Mittwoch, 26. April 2023

Archäologie im Warschauer Ghetto

Anläßlich des 80. Jahrestags des Aufstands im Warschauer Ghetto wird erinnert. Deutlich wird, dass die Erzählungen oder auch nur das Wort der Zeitzeugen sehr viel gewichtiger ist als jede Rede von Politikerinnen oder Politikern, aus deren Mund vieles als Plattitude rüber kommt (siehe manchen Kommentar zur Rede von Bundespräsident Steinmeier. Süddeutsche Zeitung 19.4.2023; Berliner Zeitung 19.4.2023). Die Zeitzeugen aber werden rar.

Tatsächlich kommt der Archäologie im Warschauer Gehtto in den letzten Jahren zunehmende Bedeutung zu. Ging es zunächst um das Auffinden schriftlicher Quellen, so erweisen sich die Grabungen selbst, wie auch die Funde als wesentlicher Teil der Erinnerungsarbeit. Die polnische Archäologie kann hier inzwischen auf eine recht lange Tradition zurück blicken, die mit Exhumationen in der Nachkriegszeit begann, aber bereits 1967 zu regulären archäologischen Ausgrabungen in Auschwitz führten (vgl. Adamek 2019).

Milchkanne aus dem Warschauer Ghetto, in der Archivalien versteckt waren.
(Foto: PublicDomain via WikimediaCommons) .
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Seit wenigen Jahren gibt es aber umfangreichere archäologische Arbeiten im ehemaligen Gehtto. Zum einen wurden seit 2019 geophysikalische Prospektionen und 2021/22 auch Ausgrabungen durchgeführt. Die Funde sind Teil eines neuen Museums, doch gibt es auch archäologische Schaufenster, so auf einen Keller, in dem das Ringelblum-Archiv in Boxen und Kannen versteckt war. Dieses Archiv beleuchtet den Alltag des Ghettos wie auch die deutschen Verbrechen, so dass die Behältnisse symbolisch für das Leben der Zeitzeugen stehen. Andere Funde sind unmittelbare Zeugen des Alltags, aber sie unterscheiden sich nicht von anderen Funden, sie bezeugen das Schicksal der Ghettobewohner also nur bedingt.
 
Die archäologischen Funde sind hier weniger Quellen, als vielmehr bewegliche Erinnerungsorte, die ihren Wert erst in der emotionalen Auseinandersetzung mit ihnen gewinnen.

Literatur

  • Adamek 2019: Johana Adamek, Archaeology of Graves: a Contribution to Contemporary Archaeology in Poland. Archaeologia Polona 50, 2012 (2019), 171-183. - https://rcin.org.pl//dlibra/metadatasearch?action=AdvancedSearchAction&type=-3&val1=Identifier:%220066%5C-5924%22
  • Dembrek 2020: Maria Magdalena Dembek, Archaeological fever: situating participatory art in the rubble of the Warsaw ghetto, Holocaust Studies, 26:2, 2020. - 198-220, DOI: 10.1080/17504902.2019.1578458
  • Hall u.a. 2022: Noah Hall/ Abigail Fischer/ Grace Uchytil/ Harry Jol/ Colin Miazga/ Alistair McClymont/ Paul Bauman/ Richard Freund/ Connor Jol/ Jacek Konik/ Philip Reeder/ Mikayla Dettinge/ Kayla Singleton/ Joseph Beck, Holocaust archaeology: GPR subsurface imaging of the Mila 18 Memorial in Warsaw, Poland. In: J. Bradford/ X. Comas (Hrsg.), 19th International Conference on Ground Penetrating Radar (Houston 2022). - https://doi.org/10.1190/gpr2022-055.1
  • Konik 2021: J. Konik. Holokaust i archeologia na przykładzie badań wykopaliskowych w Ogrodzie Krasińskich w Warszawie. Studia Żydowskie. Almanach, 11(11), 2021, 153–158. - doi:https://doi.org/10.56583/sz.675
  • Mizga u.a. 2021: C. Miazga/ P. Bauman/ A. McClymont/ Ch. Slater/ R. Freund. Geophysical investigation of the Mila 18 resistance bunker in Warsaw, Poland. In: Paper presented at the SEG/AAPG/SEPM First International Meeting for Applied Geoscience & Energy, Denver, Colorado, USA and online, September 2021. - doi: https://doi.org/10.1190/segam2021-3594939.1
  • Uchytil u.a. 2022: Grace Uchytil/ Harry M. Jol/ Abigail Fischer/ Noah Hall/ Richard Freund/ Paul Bauman/ Alastair McClymont/ Colin Miazga/ Philip Reeder/ Jacek Konik/ Joe Beck/ Connor Jol/ Kayla Singleton/ Mikayla Martinez Dettinger, Archaeological GPR investigation of the Bersohn and Bauman Jewish Children’s Hospital in Warsaw, Poland: Locating potential Holocaust artifacts. In: J. Bradford/ X. Comas (Hrsg.), 19th International Conference on Ground Penetrating Radar (Houston 2022). - https://doi.org/10.1190/gpr2022-163.1

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Samstag, 22. April 2023

Die Plastikschürfer

Allerdings scheint mir auch nicht ausgeschlossen, dass künftige Archäolog*innen unsere Hinterlassenschaften aus diversen Kunststoffen als gefährlichen Kontamination deklarieren und aus gesundheitlichen Überlegungen einen großen Bogen darum machen werden.