Donnerstag, 6. Juni 2024

Hochwasser in Regensburg – was wir aus der Geschichte lernen können

ein Gastbeitrag von Iris Nießen 

Das Hochwasser in Regensburg hat am Messpunkt der Eisernen Brücke am 02. Juni 2024 die Meldestufe 4 und in den folgenden Tagen einen Wasserstand von 6 m über Pegelnull erreicht. Die Stadt Regensburg war in ihrer Geschichte häufig von Hochwasserereignissen betroffen, die das Ausmaß diesen Jahres deutlich überstiegen. Archäologische und schrifthistorische Quellen ermöglichen es, die Höhe der vergangenen Hochwasserereignisse zu rekonstruieren und zeitlich einzuordnen. Diese Daten können wichtige Anhaltpunkte bieten, um die aktuellen Ereignisse einzuordnen.

 

Regensburg hatte in der Vergangenheit Wasserstände von über 11 m über Pegelnull

Das letzte große Hochwasser in Regensburg im Juni 2013 erreichte mit 7,3 m über Pegelnull einen noch höheren Wasserstand als dieses Jahr und überschwemmte unter anderem die damals laufenden archäologischen Ausgrabungen am Regensburger Donaumarkt, dem heutigen Standort des Museums der Bayerischen Geschichte. Die Ausgrabung selbst ist eine wichtige Quelle für vergangene Überschwemmungshorizonte aus dem Mittelalter. Eine Auswertung der archäologischen Befunde und der Schriftquellen aus Regensburg zeigt, dass es während des Mittelalters Wasserstände von bis zu 11,6 m über Pegelnull gegeben hat. Hierzu gehören unter anderem eine Überspülung der Steinernen Brücke im Jahr 1284 und Hochwasser bis an die Treppen des Domes im Jahr 1235/36. Diese liegen damit höher als die überlieferten Extremhochwasser der Neuzeit, beispielsweise 1784 mit 8,4 m über Pegelnull und 1845 mit 7,5 m über Pegelnull, was einem HQ100 (einem im Schnitt alle hundert Jahre wiederkehrenden Hochwasser) entspricht. Die Analyse von archäologisch erfassten Überschwemmungsschichten zeigt im Vergleich zu der schriftlichen Überlieferung, dass die Schriftquellen sehr lückenhaft sind und offenbar nur vereinzelte Extremereignisse dokumentieren. Bei der Beurteilung der Schwere der Hochwasserereignisse und der Wasserstände muß die fachspezifische Quellenkritik jeweils beachtet werden. Bei den historischen Pegelständen sollte darüber hinaus bedacht werden, dass die Donau noch nicht begradigt war und eine niedrigere Flusssohle besaß. 

Regensburg im Juni 2013; vollständig überschwemmtes Grabungsareal am Donaumarkt
(Foto: Archaios GmbH; Nießen/Wollenberg 2019, Abb. 1).


 

 

Eigentlich sind Winterhochwasser typisch für Regensburg

Regensburg hat aufgrund seiner geografischen Lage ein starkes Risiko für schwere Winterhochwasser, da die nordbayerischen Zuflüsse Wörnitz, Altmühl, Naab und Regen ihr Niederschlagsmaximum im Winterhalbjahr haben. Damit unterscheidet sich die Situation in Regensburg stark vom Süden Bayerns. Witterungsklimatisch sind folgende Risikofaktoren für Regenburg typisch: 

  1. plötzlich einsetzendes Tauwetter mit Schneeschmelze, 
  2. Warmlufteinbruch mit Dauerregen auf Schneedecke und gefrorenem Boden, 
  3. starke Wasserführung von Naab und Regen gemeinsam mit der sommerlichen Haupthochwasserwelle der Donau. 

Tatsächlich sind durch Schriftquellen über 30 schwere Winterhochwasser in Folge von Schneeschmelze und plötzlich einsetzendem Tauwetter, teils verbunden mit Eisgang, für den Zeitraum des 12. bis 19. Jahrhunderts überliefert - wohingegen schwere Sommerhochwasser aufgrund starker Regenfälle lediglich für die Jahre 1210, 1275, 1295 und 1501 überliefert sind. Der Bau der Steinernen Brücke 1135-1146 dürfte die Hochwasserlage noch verschärft haben, da sich an der Brücke das Eis staute und so die Stadt überschwemmt wurde. Die entlang der Donau verlaufende Stadtmauer diente damals auch dem Hochwasserschutz und verhinderte das Eindringen von Schlamm und Eis in die Stadt - eine Funktion, die heute portable Spundwände übernommen haben.

 

Regensburg: Verwüstungen durch den Eisgang am 28./29. Februar 1784
(Stich von Johan Mayr, Stadtarchiv München DE-1992-HV-BS-B-11-43 via WikimediaCommons)

 

Über- und Unterspülung der Donauinseln (Wöhrde)

Die Regensburger Donauinseln waren schon immer von Hochwasser besonders gefährdet. Hier siedelten Fischer, Müller und Handwerker im suburbanen Bereich vor der Stadt. Heute sind die Wöhrde weitgehend überbaut und Teil der Stadt. Das überlieferte Hochwasser von 1304 zeigt wie stark die Flussinseln von Überschwemmungen betroffen sein konnten. Das Hochwasser zerstörte Teile der Donauinseln stromaufwärts der Steinernen Brücke, wodurch sich der Flusslauf veränderte. Es strömte nun mehr Wasser in das tiefer liegende Flussbett bei Stadtamhof, wodurch die Regensburger Schifflände trocken zu fallen drohte. Für die Regensburger war dies eine echte Umweltkatastrophe mit wirtschaftlichen Folgen. Aus diesem Grund errichteten die Regensburger an der Spitze des Oberen Wöhrdes ein Beschlächt (sog. Wöhrloch). Dieses sollte den Wasserfluss kontrollieren und sorgte wieder für mehr Wasser für die Mühlen und den Hafen an der Stadtseite. Dieses Wasserbauwerk war in der Folge immer wieder ein Streitpunkt zwischen Stadtamhof (Bayerisches Herzogtum) und der Freien Reichsstadt Regensburg. Allgemein waren die Regensburger durch den Bau der Steinernen Brücke schon früh dazu gezwungen, Wasserbau zu betreiben, da es für die Brücke notwendig war, den Fluss im vorgesehenen Flussbett zu halten. Die Ausgrabungen am Regensburger Donaumarkt zeigen verschiedene Uferbefestigungen bereits ab dem frühen Mittelalter.

 

Orientierungswissen für heute

Forschungen zu vergangenen Hochwassern sowie der historischen Umgestaltung von Auen und Flüssen bieten ein wichtiges Orientierungswissen für heute und sollten in hochwasserpolitische Entscheidungen einbezogen werden. Viele wasserbauliche Strukturen haben ihre Ursprünge im Spätmittelalter und der Neuzeit und zeigen Pfadabhängigkeiten zu heutigen Problemen im Wasserbau und den Nutzungskonflikten auf. 

 

Höhenangaben zu Hochwassern in Regensburg. Abkürzungen: MNW: mittlerer niedrigster Wasserstand; MW: mittlerer Wasserstand; MHW: mittlerer höchster Wasserstand
(Nießen/Wollenberg 2019, Abb. 11).

 

Ein aktuelles Projekt, das von der DFG gefördert wird, forscht derzeit zur vorindustriellen Überprägung von Flüssen und Auen im Einzugsgebiet von Rhein, Donau und Elbe. Das Schwerpunktprogramm „Auf dem Weg zur Fluvialen Anthroposphäre“ untersucht mit sieben Teilprojekten deutschlandweit die komplexen Mensch-Natur Wechselwirkungen an Fluss und Aue: https://www.physes.uni-leipzig.de/fluviale-anthroposphaere

 

Die Textinhalte und Quellennachweise (archäologischen Quellen, quantitative Erfassung der Schriftquellen zu Hochwasser in Regensburg) sind ausführlich publiziert in:

  • Iris Nießen/Doris Wollenberg, Aus Fluss wird Stadt – Die Stadtentwicklung im Osten von Regensburg im Fokus von Hochwassern und Landgewinnung. In: D. Schneller / G. Lassau (Hrsg.), Erdbeben, Feuer, Wasser und andere Katastrophen. Ihr Einfluss auf die Stadtentwicklung und Stadtgestalt im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit (Basel 2019) 1-25. Volltext unter: https://www.denkmalpflege.bs.ch/dam/jcr:14d886e5-15e9-41b1-ae90-1021ac55d298/Pub_Erdbeben_Feuer_Wasser_2019_Web.pdf ISBN 978-3-03797-597-8
  • Iris Nießen, Donau – Ufer – Regensburg. Genese einer Ufersiedlung zum mittelalterlichen Stadtquartier. Die Ausgrabungen am Regensburger Donaumarkt / „Museum der Bayerischen Geschichte" 2009-10 und 2012-15. Regensburger Studien 29 (Regensburg 2023).

 

 



Iris Nießen hat mit einer mehrfach Preis-gekrönten Dissertation über die Ausgrabungen am Donaumarkt in Regensburg an der Universität Jena promoviert und arbeitet aktuell im SPP Fluviale Anthroposphäre. Ihr Interesse gilt der Umweltarchäologie und der archäologischen Kulturlandschaftsforschung.

 

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