Dienstag, 13. April 2021

Altflurrelikte als historische Quelle

Die Landwirtschaft ist unsere Lebensgrundlage. Durch Technisierung und Industrialisierung hat sie sich jedoch in den letzten Generationen radikal verändert und stellt uns heute vor zahlreiche Umweltprobleme wie Überdüngung und Nitratbelastung der Böden, Erosion oder Artensterben. Die Kenntnis vergangener Wirtschaftsweisen kann helfen zu erkennen, wo Risiken und Chancen liegen und wie sensibel Agrarökosysteme auch ohne moderne industrielle Bewirtschaftung sind.

Traditionelles Wissen zu landwirtschaftlichen Praktiken geht verloren, Da Schriftquellen nur wenige, allenfalls punktuelle Einblicke in frühere Landnutzung ergeben sind Kulturlandschaftsrelikte wichtige historische Quellen, die es zu erforschen und zu erhalten gilt.

Altflurrelikte gibt es in großer Zahl. Sie sind schwer zu datieren und zu erforschen, besitzen aber dennoch ein großes Aussagepotenzial für vergangene Landnutzungspraktiken. Ich setze mich schon länger mit dem Thema auseinander (vergl. Feld-, Wald- und Wiesenarchäologie - Antrittsvorlesung publiziert. Archaeologik 12.1.202), weil mich einerseits das Potenzial fasziniert, mehr über die Agrargeschichte allgemein, andererseits aber auch zur jeweiligen lokalen Siedlungsgeschichte im besonderen zu lernen.

Nach der weiträumigen Perspektive der Feld-, Wald- und Wiesenarchäologie ist num ein Artikel von mir im Nachrichtenblatt der Denkmalpflege in Baden-Württemberg erschienen. Hier geht es nun um die Situation in Südwestdeutschland, insbesondere um die Wölbäcker.

Wölbäcker stehen für eine mittelalterliche Veränderung der Agrarlandschaft, wenn auch noch immer nicht ganz klar ist, wie diese genau einzuordnen ist. Im selben Heft ist vor meinem Beitrag ein Aufsatz von Richard Vogt abgedruckt, der Wölbäcker am Federsee vorstellt, für die eine relativ frühe Datierung in die späte Merowinger- oder frühe Karolingerzeit wahrscheinlich gemacht werden konnten.

Dennoch scheint es aktuell naheliegend, die Wölbäcker eher im Kontext der Entwicklung der Gewannfluren und der Dreizelgenwirtschaft und indirekt der Dorfgenese überwiegend des 12./13. Jahrhunderts zu sehen. Hier wird man freilich landschaftlich stärker differenzieren und die lokalen Sozial- und Herrschaftsverhältnisse berücksichtigen müssen. Derzeit sieht es auch so aus, als sei die Einführung der Dreizelgenwirtschsft keineswegs der große agrartechnologische Fortschritt, die die Forschung hier lange gesehen hat. Es ist im Gegenteil wahrscheinlich, dass diese Art des Ackerbaus die Krise des 14. Jahrhunderts zumindest begünstigt hat. Hier ist vieles noch Hypothese, aber es ist wichtig, diese dennoch zu formulieren und zu präsentieren, denn ein Forschungsfortschritt ist nur möglich, wenn es gelingt, die Methoden und die Datenbasis auszubauen. Voraussetzung dafür ist es aber, dass eine Fragestellung und ein Ziel vor Augen steht. 


Wölbäcker bei Albershausen GP
(Foto: R. Schreg, Februar 2020)

Es freut mich daher, dass im Editorial des Nachrichtenblattes der Regierungspräsident des Regierungsbezirks Stuttgart Wolfgang Reimer die Thematik aufgreift und schreibt; “Hier eröffnet sich ein wichtiges neues Forschungsfeld auch für die archäologische Denkmalpflege.“

Und: Auf Veranlassung des Landesamts für Denkmalpflege Baden-Württemberg ist im Vorfeld der Erschließung eines Neubaugebietes in Albershausen ein vielversprechende Projekt entstanden, das sehr interdisziplinär und in Kooperation von Denkmalamt, Universitäten (Tübingen und Bamberg), Landkreis, Gemeinde und Grabungsfirma an solch einem Wölbackerkomplex arbeitet.


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