Rainer Schützeichel - Stefan Jordan (Hrsg.)
Prozesse.
Formen, Dynamiken, Erklärungen.
(Wiesbaden: Springer 2015).
461 S., 7 Abb.
ISBN 978-3-531-17660-4 (Softcover): 59,99€
ISBN 978-3-531-93458-7 (ebook): 49,99€
Prozesse.
Formen, Dynamiken, Erklärungen.
(Wiesbaden: Springer 2015).
461 S., 7 Abb.
ISBN 978-3-531-17660-4 (Softcover): 59,99€
ISBN 978-3-531-93458-7 (ebook): 49,99€
Prozesse, so sollte man denken, sind für Historiker und mindestens ebenso für Archäologen eine alltägliche Kategorie, so grundlegend, dass sie längst bis ins letzte durchdrungen ist. Weit gefehlt: Der Begriff ist ungenügend definiert und kaum reflektiert, obwohl er zahlreiche Assoziationen weckt und sehr viele grundsätzliche Fragen aufwirft.
Das von Rainer Schützeichel und Stefan Jordan herausgegebene Buch nimmt sich vor, eine Bestandsaufnahme der interdisziplinären Prozessforschung im Hinblick auf deren Resultate vor allem aber auch Probleme zu machen. Sogleich im einleitenden Kapitel distanzieren sich die beiden Herausgeber aber auch gleich von dem Begriff, indem sie seine Tauglichkeit für soziologische und historische Forschungen in Frage stellen. Ihrer Meinung nach verweist der Begriff des Prozesses auf ein grundsätzliches, methodisches und theoretisches Problem der Geschichts- und Sozialwissenschaften, nämlich auf das der zeitlichen Bedingtheit ihrer Gegenstände, die sich eben im Lauf der Zeit gegenseitig konstituieren.
Tatsächlich ist "Begriff" als fachwissenschaftliche Kategorie nur ungenügend durchdacht. Noch immer schwingen Implikationen aus dem Alltagsgebrauch oder aus Nachbardisziplinen mit, oft ins 18. und 19. Jahrhundert zurück reichend. Der Begriff des "Prozesses" scheint für Historiker deshalb wenig attraktiv, weil ihm oft etwas Deterministisches oder gar Teleologisches anhängt. Einerseits impliziert er Lenkbarkeit und Intention, andererseits sagt der Begriff nichts über Akteure und Faktoren und auch nichts darüber, ob es zwischen den Geschehnissen und Handlungen mehr gibt als eine zeitliche Abfolge, eine Kausalität oder Intentionalität oder andere komplexere Wechselwirkungen. Aufgrund dieser Unbestimmtheit liefert der Begriff per se keinen besonderen Beitrag zum Verständnis historischer Veränderung, doch verweist er auf eben diesen Fragen- und Problemkreis der inneren Zusammenhänge von Ereignissen und Strukturen, von Kausalität und Effekt. Demgegenüber bleiben andere konzeptionelle Begriffe wie "Entwicklung", "Geschehen", "Evolution", "Geschichte", "Kontinuität", "Gang der Dinge", "Bewegung", "historische Notwendigkeit", "Strom", "Dynamik" oder gar "Fortschritt" noch unbestimmter oder problematischer, so dass sie eben "auch nicht zu überzeugen vermögen" (S. 2).
Der Band vereint Positionen von Sozilogen und Historikern, die den Begriff unterschiedlich gebrauchen. Für die Soziologie ist in der Auseinandersetzung mit Prozessen dessen Opposition zum Begriff der Strukturen zu nennen, die für die Soziologie wichtig ist - einer der Punkte in denen sich die geschichtswissenschaftliche Perspektive von der der Soziologie unterscheidet. In den Geschichtswissenschaften wurde in der Theoriediskussion der 1970er Jahre Prozesse einer Ereignisgeschichte gegenübergestellt, wobei entgegen dem traditionellen Geschichtsbild eine Eigendynamik der Prozesse postuliert wurde. Anders die Soziologie, wo Prozesse im Unterschied zur Evolution stärker mit Handlungen und Ereignissen verbunden wurden.
Der Gewinn des Prozessbegriffes liegt denn auch weniger in den Antworten, die er liefert, als in den Fagen, die er aufwirft. Es geht darum, zu untersuchen, ob hinter einer Reihe von historischen Ereignissen und Entwicklungen mehr steht als ein zufällige chronologische Abfolge. Zu fragen ist nach den zeitübergreifenden Zusammenhängen, nach Intentionalitäten, Kausalitäten und Effekten.
Die Beiträge beleuchten so die Dynamiken von Prozessem aber auch verschiedene Erklärungsmodelle. Dass hier soziale Prozesse und weniger ökologische Prozesse im Mittelpunkt stehen, die sich vielleicht gerade in der Archäologie als inspirierend erweisen können, ist dem fachlichen Hintergrund der Herausgeber geschuldet. Wichtig is die Perspektive komplexer dynamischer Systeme, wie sie Klaus Mainzer etwa an den Finanzmärkten erklärt. Er betont aber auch, dass es bisher keine abschließende nichtlineare Systemtheorie gäbe (S. 270), sondern diese eine interdisziplinäre Zukunftsaufgabe sei. So sind auch manche der Beiträge eher als kleine Bausteine zu einer Weiterentwicklung zu sehen, die zum Teil versuchen, heute separat betrachtete Ansätze, wie etwa Modellierungen (C. Kaven, S. 233ff.) oder Netzwerkanalysen (M Düring / L. von Keyserlingk, S. 337ff.) mit Ansätzen einer Prozesstheorie zu verbinden.
Für die Archäologie ist das Buch weit entfernt von den eigenen konkreten Themen, aber wichtig, denn gerade das Verständnis von langen Zeiträumen verlangt eine Auseinandersetzung mit Prozessen. Einzelne Schlagworte sind inzwischen auch schon Modebegriffe geworden, bei denen eine genauere methodisch-theoretische Reflektion zwingend geboten ist. Dabei mag der Band "Prozesse" wichtige Impulse liefern
Der Band vereint Positionen von Sozilogen und Historikern, die den Begriff unterschiedlich gebrauchen. Für die Soziologie ist in der Auseinandersetzung mit Prozessen dessen Opposition zum Begriff der Strukturen zu nennen, die für die Soziologie wichtig ist - einer der Punkte in denen sich die geschichtswissenschaftliche Perspektive von der der Soziologie unterscheidet. In den Geschichtswissenschaften wurde in der Theoriediskussion der 1970er Jahre Prozesse einer Ereignisgeschichte gegenübergestellt, wobei entgegen dem traditionellen Geschichtsbild eine Eigendynamik der Prozesse postuliert wurde. Anders die Soziologie, wo Prozesse im Unterschied zur Evolution stärker mit Handlungen und Ereignissen verbunden wurden.
Prozess und Geschichte
Prozesse lassen sich nach der zeitlichen Dimension von Ursachen und Wirkungen differenzieren oder aber anhand der Verlaufsmuster (zyklisch, pfadabhängig, diskontinuierlich...). Carsten Kaven (S. 233 ff.: Langfristige soziale Prozesse: Eigenschaften und Modellierung) differenziert aus soziologischer Sicht zwischen Reproduktions- und Wandlungsprozessen.Der Gewinn des Prozessbegriffes liegt denn auch weniger in den Antworten, die er liefert, als in den Fagen, die er aufwirft. Es geht darum, zu untersuchen, ob hinter einer Reihe von historischen Ereignissen und Entwicklungen mehr steht als ein zufällige chronologische Abfolge. Zu fragen ist nach den zeitübergreifenden Zusammenhängen, nach Intentionalitäten, Kausalitäten und Effekten.
Die Beiträge beleuchten so die Dynamiken von Prozessem aber auch verschiedene Erklärungsmodelle. Dass hier soziale Prozesse und weniger ökologische Prozesse im Mittelpunkt stehen, die sich vielleicht gerade in der Archäologie als inspirierend erweisen können, ist dem fachlichen Hintergrund der Herausgeber geschuldet. Wichtig is die Perspektive komplexer dynamischer Systeme, wie sie Klaus Mainzer etwa an den Finanzmärkten erklärt. Er betont aber auch, dass es bisher keine abschließende nichtlineare Systemtheorie gäbe (S. 270), sondern diese eine interdisziplinäre Zukunftsaufgabe sei. So sind auch manche der Beiträge eher als kleine Bausteine zu einer Weiterentwicklung zu sehen, die zum Teil versuchen, heute separat betrachtete Ansätze, wie etwa Modellierungen (C. Kaven, S. 233ff.) oder Netzwerkanalysen (M Düring / L. von Keyserlingk, S. 337ff.) mit Ansätzen einer Prozesstheorie zu verbinden.
Für die Archäologie ist das Buch weit entfernt von den eigenen konkreten Themen, aber wichtig, denn gerade das Verständnis von langen Zeiträumen verlangt eine Auseinandersetzung mit Prozessen. Einzelne Schlagworte sind inzwischen auch schon Modebegriffe geworden, bei denen eine genauere methodisch-theoretische Reflektion zwingend geboten ist. Dabei mag der Band "Prozesse" wichtige Impulse liefern
Inhaltsverzeichnis
Rainer Schützeichel und Stefan Jordan: Prozesse – eine interdisziplinäre Bestandsaufnahme - S. 1
Teil I Prozessformen
Ludger Jansen: Zur Ontologie sozialer Prozesse - 17Gert Albert: Max Webers Grundbegriffe – eine Revision unter Beachtung der Kategorie der sozialen Prozesse - 45
Stefan Jordan: Was sind Historische Prozesse? - 71
Rainer Schützeichel: Pfade, Mechanismen, Ereignisse. Zur gegenwärtigen Forschungslage in der Soziologie sozialer Prozesse - 87
Thomas Schwietring: Gesellschaft geschieht. Zeit und Geschichtlichkeit als begründende Kategorien des Sozialen - 149
Gunter Weidenhaus: Prozesse, die Zeit erschaffen? Empirische Betrachtungen zum Wechselverhältnis von sozialen Prozessen und geschichtlichen Strukturen - 169
Teil II Prozessdynamiken
Thomas Welskopp: Bewegungsdrang. Prozess und Dynamik in der Geschichte - 189Bernhard Miebach: Theoretische und empirische Analyse sozialer Prozesse - 215
Carsten Kaven: Langfristige soziale Prozesse: Eigenschaften und Modellierung - 233
Klaus Mainzer: Prozesse in komplexen dynamischen Systemen - 247
Achim Landwehr: Prozessbegriff und Kulturgeschichte - 273
Hendrik Vollmer: Schweigsame soziale Prozesse, historische Ereignisse, flüchtige Teilnehmer und sozialer Wandel - 303
Teil III Prozesserklärungen
Hella Dietz: Prozesse erzählen – oder was die Soziologie von der Erzähltheorie lernen kann - 321Marten Düring - Linda von Keyserlingk: Netzwerkanalyse in den Geschichtswissenschaften. Historische Netzwerkanalyse als Methode für die Erforschung von historischen Prozessen - 337
Nina Baur: Theoretische und methodologische Implikationen der Dauer sozialer Prozesse - 351
Rainer Greshoff: Weites oder enges Prozessverständnis? Konzeptuelle Erörterungen auf der Basis einer kritischen Rekonstruktion des Luhmannschen Prozessbegriffes und unter Bezug auf soziale Mechanismen - 371
Peter Kappelhoff - Sozialkulturelle Prozesse aus Sicht eines methodologischen Evolutionismus - 409
Willfried Spohn: Europäisierung, Nation und Religion – Zur Transformation kollektiver Identitäten in einem sich erweiternden Europa - 435
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