Dienstag, 30. Juni 2015

Kulturgutraub im Herzen Europas? – Ein Schnappschuss aus Ungarn

Gastbeitrag von László Matthias Simon


Während ungarische Behörden zurzeit in mindestens zwei Fällen von Raubgräberei ermitteln, verkündet die ungarische Regierung den weiteren Ankauf von Stücken des Seuso-Hortfundes. Gleichzeitig sollen durch ein neues ungarisches Gesetz die Möglichkeiten der Archäologie massiv eingeschränkt und hierdurch Bodendenkmäler der Zerstörung preisgegeben werden. Ein weiteres Kapitel in der problematischen Beziehung zwischen Archäologie und Politik in Ungarn.

Grabräuber sind in Ungarn unterwegs

Bereits Mitte Mai fand im nordungarischen Mátraszõlõs eine Hausdurchsuchung statt, bei der Eisenobjekte, Knochenwerkzeuge und Teile eines Tongefäßes zum Vorschein kamen. Die Objekte, denen die Polizei durch einen anonymen Hinweis auf die Spur kam, stammen von einem unbekannten Fundplatz, wobei weitere Informationen bislang nicht bekannt geworden sind.
Aus deutscher Sicht interessanter ist da der Fall eines Sondengänger aus dem ostungarischen Debrecen. Bereits 2006 soll dieser mit einem Metalldetektor ein etwa 3000 Jahre altes Metallgefäß gefunden haben. Er vergrub es in seinem Garten und suchte seitdem nach einem Käufer. Die Fahnder kamen nun über einen Hinweis deutscher Behörden auf den Mann, der auch versucht haben soll, das Objekt nach Deutschland zu verkaufen. Es wird vermutet, dass es sich bei dem gut erhaltenen Stück um einen bislang unentdeckten Teil des bereits 1858 entdeckten Böszörményer Hortfundes handeln könnte, der letzten Sommer im Hajdúböszörményer Museum zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert wurde

Der ungarische Staat als potentieller Käufer/Mieter von Hehlerware?

Wie hoch die Dunkelziffer an Raubgrabungen tatsächlich ist, lässt sich kaum schätzen. Dass es eine Nachfrage auf dem Markt für ungarisches Kulturgut gibt – sogar von staatlicher Seite! –, zeigt der sog. Seuso-Hortfund. Ein großer Teil dieser Fundgruppe wurde im März 2014 von der ungarischen Regierung angemietet (vergl. L.M. Simon, Sieben Stücke des Seuso-Hortfundes durch Ungarn angekauft. Archaeologik [28.3.2014] - http://archaeologik.blogspot.de/2014/03/sieben-stucke-des-seuso-hortfundes.html). Obgleich seine tatsächliche Herkunft immer noch umstritten ist, wird er in Ungarn als nationales Kulturgut gehandelt. Umso erstaunlicher ist jedoch, dass trotz nun erneut verlautender Rückführungsankündigungen aller eventuell zum Hortfund gehörender Objekte , im Mai in der Ukraine zwei Silberkrüge versteigert wurden, die eine beachtliche Ähnlichkeit zu den Seuso-Funden haben sollen, ohne, dass die ungarische Regierung Anstalten gemacht hätte, diese anzukaufen . Die beiden Stücke gingen für umgerechnet etwa 42.000 € an einen unbekannten Bieter, ihr Verbleib ist unbekannt. Gabriella Nádorfi, Leiterin des Szent István Múzeum in Székesfehérvár zeigte sich in einem Interview gegenüber dem Nachrichtenportal hgv.hu überzeugt, dass es sich um Stücke des Hortfundes handelt, während der Archäologe Zsolt Mráv, Mitarbeiter der Forschergruppe rund um den Seuso-Hortfund in Ungarn, dies gegenüber NOL bestreitet. Ob dies vielleicht der Angst geschuldet ist, den argumentativ fragwürdigen Zusammenhang aller Seuso-Funde als ein zusammenhängender Hortfund  mit Provenienz Ungarn durch weitere Funde nicht zu gefährden, muss Spekulation bleiben.

Eines der Stücke aus dem Seuso-Hortfund, dem die in der Ukraine versteigerten Stücke ähneln,
während der Ausstellung des Hortfundes im ungarischen Parlament im April 2014.
(Foto: Derzsi Elekes Andor [CC BY SA 3.0] via Wikimedia Commons)


Ein Problem, durch das Raubgrabungen in Ungarn gefördert werden, ist die Gesetzgebung, die zwar eine Entschädigung vorschreibt, die Höhe jedoch nur im Falle von Metallgegenständen als maximal 10% des Metallwertes festgesetzt ist.  So wurden letzten Herbst im Göcseji Museum im westungarischen Zalaegerszeg etwa 73 Bronzegegenstände, darunter Schwerter, Dolche, Brustpanzer und Schmuckgegenstände, abgeliefert, die der Urnenfelderkultur zugeordnet werden. Die Entschädigung für den arbeitslosen Finder belief sich hierbei lediglich auf umgerechnet etwa 310€ und den Dank des Parlamentspräsidenten. Er werde oft gefragt, warum er die Stücke nicht versucht habe zu verkaufen, wo sie doch auf dem Schwarzmarkt hunderttausende, wenn nicht Millionen Forint eingebracht hätten, so der Finder gegenüber NOL. Doch gehören für ihn solche Funde einfach in ein Museum.

Neues Gesetz behindert Rettungsgrabungen


Während also der Boden Ungarns oft ungestraft illegal durchwühlt wird, tut die ungarische Politik ihr Bestes, um die reguläre archäologische Arbeit zu be- oder sogar zu verhindern. So verabschiedete das Parlament am 10. Juni 2015 ein neues Gesetz des Ministeriums für nationale Entwicklung, das die für Rettungsgrabungen zur Verfügung stehende Zeitspanne ein weiteres Mal im Sinne wirtschaftlicher Interessen massiv kürzt. Der ungarische Archäologenverband kritisierte bereits im Vorfeld in einer Stellungnahme, dass das Gesetz verfassungswidrig sei und man gegebenenfalls vor das ungarische Verfassungsgericht ziehen werde. Man argumentiert mit dem in der Verfassung festgeschriebenen Schutz kulturellen Erbes. Das Gesetz ließe es beispielsweise zu, dass für die Grabung von 31 Bodendenkmälern auf einer Autobahnneubaustrecke von 32 Kilometern lediglich 30 Kalendertage eingeräumt werden, was allein arbeitsrechtlich problematisch werden würde, wolle man die Grabungsqualität und -intensität beibehalten. Nach der letzten verheerenden Gesetzesänderung im Jahr 2011 (vergl. Neues Gesetz gefährdet archäologische Notgrabungen in Ungarn. Archaeologik [10.10.2011] - http://archaeologik.blogspot.de/2011/10/neues-gesetz-gefahrdet-archaologische.html) standen 'immerhin' noch 30 Werktage zu Verfügung, was freilich ebensowenig ausreicht. Die Bearbeitung von Fundstellen, die unerwartet zum Vorschein kommen würden, dürften die laufenden Bauarbeiten zeitlich nicht hinauszögern. Eine Untersuchung solcher unerwarteter Funde wäre jedoch sowieso nur noch dann möglich, wenn dies der Minister für Humanressourcen innerhalb von acht Tagen anordnet. Gleichzeitig sollen archäologische Arbeiten auch von nicht für archäologische Arbeiten akkreditierten Institutionen oder Firmen durchgeführt werden können. Ziel der Regelungen soll vor allem die Beschleunigung des Autobahnausbaus sein. László L. Simon, Kommissionsvorsitzender des Nationalen Kulturfonds und ehemaliger Minister für Humanressourcen, sieht in dem Gesetz einen guten Kompromiss zwischen Schutz des Kulturgutes und der Beschleunigung des Autobahnausbaus. Für Gábor Lassányi, den Vorsitzenden des ungarischen Archäologenverbandes, ist es das „schlimmste, was mit der ungarischen Archäologie in den letzten Jahren geschehen ist“.

Autobahnbau in Ungarn seit den 1960er Jahren und Planungen (in rot und gelb) für die nächsten Jahre.
Für die neuen Bauabschnitte sind jeweils nur noch 30 Kalendertage archäologischer Grabungen vorgesehen.
(Bild: PanPeter12 [CC BY SA 3.0] via Wikimedia Commons)

Kulturgut ist nicht nur im Nahen Osten bedroht, wo die westliche Welt geschockt auf Ninive, Palmyra und Co. blickt. Auch in Europa geschieht eine schleichende, eher stille Zerstörung von Fundstätten. Jedoch richten hier nicht nur illegal durchgeführte Ausgrabungen erheblichen Schaden an, auch Unwissenheit oder schlicht wirtschaftliche Interessen seitens der Gesetzgeber können Funde und Fundstellen der Zerstörung preisgeben. Europa ist nicht der sichere Hafen für Kulturgut, den sich viele wünschen und vorstellen!



Interne Links


Sonntag, 28. Juni 2015

Kultur als Streichpotential - Governor Rauner und das Illinois State Museum

Der US-Staat Illinois hat seit Jahren mit Finanzproblemen zu kämpfen.  Bei seiner Amtseinführung im Januar 2015 kündigte der neue Governor, der Republikaner Bruce Rauner umfassende Wirtschaftsreformen sowie eine Sanierung des Staatshaushalts an. Daneben solle seine größte Priorität der Verbesserung des Bildungssystems dienen. Eine seiner ersten Amtshandlungen war es, sämtliche "unnötigen" Ausgaben von Behörden bis auf Weiteres auszusetzten und zu prüfen, welches Staatseigentum verkauft werden könne.

Zu den unnötigen Ausgaben zählt für ihn offenbar auch das Illinois State Museum ISM in Springfield, das neben Kunstssammlungen auch solche zur Naturgeschichte und Geschichte des Landes betreut. Dazu gehören auch paläontologische und archäologische Funde sowie ethnographische Sammlungen, die unter anderem die Geschichte indianischer Stämme dokumentieren. Dabei gibt es spezielle Verträge mit mehreren Stämmen über den Umgang mit deren kulturellem Erbe, die diesen auch jederzeitigen Zugang garantieren.

Das ISM umfasst nicht nur das Ausstellungsgebäude in Springfield, sondern auch ein Forschungs- und Sammlungszentrum. Hier sind die nicht ausgestellten Sammlungen vorbildlich, zugänglich gelagert und von hier werden Forschungsprojekte wie das Landscape History Program oder die North American Pollen Database betreut. Das Museum ist auch Partner im New Philadelphia Archaeological Project, das eine Stadtgründung von 1836 erforscht, die auf die Initiative eines Schwarzen zurück geht. Das Museum archiviert die archäologischen Funde des Staates und ist hier mit dem Illinois State Archaeological Survey eng verbunden.

Über den Staat von Illinois verteilt unterhält das ISM mehrere Außenstellen, darunter das Dickson Mounds Museum in Lewistown, das eine bedeutende indianische Fundregion mit zahlreichen 'mounds' dokumentiert.
Ein 'temple mound' bei den Dickson Mounds
(Foto: R. Schreg, 2010)

Das Museum hat einen Etat von etwas mehr als 6 Mio $, hat jedoch ein Mehrfaches an Drittmitteln eingeworben. Mit jährlich 200.000 Besuchern ist das Museum in Springfield gut etabliert und geniesst hohes Ansehen. Das Museum hat mehrfach Schenkungen aus privaten Sammlungen erhalten und ist damit ein wichtiger Faktor für die Erhaltung nicht nur archäologischen Kulturguts und einer Arbeit mit der Öffentlichkeit. Außerhalb von Chicago stellt das ISM eine der wenigen musealen Kultureinrichtungen im Staat Illinois dar.

Der Governor hat nun die Schließung angeordnet. Schien dies zunächst nur ein politisches Druckmittel, um den Finanzhaushalt im mehrheitlich demokratischen Repräsentantenhaus durchzusetzen, wurden inzwischen die ersten konkreten Schritte zur Schließung bereits im Spätsommer eingeleitet - ungeachtet der ungeklärten Zukunft der Sammlungen. Dazu muss noch ein Verwaltungsverfahren durchlaufen werden (vergl. Graphik zum Schließungsablauf), das eine öffentliche Anhörung bis 22. Juli vorsieht:
Die Ausstellung im Illinois State Museum zeigt in Lebensbildern die Veränderung von Landschaft und Gesellschaft.
(Foto: R. Schreg, 2010)

Mit der Schließung konterkarriert Governor Rauner seine eigene politische Priorität einer Verbesserung der Bildung. Dabei ist es hochgradig sarkastisch, dass Rauner noch vor wenigen Tagen werbewirksam für einen Fototermin mit Kindern vor dem Museum posierte - als er längst das Schließungsverfahen in Gang gesetzt hatte (siehe Foto bei facebook mit Kommentaren der Kinder). Obwohl das Museum didaktisch gut aufbereitet ist, bleibt der Politik der Bildungswert solch einer Einrichtung offenbar unklar. Auch der Verantwortung, die ein Staat für Kultur trägt, ist sich die Politik nicht bewusst, oder opfert sie ganz bewusst dem 'schlanken Staat', wie ihn Rauner anstrebt. Da keinerlei Anstrengungen unternommen wurden, Alternativen zur Schließung zu entwickeln und die resultierenden rechtlichen Probleme zu lösen, erweist sich die Sparmaßnahme und dieser schlanke Staat einfach als verantwortungslos. Verantwortungslos gegenüber der Kultur, gegenüber dem Engagement der Menschen, aber auch gegenüber den in den vergangenen 130 Jahren investierten Steuermitteln, die mit einem Federstrich verschwendet werden. Einer kurzfristigen, wenig zielführenden Maßnahme der Haushaltssanierung werden eine mehr als 130 Jahre alte Institution und deren Sammlungen geopfert - ein Schaden, der zu seiner Behebung wesentlich größere Summen verschlingen wird - wenn der Schaden überhaupt wieder gut zu machen ist.


Inzwischen formiert sich vielfältiger Widerstand gegen die Schließung:

Petition:

facebook-Seite

Blog:
Unterstützungsschreiben von Verbänden:
Medienberichte


Im April 2010 hatte ich Gelegenheit, am ISM zu Gast zu sein, Einblicke in die Sammlungen und die Funde aus New Philadelphie zu erhalten. Mein Vortrag über  "Legends and Myths of the Middle Ages - Perspectives of Medieval Archaeology" (Inhaltsangabe auf academia.edu) in den Brownbag lectures des Museums bot Anlass zu einer Diskussion über die Rolle der historischen Archäologie. Das Museum und die Kollegen dort habe ich als eine gut funktionierende Institution wahrgenommen, die eine wichtige und facettenreiche Öffentlichkeitsarbeit leistet, die eng mit einer Forschung verbunden ist, die grundlegend für das Verständnis von Geschichte und Landschaft im Mittleren Westen ist. Blödsinn, so etwas zu streichen...

Abgesehen vom Einzelfall, der Deutschland weit entfernt zu sein scheint: Die Muster in der Argumentation solcher Streichungen sollten wir genau analysieren, denn nur so lässt sich erkennen, wo die Archäologie und die Kulturwissenschaften offensichtlich ihre Leistungen nicht richtig rüber bringen.

Freitag, 26. Juni 2015

Eine spezielle Sicht auf die Archäologie

Immerhin: Er hofft nicht auf Schätze!
Im Kampf gegen leere Staatskassen hält Athen Ausschau nach im Ausland gelagertem Schwarzgeld. Auf die Frage, wie viel davon in der Schweiz sei, sagt Yianis Varoufakis: "Es ist wie bei einer archäologischen Ausgrabung: Bevor man gräbt, weiss man nicht, was man findet."

Mittwoch, 24. Juni 2015

Zerstörungen im Jemen

Als Reaktion und Ergänzung auf den Blogpost Luftangriffe auf historische Altstadt von Sanaa weist Dr. Stefan Kirchberger (Stuttgart) auf einige weitere Meldungen hin, die Art und Ausmaß der Zerstörungen im Jemen erahnen lassen.

Viele Meldungen aus dem Jemen kommen über twitter, wo Journalisten teilweise auch sehr grausame Bilder von Kriegsopfern, darunter vielfach Kinder posten. Zerstörung von Kulturgut ist da nur nebenbei ein Thema.


Marib, Staudamm  (wikipedia)
  • Ein Tweet des Journalisten Fatik Al-Rodaini (@Fatikr) vom 13.6.2015  stellt das Bild der Zerstörung dem Zustand zuvor gegenüber:


Sanaa, Altstadt, UNESCO-Weltkulturerbe 12.06.2015:

Taizz, Festung al-Qahirah 05.06.2015:


Dhamar, Museum:
  • http://arabiantica.humnet.unipi.it/index.php?id=200
    „…Its pre-Islamic collection comprises over hundred inscriptions of various provenance and period, whereas the section dedicated to the Islamic archaeology contains some decorated artefacts bearing Arabic inscriptions, in addition to jewels and other handmade products of traditional handicrafts in Dhamar.  The most important object is the wooden minbar (pulpit) from the Great Mosque of Dhamar city, which is dated to the fourth century Hegira. …”
  • Nach einem Tweet des Journalisten Fatik al-Rodaini v. 21.5.2015 wurde das Museum offenbar komplett bei saudischem Luftangriff zerstört.
  • https://twitter.com/Fatikr/status/602232263472852992


http://de.qantara.de/inhalt/die-zerstoerung-des-jemenitischen-kulturerbes-bedrohte-schaetze-der-menschheit meldet darüberhinaus:

Aden:
„[zerstört wurde] in Aden das dritte Geschoss des Nationalmuseums, dessen Gebäude auf Sultan Fadhl bin Ali al-Abdali (1912) zurückgeht, sowie die Jauhara-Moschee und die Sira-Festung, die ebenfalls bombardiert wurde. Sira gehört zu den bedeutendsten Burgen Adens, die im 11. Jahrhundert erbaut wurde. …“
Baraquish, Stadtmauer: (wikipedia)
„In Djauf bei Marib gingen große Teile der Stadtmauer von Baraqish (5. Jahrhundert v. Chr.) zu Bruch …“

Sirwah, Tempelanlage (wikipedia)
„…. bekamen weite Teile der Tempelanlage und der Mauer Risse … „


Dank an Stefan Kirchberger!

Montag, 22. Juni 2015

Offene Fragen bleiben - Zur Rückgabe einer antiken Statuette an Ägypten


Beitrag von Jutta Zerres
 
Am 14. Juni 2015 meldeten ägyptische Online-Zeitungen, dass das Antikenministerium den Verkauf einer Elfenbein-Statuette aus der Spätzeit des pharaonischen Ägypten (664 bis 332 v. Chr.). durch ein deutsches Auktionshaus verhindert habe. Die fragmentierte Figur ist ca. 5 cm hoch und zeigt einen Mann, der eine Gazelle auf seinen Schultern trägt. 

Auf den ersten Blick scheint es sich um eine ganz normale Restitution zu handeln, wie sie öfter in der Presse vermeldet werden (Archaeologik hat in der Vergangenheit immer wieder darüber berichtet). Die Sache bekommt aber eine besondere Brisanz, wenn man weiß, dass das Stück 2013 zusammen mit einer Reihe von anderen Antiken aus einem Fundmagazin auf Elephantine gestohlen worden war. Es stammt aus einer Grabung, die Schweizer Archäologen 2008 beim Chnum-Tempel auf der Nilinsel durchgeführt hatten. Das Antikenministerium besaß ein Verzeichnis der entwendeten Objekte und konnte damit die rechtmäßige Eigentümerschaft der Republik Ägypten belegen, als das Stück nun vor kurzem auf der Homepage eines Oberhausener Auktionshauses auftauchte. Die „Cairo Post“ berichtet, dass die Behörde Interpol beauftragt habe, nach der Herkunft des Stückes zu forschen und die Polizei gelangte dabei schnell zu dem besagten Fundmagazin in Assuan.

Blick von der Nilinsel Elephantine nach Süden (Januar 2013)
(Foto: J. Zerres)



Das Auktionshaus gab hingegen auf seiner Homepage als Provenienz eine deutsche Privatsammlung aus den sechziger und siebziger Jahren an. Vorher habe es sich in einer amerikanischen Sammlung aus den dreißiger Jahren befunden und sei möglicherweise um 1900 in Ägypten ausgegraben worden.
Paul Barford, der in seinem Blogbeitrag ein Screenshot von dem Angebot der Statuette auf der Website der Gallerie veröffentlicht, wirft dem Händler Nachlässigkeit bei der Recherche nach der Provenienz vor. Man habe bemerken müssen, dass ein Objekt, dass erst seit 2013 auf dem Markt ist, nur aus einer illegalen Quelle stammen könne. Das Auktionshaus garantiere schließlich, dass bei jedem Stück der Nachweis legaler Herkunft vorläge (s. Linkliste).

„Selkets Blog“ lässt den Geschäftsführer der Gallerie zu Wort kommen. Er bedauerte den Fall, schob aber den schwarzen Peter an das Antikenministerium zurück. Es sei für Händler kaum möglich den Nachweis zu erbringen, ob ein Stück unrechtmäßig verkauft würde oder gefälschte Herkunftsnachweise besäße, denn die ägyptische Behörde würde gestohlene Objekte nicht veröffentlichen. Auch im Lost-Art-Register (Art-Loss-Register) seien solche Stücke nicht zu finden. So könne der Antikenhandel nur auf die Angaben der Sammler oder Verkäufer zurückgreifen. In der heutigen Zeit sei es doch problemlos möglich, eine Datenbank gestohlener Objekte ins Internet zu stellen. Er kündigte die unverzügliche Rückgabe der Statuette an Ägypten an.

Im vorliegenden Fall war das gestohlene Objekt ausnahmsweise tatsächich einmal bekannt, wurde es doch aus einem Grabungshaus gestohlen. In all den Fällen, in denen die Raubgräber direkt die Fundstelle durchwühlen, gibt es aber gar keine Möglichkeit den Fund irgendwo zu registrieren. Die Forderung des Galleristen ist daher unsinnig und unseriös. 

Der Fall zeigt den Lug und Trug hinter Provenienzangaben alter Sammlungen, wie wenig der Kunsthandel seiner besonderen Sorgfaltspflicht einer Legalitätsprüfung nachkommt, und wie wenig Garantieerklärungen zur Legalität Wert sind.  Immerhin heißt es auf der Website der Oberhausener Gallerie:

"Alle durch uns verkaufte antike Ausgrabungsobjekte (Kunst der ägyptischen Antike) werden mit einer Expertise versendet. Diese beinhaltet alle relevanten Informationen und bestätigt das Alter des Kunstgegenstands. Es wird bestätigt das dieses Artefakt aus legalen Quellen stammt (Privatsammlungen, Kunstmarkt, Auktionen). "

Trotz dieser Erklärung: Bei dem Fall bleiben Fragen offen, die direkt in das bisher wenig bekannte Dunkelfeld im Bereich von Raubgrabungen und des illegalen Handels mit antiken Objekten führen: Wie kam die Statuette in das Oberhausener Auktionshaus und woher stammt die falsche Herkunftsangabe? Gibt es dazu schriftliche Dokumente oder handelt es sich um mündliche Angaben? Wie kann der Handel unter solch fraglichen Umständen irgendwelche Garantien bieten?

Links




Freitag, 19. Juni 2015

Schwindendes Interesse an Archäologie?

Google Trends ist ein Tool, mit dem man analysieren kann, wie oft ein Suchbegriff bei Google eingegeben wurde (wobei Google nur relative Zahlen gibt, die den Monat mit den meisten Suchanfragen mit 100% ansetzen).
Die folgende Graphik zeigt die Häufigkeit der Suchanfragen nach "Archäologie" und "archaeology" seit 2004 weltweit. Dabei zeigt sich deutlich ein Abwärtstrend (der Peak im Dezember 2010/ Januar 2011 scheint technisch bedingt zu sein). - Interessensverlust oder Zählungsproblem?



Nachtrag (19.6.2015)
als Erklärungsversuch in Reaktion auf diesen Blogpost:
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Samstag, 13. Juni 2015

Luftangriffe auf historische Altstadt von Sanaa



Altstadt von Sanaa mit ihren historischen Turmhäusern
(Foto: Kotaro, 2005 [CC BY-SA 4.0] via WikimediaCommons)

Einige weitere Links zur Situation im Jemen:

PS
Eigentlich verdient auch die Kulturgutzerstörung im Jemen mehr öffentliche Aufmerksamkeit. Ich werde mit Archäologik aber trotzdem nicht in eine regelmäßige Postserie einsteigen wie sie für Syrien/Irak seit mehr als drei Jahren schon läuft. Vielleicht möchte jemand Kompetentes gelegentlich Gastbeiträge beisteuern?

Dienstag, 9. Juni 2015

Ein problematischer Kulturbegriff!

"Weil man offiziell Menschen also nicht mehr nach ihrer äußeren Erscheinung in Gruppen ordnen und abwerten darf, erfanden Rassist*innen den Umweg über die „Kultur“, um trotzdem abwertende Unterscheidungen beibehalten zu können. Im Kulturrassismus ist „Kultur“ also eine Verschlüsselung von „Rasse“. Denn auch der „Kultur“ von Menschen werden hierbei Eigenschaften zugeschrieben, die als natürlich, angeboren und unveränderbar dargestellt werden."
Das ist dummerweise nicht so weit entfernt von manchen veralteten Vorstellungen von Kultur, die - wohl weitgehend unreflektiert - auch in der Archäologie (noch) verbreitet sind.
In den Kulturwissenschaften wird Kultur heute vermehrt als ein Prozess der Sinnkonstruktion begriffen, für den Kommunikation eine entscheidende Rolle spielt. Eine Koppelung von Kultur an 'Rasse' und Ethnizitäten ist nur insofern gegeben als Sprachbarrieren oder wie auch immer entstandene Traditionen und Wertvorstellungen einen gemeinsamen Diskurs begrenzen. Kulturen sind keine festen Gruppen, sondern Kultur wird gelebt und entsteht erst in der Auseinandersetzung der Menschen mit ihrer Gesellschaft und ihrer Umwelt. 
Die Auseinandersetzung mit einem zeitgemäßen Kulturbegriff ist ganz offensichtlich keine Notwendigkeit, mit der die Archäologie allein steht. Ganz zwangsläufig ist sie hier eng mit aktuellen gesellschaftlichen Prozessen verknüpft, selbst wenn sie sich nicht politisch positionieren möchte.

Freitag, 5. Juni 2015

Vom Umgang mit Raubgrabungsgut - Ethikrichtlinien

Graphik R. SchregFachinterne Richtlinien zum Umgang mit Raubgrabungsgut:
Funde mit unsicherer oder ungeklärter Herkunft. Immer wieder werden Funde mit unsicherer oder ungeklärter Herkunft zum Kauf angeboten, Denkmalämtern zur Begutachtung vorgelegt oder sogar von Museen erworben.

Kein/eWissenschaftler/in sollte
● für Funde solcher Art jemals als Gutachter/in für den Handel tätig werden.
● Objekte unsicherer Herkunft käuflich erwerben.
● diesen Funden in Sonderaustellungen oder ähnlichem breiten Raum einräumen.
● die Funde in Presse, Fernsehen usw. als Attraktion vermarkten.
1.11.6 Archäologen werden sich weder an irgendeiner Form illegalen Handels von Antiqiutäten oder Kunstwerken beteiligen, noch erlauben, dass ihr Name mit Aktivitäten in Verbindung gebracht wird, die von der UNESCO Konvention über die Möglichkeiten des Verbots und der Verhinderung von illegalem Import, Export oder Transfer von Kulturbesitz aus dem Jahre 1970 eingeschlossen werden.

1.11.7 Archäologen werden sich weder an Aktivitäten zur Erlangung kommerziellen Profits, der sich direkt aus der Vermarktung des archäologischen Erbes ergibt, beteiligen, die Auswirkungen auf das archäologische Erbe haben, noch erlauben, dass ihre Namen mit einer solchen Tätigkeit in Verbindung gebracht werden.

Solche rechtlichen und ethischen Leitlinien bestimmen auch die Praxis der Veröffentlichung in Publikationsorganen des Deutschen Archäologischen Instituts. Sie umfassen somit auch den Umgang mit archäologischen Artefakten, die nicht aus legalen Ausgrabungen stammen. Das Direktorium des Deutschen Archäologischen Instituts hat eine Richtlinie, die für sämtliche Publikationen des Instituts gilt, auf seiner Konferenz am 07. Mai 2012 einstimmig verabschiedet. (...). Für die Herausgeber sämtlicher Publikationsorgane des Deutschen Archäologischen Instituts gilt deshalb, dass mit Stichdatum 14. November 1970 keine Artefakte, weder aus privaten noch öffentlichen Sammlungen, publiziert werden, deren legale Herkunft nicht eindeutig nachgewiesen ist. Ausnahmen können in Absprache mit den Herausgebern gemacht werden, wenn das Ziel der Publikation auch ist, den Verlust des archäologischen Kontextes zu thematisieren. Artefakte unbekannter Herkunft, die bereits anderweitig in Ausstellungsmaterialien, Katalogen oder anderen Publikationen vorgelegt wurden, können nur dann in Publikationen des DAI einbezogen werden, wenn der Umstand der unbekannten Herkunft deutlich hervorgehoben und problematisiert wird.

Ein rechtlicher Hintergrund dieser Regelungen ist das Übereinkommen vom 16. Januar 1992 zum Schutz des archäologischen Erbes (Konvention von La Valletta/Malta) (pdf auf der Website der deutschen Landesarchäologen).



Dienstag, 2. Juni 2015

IS in Palmyra: Kulturgut in Syrien und Irak (Mai 2015)

IS in Palmyra
IS rückt auf Palmyra vor und nimmt die antike Stadt ein. Nach den Zerstörungen des IS in Nimrud hat diese Nachricht große Aufmerksamkeit gefunden, auch als noch keine Zerstörungen tatsächlich bekannt geworden sind. Die syrische Armee hat hier schon seit langem Stellungen angelegt und ist dabei wohl auch nicht besonders sorgfältig mit den archäologischen Resten umgegangen (http://archaeologik.blogspot.de/2012/07/plunderung-in-palmyra-ein-video.html [Video inzwischen offline]). Und Plünderer waren auch schon vor dem Bürgerkrieg in Palmyra unterwegs (z.B. "Es war nacht und da waren Schlangen". Archaeologik [15.11.2010] - http://archaeologik.blogspot.de/2010/11/es-war-nacht-und-da-waren-schlangen.html).

Palmyra 1993
(Foto M. Scholz)

13.5. IS rückt gegen Palmyra vor. Die Zerstörung des Kulturerbes wird beschworen.
20.5. IS erobert Palmyra
23.5. IS in Palmyra

    Währenddessen bietet ebay Reliefs aus Palmyra an:
    und auch sonst kreisen schon die Geier:
    Kritisch zu den Feuilleton-Beiträgen:

    IS sprengt Zikkurat in Ashur

    Irakische Quellen berichten von Sprengungen in der assyrischen Hauptstadt Assur im Irak. IS soll den Zikkurat, die Zugänge der Zitadelle und "historische Bögen" zerstört haben. Seit 2003 ist Assur UNESCO-Weltkulturerbe, steht jedoch wegen eines (seit dem Irak-Krieg auf Eis liegenden, aber offiziell nicht aufgegebenen) Staudamm-Projektes auf der roten Liste gefährdeten Erbes. Assur ist die namengebende erste Hausptstadt des Assyrereiches, die später nach Nimrud und Ninive - beide schon früher Ziele der IS-Attaken - verlegt wurde. das Zentrale Heiligtum blieb jedoch in Assur. Die Stadt erlebte nach dem Ende des Assyrerreiches im 7. Jahrhundert v. Chr. weitere Besiedlungsphasen. Assur war seit über 100 Jahren Ziel deutscher Grabungsprojekte (Deutsche Orient-Gesellschaft - [Stellungnahme zur aktuellen Situation im Vorderen Orient: http://www.orient-gesellschaft.de/aktuelles/mitteilung.php?n=44]). 
    Plan des antiken Assur (katalan.)
    (Graphik: Jolle [CC BY 3.0] via WikimediaCommons)



    Weitere Zerstörungen

    Aleppo:
    Im Stuttgarter Rathaus konnte der Verein Freunde der Altstadt von Aleppo am 29.4. eine Ausstellung "Zerstörung syrischen Kulturerbes" eröffnen, die leider nur etwa eine Woche lang zu sehen war. Ein Blogpost auf dem Blog Preservation Journal berichtet:  


    Eine Überblickskarte zu den Zerstörungen in Syrien: http://www.dgam.gov.sy/?d=314&id=1688

    Medienberichte über IS 

    Zum Problem der Raubgrabungen und des Antikenhandels  
    IS richtet ein Antiken-Ministerium ein, um archäologische Stätten effektiver auszubeuten. Zuvor hatte IS die Plünderungen regional organisiert, wie 'Grabungslizenzen' von IS-Ministerien in Aleppo und Deir Ezzor zeigen, die angeblich in einem "Ministerium für wertvolle Rohstoffe" zusammengeführt waren. Bislang wurden die Raubgrabungen gegen eine 20%ige Steuer von Banden durchgeführt worden, jetzt häufen sich die Anzeichen, dass sich IS selbst in den Raubgrabungen engagiert. "In some areas, workers have been contracted to carry out digs, helped by local archaeologists who identify the most lucrative sites. "
    Am 16.5 haben US-Spezialeinheiten im Osten Syrien den IS-Führer Abu Sayyaf aufgespürt und getötet (was, nebenbei bemerkt, bedeutet, dass US-Bodentruppen in Syrien im Einsatz sind). Dabei wurde ein Schatz von Antiken, darunter antike Münzen und eine Bibel sichergestellt - möglicherweise ein Indiz, dass IS-Führer auch persönlich in das Geschäft mit Antiken involviert sind.

    Weitere Berichte über Raubgrabungen

    Ein Hilferuf des Direktors der syrischen Altertumsbehörde Maamoun Abdelkarim: http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/ndr/antiken-behoerde-100.html als Material zur Fernsehdokumentation Die Story im Ersten: Das geplünderte Erbe. Terrorfinanzierung durch deutsche Auktionshäuser. ARD (20.5.2015) - http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/ndr/20102014-die-story-im-ersten-das-gepluenderte-erbe-100.html.
    Dazu weiterhin als ergänzende Materialien: Antikenhandel: Deutschland droht in Verruf zu geraten - http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/ndr/interview-bka-100.html (Interview mit Sylvelie Karfeld vom BKA)





    Maßnahmen zur Einschränkung des Antikenhandels und der Plünderungen in Deutschland
     Forschungs- und Restaurierungsprojekte vor Ort 
    Berichte von Forschungs- und Renovierungsarbeiten aus Syrien vermitteln immer wieder den Eindruck von Normalität und sollen auch die Stabilität des Regimes in Syrien demonstrieren.  
    aber:

    Mamoun Fansa weißt in einem Interview darauf hin, dass in Aleppo nicht an einen Wiederaufbau gedacht würde, sondern mit Investoren um die frei gewordenen Grundstücke verhandelt würden. Gezielt hätte Syrien Altstadtquartiere zerstört. "Das syrische Regime hat nicht um Palmyra gekämpft". Deutschlandfunk (25.5.2015) - http://www.deutschlandfunk.de/archaeologe-mamoun-fansa-das-syrische-regime-hat-nicht-um.694.de.html?dram:article_id=320749 

    Crowd Sourcing für ein Survey-Projekt in Kurdistan. Francesca Simi, eine PhD-Studentin aus Venedig/Udine bittet um Unterstützung für die Finanzierung eines 10-wöchigen Surveys im Umfeld des Tell Gomel im Hinterland von Ninive und Khorsabad. Die Arbeit steht in Verbindung mit dem “Land of Nineveh Archaeological Project (LoNAP)” der “Missione Archeologica Italiana in Assiria” (MAIA) dell’Università degli Studi di Udine. Während deren Internetseiten die aktuelle politische Situation und die Zerstörungen in Ninive, vollkommen schweigen, richtet sich Francesca Simi an ihre potentiellen Sponsoren mit dem Hinweis, dass in Kurdistan 2014 und 2015 mehrere archäologische Expeditionen gearbeitet hätten und dass ein neues Projekt ein Zeichen der Hoffnung setzen könne:

    Kulturzerstörung in Relation 
    Bei all den schockierenden Berichten aus Syrien und Irak über Zerstörungen durch IS darf man nicht vergessen, dass die Zerstörung archäologischer Fundstellen auch anderswo an der Tagesordnung ist - 'legitimiert' durch wirtschaftliche Interessen und eben durchaus nicht immer mit einer 'Notgrabung' verbunden. IS wird zum Argument gegen Zerstörung anderswo: Australian heritage site in danger from government sanctioned mining. YourNewsWire.com (2.5.2015) - http://yournewswire.com/australian-heritage-site-in-danger-from-government-sanctioned-mining/ - "When ISIS wrecked the temples in Iraq recently the world seethed in anger. An important Australian heritage site is now in danger from being destroyed by government-sanctioned mining which will be every bit as bad as the ISIS-sponsored vandalism." 

    interne Links

    Montag, 1. Juni 2015

    Von Menschen und Steinen. - Eine Erwiderung auf den Artikel „Die zynische Empörung in den deutschen Feuilletons“ vom 26. Mai 2015 im „Cicero“

    Jutta Zerres

    Im Politmagazin „Cicero“ prangert die Autorin Judith Hart an, dass derzeit die Feuilletons deutscher Zeitungen die Eroberung und Zerstörung der antiken Stätte Palmyra umfänglich thematisieren. Es sei Zynismus, den Verlust von Kulturgütern mit äußerster Empörung zu beklagen, während das Leid der Menschen keiner Rede wert sei.
    Archäologen schauen ebenso wie andere Menschen entsetzt auf das nicht mehr zu beschreibende Leid im Irak und Syrien und ich vermute, dass die Feuilletonisten (ich kenne keinen, den ich persönlich fragen könnte) dieses genauso tun. Es gibt in Wahrheit gar kein „entweder...oder“. Das Entsetzen über das Kulturmorden schließt das Entsetzen über das Menschenmorden nicht aus. Die Autorin sieht die Zerstörungen des IS in Mossul, Hatra, Ninive und Nimrud und jetzt wohlmöglich auch in Palmyra als Ereignisse an, die eine andere Qualität besitzen als das Massenmorden, Verschleppen und Foltern von Menschen. Tatsächlich aber handelt es sich bei der systematischen Zerstörung von Kulturerbe nur um eine weitere Facette der Barbarei des IS gegen Menschen. Es geht der Terrororganisation eben nicht nur um die physische Schädigung und Vernichtung von Menschen, sondern sie zielt auch auf die nachhaltige Zerstörung des geistigen Erbes ihrer Opfer, das in den historischen Stätten sicht- und greifbar wird. Für die Verwirklichung des verqueren Welt- und Geschichtsbildes des IS, in dem es nichts anderes geben darf als das wiedererstandene Kalifat aus der Zeit des Propheten, das es in Wirklichkeit nie gab. Dafür wird erst mal tabula rasa gemacht und dabei sind alle vorislamischen Kulturzeugnisse und auch die anderer muslimischer Gruppen zu eliminieren. Mit dieser Klappe wird auch noch eine andere Fliege geschlagen: Ganz nebenbei kann der IS auch noch den Westen auf das Vortrefflichste provozieren und ihm seine Machtlosigkeit vor Augen zu führen.
    Mensch oder Stein?
    Ny Carlsberg Glyptothek, Kopenhagen. Grabrelief of einer Dame aus Palmyra ( 120 n.Chr. ).
    Die Türklopfer in Form von Löwenköpfen symbolisieren den Zugang zur Welt der Toten.
    (Foto: W. Sauber [CC BY-SA 3.0] via WikimediaCommons)


    Die entscheidenden Auswirkungen der Kulturbarbarei werden viel langsamer, schleichender in Kraft treten, ohne dann noch medienwirksame Bilder zu produzieren, nämlich dann, wenn nachwachsende Generationen nach dem Bürgerkrieg Fragen an die Geschichte ihres Landes oder ihrer ethnischen oder religiösen Gruppen stellen, die nun nicht mehr beantwortet werden können. Die Herrschaft des IS wird nicht mehr durch eine geschichtliche Reflektion in Frage gestellt werden. Terrorherrschaft und Morden werden ohne eine vielfältige, über die Region hinaus verflochtene Vergangenheit nicht mehr in Frage zu stellen sein.

    Kulturgutzerstörung und den damit verbundene Verlust von Identität gab es schon vor dem IS und es gibt ihn gleichzeitig mit den Vorgängen im Irak und Syrien in aller Welt: Er findet im Stillen bei Raubgrabungen und anderweitigen Zerstörungen statt und wird schon gar nicht mit plakativen Youtube-Videos visualisiert. In der Presse (vermutlich auch beim Cicero) fand das Thema bislang kaum Beachtung. Jetzt rauscht es ausnahmsweise mit voller Wucht durch die Medienlandschaft. Endlich wird öffentlich sichtbar gemacht, worauf Kulturgutschützer schon lange hingewiesen haben und schon wird das alles mit dem Zynismusvorwurf niedergebügelt. Man möchte die Autorin fragen, wann ihrer Meinung nach der richtige Zeitpunkt für den Kulturgüterschutz ist. Wenn die Welt ein paradiesischer Ort ohne Kriege, Gewalt und andere Probleme wie Armut, Ausbeutung oder Krankheiten ist? Dann könnte es zu spät sein. Hören wir doch auf mit der sinnlosen Diskussion „Alte Steine versus Menschen“ und hinterfragen lieber die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft.