Dienstag, 27. Februar 2018

Kein Verkauf von Antiken zugunsten von Terroropfern

1997 Schauplatz eines Selbstmordattentats:
Jerusalem, Mahane Yehuda Markt
(Foto: deror_avi [CC BY-SA 3.0]
via WikimediaCommons)
Der Blogpost Persische Tontäfelchen - Geiseln des internationalen Terrorismus. Archaeologik (26.11.2012 handelte vom Versuch der Opfer eines Selbtsmordanschlags 1997 in Jerusalem die zur wissenschaftlichen Bearbeitung in Chicago befindlichen Tontäfelchen als Entschädigung beschlagnahmen zu lassen und zu Geld zu machen. Als Drahtzieher des Attentats wurde der Iran verdächtigt.
Jetzt hat ein Gericht nach jahrelanger Auseinandersetzung dieses Ansinnen zurück gewiesen:
Dass es hier um eigentlich moralisch unverkäufliches Kulturgut geht, spielt in der Uteilsbegründung keine Rolle, es geht eher um die besonders geschützten Souveränitätsrechte eines Staates.

Sonntag, 18. Februar 2018

Dunkelhäutig und blauäugig - DNA-Analysen passen nicht in mancher Weltbild

In den vergangenen Tagen ging die Meldung durch die britischen Medien, wonach DNA Analysen nachgewiesen haben, dass der älteste "Brite" dunkelhäutig und blauäugig war:

Der Schädel des 1903 entdeckten Cheddar Man
(C. G. Seligman - F. G. Parsons:
The Cheddar Man: A Skeleton of Late Palaeolithic Date.
The Journal of the Royal Anthropological Institute
of Great Britain and Ireland 44, 1914, 241-263
[Public Domain] via WikimediaCommons)
Übrigens: Der Befund dunkeklhäutiger Bevölkerung in Europa ist nicht neu. Schon 2014 hat eine DNA-Studie ein entsprechendes Ergebnis an mesolithischen und neolithischen Skelettresten auf dem europäischen Festland erbracht (das damals über Doggerland auch noch fest mit der Insel verbunden war).
  • I. Lazaridis/N. Patterson/A. Mittnik u. a., Ancient human genomes suggest three ancestral populations for present-day Europeans. Nature 513, 7518, 2014, 409–413. - doi 10.1038/nature13673 -  https://www.nature.com/articles/nature13673
  • I. Mathieson/I. Lazaridis/N. Rohland u. a., Genome-wide patterns of selection in 230 ancient Eurasians. Nature 528, 7583, 2015, 499–503. - doi 10.1038/nature16152 - https://www.nature.com/articles/nature16152

Reaktionen in den Social Media

Neben eher witzigen und launigen Kommentaren finden sich im Netz zahlreiche Reaktionen, die erkennen lassen, wie manche ihr rassistisches Weltbild angegriffen fühlen und nun von Betrug und marxistischer Verschwörung schwafeln.
Dass solche ein Befund diese Reaktionen hervorruft zeigt, dass das Konzept der Rasse in den Köpfen eben doch immer noch mit der Nation verbunden und für Viele identitätsstiftend ist. Deshalb wird solch eine Erkenntnis als "War on Whites" und fake news gelabelt und natürlich auch als Verschwörung verstanden: "Turns out Britons were black, so let's replace all Europeans with migrants NOW!!!"
Bisweilen geben sich die Kommentare seriös, verweisen auf die Einzelprobe des Cheddar Man, stellen in Frage, wie man nach 100 Jahren auf einmal die Erkenntnis haben könnte, Cheddar Man hätte dunkle Haut, nachdem man ihn zuvor immer weiß rekonstruiert hätte. Es gäbe keine Möglichkeit, zu wissen, welche Haut- und Augenfarbe gehabt haben könnte. Wissenschaftlicher Fortschritt wird einfach augeblendet, nebenbei wird die Evolutionstheorie angezweifelt. Das Problem liegt nicht in einer Unkenntnis der Existenz moderner Methoden, sondern in der Selektion dessen, was ins bereits bestehende (sogar zugegeben rassistische) Weltbild passt.
Eine Passage im obigen Interviewe ist bemerkenswert: "The scientists and these anti-racist campaigns at the run are just stupid. So they think, that we [!] think it is only skin color, so that if they could convince them, that he had black skin, haha, they all suck it to all the racists out there." Wenige Sekunden zuvor, hat er jedoch noch postuliert, dass aufgrund der blauen Augen eine eigene "branch" von Menschen angenommen werden müsse und bestätigt eben damit, dass Äußerlichkeiten als Abgrenzungskriterium dienen.

Unsinnige und rassistische Kommentare zu den Meldungen in den Social Media haben verschiedene Beiträge gesammelt:
Dem anzugliedern ist ein Tweet des republikanischen Trump-Anhängers und Kongresskandidaten Paul Nehlen, der auf Twitter die Gesichtsrekonstruktion des Cheddar Man über ein Bild von Meghan Markle montiert und mit dem Kommentar "Honey, does this tie make my face look pale?" versehen hat, um sie als nicht-weiß zu brandmarken.


Die Debatte folgt auf eine ähnliche, die im August 2017 ein Comic über das römische Britannien ausgelöst hatte, das passend zu der Vielzahl der Bevölkerungsgruppen des Römischen Reiches und DNA-Analysen auch dunkelhäutige 'Römer' dargestellt hatte:

Natürlich steckt hinter solchen Meldungen eine Agenda, nämlich die, alte, aber falsche Vorstellungen aufzubrechen. Wenn davon Begriffe betroffen sind, mit denen Parteien Politik machen, dann ist das zwangsläufig eine politische Agenda, ob wir wollen oder nicht. Themen können nicht ad acta gelegt werden, nur weil sie politisch werden könnten. Wissenschaft würde ihren Sinn verlieren, nämlich Klarheit über unsere Lebensbedingungen zu erhalten.
Das ist generell eine Aufgabe der Wissenschaft, insbesondere der Geisteswissenschaften.  Sie ist hier unter anderem auch auf die Medien angewiesen, die häufig einem Thema erst die nötige Aufmerksamkeit verschaffen. Entsprechende Ergebnisse wie beim Cheddar Man liegen schon seit einigen Jahren von anderen mesolithischen und neolithischen Skelettresten vor, die bei weitem nicht diese Aufmerksamkeit gefunden haben. Die Untersuchung des Cheddar Man war eine Auftragsstudie für die BBC und hat das Thema tatsächlich publik gemacht - leider mit einer problematischen, nach wissenschaftlichen Kriterien unzulässigen Vereinfachung. Cheddar Man als Brite zu bezeichnen ist Unsinn, funktioniert aber eben, um Aufmerksamkeit zu erhalten.

Link



Donnerstag, 8. Februar 2018

Ein Vorschlag für neue archäologische Denkmalschutzbestimmungen für Österreich

Raimund Karl 

Eine Antwort zu Rainer Schregs Kommentar zu meinem Beitrag „Facharchäologische Argumente gegen die Metallsuche durch Laien“

2014 habe ich in einer Facebook-Diskussion einen (durchaus bewusst provokant formulierten) Beitrag über die aus meiner Sicht fehlerhafte facharchäologische Argumentation gegen die Metallsuche durch Laien verfasst, den Rainer Schreg dankenswerter Weise auf seinem Archaeologik-Blog übernommen und somit für seine weitere als erwartete Verbreitung gesorgt (Karl 2014) und zwei Jahre später auch selbst in einem eigenen Blogbeitrag kommentiert hat (Schreg 2016). Dennoch ist die von uns beiden gewünschte fachliche Diskussion bisher ausgeblieben. 

Vorausschickend sei festgehalten, dass mein Beitrag (Karl 2014) weder dazu gedacht war, als Argument für ein Recht auf unreglementierte Metallsuche noch gegen die archäologische Fachwelt und ihre Praktiken herzuhalten. Vielmehr ging es mir darum, auf das Missverhältnis zwischen unserer Argumentation und unserer eigenen Praxis (insbesondere in der „angewandten“ archäologischen Denkmalpflege im Feld) hinzuweisen; mit dem Ziel, eine bessere Konkordanz zwischen den durch unsere Argumentation kommunizierten denkmalpflegerischen Ansprüchen und unserer Praxis zu erreichen. Um diese erhöhte Konkordanz – die für die allgemeine Nachvollziehbarkeit unserer Argumentation durch mündige BürgerInnen essentiell ist – zu erreichen, war und ist meiner Meinung nach ein innerfachliches Umdenken erforderlich. Wie die archäologische Denkmalpflege anders (und meiner Meinung nach auch besser als bisher) gedacht und umgesetzt werden könnte, habe ich nunmehr in einen Änderungsvorschlag für die archäologischen Schutzbestimmungen des österreichischen Denkmalschutzgesetzes (DMSG) gefasst. Dieser Vorschlag beruht teilweise auf meinen 2014 gezogenen Schlussfolgerungen und Schregs Kommentar dazu. Für die, die genauer nachlesen wollen, wurde der volle Wortlaut samt kurzer Begründung dieses Vorschlags (Karl 2018a) ebenso wie das Manuskript meines ebenfalls diesbezüglichen, in Vorbereitung befindlichen neuen Buches zum Thema (Karl 2018b) online zur Diskussion gestellt:

Der Kommentar von Rainer Schreg (2016)


Ehe ich auf meinen neuen Vorschlag selbst eingehe, möchte ich jedoch auf Rainer Schregs (2016) Kommentar zu meiner Argumentationskritik (Karl 2014) eingehen. Schreg meint in diesem, nicht mit meiner Position übereinzustimmen, weil meine Überlegungen zwar nicht grundsätzlich falsch seien, aber an der Sache vorbeigehen würden. Als wesentliche Gründe dafür nennt er:
  1. Die Bedingungen bei Ausgrabungen entsprächen zwar keinesfalls immer den fachlichen Idealvorstellungen, das rechtfertige jedoch nicht, uns der verfügbaren Optionen dadurch zu berauben, dass wir MetallsucherInnen erlauben, unsere Quellen ohne Not zu vernichten.
  2. Die Konservierungsbedingungen von Funden in Sammlungen der öffentlichen Hand seien zwar nicht immer optimal, dies sei jedoch kein Argument für Privateigentum an Funden. Vielmehr sei beim Verursacherprinzip verstärkt auch an Grabungsfolgekosten zu denken und Mängel in der derzeitigen Praxis ein Argument für die in situ-Erhaltung von Funden.
  3. Das Ziel sei letztendlich die Qualitätssicherung, nicht verstärktes laissez-faire betreffend der Zerstörung von Bodendenkmalen. Man müsse daher vielmehr dafür sorgen, dass möglichst wenige Funde unter fragwürdigen Bedingungen gemacht werden.
  4. Umfassende Konzepte für die effektivere öffentliche Vermittlung der wissenschaftlichen Anliegen und Standards des Faches seien erforderlich, wobei ein pauschales Verbot des Sondengehens und auch ein Schatzregal das Problem nicht löse.
  5. Zwar sei Wissenschaft kein Grundrecht, aber noch immer eine Grundlage unserer Gesellschaft, weshalb vor anderen Nutzungen der Vergangenheit eine Interessensabwägung stattfinden müsse, die vor allem ihre bestmögliche Erhaltung zum Ziel haben müsse.
  6. Zwar würden ArchäologInnen heute von der Zerstörung der Denkmale profitieren, aber sie seien nicht deren VerursacherInnen, sondern würden von diesen oder der Allgemeinheit dafür bezahlt, möglichst viel davon zu dokumentieren. Meine Warnung vor gegen den Profit aus der Denkmalzerstörung gerichteten Argumenten sei in Anbetracht der oft prekären Arbeitsbedingungen in der Archäologie (über die ich mich ja ebenfalls schon seit langem sehr kritisch äußere) deplatziert.

Als Fazit fasst Schreg zusammen, dass ich zwar an einigen Punkten recht hätte und auf einige Probleme im Fach in Theorie und Praxis hinweisen würde. Diese seien aber kein Argument dafür, dass MetallsucherInnen das Recht hätten, unser Kulturerbe zu vernichten. Probleme würden nicht dadurch gelöst, dass man neue anhäufe; vielmehr müsse man ein Miteinander finden, denn das Gegeneinander lähme nur Kräfte und mache die Situation nur schlimmer.

Es mag jetzt vielleicht für manche LeserInnen überraschend sein, aber ich stimme Schreg in nahezu allen Punkten grundsätzlich zu, wenngleich ich dennoch nicht unbedingt völlig einig mit ihm bin. Auch ich möchte die Ziele, die er in seinem Kommentar definiert, erreichen. Die Frage ist meiner Meinung nach nur, wie man diese Ziele am besten erreichen kann; und hier weiche ich deutlich vom derzeitigen Fachkonsens ab.


Der Fehler im Kommentar von Schreg: die Wissenschaftsfreiheit

Ich stimme mit Schreg nur in einem, aber dafür enorm wesentlichen, Punkt überhaupt nicht überein, weil er in diesem objektiv falsch liegt. Denn die Wissenschaft ist sowohl in Deutschland (Art. 5 Abs. 3 GG) als auch in Österreich (Art. 17 Abs. 1 StGG) ein verfassungsgesetzlich und in der gesamten EU (Art. 13 Charta der Grundrechte der Europäischen Union) europarechtlich vorbehaltlos geschütztes Grund- und sogar ein völkerrechtlich geschütztes allgemeines Menschenrecht (Art. 15 Abs. 1-3 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte; für Deutschland siehe BGBl. 1973 II S. 1569; für Österreich BGBl. Nr. 590/1978). Sie ist also ein so hochrangig wie nur möglich geschütztes Jedermannsrecht.

Genau hier liegt meiner Meinung nach das größte Problem mit allen bisherigen deutschsprachigen Lösungsversuchen der archäologischen Denkmalpflege: sie beschränken dieses Grundrecht;

Montag, 5. Februar 2018

Rote Liste für den Jemen

Bombenangriff auf Sana'a 2016
(Foto: fahd sadi [CC BY 3.0] via WikimediaCommons)
Man vernimmt wenig vom Krieg im Jemen. Meldungen aus den letzten Tagen berichten von neuen Konflikten und neuen Fronten. Schon bisher sind Menschenleben in offenbar nicht geringer Zahl zu beklagen - und auch die Zerstörung von Kulturgut, in der üblichen Mischung von Kollateralschäden, Vernachlässigung und Plünderung bis hin zu möglicherweise bewusster Zerstörung.

ICOM hat nun eine ihrer Roten Listen publiziert, die exemplarisch Kulturgüter zeigt, die nun möglicherweise verstärkt in den illegalen Handel kommen:

Links

Zerstörung von Kulturgütern
zur aktuellen Lage

Trotz des Klagens über die Verluste an Menschen und Kultur verkauft der Westen die passenden Waffen:

Interne Links

Samstag, 3. Februar 2018

Neue Front - neue Zerstörungen: Das türkische Eingreifen in Syrien (Kulturgüter in Syrien und Irak Januar 2018)


Löwenskulptur von Ain Dara
(Foto: Verity Cridland [CC BY 2.0] via WikimediaCommons)
Mit dem türkischen Einmarsch im Nordwesten Syriens, in einer Provinz, die von direkten Kämpfen im Bürgerkrieg bislang relativ verschont geblieben war, gibt es nun von syrischer Seite schon nach wenigen Tagen Meldungen an Zerstörungen archäologischer Fundstellen durch das türkische Militär. Betroffen sein soll der Tell Ain Dara, der vor allem durch seine neo-hethitische Tempelarchitektur aus dem ersten Jahrtausend v.Chr.  bekannt ist.
In den kurdischen Gebieten Nordsyriens wurde bereits vor über einem Jahr eine Denkmalbehörde oder genauer: The Authority of Tourism and Protection of Antiquities ins Leben gerufen, die eine eigene Internetseite unterhält:
Hier finden sich auch einige Zustandsberichte von archäologischen Fundstellen aus der Region.

Ebenfalls militärischer Kollateralschaden wurde das Museum von Ma’arrat al-Nu’man in Syrien, wie APSA2011 am 2.1.2018 postete. Dieser Ort in der Provinz Idlib ist historisch durch ein Massaker während des Ersten Kreuzzugs 1097 bekannt, bei dem es von Seiten der Kreuzritter - nach christlichen Quellen - auch zu Kannibalismus gekommen sein soll. Das archäologische Museum beherbergt(e) eine wichtige Sammlung antiker und byzantinischer Mosaiken. Während des Syrischen Bürgerkrieges wurde die Stadt von oppositionellen Milizen gehalten, im Februar 2016 wurde das Krankenhaus der Stadt in einem Luftangriff zerstört. Auch das Museum wurde bereits 2016 bei Bombadierungen schwer beschädigt. Ob die neuen Bilder nun tatsächlich neue Schäden zeigen, bleibt erst mal unklar.
Schon im Oktober 2017 zeigte APSA Bilder und ein Video der Sprengung eines byzantinischen Gebäudes in einer der Toten Städte, Deir Sunbel. Die Bilder zeigen deutlich, dass es sich um eine bewusste Sprengung handelt. Auf dem Gebäude war zuvor eine Flagge gehisst worden. Hier handelt es sich um eine bewusste Zerstörung, die nicht der üblichen Daesh-Propaganda zugerechnet werden kann. Nähere Informationen wurden jedoch nicht gegeben.

Schadensbilder

Heritage for Peace Damage Newsletter
ASOR Monthly Report November 2017


Maßnahmen



Links

frühere Posts zum Bürgerkrieg in Syrien auf Archaeologik (u.a. monatliche Reports, insbesondere Medienbeobachtung seit Mai 2012), inzwischen auch jeweils zur Situation im Irak

Dank an diverse Kollegen für Hinweise.