Mittwoch, 30. Mai 2018

Ungarn listet unliebsame Wissenschaftler

Nur kurz nach der Wiederwahl von Viktor Orbáns Fideszpartei für das ungarische Parlament veröffentlicht die regierungstreue Zeitung Figyelő; eine Liste mit unliebsamen Journalisten, NGO-Vertretern und Wissenschaftlern. Viele der 200 Gelisteten haben Verbindungen zur Central European University (CEU), die von Orban in irrationalem Verschwörungswahn schon länger schikaniert wird.
  • Die Liste: A spekuláns emberei. Figyelő (4/2018)

Mit auf der Liste steht Patrick Geary, ein in Archäologenkreisen wohlbekannter Historiker. Er ist Professor für Geschichte des abendländischen Mittelalters am Institute for Advanced Study in Princeton, New Jersey und war von 2008 bis 2009 Präsident der Medieval Academy of America. Derzeit leitet Geary ein Forschungsprojekt zu Migrationen während des frühen Mittelalters. Im Mittelpunkt stehen die Langobarden, die bis ins 6. Jahrhundert auch Bevölkerungsruppen im heutigen Ungarn zugerechnet werden, ehe sie 568 nach Norditalien abgewandert seien. Geary’s Projekt analysiert die DNA aus Gräberfeldern aus Ungarn und Italien.

Ebenfalls auf der Liste steht der renommierte ungarische Mittelalterhistoriker Gábor Klaniczay, der erst vor Kurzem als Mitglied der American Academy of Arts and Sciences gewählt wurde. Klaniczay ist Professor an der CEU in Budapest und arbeitet vor allem zu Religionsgeschichte, aber auch zur Rezeption von Antike und Mittelalter in der Gegenwart.

Es ist unklar, was diese Liste zu bedeuten hat. Sicher geht es um Einschüchterung, vielleicht aber auch um noch Schlimmeres? Soll Wissenschaft auf solche Forschungsergebnisse getrimmt werden, die das krude Geschichtsbild der Nationalisten stützen?

Entscheidend dafür, dass Wissenschaftler auf der Liste stehen sind derzeit wohl generell deren Verbindungen zur CEU, weniger inhaltliche Positionen. Dass Letzteres zumindest indirekt aber durchaus auch eine Rolle spielen mag, zeigt die angekündigte Gründung des László Gyula Őstörténeti Intézet (László Gyula Institut für [ungarische] Frühgeschichte). Das neue Institut wird finanziell von einem Politiker der Fideszpartei, Sándor Lezsák, Vizepräsident des Parlaments und Vertrauter von Viktor Orbán. Das Institut wurde vor den Wahlen gegründet, wohl um Stimmen im rechtsextremen Lager zu sammeln, ist aber noch nicht öffentlich sichtbar.
Das Kurultaj - ein angeblich traditionelles, tatsächlich erst 2007
begründetes - Festival der Steppenvölker propagiert die
wissenschaftlich nicht gedeckte These
einer Abstammung der Ungarn von Hunnen und Skythen.
(Foto: Derzsi Elekes Andor [CC BY SA 4.0]
via Wikimedia Commons)
Propagiert wird hier ein parawissenschaftliches Geschichtsbild des Ursprungs der Ungarn (vgl. Simon-Nanko 2017). Die sprachwissenschaftlich erwiesene Verbindung des Ungarischen zum Finnischen wird abgelehnt, weil sie zu wenig Größe ausstrahlt. Da wird zwar richtig darauf verwiesen, dass die Kategorien Sprache und Volk nicht deckungsgleich sein müssen, zugleich wird aber an einer grundsätzlich falschen Vorstellung von Volk und Nation als natürlicher, weitgehend unveränderlicher Größe festgehalten. Vorwissenschaftliche Mutmaßungen mittelalterlicher Autoren, die eine Verbindung der Ungarn zu Hunnen und Skythen postulierten, werden trotz fehlender wissenschaftlicher Argumente zum Paradigma erhoben und um die absurde These ergänzt, dass die Sumerer als erste Hochkultur Mesopotamiens ungarisch gewesen sei. Unter anderen hat  Gábor Klaniczay auf die mangelnden Grundlagen dieses nationalistischen Geschichtsbildes hingewiesen.

Ein Artikel, ebenfalls kurz nach der Wahl in einer rechten Zeitung erschienen, greift eine alte Verschwörungstheorie auf (vergl. Simon-Nanko 2017) und sieht in der sprachwissenschaftlichen Klassifikation des Ungarischen in einer finno-ugrischen Sprachgruppe eine Verschwörung der Habsburgermonarchie, der insbesondere die Ungarische Akademie der Wissenschaften bis heute verpflichtet sei. Künftig müsse Wissenschaft die ungarische Seele und die historischen Traditionen stärker berücksichtigen.
Die CEU bezeichnet die Liste in einer ersten Reaktion als inakzeptabel.

Im Ausland hat dieser ungeheuerliche Vorgang, bei dem Menschen ob ihrer wissenschaftlichen Interessen und Forschungen persönlich bedroht werden, offenbar kaum Beachtung gefunden. Hier wäre ein klares Statement der EU gefragt!

Literatur

Simon-Nanko 2017
L. Simon-Nanko, Politische Mythologie in Ungarn? Zu Kontinuitäten paralleler Geschichtsschreibung im Kontext von Archäologie und Sprachwissenschaft. In: I. Götz/K. Roth/M. Spiritova (Hrsg.), Neuer Nationalismus im östlichen Europa (Bielefeld 2017) 139-148.

Interne Links

Es scheint besser, für Auskünfte und Übersetzungshilfen, die ich aus Ungarn erhalten habe, nicht namentlich zu danken.

Dienstag, 29. Mai 2018

Der gestohlene Krieger

Neues zum Fall des gestohlenen Kriegers aus Persepolis:

Relief ehemals im Montreal Museum of Fine Arts
(picture: press release The Globe and Mail  via Wikipedia)
Siehe
Es ist übrigens unwahr, dass "the Oriental Institute’s website which includes hundreds of photographs of the Persepolis excavation [] does not include images of the relief in question." Auf diese Seite war der Händler offenbar von seinen Gutachter direkt für die Recherche verwiesen worden. Er hätte also in der Tat wissen können, dass das Relief gestohlen ist.

Interner Link

Donnerstag, 17. Mai 2018

WANTED: Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter am Lehrstuhl

Wer möchte in den kommenden Jahren mit daran arbeiten, die Archäologie des Mttelalters und der Neuzeit inhaltlich zu profilieren, modern zu lehren und ihre Bedeutung der Öffentlichkeit zu vermitteln?

Ich suche ganz konkret für die Assistenz am Lehrstuhl für Archäologie des Mitttelalters und der Neuzeit an der Otto-Friedrich Universität in Bamberg zum kommenden Wintersemester zwei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter in je 50% Beschäftigungsverhältnis. Es handelt sich um Qualifikationsstellen zur Promotion mit Aufgaben in Lehre und akademischer Verwaltung. Sie sind befristet auf 3 Jahre, jedoch mit Option auf Verlängerung.
Bewerbungsfrist ist der 11.6.2018

Der genaue Ausschreibungstext mit den Bewerbungsmodalitäten:

Weitere Infos:


Bamberg, Am Kranen 14,
Lehrstuhl für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit
(Foto R. Schreg)


Montag, 14. Mai 2018

Alpine Wüstungsforschung im Berner Oberland

Rezension von Anne-Sophie Ebert 

Brigitte Andres

Alpine Wüstungen im Berner Oberland.
Ein archäologischer Blick auf die historische Alpwirtschaft in der Region Oberhasli

Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie 42
Basel : Schweizerischer Burgenverein
2016

364 Seiten, 187 Abbildungen
Ladenpreis: 68,00 €
ISBN 978-3908182269



Die Archäologie in den Alpen und nicht zuletzt auch die alpine Wüstungsforschung fanden in den letzten ca. 20 Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung. Ein Anstoß dafür mag die Auffindung der als "Ötzi" bekannten Eisleiche am Tisenjoch im Ötztal im Jahr 1991 gewesen sein. Ein weiterer Grund für eine vermehrte Forschungstätigkeit liegt im Klimawandel begründet, aufgrund dessen im Hochgebirge für den Skitourismus immer höher gelegene Pisten erschlossen und somit Bodeneingriffe vorgenommen werden.


Auch im Berner Oberland, in der Region Oberhasli, wurde 2003 eine Zusammenlegung mehrerer Skigebiete zu einem "Schneeparadies Hasliberg-Frutt-Titlis" geplant, sodass der Archäologische Dienst des Kantons Bern unter der Leitung von Daniel Gutscher mehrere Prospektionskampagnen (2003, 2004 und 2006) vornahm, um gefährdete Befunde in diesem Gebiet zumindest zu kartieren.
Ähnliche Projekte werden in der Schweiz in letzter Zeit häufiger durchgeführt (s. z.B. die Prospektionskampagnen im Muotatal SZ, die von Franz Auf der Maur, Walter Imhof und Jakob Obrecht ausgewertet und publiziert worden sind). Für den österreichischen Alpenraum liegen insgesamt weniger Untersuchungen vor, aber auch hier werden, gerade durch die Tätigkeiten des Vereins für Alpine Forschung (ANISA) immer mehr Kampagnen und interdisziplinäre Auswertungen realisiert (s. z.B. Weishäupl 2014 oder die Reihe "Forschungsberichte der ANISA").
Die knapp 400 im Oberhasli neu entdeckten Hinweise auf alpine Wüstungen und Alpwirtschaft wertet Brigitte Andres nun in diesem Band (ihrer Dissertation) aus. Dabei geht sie vor allem der Fragestellung nach, wie und ob man die Befunde in den Kontext der bisherigen Wüstungsforschung in der Schweiz einbetten und mit Befunden anderer Regionen vergleichen kann. Ein weiteres wichtiges Ziel der Arbeit ist es zudem Hinweise auf alpwirtschaftliche Tätigkeiten wie Milchverarbeitung, Viehhaltung und Wildheunutzung im archäologischen Befund zu finden.

Im ersten Teil des Buches stellt die Autorin gleich zu Beginn die Problematik des Forschungsstandes klar. In den letzten Jahren, nach mehreren Grabungskampagnen in den 1970er Jahren (s. Werner et al. 1998), ist immer mehr von tatsächlichen Grabungen im Hochgebirge abgesehen worden. Vor allem ist es schwierig, sowohl die Grabungsmannschaft, als auch das benötigte Material an die meist entlegenen Grabungsstellen, die oft auch über keinen Anschluss an moderne Wegenetze verfügen, zu bringen. Darum wurde ein stärkerer Fokus auf Prospektionsprojekte gelegt. Dies zieht zwei Probleme nach sich: Erstens sind durch fehlende Untersuchungen der Innenstruktur von Alpgebäuden Funktionen derselben nur schwer zu bestimmen und zweitens fehlt es der Forschung an zeitlicher Tiefe, da genauere Datierungen bei Prospektionen nicht möglich sind (S. 29f.). In den drei Tälern des Untersuchungsgebietes kommen Alpwüstungen wahrscheinlich häufiger ab dem 14. Jh. vor, meist können die festgestellten Strukturen allerdings höchstens bis in das 16. Jh. (z.B. anhand von Bauinschriften) zurückdatiert werden (S. 30).
Im Folgenden gibt die Autorin mit dem Kapitel "Naturraum und Geschichte der Region Oberhasli" (S. 33) einen Überblick über Klima und Naturgefahren im Untersuchungsgebiet, welcher gut zum Verständnis der naturräumlichen Bedingungen beiträgt. Die detaillierte Beschreibung von Pässen vermittelt die Kenntnis der Verkehrswege und der Handelskapazität der Täler im Oberhasli. Zudem geht sie kurz auf Landwirtschaft, Handel, Eisenbergbau, Fremdenverkehr und Wasserkraftnutzung in der Region ein, sodass dem Leser ein eindrückliches Gesamtbild der Umwelt und der Kulturlandschaft im Oberhasli gegeben wird.

Nach diesem einleitenden Teil folgt im zweiten Teil das eigentliche Kernstück der Arbeit (S. 63-200). Vor der Beschreibung und Einordnung der eigentlichen archäologischen Befunde, erfolgt die Betrachtung der Alpwirtschaft im Oberhasli anhand von nichtarchäologischen Quellen. Hier bezieht sich die Autorin vor allem auf Rechtsquellen, Alpstatistiken, topographische Beschreibungen der oekonomischen Gesellschaft Bern und auf alte Reiseberichte und legt somit den Fokus auf einen wichtigen interdisziplinären Ansatz. Erkenntlich wird, dass wahrscheinlich zwischen dem 15. und 16. Jh. ein Wandel in der Alpwirtschaft stattfand, da Viehweiden wohl zunehmend dem Großvieh vorbehalten wurde, ab Ende des 14. Jh. eine Tendenz zur gemeinschaftlichen Verwaltung von Alpen, Allmenden und Wäldern zu erkennen ist und ab 1600 ein zunehmender Export von Käse in die Städte Norditaliens belegt ist (S. 68-76). Allerdings fanden sich wohl nur sehr wenige Beschreibungen von eigentlichen Alpgebäuden, weshalb ein Vergleich mit den archäologischen Befunden schwierig bleibt. Eventuell hätte hier noch eine verstärkte Betrachtung von noch bestehenden Alpgebäuden geholfen auch am archäologischen Material einzelne Funktionsbereiche vergleichend zu erkennen.
Im Kapitel "Wüstungsforschung im Oberhasli" (S. 89) wertet Andres schließlich die eigentlichen Befunde der Prospektionskampagnen aus. Zunächst teilt sie die Befunde in Kategorien ein. Dies vermittelt einen Eindruck, wie vielfältig die Befunde tatsächlich sind (das Spektrum reicht von Gebäudegrundrissen und Konstruktionen unter Fels über Pferche und Weidemauern bis hin zu Wegabschnitten und Hinweisen auf Erzabbaustätten). Die einzelnen Befundkategorien sind meist noch wie im Fall der Konstruktionen unter Fels in weitere Untergruppen nach Erscheinungsmerkmalen unterteilt. Durch in den Text eingebaute Tafeln, auf denen Andres signifikante Beispiele für jeweils eine Befundkategorie abbildet, werden dem Leser die unterschiedlichen Ausprägungen der Befunde innerhalb der Befundgruppen besonders deutlich (z.B. Abb. 91, S. 125). Hilfreich sind auch die dabei stets aufgeführten Katalognummern, um die einzelnen Beispiele im Befundkontext im sehr übersichtlichen und anschaulich gestalteten Katalog wiederfinden zu können. 

Im Anschluss beschreibt Andres die einzelnen Wüstungsplätze in ihrer Gesamtheit und im Kontext des Fundgebietes. An dieser Stelle wird der Leser systematisch an das Siedlungsgefüge der Alpwüstungen und mägliche Problematiken herangeführt. So wird deutlich, dass sowohl bei größeren, als auch bei kleineren Siedlungsplätzen die Anordnung der einzelnen Strukturen stark von den topographischen Gegebenheiten im Gebirge abhängig sind und somit jeweils individuelle Ausprägungen erscheinen, die kaum einheitlich dargestellt oder kategorisiert werden kännen (S. 168). Dies bedeutet im Umkehrschluss wiederum eine erschwerte Zuordnung von Funktionsbereichen zu einzelnen Siedlungselementen.

An dieser Stelle soll durch die kurze Vorstellung zweier Beispiele die Problematik beleuchtet werden:

Beispiel 1: Wüstungen Hinder Tschuggi (Hasliberg BE):

Die Strukturen bei Hinder Tschuggi sind weit im Areal verstreut errichtet worden. Die meisten erhaltenen Grundrisse sind einräumig, es liegen aber auch zweiräumige Strukturen und sogar drei mehrräumige Strukturen vor. Närdlich der heute bestehenden Alpgebäude schließen sich "Tschugginollen" genannte Felsformationen an, in denen des Weiteren Konstruktionen unter Fels festgestellt werden konnten.
Ob diese weit verstreuten Gebäude gleichzeitig oder nacheinander in Betrieb waren oder ob es Spezialisierungen auf unterschiedliche Käseherstellungen gab, kann aufgrund der fehlenden Datierungen und Untersuchungen der Innenräume leider nicht mit Sicherheit gesagt werden (S. 146-148).






Beispiel 2: Wüstung Wendenläger 1 (Innertkirchen BE):

Bei Gadmen befindet sich die Wüstung Wendenläger 1. Am Rand einer Geröllhalde sind hier ein etwas größerer einräumiger Grundriss an einem Felsblock zu erkennen und südlich dicht daran anschließend mehrere kleine, teilweise sogar annähernd runde Strukturen, die eventuell auf weitere kleinere Gebäude oder Lagerräume hinweisen kännen.
Die heutigen Alpgebäude wurden südlich dieser Wüstung in etwas flacherem Gebiet errichtet, befinden sich daher aber auch in einer exponierteren Lage, aufgrund dessen zum Hang hin Lawinenkeile künstlich aufgeschichtet werden mussten (S. 160-164 und S. 204).










Sinnvollerweise zieht die Autorin, auch aufgrund fehlender Grabungen im Oberhasli, andere Quellen aus dem gesamten Schweizer Alpenraum zur Interpretation von Funktionen der beschriebenen Strukturen im folgenden Kapitel "Kulturhistorische Einordnung" (S. 171) heran. Besonders bezieht sie sich auf den 1998 erschienenen Band "Heidenhüttli" von Werner Meyer, der ein umfassendes Bild der alpinen Wüstungsforschung in der Schweiz bis in die 1990er Jahre vorstellt und in dem auch noch tatsächliche Grabungen in alpinem Gelände ausgewertet werden. Aber auch die Ergebnisse aus dem vorangestellten Abschnitt zu den nichtarchäologischen Quellen fließen in diesem Kapitel in die Bewertung der Befunde mit ein.

An dieser Stelle geht es Andres vor allem darum, ob Wirtschaftsweisen auch im Oberhasli am archäologischen Befund erkennbar sind oder nicht. So kommt sie zu dem Ergebnis, dass generell Viehhaltung, anhand von Pferchen, Ställen und Weidemauern zunächst leichter zu erkennen ist, als die Milchverarbeitung. Hier tritt erneut die Problematik der fehlenden Grabungen in den Vordergrund.
Da keine gesicherten Aussagen über die Innenstrukturen von Gebäuden gemacht werden kännen, sind Sennereien, die anhand von Feuerstellen erkennbar wären, nur in sehr wenigen Fällen zu identifizieren. Auch bei Konstruktionen unter Fels kann die Funktion nicht immer eindeutig bestimmt werden. Daher schlie§t Andres in ihrer Interpretation vielfach über die Grä§e der Strukturen auf mägliche Funktionen der Gebäude.
Allerdings versucht Andres zumindest die Fragen zur Art der Milchwirtschaft trotzdem zu beantworten. Hier geht es um die Diskussion ob die eigentliche Käseherstellung am Befund zu erkennen ist. Für die Vollfettkäserei ist kein direkter Kühlraum notwendig, da die Milch nicht zum Abrahmen gelagert wird. Abrahmen bedeutet, dass die Milch vor der Verarbeitung zum Käse gelagert wird, sodass der Rahm sich absetzen und entnommen werden kann, um zum Beispiel Butter daraus herzustellen.
Das Phänomen, dass im Oberhasli auch bis weit in die Neuzeit hinein, anders als in anderen Regionen der Schweiz, noch einräumige Alpgebäude genutzt wurden, deutet Andres mit Hilfe der historischen Quellen als einen Hinweis dafür, dass Vollfettkäserei, für die keine Kühlräume in der eigentlichen Sennerei notwendig waren, noch viel länger als in anderen Regionen der Schweiz praktiziert wurde. Auch den in den Schriftquellen oft zu fassenden Buttermangel in den Städten führt Andres auf eine schwerpunktmä§ige Vollfettkäserei im Oberhasli zurück.
Dies ist zunächst nicht von der Hand zu weisen, widerspricht sich jedoch teilweise mit den Rückschlüssen, die sie selbst im Folgenden aufstellt. Denn es sind doch Ð wenn auch wenige Ð zwei- oder mehrräumige Gebäudegrundrisse vorhanden (s. das Beispiel Hinder Tschuggi). In ihrer Synthese interpretiert Andres diese als "frühe Formen einer Sennerei mit Milchkeller" (S. 203). Zudem führt sie selbst auch die Mäglichkeit an, dass Konstruktionen unter Felsen ebenfalls als Kühlraum genutzt wurden (z.B. S. 174), was wiederum auch auf das Abrahmen und die Herstellung von Butter hindeuten kännte. Dass solche künstlich erschaffenen oder natürlichen "Höhlen" für die Milchlagerung tatsächlich genutzt wurden, konnte auch bei Forschungen im Muotatal SZ erwiesen werden (s. Auf der Maur et al. 2005).
Insgesamt ist der Rückbezug des Kapitels "Kulturhistorische Einordnung" auf das Kapitel "Alpwirtschaft im Spiegel nichtarchäologischer Quellen" jedoch sehr gelungen. Durch die Einordnung der eigentlichen Befundbeschreibungen zwischen diesen beiden Kapiteln wird das Material interdisziplinär eingerahmt, es steht nicht einfach im Raum. Auch der Vergleich der Befunde nicht nur mit regionalen historischen Quellen, sondern mit archäologischen und historischen Quellen aus anderen Regionen der Schweiz hilft bei der genauen Einordnung der Befunde aus dem Oberhasli in die alpine Wüstungsforschung insgesamt.

In ihrer Schlussbewertung geht Andres noch einmal auf die Forschungsproblematik ein und plädiert für eine vermehrte Institutionalisierung der alpinen Archäologie in der Schweiz um Grabungsprojekte wieder verstärkt zu fördern. Dies ist wohl im Endeffekt die einzige Möglichkeit gesicherte Aussagen über das sonst schwer zu datierende Befundmaterial zu tätigen, wie Andres selbst in ihren Analysen stichhaltig beweist.
Besonders hervorzuheben ist schlussendlich die vorbildlich ausgeführte interdisziplinäre Betrachtung der Befunde und die Darstellung der alpinen Wüstungsforschung "als Schnittstelle von Archäologie, Geschichte, Volkskunde, Bauernhausforschung und Denkmalpflege" (S. 205). Zu ergänzen wäre eventuell noch, dass auch naturwissenschaftliche Methoden aus der Bioarchäologie, GIS zur Rekonstruktion von Weideflächen (s. Štular 2010) oder Daten aus Geoarchiven genutzt werden könnten und müssten, um ein annähernd vollständiges Bild der Nutzung der Alpen durch den Menschen - nicht nur in Mittelalter und Neuzeit - zu erlangen.

Der Band stellt somit eine wichtige Publikation für die weitere Forschung dar. Zwar handelt es sich um die Auswertung von regionalen Entwicklungen der Alpwirtschaft, aber durch die interdisziplinäre Herangehensweise und die Berücksichtigung aller Befundarten auch im Vergleich über das Berner Oberland hinaus schafft die Autorin es, die Befunde überregional einzuordnen. Wichtig sind auch ihre Analysen zur Sichtbarkeit der Wirtschaftsweisen im archäologischen Befund. Teilweise ist dies schon bei anderen Forschungen durchgeführt worden (s. z.B. Meyer et al. 1998), verdient insgesamt aber einen noch stärkeren Fokus in der Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, vor allem auch über die Schweiz hinau. Die Ansätze, die hier von Andres erbracht werden, können somit als Diskussionsgrundlage dienen.

Literaturhinweise


  • Auf der Maur et al. 2005:
    F. Auf der Maur / W. Imhof / J. Obrecht, Alpine Wüstungsforschung, Archäozoologie und Speläologie auf den Alpen Saum bis Silberen, Muotatal SZ, Mitteilungen des historischen Vereins des Kantons Schwyz 97, 2005, S. 11-74.
  • Meyer et al. 1998:
    W. Meyer et al., "Heidenhüttli". 25 Jahre archäologische Wüstungsforschung im schweizerischen Alpenraum, Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 23/24, 1998.
  • Štular 2010:
    B. Štular, Medieval High-Mountain Pastures in the Kamnik Alps (Slovenia): Mittelalterliche Almen in den Steiner Alpen (Slowenien), In: F.Mandl / H. Stadler (Hrsg.), Archäologie in den Alpen. Alltag und Kult, Forschungsberichte der ANISA 3, Nearchos 19, 2010, S. 259-272.
  • Weishäupl 2014:
    B. Weishäupl, Anthropogene Strukturen in den närdlichen Stubaier Alpen. Bericht über die Prospektionen von 2008 bis 2011, ANISA FB I. 10, 2014
  • Website des Vereins für Alpine Forschung (ANISA): http://www.anisa.at/index-2.htm




Anne-Sophie Ebert studiert Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit in Bamberg und arbeitet zurzeit an ihrer Masterarbeit über die frühmittelalterlichen Siedlungsbefunde in Neuwied-Gladbach. Ihren Bachelorabschluss in Archäologischen Wissenschaften, mit einem Schwerpunkt in Ur- und Frühgeschichtlicher Archäologie, absolvierte sie in Bochum.

Freitag, 11. Mai 2018

Ein Versuch, den Denkmalschutz auszuhebeln - diesmal in der Schweiz

Bei Gesetzesinitiativen in der Schweiz kommt es zunächst zu einer "Vernehmlassung", bei der einschlägige Interessensverbände direkt angesprochen werden, bei der sich aber auch jeder Bürger zu Wort melden kann. So jetzt bei einem Gesetzesentwurf eines Abgeordneten mit dem das Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz dahingehend geändert werden soll, dass bei der Entscheidung gegen ein Denkmal nationaler Bedeutung künftig nicht nur nationale, sondern auch regionale = kantonale Interessen zugelassen werden. Im Schweizerischen Recht wird zwischen Objekten von nationaler Bedeutung und solchen von regionaler und lokaler Bedeutung unterschieden. Das Bundesgesetz greift nur bei der ersten Gruppe, die in einem Inventar genauer verzeichnet ist.

Die Schutzmöglichkeiten sollen bewusst eingeschränkt werden, um wirtschaftliche Zerstörungsinteressen zu unterstützen. Im Rahmen der Interessenabwägung bei Maßnahmen, die Denkmäler nationaler Bedeutung betreffen bilden die Fachgutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission ENHK und der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege EKD eine wesentliche Entscheidungsgrundlage. Die Entscheidung liegt aber jeweils bei den politischen Gremien, weshalb Eingriffe in Denkmale nationaler Bedeutung auch heute schon keine Seltenheit sind.

Die Alliance Patrimoine, als einer der angeschriebenen Verbände urteilt:
Die geplante Revision des NHG ist aus folgenden Hauptgründen abzulehnen:
1 Die Anliegen der parlamentarischen Initiative sind mit der Revision des Energiegesetzes umgesetzt.
2 Eine Aushebelung des Schutzes der national bedeutendsten Landschaften, Ortsbilder und Baudenkmäler widerspricht dem Volkswillen.
3 Statt angeblich mehr Rechtssicherheit und Effizienz würde die vorgeschlagene Revision zu einer Zunahme von Bürokratie und Rechtsunsicherheit führen.
4 Für die aktuellen wirtschaftlichen, planerischen und energetischen Herausforderungen gibt es keine einfachen Lösungen im Sinne der parlamentarischen Initiative – für gute Lösungen braucht es den Dialog.
Der Vorgang zeigt (mal wieder) - unter den anderen politischen Rahmenbedingungen der schweizerischen direkten Demokratie - die Wahrnehmung der Denkmalpflege als Zukunftsverhinderer, deren Einfluss maßlos überschätzt wird. Eine Argumentation für die Denkmalpflege mit dem Hinweis auf hoheitliche Aufgaben und gesetzliche Bestimmungen (ich weiß nicht, ob die Schweizer Kollegen auch so argumentieren) begünstigt eine solche Wahrnehmung und fordert solche grundsätzlichen politischen Angriffe auf das Kulturerbe und die tragenden Institutionen aber wohl heraus.

Offizielle Unterlagen

Informationen der Alliance Patrimoine


Nachtrag (11.12.2018)

Mittwoch, 9. Mai 2018

Retrutopia: Wie Regierungen die Geschichte ihrer Völker umdeuten

Politik hat die Geschichte wieder entdeckt und manipuliert Geschichtsbilder. Eine Tagung am Deutschen Historischen Institut in Paris hat das Phänomen diskutiert, unter anderem an den Beispielen Türkei, Ungarn und Polen.

Daraus einige Beobachtungen und Gedanken: 
Geschichtsspektakel im Freizeitpark Puy de Fou
(Foto: Padpo [CC BY SA 3.0] via WikimediaCommons)
  • Es gibt immer weniger Institutionen und Mittel für Geschichtsforschung, aber Geschichte spielt in der Öffentlichkeit eine immer größere Bedeutung.
  • Geschichte wird heute als Unterhaltung präsentiert, immer weniger Experten kommen in den Medien zu Wort. 
  • Der kritische Aspekt der Geschichte geht verloren. "Geschichte dient zu allererst dazu, Fragen aufzurufen, Konflikte auszulösen und nicht mundgerechte Antworten zu liefern oder gar Bestätigungen."
  • Unsere Gesellschaft hat keine Zukunftsutopien, statt dessen werden Utopien in die Vergangenheit projiziert. - Retrutopia statt Utopia
  • Es scheint wichtig, den kritischen Blick auf die Geschichte zu schärfen.

Sonntag, 6. Mai 2018

Freitag, 4. Mai 2018

Transformers' Archaeology

In den USA wurde eine neue TV-Serie "Mysteries and Myths with Megan Fox" angekündigt, die 2019 ausgestrahlt werden soll. Moderatorin und Autorin ist die Schauspielerin Megan Fox, die mit den Kinofilmen "Transformers" bekannt wurde (mir allerdings nicht).
Megan Fox
(Foto: nicolas genin [CC BY SA 2.0]
via WikimediaCommons)
Angekündigt wird die Serie:
Die Schauspielerin Megan Fox reist um den Globus, um mit Experten mysteriöse Fragen der Weltgeschichte zu erörtern und ggf. zu lüften. Gab es das Trojanische Pferd wirklich? Und wer waren eigentlich die sagenumwobenen Amazonen? (fernsehserien.de)
Präsentiert werden soll "alternative history". Fachleute sind am Konzept nicht beteiligt. Megan Fox selbst sagt:
“I haven’t spent my entire life building a career in academia so I don’t have to worry about my reputation or being rebuked by my colleagues, which allows me to push back on the status quo. So much of our history needs to be re-examined.”
Diese Aussage, wie auch die Beobachtung, dass Megan Fox offenbar Anhängerin von Verschwörungstheorien à la Ancient Aliens ist, weckt Befürchtungen:
Keine Ahnung, ob die Serie per se erfolgreich wird und ein Publikum erreicht. Scheint aber insgesamt ein weiteres Beispiel, das die anti-science-Tendenzen und den Trend zu "fake history" jedenfalls in den USA illustriert.

Interne Links



Mittwoch, 2. Mai 2018

Bamberg International Summer School - Monitoring Heritage

Der Bamberger Dom steht im Mittelpunkt der
International Summer School zum Thema Monitoring Heritage
(Foto: R. Schreg, 2017)

Vom 30. Juli - 4. August 2018 läuft in Bamberg die International Summer School zum Thema Monitoring Heritage um nicht nur Studierende der Universität Bamberg, sondern auch Studierende anderer Hochschulen, national wie international praktische Erfahrungen sowie eine Einführung in die theoretischen Grundlagen der nicht-invasiven Strukturanalyse und der Erfassung historischer Gebäude zu bieten. Der Kurs beinhaltet eine theoretische Einführung zu verschiedenen Methoden der Strukturanalyse (Georadar, Seismik, Laserscanning) und deren Anwendung in und um den Bamberger Dom. Der Kurs wird in englischer Sprache abgehalten und kann im Studium mit 3 ECTS angerechnet werden. Von den 20 Plätzen sind 10 für externe, und 10 für lokale Studierende vorgesehen.
Der theoretische Teil des Kurses findet in den Räumen des Kompetenzzentrums Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien (KDWT) statt, die mit Seminarraum und gut ausgestattetem CIP-Pool sowohl Präsentationen als auch Datennachbearbeitung durch die Teilnehmer/innen ermöglichen.


Anmeldefrist: 

15. Mai, 2018


Registrierung

Organisation:

Herr Prof. Dr. Till Sonnemann (Informationsverarbeitung in der Geoarchäologie, Uni Bamberg)
Frau Prof. Dr. Mona Hess (Digitale Denkmaltechnologien, Uni Bamberg)
Herr Dr. Jesús Pacheco Martínez (Universidad Autónoma de Aguascalientes, Mexiko)