Montag, 7. Mai 2012

Apothekengefäße aus Ingolstadt - eine Rezension

Fayence-Weithalsflasche (Objekt 3)
mit Inhaltsangabe
Sy[rupus] dE Cicho[rio] [cum Rha]barb
(Wegwartensirup mit Rhabarber) und
Jahreszahl 1571
aus dem Schacht

der Stadtapotheke in Imgolstadt
(Foto: ©Museum Ingolstadt,
mit freundl. Genehmigung)
Werner Endres, Christa Habrich, Gerd Riedel, Beatrix Schönewald
Apothekengefäße von 1571 bis ins 18. Jahrhundert in Ingolstadt. Keramische und pharmaziehistorische Untersuchungen.
Beiträge zur Geschichte Ingolstadts 7.
Herausgegeben von Stadt Ingolstadt, Bayerischem Landesamt für Denkmalpflege und Historischem Verein Ingolstadt  (Ingolstadt 2011)

ISBN 978-3-932113-57-4
39,-€

Bei Baumaßnahmen wurde 2003 in der Altstadt von Ingolstadt im Rahmen einer unter Zeitdruck stehenden Notgrabung ein unscheinbarer Abfallschacht geborgen. Das Grundstück in der Moritzstraße 17 liegt gegenüber dem Rathaus. "Das straßenseitige Gebäude ist ein stattlicher, dreigeschossiger Bau, der laut Dendrodatierung 1454/56 errichtet wurde. Lage und Gestalt des Hauses sprechen für wohlhabende Erbauer. Spätestens seit 1733 befand sich in diesem Gebäude die Stadtapotheke" (Beitrag Schönewald/ Riedel, S. 123). Der fragliche, ziegelgemauerte Schacht lag im ehemaligen Hinterhof des Gebäudes.


Die Funde aus diesem Schacht erwiesen sich als Reste der Ingolstädter Stadtapotheke, die noch vor der Gesamtpublikation der Grabung hier in einem Sammelband publiziert und in den größeren Kontext der Pharmaziegeschichte gestellt werden.


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Der erste Beitrag von Christa Habrich, Professorin für Medizin- und Pharmaziegeschichtean der LMU München behandelt die Stadtapotheke und geht beispielsweise näher auf Georg Kaiser ein, der Ratsmitglied und zugleich Stadtapotheker in Ingolstadt war. Bilder von ihm finden sich im Münster am Hochaltar wie auch auf seinem dort erhaltenen Epitaph. Der Leibarzt von Herzog Ludwig dem Reichen,  Johannes Parreut hatte in den Jahren 1476 und 1477 bei „Jörg apotecker zw Ingostat“ mehrfach pharmazeutische Waren gekauft. Weiters widmet sich Habrich Kaisers Nachfolger wie auch dem Apotheker-Eid von 1470. "In den Jahren 1568 bis 1571 drehte sich um die Stadtapotheke ein Bewerber-Karussell." (S. 19). 1571 übernahm schließlich Mathes Wolleben die Stadtapotheke, doch musste er auf eigene Kosten eine neue Apothekeneinrichtung bestellen. Dabei übernahm er sich finanziell und musste Ende des Jahres die Apotheke an die Stadt verpfänden. In der Folge sind mehrere Bitten um Zinsnachlässe und Streitigkeiten wegen überhöhter Preise der Stadtapotheke und um Nebengeschäfte mit Wachs und Seide greifbar. 1579 stirbt Mathes Wolleben; das Anstreben seiner Witwe, die Apotheke weiterzuführen, scheitert aufgrund von familiären Erbschaftsansprüchen. 1580 übernimmt Philipp Werner die Apotheke, die er bis 1606 führt. Neben den klassischen schriftlichen Quellen, die diese Apothekengeschichte in Ingolstadt rekonstruieren lassen, treten in Ingolstadt zahlreiche Beschriftungen von Apothekengefäßen, die inschriftlich auf 1571 datiert sind und offenbar zur neu angeschafften Apothekenausstattung von Wolleben gehörten. Mehrheitlich sind sie mit einem Kriegerkopf verziert. Die lateinischen Beschriftungen bezeichnen den Inhalt der Gefäße und verweisen so darauf, "dass es sich hier um eine Ware 'besonderer' Art handelte (S. 24). "Ausstaffiert mit einer großen Anzahl neuer, weiß-blau glänzender Fayence-Gefäße, säuberlich beschriftet und auf Regalen mit der Schauseite zum Publikum aufgestellt, dürfte diese Offizin eine Zierde der Stadt gewesen sein. Die Apotheke als Tempel der Gesundheit und Pracht, wo sich Apothekerkunst und Kunstfertigkeit der Töpfer vereinigen (S. 40)." Habrich kann hier Schriftquellen und archäologische Quellen kombinieren - und zudem auf eine einzigartige Bildquelle im Ingolstädter Münster verweisen, die möglicherweise eine Reminiszenz an eine Ingolstädter Apotheke enthält. 1572 malte Hans Mielich den Evangelisten Lukas als Arzt am Schreibpult inmitten einer reich ausgestatteten Apotheke.

Werner Endres, Altmeister der Keramikforschung in Bayern, nimmt sich der Fayencen und einiger weiterer Keramikfunde aus dem Schacht an. Neben der 1571 datierten Serie treten in dem Schacht allerdings auch noch jüngere Funde bis ins 18. Jahrhundert auf. Dabei wird deutlich, wie selten bisher Funde aus gesichertem archäologischem Kontext vorliegen und wie schwierig deshalb funktionale Ansprachen als Pharmaziegefäße häufig sind. Auch Fragen der Provenienz sind selten zu beantworten. Ergänzend zu Endres Ausführungen ist hier jedoch die Dissertation 'Apotheke um 1600' von Elisabeth Huwer heranzuziehen, die eben in den Tübinger Forschungen zur Historischen Archäologie erschienen ist (Buchvorstellung) und die die Ingolstädter Funde in Bezug zu den etwas früheren Funden aus Heidelberg setzt. Endres Beitrag enthält einen detaillierten Katalog der Keramikgefäße, der beispielsweise auch Schmelztiegel und glasierte Reliefkacheln umfasst, aber die Irdenware ausklammert. Er schließt mit einer Zusammenfassung der verschiedenen Gruppen (S. 75ff.) und einer ausführlichen fotographischen Dokumentation der Gefäße (S. 82-118).

Apothekengefäße der Serie 1521 aus dem Apothekenschaft
(Foto: ©Museum Ingolstadt, mit freundl. Genehmigung)
In einem gemeinsamen Kapitel behandeln Beatrix Schönewald und Gerd Riedel die schriftlichen und archäologischen Quellen zur Unteren Apotheke im Überblick. Genauer auf das Gesamtfundspektrum und insbesondere die Irdenware aus dem Apothekenschacht geht der abschließende Beitrag von Gerd Riedel ein. Wie alle Keramikvorlagen des Autors umfasst der Beitrag tabellarische Aufstellungen des Fundmaterials, die eine Übersicht über den Anteil der verschiedenen Warenarten am Gesamtkomplex geben - eine einfache Aufschlüsselung der Funde, die erstaunlicherweise bei vielen Keramikpublikationen noch immer fehlt.

Nicht so ganz klar ist mir, weshalb die beiden Schlußkapitel nicht vielmehr am Anfang der Publikation stehen - geben sie doch den nötigen Überblick über die Quellenlage und die Grabungen, auf denen die Beiträge von Habrich und Endres aufbauen. Insgesamt ist die Publikation ein wichtiges Werk einerseits für die Kenntnis frühneuzeitlichen Apothekenwesens, aber auch für die Keramikforschung. Sie zeigt sehr schön die Erkenntnismöglichkeiten archäologischer Quellen für die Neuzeit, die gerade dann besonders groß sind, wenn sie mit der schriftlichen und bildlichen Parallelüberlieferung verknüpft werden können.
 

Inhaltsverzeichnis
Vorwort - 5

Christa Habrich
Die Fayencen mit pharmazeutischen Signaturen aus dem „Apothekenschacht“ in Ingolstadt
- 9


Werner Endres
Die Fayence-Gefäße und einige keramische Begleitfunde aus der Ingolstädter Stadtapotheke
(„Untere Apotheke“) 
- 41
Einige Vorbemerkungen  - 41
Pharmazeutische Vorratsgefäße „1571“  - 43
Pharmazeutisch genutzte Fayencegefäße des 16. Jahrhunderts (Objekte 1–4) - 47
„Albarelli“ (Standgefäße, Topfformen) - 49
Rohrkannen - 55
Nachweise für Dießener Fayence-Motive auf Bodenfunden außerhalb von Ingolstadt - 61
Keramische Beifunde - 63
Die Kachelfunde aus dem „Apothekenschacht“ - 68
Zusammenfassung - 75
Materialnachweis Stadtmuseum - 81
Abkürzungsverzeichnis - 81


Beatrix Schönewald/Gerd Riedel
Früheste Hinweise auf die Ingolstädter Stadtapotheke im Stadtarchiv und im archäologischen
Befund 
- 119
Das Fundgut des Abfallschachtes „Bereich 1, Haus 2, Latrine“ in der Moritzstraße 17 im
Befundkontext - 123


Gerd Riedel
Die Gefäße aus Irdenware im Abfallschacht der Ingolstädter Stadtapotheke
- 139
Die Materialeigenschaften der Keramik - 140
Form und Funktion der Gefäße - 146
Zusammenfassung -149
Katalog - 150
 

Literatur - 176

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