Freitag, 5. März 2021

Antikenhehlerei online: Die ATHAR-Studie zu facebook

Digitale Medien sind wichtig für die Wissenschaftskommunikation - sie haben aber auch eine enorme Bedeutung für die Antikenhehlerei. Ihre Analyse liefert wichtige Informationen über das Funktionieren des illegalen Handels und zeigt Handlungsoptionen auf.

(Foto:voteprime [CC BY-NC-SA 2.0] bei flickr)


Speziell mit facebook setzt sich das investigative Projekt "The Antiquities Trafficking and Heritage Anthropology Research (ATHAR)" auseinander. Es wertet facebook aus, um die Unterwelt von Schmuggel, Terrorfiannzierung und organisiertem Verbrechen zu beleuchten. ATHAR kooperiert mit  The Day After Heritage Protection Initiative und Alliance to Counter Crime Online. Der Name Athar leitet sich vom arabischen Begriff für 'Altertümer' ab.
In einem Bericht zu den Beobachtungen im Jahr 2019 kommt ATHAR zu folgenden Kernaussagen:
  • Eine Analyse von 95 arabischen Facebook-Gruppen, die für den Handel mit Antiken eingerichtet wurden, zeigt, dass die Administratoren („Admins“), die Gruppen verwalten, eng miteinander verbunden sind und eine globale Reichweite haben.
  • Diese Gruppen nutzen Facebook als Plattform für Antikenhehlerei, entweder im direkten Konatkt mit Käufern und Verkäufern oder durch Mittelsmänner. die als Zwischenglied zwischen Interessenten und Terrorgruppen dienen.
  • Es gibt 488 einzelne Administratoren, die fast 2 Millionen Mitglieder in 95 Facebook-Gruppen verwalten. 23 der Administratoren verwalten vier oder mehr Gruppen. Ihr Einfluss erstreckt sich bis in die USA, wo ein amerikanischer Antikenhändler ein Facebook-Freunde eines Administrators ist, der mehrere Trafficking-Gruppen und -Seiten auf Facebook betreibt.
  • Zu den Gruppenmitgliedern gehört eine Mischung aus Durchschnittsbürgern, Zwischenhändlern und gewalttätigen Extremisten. Zu den gewalttätigen Extremisten zählen derzeit Personen, die mit syrischen Terrorgruppen, aber auch mit Al-Qaida- oder dem Islamischen Staaten (ISIS)/ Daesh verbunden sind.
  • Administratoren der Facebook-Gruppe verlangen von Benutzern, die über die fb-Gruppe einen Verkauf tätigen oder Kontakt aufnehmen eine Gebühr. Administratoren können eine Gebühr aus Verkäufen erheben, die durch Kontakte in ihrer Gruppe erzielt werden. Die Gebühr wird von einigen als „Khums-Steuer“ bezeichnet, was an die Steuerpraxis des ISIS erinnert.
  • Die Hehler bieten auch große Artefakte an, darunter Mosaike, architektonische Elemente und pharaonische Särge, die sich noch in situ befinden. Diese Stücke finden Käufer, bevor die Plünderung erfolgt.
  • Die Überwachung von sozialen Medien bietet den Behörden damit eine seltene Gelegenheit, Plünderungen zu stoppen, bevor ein Objekt dem Boden entrissen - und der archäologische Befund zerstört wird.

Ausführliche Berichte und Dokumentationen finden sich auf der Seite von http://atharproject.org zum Download:

In einer Fallstudie zu syrischen Facebook-Gruppen zeigte sich, dass Beiträge von Nutzern in Konfliktgebieten mehr als ein Drittel aller Beiträge mit Artefakten ausmachen. Bei 36% der Posts, die Artefakte anbieten, lassen sich Standorte in Konfliktzonen identifizieren, bei 44% der Posts liegen die Standorte in Ländern, die an die Konfliktzonen angrenzen. Die Website enthält eine interaktive Karte, die dies anschulich zeigt. Kartiert sind die Standorte von Admins und Usern von 4 einzelnen fb-Gruppen, in denen syrische Antiken angeboten wurden. Eine Gruppe wird beispielsweise von sechs Admins betrieben, von denen vier in Syrien, Idlib und Hama sitzen, einer in Istanbuld und ein weiterer in Bamberg. Die User sitzen v.a. in Syrien und der Türkei. Gehandelt wird vor allem mit Münzen und Kleinfunden.

Die Seite verlinkt auch eine Petition von "Center on Illicit Network and Organized Crime", die sich an die US-Regierung wendet, die auf Grundlage bestehender Gesetze gegen den illegalen Handel in den Social Media einschreiten soll: 

 

Unter anderem berichtete BBC über die Ergebnisse der ATHAR-Studie:Als Reaktion kündigte 2020 facebook an, gegen Antikenhehlerei vorgehen zu wollen, die schon länger gegen ihre Richtlinien verstoße. Inhalt, der "encourages or attempts to buy, sell or trade historical artefacts"soll gelöscht werden.

Allerdings erschwert diese Politik nun auch die Ermittlung gegen Kriegsverbrecher und die Recherche nach Provenienzen:

Im Januar berichtete auch 3sat-Kulturzeit über "Kunstraub im Homeoffice":
Der syrische Archäologe Amr Al-Azm, Professor an der Shawnee State University in Ohio und Co-Direktor von ATHAR. fordert hier, dass facebook die geposteten Bilder in einer Datenbank speichert, da sie die einzigen Zeugnisse dieser geplünderten Artefakte darstellen und für Forshcung wie Strafverfolgung wichtig sind.
 
Facebook ist mit Sicherheit nicht die einzige Social Media-Plattform, die der Antikenhehlerei dient. Ähnliche Strukturen scheint es auf telegram zu geben. Darüber berichtet Oliver Moos:
Neill Brodie hat bereits Anfang 2016 auf seinem Blog  Market of Mass Destruction einen Fall des Angebotes mehrerer Halaf-Figurinen, wie sie auch auf der Roten Liste der UNESCO für Syrien stehen. Sie wurden auf ebay ohne jede Provenienzangabe angeboten und verstießen damit klar gegen die ebay-Richtlinien. Sie wurden dennoch verkauft:
 
 

Keine Kommentare: