden, da das Profil häufig an einer Knickstelle abbricht, die am Original durchaus noch erkennbar sein kann.
Grundsätzlich genügt eine einfache Strichdarstellung. In der Ansicht sollte aber durch Schattierung eine gewisse Plastizität vermittelt werden, da die Zeiclmungen dadurch übersichtlicher werden. Dies muß jedoch sparsam geschehen, da die Zeiclmung sonst zu dunkel wird. Dabei ist die Lichtquelle links oben zu denken.
 
Handgemachte Keramik wird punktiert, Scheibenware mit Linien schattiert. Aus wirtschaftlichen Gründen kann auf eine - zeitintensive - Schattierung bei einfachen Formbildungen verzichtet werden, Biegungen können dann mit feinen horizontalen Linien angedeutet werden: unterbrochen bei sanften Biegungen, durchgehend bei scharfen Kanten oder Knicken. Ein solches Vorgehen ist bei römischer Keramik seit langem üblich, hier wird fast immer auch komplett auf die Darstellung des Einzelscherbens verzichtet.
Schadensbilder (Abplatzungen, Bruchflächen, Risse) sollten zur Dokumentation eventueller Sekundäreinwirkungen oder Fehlbrände und zur leichteren Wiedererkennung und eben zur Angabe der Rekonstruktions- und Bestimmungssicherheit knapp angegeben werden.

Zum praktischen Vorgehen

Skizziert wird hier ein einfaches, erprobtes Verfahren für eine manuelle Zeichnung einzelner Keramikscherben. Erforderliche Materialien:
  • kariertes Papier, ggf. auch auf Millimeterpapier
  • weicher Bleistift
  • Profilkamm
  • Schieblehre
  • Orientierungsquader: kleine Klarsichtbox oder rechtwinkliger Holzblock mit angeklebtem Spiegel, ca. 3 cm hoch (zur Orientierung von Rand- und Bodenscherben)
  • Modelliermasse/ fettfreie Knetmasse (z.B. FIMO)
  • Radialmillimeterpapier
sofern die Weiterbearbeitung nicht am Bildschrim erfolgt weiterhin 
  • hochtransparentes Papier (sog. Entwurfblock)
  • Tuschestifte unterschiedlicher Stärke 0,8 mm 1,2 mm (wichtig: gleichmäßige Linienstärke, lichtecht)
Zunächst werden die Scherbenansicht und das Profil auf einem karierten Papier angefertigt. Karo bzw. Millimetereinteilung sind wichtig als Orientierungslinien beim Einsatz des Profilkammes.
Abnahme des Profils der am Quader (hier Klarsichtplastikbox)
ausgerichtete Scherbe
(Foto: R. Schreg)
  1. Orientierungsquader auf kariertem Papier an Grundlinie platzieren, so dass die Scherbe gelegt werden kann.
  2. Die Randscherbe wird an der senkrechten Fläche des Quaders, also an Grundlinie 1 ausgerichtet. Eine Spiegelwirkung der senkrechten Quaderfläche erleichtert die präzise Orientierung der Scherbe. Mit Modelliermasse, läßt sich die Scherbe fixieren. Gegenüber einer Orientierung der Scherbe an der Tischplatte bietet dies Verfahren die Möglichkeit, die Scherbe für die folgenden Schritte in ihrer Position fixiert zu halten.
  3. Zeichnen des Umrißes: Mit einem einfachen Bleistifthalter, der eine seitliche Kippung des Stiftes verhindert, wird die Scherbe umfahren. Ersatzweise kann eine feine Bleistiftmine mit Klebestreifen an einem Geodreieck fixiert werden.
  4. Anlage des Profiles. Die Scherbe muß zunächst in ihrer fixierten Lage bleiben. Mit dem Profilkamm wird das Außenprofil abgenommen. Der Profilkamm muss die Tischplatte sowie die Oberseite des Orientierungsquaders mit erfassen. Damit ist das Profil in seiner Stellung richtig orientiert. Zum Übertrag auf das Papier dient eine Linie rechtwinklig zu Grundlinie 1 (= Grundlinie 2). Wenn der Orientierungsquader nicht zu groß ist, kann das Nachzeichnen des Profiles sofort geschehen, ansonsten kann der Übertrag erst nach Punkt 5 erfolgen.
  5. Zeichnung der Binnenstrukturen. Mit sorgfältiger Senkrechtpeilung bzw. der Einmessung mehrere Punkte werden die wesentlichen Elemente der Ansicht (Verzierungen, wichtige Bruchkanten etc.) in die vorhandene Umrißzeichnung übertragen. Gegebenenfalls muss die Scherbe aus ihrer Position entfernt werden. Mit Hilfe des Quaders und der zuvor gezeichneten Umrissßlinie lässt sie sich aber mit genügender Präzision in ihrer richtige Position zurückführen, um markante Stellen auf das Papier abzutragen. Bei schwierigeren Verzierungen hilft ein Abrieb, der dann aber in die nach hinten optisch verkürzte Ansicht projeziert werden muß (zeichnerische Konstruktion!).
  6. Ergänzung des Profils. Durch Messen der Dicke und Abnalnne des Innenprofiles wird die Profilzeichnung auf der linken Seite ergänzt.
  7. Ermittlung des Durchmessers: An einer charakteristischen Stelle wird mit dem Profilkamm die Biegung des Gefäßes aufgenommen und mit Hilfe des Radialmillimeterpapiers der Radius bestimmt. Damit kann die Mittellinie bestimmt werden. Ausgehend von der Profilzeichnung wird der Mittelpunkt des Gefäßes auf Grundlinie 1 markiert.
  8. Erstellung der Reinzeichnung
  9. Umzeichnen auf Transparentpapier
    (Foto: R. Schreg)
    • manuell: Die Vorzeichnung mit Bleistift wird auf dem Transparentpapier in richtiger Anordnung ausgetuscht. Zunächst wird das Profil gezeichnet und der Mittelpunkt des Gefäßes (siehe 7.) auf das Transparentpapier übertragen, dieser dient dazu, die rechte Konturlinie des Gefäßes richtig zu positionieren. Die rechte Rundergänzung kann auf der Rückseite des Transparentpapiers gezeichnet werden. Hinsichtlich der Strichstärke ist die Verkleinerung in den Endmaßstab zu beachten. Konturlinien sollten im Druck noch etwa 0,18 mm stark sein. 
    • digital: Die Handzeichnung wird eingescannt und am Computer mit einem Vektorprogramm nachgezeichnet.
      1. Die Bilddatei sollte bei angestrebter Schwarz-Weiß-Abbildung als s/w-Bild eine Auflösung von 1200 dpi, bei Darstellung (wegen Raster etc) als Grauwert-Format mindestens 300 dpi, kein jpg-Format (!).
      2. anstelle der Ansichtszeichung der Scherbe kann jetzt auch ein Foto eingebunden werden. Dieses muss aber ebenfalls in einer möglichst weniger verzerrten senkrechten Aufnahme vorliegen. 
  10. Schattierung (möglichst sparsam) oder Andeutung von Umbruchstellen.
  11. ggf. Füllung der Profile
  12. ausgetuschte Zeichnung auf Transparenzpapier
    (Foto: R. Schreg)
  13. Beschriftung der Zeichnung mit Fundort, Fundnummer und möglichst einer kleinen Maßstabsleiste. Ich notiere mir bei den Zeichnungen i.R. auch einige Stichworte zur Beschreibung.


Diese Zeichentechnik ist relativ schnell. Sie funktioniert jedoch nicht, wenn mehr als 50% des gefäßumfangs erhalten sind. Abhängig vom eigenen Geschick und Übung sind selbstverständlich andere Wege denkbar.
Ich vermerke mir auf den Zeichnungsskizzen wie auch den Reinzeichnungen meist die Beobachtungen zu Magerungsgröße etc.und hefte diese auch ab. Das ist eine wertvolle Kontrolle für den Fundkatalog.

Digitale Dokumentation

Schon lange wird an Möglichkeiten einer digitalen Dokumentation von Keramikfunden gearbeitet. Bereits in den 1980er Jahren wurde versucht, computergestützte Verfahren zu entwickeln, die vor allem bei Drehscheibenware die zeichnerische Keramikerfassung erleichtern. Inzwischen geht es um 3D-Modelle von Keramikfunden. Es wird sich zeigen müssen, inwieweit 3D-Modelle die traditionelle graphische Keramikdokumentation zu ersetzen vermögen. Ihr Informationsgehalt ist deutlich umfassender (wenngleich Beschreibungen weiterhin notwendig sein werden), doch liegt darin auch ein wesentliches Problem: Die traditionellen Zusammenstellungen von Fundzeichnungen auf gedruckten Tafeln ermöglichen ein zügiges Durchblättern und ein rasches optisches Erfassen der Funde. Solches wird für das wissenschaftliche Arbeiten weiterhin notwendig sein, weshalb Präsentationsformen für 3D-Modelle entwickelt werden müssen, die genau dieses ermöglichen. Idealerweise wird man aus 3D-Dokumentationen Standardansichten generieren, die an die bisherigen Sehgewohnheiten anknüpfen (Profil, skizzenhafte Rundergänzung) und eine rasche Vergleichbarkeit mit älteren Publikationen erlauben.
Vorteile der 3D-Dokumentation liegen in einer größeren Genauigkeit und einem meist schonenderem Umgang mit dem originalen Fundobjekt.



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