Eine gemeinsame AG des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege und des österreichischen Bundesdenkmalamts hat am 10.7.2024 im Dokumentationszentrum auf dem Obersalzberg ein Positionspapier zum Umgang mit Funden aus der NS-Zeit vorgestellt.
Hintergrund ist, dass sich die Archäologie der Moderne in den letzten Jahren nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaften der NS-Zeit in Deutschland und Österreich etabliert hat. Einerseits sind hier viele Maßnahmen und Projekte der Archäologischen Denkmalpflege in zahlreichen deutschen Bundesländern, andererseits aber auch eine zunehmende Bedeutung in der univeritären Forschung und Lehre zu verzeichnen, wie das insbesondere Claudia Theune an der Universität Wien voran getrieben hat.
Das Positionspapier ist mit einer einzigen Seite betont kurz und stellt nur
einige Thesen auf. Die Notwendigkeit der Erhaltung, der qualifizierten Erfassung, Dokumentation und Erforschung dieser Bodendenkmale begründet das Papier mit fünf Punkten:
- der historischen Einmaligkeit des Holocausts
- der Bedeutung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit der NS-Diktatur
- der intentionellen Auswahl erhaltener schriftlicher und bildlicher Überlieferung
- dem Ende der Generation der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen
- der Einmaligkeit archäologischer Quellen
Der letzte Punkt verweist auf den Quellenwert der Funde und deren wissenschaftliche Aussagekraft, was aber in der Kürze des Papiers nicht weiter ausgeführt wird. Erläuternd wird nur etwas abgehoben formuliert: "Denkmalbegriff und Arbeitsweise der Bodendenkmalpflege und Archäologie bieten Grundlagen für ein im Raum skalierbares und ganzheitliches Verständnis struktureller und systemischer Zusammenhänge. Methoden der Archäologie und assoziierter Wissenschaften sind geeignet, die textliche, mündliche und bildliche Überlieferung zu objektivieren, zu vervollständigen und zu erklären. Archäologische Strukturen und Objekte erschließen neue Bedeutungen. Sie reichen über herkömmliche Interpretationen und gängige Denkmalwerte hinaus und sind bei der Beurteilung der materiellen Überlieferung einzubeziehen („forensischer Wert“, „empathischer Wert“ i.S. Alterswert nach Riegl)."
So kurz und wenig selbsterklärend das Papier ist, die Vorstellung auf dem Obersalzberg schint das Ziel erreicht zu haben. Mit der offiziellen Vorstellung des bereits in den Oktober 2023
datierten kurzen und spröden Positionspapiers in einem internationalen
Rahmen, in den auch der bayerische Wissenschaftsminister Markus Blume
(CSU), der Generalkonservator Mathias Pfeil vom Bayerischen Landesamt
für Denkmalpflege beteiligt waren, sind zahlreiche Medienberichte erschienen, die das Thema dann genauer und anschaulicher darstellen.
Hervorzuheben ist vor allem ein Artikel des Standard:
Der Standard, aber auch andere Berichte verweisen auf das Beispiel
archäologischer Funde von Schloß Hartheim bei Linz, wo zwischen 1941 und 1944 rund 30.000 Menschen ermordet wurden - psychisch Kranke, aber auch Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. 2001 wurden bei Bauarbeiten für eine Fernwärmeleitung rund 8.000 Objekte gefunden, wie zum Beispiel Brillen, Broschen, Rosenkränze, Wallfahrtsanhänger, Parteiabzeichen, Zahnbürsten, Kämme, Seifen,
Geschirr und auch Identifikationsmarken ermordeter KZ-Häftlinge. Sie sind vielfach der entscheidende Beleg ihrer Ermordung in Hartheim und somit wichtig, die Schicksale der Opfer des NS-Terrors zu rekonstruieren. Sie zeigen plastisch, dass NS-Morde nicht nur "die Anderen" betroffen haben, sondern, dass diese Ideologie vor Keinem Halt macht. Die archäologischen Funde illustrieren die verschiedenen Opfergruppen. Mehr als hundert Rosenkränze weisen darauf hin, dass auch Katholiken ermordet wurden, ein teurer Lippenstift macht deutlich, dass auch Frauen aus wohlhabenden Kreisen zu den Opfern gehörten.
Dass das Eigentum von Opfern eines verbrecherischen Regimes, die hier mishandelt und ermordet wurden, nicht einfach als Müll entsorgt werden können ist leicht einzusehen. Anders steht es um die Täterfunde, etwa vom Obersalzberg. Sie werden allzu leicht zu NS-Devotionalien und sind deshalb von irren Sammlern heiß begehrt. Erst vor wenigen Tagen sind wieder Objekte aus der Gedenkstätte Flossenbürg gestohlen worden.
Zweifellos
kommt auch ihnen ein Erinnerungswert zu, der jedoch eine
Kontextualisierung voraussetzt. Insofern ist Jürgen Kunow zu
widerprechen, der Funde der Archäologie der Moderne als Beleg sieht,
dass archäologische Funde auch ohne wissenschaftliche Fragestellung ein
denkmalpflegerisch bedeutender Erinnerungswert zukommen kann (Kunow/
Rind 2022, #). Das ist prinzipiell richtig, aber ohne wissenschaftliche Kontextualisierung bewirkt die Banalität des Täteralltags eine Relativierung der Verbrechen und ohne sie gewinnen die Funde in entsprechenden Kreisen einen unangemessenen Reliquien- und Devotionalienstatus. Es ist tatsächlich erst der wissenschaftliche Zugang und der Quellencharakter, der eine denkmalpflegerische Betreuung rechtfertigt. Erinnerungsarbeit ohne wissenschaftlichen Anspruch läuft Gefahr, dass sie sich vor irgendeinen politischen Karren spannen lässt.
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"Obersalzberg.- Adolf Hitler beim Lesen im Haus Wachenfeld, 1936" Alltagsgegenstände auf dem Obersalzberg Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1973-034-42 / Heinrich Hoffmann / CC-BY-SA 3.0) |
Die
Funde der NS-Zeit verweisen auf die Notwendigkeit der Kontextualisierung. Opfer wie Täter verwendeten Zahnbürsten. Sind nun Täterfunde anders zu behandeln als Opferfunde?
Lohnt
es sich in Täterfunde Geld zu investieren? Unter dem Bericht in den
Salzburger Nachrichten findet sich ein Kommentar, der in seiner Kürze
deutlich macht, dass gegenüber der Öffentlichkeit hier ein Erklärungsbedarf besteht.
Wann hört diese Devotionalienklauberei eigentlich mal auf? Der
rechte Rand unserer Gesellschaft muss politisch bekämpft werden! Das
schafft man nicht mit alten Scherben und Lederschuhen! (https://www.sn.at/salzburg/chronik/funde-obersalzberg-zeit-fuehrers-zahnbuersten-rosenkraenzen-161560363)
Fundstellen
der Moderne sind zahlreich und liefern oft auch Massen an Funden.
Lagerung, aber auch die Konservierung der Funde - oft aus irgendwelchen
Kunststoffen hergestellt, deren genauen Materialeigenschaften nach
Jahrzehnten der Bodenlagerung völlig unbekannt sind - bieten hier
besondere Herausforderungen und verlangen nach einer klaren Strategie im
Umgang mit ihnen.
In einem Interview mit dem Spiegel formuliert Stefanie Berg vom BLfD das mögliche Vorgehen plastisch:
"Wenn wir an einem Ort 1000 Gasmasken finden, dann genügt es natürlich,
wenn wir das dokumentieren und eine Maske aufbewahren. Wenn es um
Besitztümer von Opfern geht, tue ich mich schwer mit der Entsorgung. Oft
handelt es sich ja um die letzten Habseligkeiten und Erinnerungen an
diese Menschen, da tragen wir eine große ethische Verantwortung."
Claudia Theune erinnert daran, dass es in Archiven gang und gäbe ist, eine Auswahl dessen zu treffen, was aufbewahrt werden soll und anderes zu kassieren. In der Archäologie ist dieser Gedanke ungewohnt - wiewohl gängige Praxis - allerdings mit völlig unreflektierten Kriterien. Ein aktuelles Forschungsvorhaben zur spätmittelalterlichen Keramik hier in Bamberg sieht sich aktuell damit konfrontiert, dass man vermutlich glasierte Keramik als vermeintlich neuzeitlich einfach undokumentiert weggeworfen hat. Man muss sich hier an potentiellen Fragestellungen orientieren, die aber bisher nur vage bleiben, da noch kaum wissenschaftliche Arbeiten vorliegen.
Der Quellenwert
In einem Interview mit dem Spiegel stellt Stefanie Berg vom BLfD fest:
"Archäologische Funde sind objektiv, sie irren sich nicht und fügen den
schriftlichen und mündlichen Überlieferungen manchmal sogar bisher
Unbekanntes und Überraschendes hinzu."
Das
ist natürlich nur begrenzt richtig, denn archäologische Funde können
sehr wohl falsch und subjektiv sein, weil Kontexte fehlen können und Formationsprozesse (vgl. Archaeologik) selektieren. Zudem können Funde natürlich falsch oder subjektiv interpretiert werden - und archäologische Funde müssen immer interpretiert werden.
Wann
und unter welchen Umständen wird der Müll zur Quelle? Wann haben
archäologische Funde einen eigenen Quellenwert, wann dienen sie nur der
Illustration dessen, was wir eh schon wissen?
Zunächst:
Die Illustration dessen, was wir eh schon wissen (sollten), ist in
Zeiten, in denen Politiker mit NS-Sprüchen auf Stimmenfang gehen, in
denen Holocaustleugnung und Naziverherrlichung zunehmen, zudem aber auch
die Zeitzeugen wegsterben, eine nicht zu verachtende Funktion
archäologischer Funde. In der Archäologie der Moderne treten neben die
wissenschaftlichen Aspekte der Forschung auch der Erinnerungskultur und
der politischen Bildungsarbeit -
bisweilen auch eher forensische Aspekte. Dieser Erinnerungswert entsteht
allerdings nur durch die wissenschaftliche Methodik und wissenschaftliche Kontextualisierung - ansonsten werden
sie bestenfalls Reliquien und Fetische.
Noch immer wird allerdings die Frage nach der Bedeutung der Archäologie
in der Moderne, aber auch für das Mittelalter gestellt - und implizit unterstellt, das sei Unsinn. Das kommt nicht nur
aus der Gesellschaft, sondern durchaus auch aus dem Kreis von
Kolleginnen und Kollegen, deren weitgehendes Schweigen nicht bedeutet,
dass sie überzeugt sind, dass die Archäologie zu diesen Perioden sinnvoll und wichtig ist. Der Wert kann der Archäologie der Moderne aber nur abgesprochen
werden, wenn man es als ihr Ziel sieht, Traditionen und
Identitäten zu stiften.
In der Archäologie der Moderne geht es jedoch primär um ein kritisches Narrativ, um das Hinterfragen von Mythen, von Parallelüberlieferungen und auch um die Gesellschaftskritik. In der
Archäologie wurden Narrative, bisher nur mangelhaft und oft nur
oberflächlich diskutiert. Die mangelnde Reflektion führt dazu, dass die
Archäologie noch immer in dem alten Muster der traditionalen oder
bestenfalls genetischen Meistererzählung feststeckt, das kritische
Narrativ aber kaum verfolgt wird (vgl. Schreg 2016; Archaeologik 3.12.2013).
In der Konfrontation
mit der schriftlichen Überlieferung oder den Erinnerungsberichten
können Funde der NS-Zeit jedoch auf Diskrepanzen hinweisen oder neue Blickwinkel
eröffnen. Wichtig ist dabei aktuell vor allem auch die Konfrontation mit
rechten Mythen der Verharmlosung oder gar Leugnung des Holocaust, die oft das Ziel hat, antidemokratische und menschenfeindliche Ideen zu legitimieren.
Erinnert sei hier an den Beitrag der Archäologie bei der Widerlegung der
hohen Opferschätzungen der Todesopfer bei den Luftangriffen auf
Dresden, die rechter Propaganda entstammen (vgl. Archaeologik 13.2.2020).
Ein genuiner eigener Quellenwert archäologischer Funde der NS-Zeit
ergibt sich vor allem aus deren 'kritischem Potential', aber auch in
deren Bedeutung für die chronologische Einordnung und vielfach auch für
die Erkenntnis größerer kulturgeschichtlicher Zusammenhänge.
Wie Stefanie Berg sagt, zeigen die Funde in der Tat häufig "bisher
Unbekanntes und Überraschendes", was es aber schwierig macht, den Quellenwert im Voraus exakt zu bestimmen. Das Unbekannte und Überraschende ergibt sich aus dem, was andere Quellen nicht spiegeln oder wo erst eine Kombination Zusammenhänge erkennen lässt. Die wissenschaftliche Kontextualisierung erfolgt aus dem archäologischen Kontext und - wie das in der historischen Archäologie Standard sein sollte - aus der Kombination mit Schriftquellen und Baubefunden. Erst, wenn man diese Quellen erforscht und sie kontextualisiert, ergibt sich ein Quellenwert. Bisweilen sind die Funde Illustration, bisweilen Bestätigung, vielfach aber auch Augenöffner für neue Perspektiven.
Links
In der Einschätzung unberücksichtigt blieben einige weitere Artikel, die hinter einer PayWall stehen:
Zu Schloß Hartheim:
Diebstahl in Flossenbürg
Literaturhinweise
- Eigelsberger et al. 2023: P. Eigelsberger / S. Loistl / F. Schwanninger (Hrsg.), Fundstücke 1 (Alkoven 2023).
- Haubold-Stolle 2020: J. Haubold-Stolle (Hrsg.), Ausgeschlossen -
Archäologie der NS-Zwangslager. Stiftung Topographie des Terrors / Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide [Gastgebende Institution] (Berlin / Berlin 2020).
- Kunow / Rind 2022: J. Kunow / M. M. Rind, Archäologische Denkmalpflege. Theorie - Praxis - Berufsfelder. Uni-Taschenbücher nr. 5705 (Tübingen 2022).
- Schreg 2016: R. Schreg, Narrative und Rezeption. In: B. Scholkmann / H. Kenzler / R. Schreg (Hrsg.), Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. Grundwissen (Darmstadt 2016) 146–148.