Montag, 3. August 2015

Varus verstummt

Gastbeitrag von
Johann Friedrich Tolksdorf


Wenn der Fundzusammenhang zerstört wird, verlieren wir für immer die Chance, Münzfunde als archäologische Zeugnisse zum Sprechen zu bringen.


Was ist "ein Stück Geschichte" wert?
Wie auf jedem anderen Markt, so bestimmen auch im Münzhandel Angebot und Nachfrage den Preis eines Objektes. Daher verwundert es auch nicht, wenn Münzen, die mit einer historisch bedeutenden Person verbunden sind, auf einschlägigen Auktionen Spitzenpreise erzielen und den Handel mit diesen Objekten besonders lukrativ machen. Eine solche herausragende historische Persönlichkeit stellt unbestritten Publius Quinctilius Varus dar, der auch der breiten Öffentlichkeit als tragischer Besiegter der Schlacht im „Teutoburger Wald“ aus dem Geschichtsunterreicht bekannt ist. Entsprechend erfreuen sich römische Münzen mit dem Gegenstempel »VAR« des Varus in Sammlerkreisen einer außerordentlichen Beliebtheit. Das hat verheerenden Folgen für die archäologische Forschung, da hierbei die Objekte aus ihrem Fundkontext herausgelöst und ihrer wichtigsten Aussagekraft beraubt werden.
Münze des Varus mit Gegenstempel VAR:
As Lugdunum I (RIC 230), Vorderseite, Augustus nach rechts mit Gegenstempel des Varus ("VAR" = Werz Typ 1)
(Foto: Fotografie für das Bildarchiv der Abteilung. - Fotobestand der Goethe-Universität Frankfurt, Institut für Archäologische Wissenschaften, Abteilung II [PD, CC0 1.0] via Wikimedia Commons)

Wie Münzen mit bekanntem Fundort uns helfen können, die Geschichte zu rekonstruieren
Bei den begehrten »VAR« Gegenstempeln (auch als Kontermarken bezeichnet) handelt es sich um sekundäre Einprägungen auf Münzen, die höchstwahrscheinlich im Rahmen von Sonderzahlungen an die Truppen eingestempelt wurden. Ihr außergewöhnlicher archäologischer Wert liegt darin, dass sich in einem Objekt unmittelbar zwei Aktivitäten wiederspiegeln: Die Prägung der Münze selbst und das nachträgliche Anbringen des Gegenstempels. Wird eine solche Münze im Rahmen einer archäologischen Untersuchung dokumentiert, kann sie uns wertvolle Hinweise zur Datierung eines Befundes und zum historischen Münzumlauf liefern.
Dass es sicher hierbei nicht um rein akademisches Wunschdenken handelt, sondern vielmehr überregional von der Öffentlichkeit mit Interesse wahrgenommene Ergebnisse erzielt werden können, haben gerade die Münzen mit VAR-Gegenstempel bewiesen: Ihr verstärktes Auftreten unter den in archäologisch dokumentierten Funden in der Kalkriese-Niewedder Senke hat dazu beigetragen, ein römisches Schlachtfeld des frühen 1. Jahrhunderts n. Chr. zu entdecken. Auch hätte einer Debatte zur möglichen Identifikation dieser Fundstelle als Ort der Varusschlacht ohne Auffindungszusammenhang der Münzen jegliche Grundlage gefehlt.

Gefahr einer Degradierung historischer Quellen zu kontextlosen Sammlerobjekten
Dass jedoch der Handel mit begehrten Gegenstempeln wie dem »VAR« des Varus nicht nur zu einem Verlust der wissenschaftlichen Aussagekraft führt, sondern sogar die Forschung durch die Entstehung von „Mischinventaren“ zusätzlich erschwert, hat U. Werz bereits am Beispiel eines vermeintlichen Münzkonvolutes aus Xanten dargelegt (Werz 2007). Zugleich führte er in seiner akribischen und umfassenden Zusammenstellung der römischen Gegenstempel aus dem Rheinland (Werz 2009) die Aussagekraft dieser Quellengattung vor Augen, die sich insbesondere durch die räumliche Auswertung ihrer Auffindungsorte ergibt.

Wie können wir als Archäologen die Öffentlichkeit mit diesem Anliegen erreichen?
Das Verständnis der breiten Öffentlichkeit (und damit auch der politischen Akteure) für die Problematik der „verstummenden Quellen“ muss daher verbessert werden, zumal durch die illegalen Aktivtäten von Raubgräbern mit Metallsuchgeräten besonders Münzen von einer Degradierung zu kontextlosen Sammlerobjekten bedroht sind. Gerade die Archäologie muss daher nachdrücklich zeigen, dass es sich bei Münzen - wie beispielhaft denen mit VAR-Gegenstempeln - um historische Quellen handelt, die, wie die Urkunden in einem schriftlichen Archiv, immer wieder mit neuen Methoden und Blickwinkeln befragt werden müssen. Nur wenn es der Archäologie gelingt, den Mehrwert einer gut vernetzen Museumslandschaft und der von ihr immer wieder neu für die Forschung zur Verfügung gestellten Objekten mit gesichertem Kontext aufzuzeigen, können die hiermit verbundenen Anliegen gegenüber den politischen Akteuren hervorgehoben werden.

Forschungsperspektive durch Kontext
Zu diesem Zweck ist es auch notwendig, wissenschaftliche Projekte öffentlichkeitswirksam zu begleiten. Im Rahmen unseres Projektes »Charonspfennige: Kann HR-3D-Scanning von Gegenstempeln auf römischen Münzen helfen, ein »Bewegungsprofil« der Legionen des Varus in den letzten Monaten vor der Varusschlacht (9 n. Chr.) zu rekonstruieren?« werden wir die Gegenstempel des Varus in unterschiedlichen Museen in der Schweiz, Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden mit einem hochauflösenden 3D-Scanner erfassen und versuchen, aus den im Abdruck erkennbaren Abnutzungsspuren des Stempeleisens eine relative Abfolge der Stempelabdrücke zu rekonstruieren. Erst durch die Einbeziehung der Fundorte der Münzen kann in einem zweiten Schritt versucht werden, die historischen räumlichen Beziehungen zu erschließen und vielleicht neue historische Ergebnisse zu möglichen Aufenthaltsorten des Varus zwischen 7 -9 n.Chr. zu erzielen. Dieses wäre bei Münzen mit ungeklärtem Auffindungsort unmöglich und muss als Botschaft in die öffentlichkeitswirksame Präsentation einfließen. Sie bleiben stumm und ihr wissenschaftlicher Wert ist bei allem technischen Fortschritt für immer verloren.
 
zitierte Literatur
Werz 2007
U. Werz, Besuch des Vetters aus Dingsda? Bemerkungen zu einigen Fundmünzen aus Xanten. Numismatisches Nachrichtenblatt 26/3, 2007, 1-7 - http://www.fan-niedersachsen.de/attachments/article/72/vetterausdingsdaneu.pdf

Werz 2009
U. Werz, Gegenstempel auf Aesprägungen der frühen römischen Kaiserzeit im Rheingebiet: Grundlagen, Systematik, Typologie (Diss. Frankfurt 2009) - urn:nbn:de:hebis:30-68931
 
Interner Link





Dr. Johann Friedrich Tolksdorf ist Archäologe mit einer Spezialisierung im Bereich der Geoarchäologie und am Landesamt für Archäologie Sachsen in der Bodendenkmalpflege tätig. Die Äußerungen in diesem Blogbeitrag sind seine private Meinung. https://sachsen.academia.edu/JohannFriedrichTolksdorf

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