Freitag, 30. August 2019

Streik der Denkmalpfleger - der Abbruch des Pont des Trous in Tournai bringt das Fass zum Überlaufen

Das mittelalterliche Stadttor  'Pont des Trous", das die Schelde überspannt, wird abgebrochen, um den Fluß für größere Kähne schiffbar zu machen. Proteste der Bevölkerung blieben erfolglos und die Denkmalpflege fühlt sich übergangen. Archaeologik hat 2014 über die Situation aus Anlaß einer Petition zum Erhalt des Tores berichtet:

Nun ist der Abbruch vollzogen:

Der Abbruch ist nun Anlaß, dass Mitarbeiter des Demkalamtes AWAP (l’agence wallonne du patrimoine) ihrem Minister mit Streik drohen. Sie haben ihm eine Liste von Forderungen zugestellt, die betitelt ist mit "Erbe ist keine Ware" und  "Die Ineffizienz der Agence-Mitarbeiter ist keine Faulheit". Ab September soll es in ganz Wallonien, vor allem aber an den Resten des Pont des Trous zu Protestaktionen kommen.
Tournai, Pont des Trous 1892
Der mittlere Durchlass wurde seitdem für größere Schiffe aufgeweitet, nun ist die Partie zwischen den flankierenden Türmen ganz abgebrochen.
(Foto: unbekannter Fotograf 1892, gemeinfrei,
via Wikimedia Commons)

Mittwoch, 28. August 2019

#Grb_Ackerbürgerhaus - Die Bamberger Lehrgrabung in Bärnau auf twitter

Seit Anfang August und vorerst bis Ende dieser Woche laufen die Ausgrabungen im sog. Ackerbürgerhaus in Bärnau. Sie sind einerseits Teil einer Baumaßnahme, andererseits aber auch ein wesentlicher Bestandteil eines neuen bayerisch-böhmischen Projektes zur Siedlungslandschaft an der Grenze.

Das Ackerbürgerhaus in Bärnau - aktueller Grabungsort der AMaNz Bamberg
(Foto: R. Schreg, 2019)
Onetz hat bereits berichtet:

Die Grabungsleiterin vor Ort, Viviane Diederich gibt auf twitter laufend Eindrücke von der Grabung:



Demnächst mehr Info im Netz, unter anderem auf der Homepage der Bamberger Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. und mehr...
- jetzt aber auch schon Bildeindrücke auf instagram bei @archaeoVD

Dienstag, 27. August 2019

Kolonialismus (in) der archäologischen Fachsprache

Ein Beitrag von Julia Katharina Koch

Sprache spiegelt Gesellschaftsstrukturen wider – das bedarf innerhalb der Geisteswissenschaften eigentlich keiner Diskussion mehr. Dass Sprache von historischen Rahmenbedingungen und dem damit verbundenen Zeitgeist beeinflusst wird, sich also auch immer (auf der gesellschaftlichen Ebene) weiterentwickelt, ist ebenfalls allgemeiner Konsens. Eine Stellungnahme zu dem Thema findet sich exemplarisch im ZEIT Wissen Podcast: “Woher weißt Du das? / Politisch korrekte Sprache: Kleinkariert oder sinnvoll?” vom 17. Februar 2019.

Die Diskussionen fangen an, wenn es persönlich wird. Wenn es zu überdenken gilt, wieweit die eigene Sprache von kulturellen Bewegungen und historischem Zeitgeist beeinflusst ist, denen man/frau selbst eventuell sogar kritisch gegenübersteht. Fachsprache sollte reflektiert benutzt werden – aber passiert das tatsächlich im akademischen Alltag? Wenn mal wieder die Deadline für die Abgabe eines Beitrages überschritten wurde, wenn die Zeit drängt, dann wird nicht mehr über die Geschichte vertrauter Fachbegriffe nachgedacht, sondern so verwendet, wie sie viele Kolleg*innen ebenfalls verwenden.

Vor allem drei Themengebiete werden aktuell in Hinblick auf ihre Auswirkungen auf Sprache, Begrifflichkeiten und die Art und Weise ihrer Verwendung (Stichwort: Framing) in der Öffentlichkeit diskutiert:
  1. Nationalsozialismus/Faschismus, 
  2. Gendersensibilität und -gerechtigkeit und 
  3. Kolonialismus. 
Den dritten Bereich möchte ich an dieser Stelle aufgreifen.

Kolonialismus – das geht vor allem die Wissenschaflter*innen der ethnographischen Nachbardisziplinen an, oder diejenigen Kolleg*innen, die archäologisch in fernen Ländern unterwegs sind. Für die Archäologie in Mitteleuropa bestehen keine Verdachtsmomente, sie befasst sich schließlich mit unserer eigenen europäischen Geschichte – oder etwa nicht? Geht man/frau der Entstehungsgeschichte so mancher Fachbegriffe nach, stellt sich jedoch bald heraus, dass hier ebenfalls diskriminierende Mechanismen greifen – teilweise bereits seit Jahrhunderten und von der einer Sprache in die andere übernommen. Drei Beispiele, die mir bei redaktionellen Arbeiten begegnet sind, möchte ich hier vorstellen.


„Venusfiguren“


Dass es Vorbehalte gibt gegenüber diesem Begriff, ist in Fachkreisen inzwischen bekannt. Bezeichnet werden damit vor allem paläolithische Statuetten, die weibliche unbekleidete Wesen abbilden. Zurückzuführen ist die Begriffswahl auf Paul Hurault, Marquis de Vibraye (1809–1878), der erstmals 1864 eine Statuette beim Abri Laugerie-Basse (Dép. Dordogne, Frankreich) gefunden hatte (Conkey 1997, 183 ff.; White 2006, 253) und – da schlank und unbekleidet – als „La Vénus impudique“ (dt.: die unkeusche Venus) bezeichnete als Gegensatz zu den aus der Antike bereits bekannten Statuen der Göttin Venus/Aphrodite, die zwar teilweise nackt, aber mit ihren Händen ihre privaten Körperteile abdeckte, in der Kunstgeschichte als Typ der „Venus pudica“ benannt. Soweit kann die Verknüpfung der Objektgattung und der Kreation einer vorgeblich wissenschaftlichen Typbezeichnung unter Berücksichtigung des Zeitgeistes in der Mitte des 19. Jahrhunderts nachvollzogen werden; bereits am Anfang stand die Sexualisierung der Statuetten.

Frauenstatuette aus Elfenbein von dem Abri Laugerie-Basse
(Dèp. Dordogne, Frankreich).
Sie wurde 1864 als erste der paläolithischen Frauenfiguren gefunden.
(Zeichnung: L´Anthropologie 1907 via wikimedia commons)
Den Bogen zur damals aktuellen Rassenkunde zog 1894 Eduard Piette (1827–1906), der ausgehend von der sogenannten Steatopygie (“Fettsteiß“), die er bei mehreren Statuetten meint diagnostizieren zu können, eine Parallele zu Frauen moderner Völker auf dem afrikanischen Kontinent sowie der Darstellung einer Frau auf einem Relief in dem altägyptischen Totentempel der Königin Hatschepsut in Deir-el-Bahari (Ägypten) sah; damit verfolgte er eine rassenkundliche Einordnung der paläolithischen Menschen (Piette 1894, 11; 20; 24). Piette nannte pauschal als Analogiebeispiele „les Boschimanes“, les „Hottentotes“, „les Namaqua, les Cafres, las Nigritiëns du Nil“, „les Berbères et les Bongos“ und les „Ouoloves“, allerdings nicht direkt die zu dem Zeitpunkt bereits in einer Vitrine des Musée d’Ethnographie du Trocadéro (Paris; heute Musée de l´Homme) als Skelett und Gipsabguß ausgestellte Sarah Baartmann (Holmes 2007), auch wenn sie in den Wissenschaftskreisen des 19. Jahrhunderts als allgemein bekannter Referenzfall für diese Zuordnung gelten darf. Die Südafrikanerin Sarah (Saartije) Baartmann (1789–1815) wurde von 1810 bis 1815 zuerst nach London, dann nach Paris gebracht und unter der Bezeichnung „Hottentot-Venus“ als eine der ersten Menschen vermarktet, die als „exotische“ Bewohner anderer Kontinente eine Zurschaustellung ertragen mussten und nach ihrem Tod in einer Museumsvitrine (bis in die 1970er Jahre hinein) landeten (vergl. dt. Wikipedia).

Die direkte Verbindung zwischen dem Label „Hottentoten-Venus“ und den paläolithischen „Venusfigurinen“ wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts verfestigt mit dem 100. Todestag Sarah Bartmanns (Verneau 1916) und den zu der Zeit gefundenen Frauenstatuetten: 1908 „Venus von Willendorf“, 1922 „Venus von Lespugue” und 1925 „Venus von Dolni Vestonice”.
Diese Typbenennung ist ein Beispiel für einen längeren Prozess der Namensfestigung mit zahlreichen Akteuren, die alle ihre eigene sexistische und/oder rassistische Konnotation beitrugen, ohne das eine schriftlich fixierte Diskussion erfolgte. Trotz anhaltender feministischer Kritik innerhalb wie außerhalb der Archäologie wird der Begriff aber immer noch fröhlich weiterverwendet. Dass es auch anders geht, zeigen die Ausstellungen Ice Age Art. The arrival of the modern mind 2013 im British Museum (London) und EisZeiten. Die Kunst der Mammutjäger 2017 im Archäologischen Museum Hamburg (Cook 2013; Weiss/Merkel 2017). Statt des veralteten Begriffs „Venusstatuette“ werden ganz schlicht neutral-beschreibende Begriffe verwendet wie „female figurine“ oder sculpture of woman“ im Englischen oder „Frauenfigur“ und „Frauenstatuette“ im Deutschen. So wird eine Neubeurteilung dieser frühen Kunstwerke auch durch die Sprache deutlich.


„Berdache“


Seit Divergenzen in der Gräberfeldanalyse zwischen biologischen und sozial-rituell zu definierendem Geschlecht einzelner Bestatteter als solche nicht mehr ignoriert, sondern akzeptiert werden, finden sich für manche Perioden und Kulturgruppen deutlich sichtbare Minderheiten. Ein bekanntes Beispiel sind Individuen in endneolithischen Gräbern mit Schnurkeramik, mit Glockenbechern oder in Gräbern der Frühbronzezeit, die zwar ein männlich bestimmtes Skelett aufweisen, aber aufgrund der Orientierung des Körpers im Grab und meist auch der Ausstattung als sozial-rituell definierte Frauen angesprochen werden können (bereits Häusler 1966, 54). Daneben gibt es genau umgekehrte Fälle: biologische Frauen mit männlicher Körperorientierung und Ausstattung. So weisen zum Beispiel von den 164 Gräbern der schnurkeramischen Nekropole von Vikletice im Nordwesten des heutigen Tschechien (Okres Louny) sieben Gräber (4 %) eine Differenz zwischen anthropologischer Geschlechtsbestimmung und archäologischer Geschlechterbestimmung auf: Sechs biologische Männer wurden nach einem sonst Frauen vorbehaltenen Ritual bestattet, eine biologische Frau nach dem männlich konnotierten Ritual (Buchvaldek /Koutecký 1970). Der anthropologisch bestimmte, erwachsene Mann in Grab 1964/6 wurde beispielsweise auf der linken Körperseite liegend in Hockerposition bestattet. Diese Lage findet sich sonst bei den weiblich bestimmten Toten (Buchvalde/Koutecký 1970, 49; 148 Abb. 87).

Vikletice, Grab 1964/6: ein anthropologisch als Mann bestimmter Toter in sonst bei weiblich bestimmten Toten üblicher linker Hockerposition
(nach Buchvalde/Koutecký 1970, 49; 148 Abb. 87)


Als Erklärungsmodell wird seit den 1990er Jahren als ethnographische Analogie auf einen Personenkreis verwiesen, der bei sehr vielen Stämmen in Nordamerika zum Repertoire sozialer Gruppen gehört: Männer wie Frauen, die Kleidung der jeweils anderen Geschlechtergruppen tragen und zeremonielle Aufgaben ausführen (z. B. Wiermann 1989; Jensen 2007; Matić 2012). Obwohl es genauso viele Geschlechterkonzepte und Namen für diese Gruppen wie Stämme in Nordamerika gibt, wurde in der Ethnologie zuerst der Begriff „Berdache“, abgeleitet aus dem europäisch-westasiatischen Sprachraum, zur pauschalisierenden Beschreibung gewählt und von dort in den archäologischen Sprachgebrauch transferiert. Das Wort umschrieb ab dem 17. Jahrhundert biologische Männer, die den europäischen Kolonialisten in Nordamerika aufgrund nicht den europäischen Normen entsprechender Kleidung, Arbeitsaufgaben und sexuellen Rollen auffielen. Es war durchaus negativ im Sinne von männlichen Prostituierten gemeint. Aufgrund der Geschichte dieses Wortes wurde 1990 in Anlehnung an eine indigene Beschreibung die englischsprachige Übersetzung „two-spirit“ auf einer Jahrestagung der Native American/First Nation Schwulen- und Lesben-Bewegung propagiert (de Vries 2009), obwohl auch damit eine Verallgemeinerung eines bestimmten sozialen Konzeptes verbunden ist, die die Vielfalt der Geschlechterrollen bei den indigenen Gesellschaften Nordamerikas verschleiert. Dennoch ist „two-spirit“ auch für die archäologische Forschung aufgrund seiner positiven Wertung und selbstgewählten Wortschöpfung dem negativ gemeinten „Berdache“ vorzuziehen, bedarf aber einer wissenschaftlichen Begriffsdiskussion bei diesem sprachlichen Transfer als archäologischer Terminus, wie es auch bei anderen Übertragungen von einem historischen Kontext in den anderen der Fall ist.


„Pygmy Cups“


Für Miniaturgefäße unter 5 cm Höhe aus der britischen und irischen Bronzezeit, meist in Gräbern gefunden, werden in der Literatur verschiedene Namen verwendet. Möglich sind: incense cup, biconical cup, miniature food vessel, tub-shaped cup oder eben pygmy cups. Seit wann für diese Gefäße letztere verwendet wird, habe ich noch nicht herausfinden können. Die früheste, mir bekannte Verwendung findet sich in zwei Beiträgen im Wiltshire Archaeological and Natural History Magazine von 1938, ohne dass dort auf die Begriffswahl für diesen Keramiktyp eingegangen wurde (de S. Shortt 1938; Stevens/Stone 1938) 

Der Begriff „Pygmäen“ hat einen klaren kolonialistischen, eurozentristischen Hintergrund. Seit dem 19. Jahrhundert wird er verstärkt für Menschen verschiedener afrikanischer Völker verwendet, die sich durch eine geringe Körpergröße auszeichnen. Seinen Ursprung hat er im Alt-Griechischen πυγμαῖος (pygmaīos, „von der Größe einer Faust“) und wurde in der Antike für die Beschreibung von kleinwüchsigen (Fabel)Völkern, verortet in Afrika und Asien, benützt. Eine sehr frühe Erwähnung findet sich in der Ilias, wodurch eine Brücke in die Gelehrtenwelt des 19. Jahrhunderts n. Chr. geschlagen wurde. Für eine beschreibende Typbezeichnung wurden „Pygmäen“/„pygmy“  in die Wissenschaftssprachen verschiedener Fächer wie Zoologie, Botanik oder Physik übertragen. Auch in der englischsprachigen Archäologie wird dieser Begriff – anscheinend ohne weitere Diskussion – benützt, so  finden sich „pygmy cups“ sowohl in dem Concise Oxford Dictionary of Archaeology wie auch in aktuellen online-Datenbanken von Museumssammlungen in Großbritannien. Dennoch möchte ich die Frage anregen, ob es sinnvoll ist, einen veralteten Begriff aus der Rassenkunde des 19. Jahrhunderts auf Objekte, Tiere, Pflanzen oder physikalische Phänomene zu übertragen.

Selbstverständlich kann man/frau anführen, dass manche Wörter als Fachtermini inzwischen eine lange Tradition besitzen und entsprechende Umdeutungen jenseits ihres ursprünglichen kolonialistischen Kontextes erfahren haben. Aber Sprache ist wandelbar und immer ein Spiegel des Zeitgeistes. Es wird Zeit, dass wir die sprachlichen Wurzeln unseres Faches hinterfragen und die Aussagekraft der Fachbegriffe neu bewerten. Durch die Wahl sachlich-beschreibender Begriffe sowie einer offenen Diskussion bei Übernahme von Begriffen aus den Nachbarwissenschaften wie Ethnologie und Geschichte wird unser Blick auf die Vorgeschichte nicht mehr durch (unbewusst) mitgeschleppte Stereotype verstellt. Außerdem sollten wir uns immer vergegenwärtigen, dass Sprache auch als Mittel für Diskriminierungen und Hierarchisierungen eingesetzt wird. Es liegt an uns persönlich, ob wir hier mitmachen oder dem entgegenwirken möchten.


Literatur


  • Buchvaldek, Miroslav/Koutecký, Drahomir, Vikletice. Ein schnurkeramisches Gräberfeld. Praehistorica 3 (Praha 1970). 
  • Conkey, Margaret W., Mobilizing ideologies. Paleolithic ‘art’, gender trouble, and thinking about alternatives. In: Hager, Lori D. (Hrsg.), Women in human evolution (London, New York 1997) 172–207.
  • Cook, Jane, Ice Age Art: The Arrival of the Modern Mind (London 2013).
  • de Vries, Kylan Mattias, „Berdache (Two-Spirit)“. In: O'Brien, Jodi (Hrsg.), Encyclopaedia of gender and society (Los Angeles 2009) 62–65.
  • Häusler, Alexander, Zum Verhältnis von Männern, Frauen und Kindern in den Gräbern der Steinzeit. Arbeits- und Forschungsberichte der sächsischen Bodendenkmalpflege 14/15, 1966, 25–72.
  • Holmes, Rachel, The Hottentot Venus: the life and death of Saartjie Baartman: born 1789 – buried 2002 (London 2007).
  • Jensen, Bo, Queer Bedfellows: Gender Ambiguity, Shamans, Hijars, „Berdache“ and the Problems of Using Ethnographic Record. In: Peter Jensen/Søren Sindbaek/Helle Vandkilde (Hrsg.), Globalization, identity, material culture and archaeology. IX Nordic TAG Århus 10–12 May 2007 (Århus 2007) 25–32.
  • Matić, Uroš, To queer or not to queer? That is the question: Sex/gender, prestige and burial no. 10 on the Mokrin necropolis. Dacia, 56, 2012, 169–185.
  • Piette, Edouard. L'époque éburnéenne Et Les Races Humaines De La Période Glyptique (Saint-Quentin 1894).
  • S. Shortt, Hughe de, Pygmy Cups from Boscombe Down West. Wiltshire Archaeological and Natural History Magazine 48, 1938, 462-465. - <https://biodiversitylibrary.org/page/43303281
  • Stevens, Frank/Stone, John F.S., The barrows of Winterslow. Wiltshire Archaeological and Natural History Magazine 48, 1938, 174-182. - <https://biodiversitylibrary.org/page/43302969>
  • Verneau, R., Le centième anniversaire de la mort de Sarah Bartmann. L´Anthropologie 27, 1916, 177–179.
  • Weiss, Rainer-Maria/Merkel, Michael (Hrsg.), EisZeiten. Die Kunst der Mammutjäger. Die Menschen des Nordlichts. Veröffentlichungen des Archäologischen Museums Hamburg 111 (Hamburg 2017).
  • White, Randall, The women of Brassempouy: A century of research and interpretation. Journal of Archaeological Method and Theory, 13, 2006, 250–303. - <DOI  https://doi.org/10.1007/s10816-006-9023-z>
  • Wiermann, Roland R., An Anthropological approach to burial customs of the Corded Ware Culture in Bohemia. In: Benz, Marion, and Willigen, Samuel van (Hrsg.), Some New Approaches to The Bell Beaker ‘Phenomenon’ Lost Paradise...? BAR Internat. Ser. 690 (Oxford 1998) 129–140.



Für die Diskussion über kolonialistische Spuren in europäischen Fachsprachen und die Korrektur einer ersten Textversion möchte ich herzlich Andrea Ricci (Kiel) danken. Der Beitrag entstand im Rahmen des SFB 1266 TransformationsDimensionen, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG – Projektnummer 2901391021 – SFB 1266).







Dr. Julia Katharina Koch arbeitet als Archäologin und Lektorin. Ihre Forschungsthemen sind vor allem Geschlechterverhältnisse und Mobilität in den Metallzeiten Mitteleuropas.

Dienstag, 13. August 2019

Der Abschlussbericht von ILLICID und die Umdeutungen des Kunsthandels

Still und leise wurde der ILLICID-Abschlußbericht publiziert:

Es ist ein primär administrativer Bericht, der, was konkrete Ergebnisse angeht, äußerst knapp und unbefriedigend bleibt.
Das Projekt war 2014 mit einem vom BMBF finanzierten Budget von 1,2 Mio € gestartet. Partner waren die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK, Verbundkoordination), das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie (SIT) und das Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim (GESIS).

Das Projekt bemühte sich um eine "Erhellung des Dunkelfeldes als Grundlage für Kriminalitätsbekämpfung und -prävention am Beispiel antiker Kulturgüter". Das wissenschaftliche Gesamtziel von ILLICID war die "Entwicklung, Dokumentation und exemplarische Anwendung von Verfahren und Instrumenten für die Dunkelfeldforschung im Bereich des Kunsthandels in Deutschland". Die Arbeiten konzentrierten sich auf antike Kulturgüter aus dem östlichen Mittelmeerraum, was insbesondere auch das Krisengebiet Syrien mit einschließt. Sytematisch wurden Internetangebote und Angebots-, Auktions- und Ausstellungskataloge sowie Anzeigen in Zeitungen, Fach- und Verbandszeitschriften ausgewertet. Dazu wurde eine Datenbank entwickelt, die auch dem Handel, Ermittlungs- und Zollbehörden zur Verfügung stehen soll.

Gesichtet wurden so "386.5000" Angebote (S. 4 des Berichts, soll wohl 386.500 heißen), von denen 3.741 insgesamt 6.133 Objekte enthielten, die potentiell aus dem Beobachtungsgebiet stammen. Über die Hälfte der Fundobjekte wird in Konvoluten angeboten. 3245 Verkäufe wurden dokumentiert, die zeigen, dass die Startgebote mehrheitlich unter 1000 €, aber nur zu 10% auch im Billigsektor unter 100 € lagen. Der Umsatz bei den beobachteten, verkauften Objekte machte innerhalb von drei Jahren fast 1,7 Mio € aus (S. 5).

Soweit möglich wurden die angebotenen Funde anhand von wissenschaftlichen Referenzen bestimmt und klassifiziert. Nur bei 24% handelt es sich (sehr) wahrscheinlich um authentische, echte Stücke, bei 12% besteht akuter Fälschungsverdacht - bei vorderasiatischen Kulturgütern sogar bei 24% (S. 6).

2.387 Objekte (also 39,9% des beobachteten Bestandes) stammt potentiell aus Syrien und/oder Irak (S. 5).

Die Überprüfung der angegebenen Provenienzen war natürlich nur bedingt möglich. Herangezogen wurden alte Auktionskataloge, Lager- und Leihlisten, Sammlungspublikationen und -datenbanken, aber auch Verlustlisten von Museen und Depots, die Interpol- sowie die LostArt-Datenbank. Hier ist zu vermerken, dass mit diesem Verfahren Raubgrabungsfunde kaum zu identifizieren sind, da diese ja frisch aus dem Boden kommend, in solchen Listen gar nicht vertreten sein können.

Gemessen an den Vorgaben des Deutschen Kulturgutschutzgesetzes besitzen nur 2,1% der angebotenen Funde (128 Stück) eine verifizierbare, vor den Stichtag des Gesetzes (26.4.2007, bzw. innerhalb der EU 31.12.1992) führende Provenienz.
43% der Funde erwiesen sich nach den Maßstäben des deutschen Kulturgutschutzgesetzes als illegal, da die Provenienz nach dem Stichtag lag (ca. 32%) oder fehlte bzw. gefälscht war (ca. 11%)! Tab. 2 gibt in Bezug auf das Deutsche Kulturgutschutzgesetz die folgenden Zahlen:

  • verifizierbare Provenienz vor den Stichtagen
2,1% (n=128)
  • nicht verifizierbare, aber detaillierte Provenienz vor den Stichtagen
16,9 % (n=1.039)
  • nicht verifizierbare, nicht detaillierte Provenienz vor den Stichtagen
38,1% (n=2.337)
  • nicht verifizierbare, nicht detaillierte Provenienz nach den Stichtagen
31,9 % (n=1.958)
  • keine, widersprüchliche oder falsifizierte Provenienz
10,9 % (n=671)


Bezogen auf die EU-Verordnungen zum Irak und zu Syrien erfüllen nur 0,4 bzw. 9,6% der Provenienzangaben die rechtlichen Vorgaben.

Das zweite Arbeitspaket einer Fundierung und Ergebnisevaluation der Verbundpartner umfasste eine Darstellung der Prozesse, die auf einer Akteursbefragung basiert. Diese Ergebnisse werden im Abschlußbericht nur angerissen, ein separat online gestellter Bericht bleibt technisch und verweist auf zwei noch geplante Publikationen:
Bislang auch nur angekündigt ist ein auf den Projektergebnissen basierender Praxisleitfaden "Strategie-, Handlungs- und Weiterbildungskonzept, Handel mit Kulturgut in Deutschland". Dort sollen Verfahren und Instrumente zur effizienten Dunkelfeldforschung bzw. Kriminalitätsbekämpfung und Kriminalprävention dargestellt werden.
Aus dem bisher vorliegenden Bericht wird nicht deutlich, was hier konkret unternommen wurde und wie mit den falsifizierten Provenienzen umgegangen wurde.  Nach dem Bericht hat das Projekt offenbar nicht versucht, die Handelsketten im einzelnen nachzuvollziehen, wie dies in den vergangenen Jahren durch Investigativjournalismus, aber auch gezielte Projekte verschiedentlich passiert ist (s.u.) oder auch im Projekt.


Reaktionen des Kunsthandels

Problematisch wird der Bericht nun dadurch, dass er vom Kunsthandel und affinen Journalisten begierig aufgegriffen wird - mit der Schlußfolgerung, der Bericht sei eine Entlastung des zu Unrecht beschuldigten Kunsthandels.
Die vorgebrachten Argumente gehen jedoch an den Ergebnissen und Daten vorbei.  Thomas E. Schmidt, der schon öfters durch einseitige Pro-Kunsthandel-Beiträge aufgefallen ist (z.B. https://www.weltkunst.de/kunsthandel/2017/02/kulturgutschutzgesetz-ohne-grundlage), schreibt etwa in der ZEIT: "Deutschland galt lange als Hauptumschlagplatz für illegal gehandelte Kunstwerke aus Syrien oder dem Irak – doch eine Studie widerspricht dieser Sicht." Die Studie thematisiert die Rolle Deutschlands als Hauptumschlagplatz des illegalen Kunsthandels gar nicht. Dazu wäre eine vergleichende Analyse notwendig gewesen.
Weiter schreibt Schmidt, die Studie von ILLICID zeige, die Geschichte vom illegalen Kunsthandel in Deutschland stimme wohl nicht. Der Bericht könne "keinen nennenswerten illicit trade, also keinen Markt für nahöstliche Raubantiken, in Deutschland nachweisen". Das ist falsch. 42% Funde ohne ausreichende Provenienzen sprechen hier eine andere Sprache, letztlich sind bei 97,9% der Angebote die Provenienzen nicht verifizierbar. "Wie auch?" muß man hier fragen, denn legale Provenienzen ohne Papiere kann es kaum geben. Legale Objekte können aber sehr wohl verifizierbare Provenienzangaben vorweisen: alte Kataloge, Rechnungen, Importpapiere und Exportlizenzen. Funde, die das nicht haben, stehen zu Recht unter einem Anfangsverdacht.

Schmidt schreibt: "Weder quantitativ noch qualitativ ist der Handel mit vorderasiatischen Antiken in Deutschland rechtlich oder kulturpolitisch relevant." Er verbiegt dazu jedoch die publizierten Zahlen, indem er den Eindruck erweckt, von 386.500 antiken Objekte aus dem östlichen Mittelmeerraum, die im Untersuchungszeitraum zwischen Juli 2015 und Juni 2017 offiziell im Handel auftauchten, seien nur ein Bruchteil von gerade mal 6.133 als potenziell verdächtig identifiziert worden. Diese 6.133 Objekte und ein Umsatz von 1,2 Millionen Euro auf dem deutschen Markt innerhalb von drei Jahren seien, so Schmidt,  "kein Angebot an hochwertigen Objekten, und die Nachfrage bleibt generell gering."
Das ist so falsch, denn einerseits sind die 6.133 Objekte die Gesamtmenge der sicher auf das Untersuchungsgebiet zu verortenden Antiken, von denen eben wie oben aufgeführt nur 2,1 % erkennbar nach der Gesetzeslage unproblematisch sind (wobei die Gesetzeslage mit ihren immer jüngeren Stichtagen selbst immer noch ein Problem darstellt). 97,9 % davon sind also Verdachtsfälle, denn Antiken kommen aus archäologischen Fundstellen, bei denen Funde fast überall gemeldet werden müssen, Ausfuhrlizenzen benötigen - oder bei regulären Grabungen an Museen und wissenschaftliche Institute, aber nicht in den Markt gelangen.
Dabei ist weiterhin zu vermerken, dass es sich bei den 6.133 erfassten Objekte nur um die sicher auf das Arbeitsgebiet zu beziehende Menge handelt. Die Zahlen in dem Bericht sind wohl so zu verstehen, dass darüber hinaus zahlreiche Münzen und Kleinfunde etwa hellenistischer und römischer Zeit angeboten wurden, die aufgrund fehlender Provenienzangaben und der über den Mittelmeerraum hinausgreifenden kulturellen Angleichung nicht sicher regional genauer zuweisbar sind und beispielsweise auch aus Nordafrika stammen könnten und daher gar nicht erst berücksichtigt wurden.

Eine ähnliche Bagatellisierung wie bei Schmidt, indem suggeriert wird, es ginge nur um wenige Funde, betreibt die IADAA (International Association of Dealers in Ancient Art).
Auch hier wird darauf verwiesen, dass nur 133 (sic! richtig: 6133) (1,7%) der untersuchten Funde aus dem östlichen Mittelmeerraum stammten. Die Prozentzahl ist richtig, die absolute Zahl ist jedoch 6.133.
Schaut man in Auktionskataloge, so gibt es genauso fragwürdige Angebote archäologischer Funde, die nicht aus dem östlichen Mittelmeerraum stammen (oder jedenfalls nicht sicher der Region zugewiesen werden können, wie z.B. viel römisches Fundmaterial), sondern etwa aus Nordafrika, Mitteleuropa, dem Balkan, Lateinamerika oder auch Kambodscha (etc.). Der Verweis darauf, dass es gar nicht nachgewiesen sei, dass die potenziell aus Syrien und Irak stammemdem Funde auch tatsächlich von dort stammen, geht an der Sache vorbei. Das ist ja gerade die Krux des Antikenhandels, dass die Provenienzen zu ungenau sind und das Kulturgutschutzgesetz hier Nachweispapiere verlangt. An den Funden lässt sich oft nicht entscheiden, ob sie aus der heutigen Türkei, Syrien oder dem Libanon stammen. Der Geschädigte ist nicht ein moderner Staat, sondern das Gedächtnis der Menschheit.

Zu unbedeutend als Terrorfinanzierung?

Obgleich nicht explizit Thema des ILLICID-Berichtes greifen beide Reaktionen den Vorwurf der Terrorfinanzierung auf, der in den vergangenen Jahren immer wieder gegen den Antikenhandel angeführt wurde und der sicher dazu beigetragen hat, dass in den vergangenen Jahren einige - oft halbherzige - Maßnahmen getroffen wurden, um den Markt stärker zu kontrollieren.  Insofern ist dies für den Kunsthandel ein heikler Punkt, denn einerseits begründet er rechtliche Einschränkungen und Kontrollen und andererseits verkaufen sich "Blutantiken" (z.B. Lehr 2016) wohl auch nicht besonders gut. Wer möchte schon schöne Dinge in der Vitrine stehen haben, an denen das Blut unschuldiger Terroropfer klebt?

Einige Archäologen haben von Anfang an gewarnt, dass es schwierig sein würde, juristisch haltbare Beweise für eine besondere Bedeutung der Raubgrabungen für die Finanzierung von Terroranschlägen vorzubringen.  Denn natürlich legen Terroristen ihre Buchführung nicht offen und so fällt es schwer, die Bedeutung von Raubgrabungen und Antikenhehlerei für den Terrorismus direkt abzuschätzen. Aussagen, wonach der Handel mit Antiken der drittgrößte illegale Markt nach dem Handel mit Waffen und Drogen sei, sind nicht beweisbar. Dennoch ist es sicher, dass beispielsweise Daesh (wie früher schon die Roten Khmer in Kambodscha) seinen Krieg auch mit archäologischen Funden finanziert hat (Vasic/ Turku 2016) - und dies ggf. bis heute tut. 
Aktuell verweist die UN darauf, dass Daesh ein Vermögen von geschätzt 300 Millionen $ zur Verfügung habe und nach wie vor über Finanzquellen verfüge - unter anderem durch den Verkauf von archäologischen Funden.
 "While the loss of territory and a governed population has deprived the group of revenue from oil fields and taxes, Daesh is still able to generate wealth by receiving funds via informal money transfer businesses known as “hawaladars”, as well as earning money through the lucrative industry of stolen antiquities which have been looted from various sites throughout the Levant. There have also been claims that Daesh has a special unit for selling such antiquities, according to returnees from the conflict in the recaptured territories." 

Wenn nur bei knapp 2% der Funde  verifizierbare Provenienzen gegeben werden, fällt es natürlich schwer, die Wege der Funde zu rekonstruieren und auszuschließen, dass die Funde nicht doch aus einem kriminellen oder gar terroristischen Hintergrund stammen. Im Gegenteil: Die geringe Quote legt es nahe, dass es etwas zu verbergen gibt: Die Verbindungen zu Raubgräbern, zu Terroristen, zu Geldwäschern? Thomas E. Schmidt verweist darauf, dass nur in wenigen Einzelfällen eine enorme Preissteigerung einzelner Objekte nachgewiesen werden konnte, so dass es für den Verdacht der Geldwäsche keinen konkreten Anhaltspunkt gäbe.
Entgegen der Behauptungen aus dem Kunsthandel ist sehr wohl belegt, dass der Terrorismus sich auch aus Raubgrabungen und Antikenhehlerei finanziert (z.B. Turku 2017). Schätzungen sind hier nicht wirklich möglich, das ändert aber nichts an der Tatsache. Schon 9/11 scheint u.a. mit dem Verkauf von Antiken finanziert worden zu sein. Es wird wohl Jahre dauern, bevor das Fundmaterial der Plünderungen der vergangenen Jahre in den Markt eingebracht werden wird. Immer wieder wurden in Syrien kleinere Depots von archäologischen Objekten gefunden (z.B. Syrian Army Recovers Archaeological Pieces Stolen by Terrorists. Prensa latina [21.5.2019]), die nahe legen, dass noch vieles in Depots und Lagern liegt, ehe es auf dem Markt zu Geld gemacht wird. Daesh hat deswegen offenbar auch  die Raubgräber besteuert und sich nur in geringem Umfang direkt mit Raubgrabungen und Hehlerei befasst.

Images from 9/11
Die Terroranschläge von 9/11 waren wohl teilweise durch den Verkauf von Raubgrabungsfunden finanziert: Kunst als Terrorfinanzierung?. Spiegel (18.7.2005). - https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41106138.html
(Foto: 'macten' [CC by-nc 2.0] bei flickr)
 

Magere Bilanz?

Der IADAA kommt zu folgender Einschätzung des ILLICID-Projekts: "Der Bericht  identifiziert nirgends illegal gehandelte Waren oder jedliche Form von Terrorismusfinanzierung, was das oberste Ziel des ganzen Projekts war.“
In der Tat hält sich der Bericht hier auffallend zurück. Er vermeidet juristische Risiken und umgeht unangenehme Themen. Immerhin waren Vertreter des Kunsthandels auch im Team des Projektes. Betrachtet man die Aufklärung von Einzelfällen und die Nachweise gefälschter Provenienzen ist die Bilanz des ILLICID-Projektes daher tatsächlich eher mager, was allerdings am administrativen Charakter des Berichtes liegen mag. Im Gegensatz zum Glasgower  Projekt Culture Trafficking, das 2011 bis 2016 einige konkrete Fälle aufdecken konnte, in denen im Kunsthandel Fundobjekte mehrfach mit gefälschten Provenienzen aufgetaucht sind, hat das deutsche ILLICID bislang tatsächlich keine solchen konkreten Fälle publik gemacht. Das ILLICD-Projekt war vermutlich nicht darauf angelegt, Einzelfälle im Detail zu verfolgen. Hier müssten nämlich im Ausland die Wege aus den Herkunftsgebieten genauer untersucht werden - das ist Polizeiarbeit oder bestenfalls Journalismus aber zunächst nicht Wissenschaft.


Der ILLICID-Bericht umgeht die wirklich heiklen Punkte - bei denen beim Projektdesign auch nicht klar ist, wie man hier die versprochenen Aussagen gewinnen wollte - und so kann es nicht verwundern, dass der Kunsthandel ihn nun als Freispruch nutzt. Noch stehen richtige Publikationen aus dem Projekt aus, die vielleicht die Diskrepanz zwischen Versprechungen, öffentlichkeitswirksamen Auftritten vor der UNESCO und den im Bericht geschilderten Ergebnissen noch zu schließen vermögen.
 
Allerdings ist das in dem Bericht skizzierte Ergebnis der Auswertung der Provenienzangaben nicht zu unterschätzen. Denn hier wird belegt, dass gut 40% der Antiken gegen die aktuellen gesetzlichen Regelungen verstoßen und nur rund 2% mit den gültigen Regeln konform gehen. Das ist eine belastbare Zahl und wohl das wichtigtse Ergebnis von ILLICID, das Anlass sein sollte, dass Zoll und Polizei sich der Sache genauer annehmen.

Es geht um den Erhalt der Fundstellen als historische Quelle, nicht um teure, schöne Vitrinenfüller

Dass bislang die Kriminalstatistik wie auch die Statistiken des Zoll eher Zahlen geben (auf die sich der Kunsthandel gerne beruft: z.B. IG Deutscher Kunsthandel 2019), die das Problem im Vergleich zu den Zahlen von ILLICID deutlich unterrepräsentieren, darf nicht verwundern. Das liegt an einer fatalen Fehleinschätzung des Problems durch Verwaltung und Justiz. Es geht in der Wahnehmung nicht um die Schäden an den historischen Quellen, sondern um finanzielle Schäden gegenüber dem Fiskus oder um Eigentumsdelikte. Aber tatsächlich geht es eben nicht um Zoll-, Steuer- oder Exportvergehen, auch nicht um einige wenige, wertvolle Funde (und auch nicht um die angeblich wertlosen Massenfunde [wobei die große Zahl der Fälschungen  die enorme Nachfrage belegt]. Egal ob teure Statue oder "Schrottmünze" - wenn ein Markt damit regelmäßig beliefert werden soll, geht das nicht mit Zufallsfunden, sondern nur mit Raubgrabungen. Für jeden Fund muss ein Bodeneingriff stattfinden - welche Folgen das hat, erkannt man zur Genüge auf Luftbildern aus Syrien und Irak, Ägypten oder auch aus Bulgarien. Diese Zerstörungen sind nicht vor Ort zu stoppen, sondern nur dadurch, dass niemand für diese Funde Geld bezahlt.
Es geht um die Zerstörung oder besser: um die Erhaltung archäologischer Fundstellen.




Abu Sir al Malaq: Raubgräberlandschaft auf einem ägyptischen
Gräberfeld. [Die Luftbilder in Google Earth zeigen, dass die meisten Löcher
zwischen dem 11.7.2010 und dem 12.9.2012 geschaufelt wurden.]
(Google Maps)






Literaturhinweise und Links

  • D. Lehr. Blood Antiquities. Antiquities Coalition (1.2.2016). - https://theantiquitiescoalition.org/blood-antiquities/
  • Helga Turku, The Destruction of Cultural Property as a Weapon of War. ISIS in Syria and Iraq (Cham: Pallgrave Macmillan/Springer 2017) 
  • Mark V. Vlasic / Helga Turku, ‘Blood Antiquities’. In: Journal of International Criminal Justice 14 (5), 2016, 1175–1197. - DOI: 10.1093/jicj/mqw054.
  • Günther Wessel, Das schmutzige Geschäft mit der Antike. Der globale Handel mit illegalen Kulturgütern (Berlin: Ch. Links Verlag 2015) - Rezension auf Archaeologik (27.8.2016)
Änderungsvermerk: 23.2.2020 kleinere Rechtschreibkorrekturen, 8.3.2020 logischer Fehler vor/nach in Absatz"Gemessen an..." sowie genauer Titel zu Zeit-Link, 15.5.2020 weitere kleinere Rechtschreibkorrekturen





Montag, 5. August 2019

Woher stammen die antiken Münzen im Onlineshop der Post?


Jutta Zerres / Rainer Schreg

Die Deutsche Post AG bietet derzeit originale antike Münzen der Griechen, Römer, Karthager, Kelten und von der Seidenstrasse auf ihrer Website zum Kauf an.


Bei jedem Angebot werden ausführliche Informationen zu Motiven, Datierung, Münzart, Material, Gewicht, Größe und Erhaltungszustand gemacht. Hinweise auf die Herkunft der Stücke fehlen jedoch. Am 15.07.2019 hat die Post daher über das Kontaktformular an den Kundendienst (shop@deutschepost.de) Post erhalten, mit der Bitte Angaben über die Provenienz der Münzen zu machen:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie bieten auf Ihrer Homepage antike Münzen zum Verkauf an. Ich stellte dabei fest, dass hierbei keinerlei Herkunftsangaben der Stücke gemacht werden. Leider besteht bei Angeboten wie diesen immer die Gefahr, dass die Münzen aus dubiosen Quellen, sprich: aus illegalen Ausgrabungen in den Handel gelangt sind. Sie werden verstehen, dass ich als Archäologin das nicht gut heißen kann.
Wie sieht es also mit den Münzen aus, die Sie hier anbieten?
Mit freundlichen Grüßen,
Jutta Zerres„

Und die Antwort? Nichtssagend:
"Die Münzen, die wir in unseren Prospekten anbieten, stammen aus Ankäufen von namhaften Münzhändlern." (e-Mail v. 29.7.2019)

Auch auf nochmaliges Nachhaken ("Wie stellen Sie sicher, dass die Münzen, die Ihnen die namhaften Händler verkaufen, nicht aus Raubgrabungen stammen?  Verlangen Sie Herkunftsnachweise von den Händlern, bevor Sie Ankäufe tätigen? Lehnen Sie gegebenenfalls den Ankauf von Stücken ohne "sauberen" Herkunftsnachweis ab?") konnte oder wollte die Post keine befriedigende Auskunft geben: 
"Wir versichern Ihnen, dass alle Münzen aus absolut vertrauenswürdigen und absolut legalen Quellen stammen. Vertrauen sie auf unseren Namen und unsere Seriosität der Marke Deutsche Post." (e-Mail v. 2.8.2019)


Möglicherweise ist das Angebot formal legal, da das deutsche Kulturgüterschutzgesetz und die Ausführungsbestimmungen Münzen nicht mehr als archäologische Funde anerkennen und letztlich zu Raubgrabungen ermutigen. Gerade der Post-Shop macht auf dieses Problem aufmerksam, denn bei einigen Angeboten findet sich die Information:
“Das Produkt ist leider aktuell vergriffen und wird erst ab dem 14.08.2019 wieder lieferbar sein.“ 
Selbst wenn die Post mit einem Fachhändler kooperiert: Wie kann die Lieferbarkeit zum angegebenen Termin sichergestellt werden?  Da es sich bei dem Post-Angebot (die Echtheit der Münzen vorausgesetzt) nicht um "Schrottmünzen" handelt, die zu Tausenden gefunden werden oder massenhaft auf Dachböden oder in alten Sammlungen liegen, fragt man sich, wie ein legaler Lieferweg auf Bestellung und auf Termin wohl aussieht - zumal ohne Provenienzangabe. Eine unbedenkliche Provenienz zeichnet sich dadurch aus, dass konkrete Angaben gemacht werden können und sie nicht nur auf Vertrauen basiert, das in dieser Branche immer wieder durch nachgewiesene Raubgrabungsfunde in Frage gestellt wird.

Vielleicht ist die Lieferinformation der Post aber auch wie folgt zu ergänzen:
    “Der Händler unseres Vertrauens hat die Ware bereits bei den Zwischenhändlern geordert. Leider müssen die Raubgräber für die passenden Münzen noch ein paar archäologiche Fundstellen umgraben und einige Gräber schänden.“
      Inzwischen sind die Münzen nämlich erst wieder am 4.9.2019 lieferbar.

      Allein auf den guten Namen der Post zu verweisen, reicht nicht aus...

      - es zeigt einen unverantwortlichen Umgang mit archäologischen Funden und mehr noch: Fundstellen. Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Angebote aus Raubgrabungen und illegalen Exporten stammen, ist sehr, sehr hoch. Das Postangebot ist ein Beitrag zur Kulturgutzerstörung und dazu geeignet, den guten Namen des Unternehmens nachhaltig zu beschädigen.
      Archäologische Funde - auch Münzen - ohne ordentliche Provenienznachweise sind, selbst wenn sie ausnahmsweise nicht selbst aus dubiosen Quellen stammen, eine Einladung an Raubgräber und Schatzsucher.


      Links


      Freitag, 2. August 2019

      Die Sülchenkirche - eine Rezension

      "erste Einblicke in die Geschichte eines bislang möglicherweise unterschätzten Zentralortes"
      • meine Rezension zu: Herbert Aderbauer / Harald Kübler (Hg.), Die Sülchenkirche bei Rottenburg. Frühmittelalterliche Kirche – alte Pfarrkirche – Friedhofskirche – bischöfliche Grablege (Lindenberg i. Allgäu 2018). Zeitschr. Württ. Landesgesch. 78, 2019, 454-457 - https://www.kgl-bw.de/anlagen/zwlg_78_2019_rezensionen.pdf