Freitag, 6. Februar 2015

Die Erfindung einer Tradition – Kaiser Galerius und die serbische Nationalidentität

Jutta Zerres
 
Archäologie findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern steht immer auch in Abhängigkeit von zeitgenössischen Gegebenheiten in Politik und Gesellschaft. Eine Geschichte aus der Zeit des Balkan-Krieges hat Prof. Filippo Carlá (Uni Mainz/WissenschaftsCampus Byzanz zwischen Orient und Okzident, jetzt University of Exeter) aufgearbeitet.

Porträt des Kaisers Galerius aus Romuliana (Gamzigrad).
(Foto: Shinrjiod [CC BY 3.0] via Wikimedia Commons)

Es geht um den römischen Kaiser Galerius (reg. 293-305) und seinen Palastkomplex „Romuliana“ in Ostserbien. Der Kaiser kam um 250 in der Nähe des heutigen serbischen Ortes Zaječar zur Welt und beherrschte im Verbund mit Constantius Chlorus, Maximian und Diokletian als Tetrarch das Römische Reich. An seinem Geburtsort ließ er zu Ehren seiner Mutter Romula eine prunkvolle Residenz mit Namen „Romuliana“ errichten. Die systematischen Grabungen ab 1953 enthüllten das gesamte Ausmaß des beeindruckenden Komplexes bestehend aus Palast, Mausoleen, Tempeln und Festungen, der sich auf einem Areal von ca. 40.000 m² erstreckt. 2007 erlangte die Anlage den Status einer UNESCO-Weltkulturerbestätte.
Als der Vielvölkerstaat Jugoslawien in den neunziger Jahren in einem Bürgerkrieg auseinander fiel und sich auf seinem Territorium neue Staaten formierten, wurden Galerius und Romuliana auf bisher ungekannte Weise vom serbischen Nationalismus in den Fokus gerückt. Der Ausgräber Dragoslav Srejovic sorgte nämlich dafür, dass dem Kaiser und dem Fundplatz noch höhere Weihen zuteil wurden. Er veranstaltete in Belgrad eine wissenschaftliche Tagung sowie eine Ausstellung. Dabei wurde Galerius als Retter des Imperium Romanum und Serbien mitsamt der Palastanlage als das Zentrum der damaligen „zivilisierten Welt“ inszeniert. Die Grandezza des Römischen Reiches, repräsentiert in dem „serbischen Landsmann“ Galerius und seiner Palastanlage diente als Abziehbild für den jungen Staat.
Die Geschichte zeigt exemplarisch ein Phänomen, dass sich durch alle Zeiten hindurch beobachten lässt. Wenn Staatsgefüge zerbrechen und neue entstehen, begibt man sich gerne auf die Suche nach Anknüpfungspunkten zur Schaffung von neuen Identitäten, die eine Abgrenzung von den Nachbarn ermöglichen. Parallelen dafür lassen sich beispielsweise beim Zerfall der Sowjetunion, des Römischen Reich oder beim Aufbau des Staates Israel finden - oder eben auch in der deutschen Forschungsgeschichte. Auch den Kriegsparteien des syrischen Bürgerkriegs ist das Phänomen bekannt. Durch gezielte Zerstörung von historischen Monumenten gegnerischer Gruppen wird präventiv schon mal dafür gesorgt, dass diese nicht mehr als Bezugspunkte der Identität der feindlichen Gruppen dienen können (siehe die Beiträge hier auf Archaeologik).
Die Geschichte zeigt weiterhin, dass historische Fakten im Zuge eines solchen Vorganges von Identitätsneubildung gelegentlich auch zurechtgebogen oder verschwiegen werden. Der Historiker Filippo Carlá hat sich genauer mit der Vereinnahmung des Kaisers durch den serbischen Nationalismus befasst. Er verweist darauf, dass zur Zeit der Römer keine Slawen, zu denen auch die Serben gehören, in Serbien lebten. Diese wanderten erst im 7. Jahrhundert ein. Auch schien sich Srejovic nicht an der Tatsache zu stören, dass Galerius ein Initiator von Christenverfolgungen war. Erst spät erließ er ein Toleranzedikt. Der serbische Nationalismus bezieht sich hingegen gerne auf die zentrale Rolle des orthodoxen Christentums für den Staat.

Literatur
F. Carlá, La Tetrarchia di Slobodan Milošević. Imperatori tardoantichi nella Serbia degli anni Novanta. In: J. Bassi/G. Canè (Hrsg.), Sulle Spalle degli Antichi. Eredità classica e costruzione delle identità nazionali nel Novecento (Milano 2014) 69–81.

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