Sonntag, 26. März 2023

Archäologische Museen digital - Chance und Risiko

Es ist großartig, dass in den letzten Jahren viele archäologische Museen Teile ihrer Sammlungen online gestellt haben, wenn auch meist kleine Teile und fast nie Archäologie des Mittelalters. 

Diese digitale Präsentation von Museen und Sammlungen hat gute Chancen sich zu einem zentralen Element archäologischer Wissenschaftskommunikation zu entwickeln. Insofern sollte man sich die bisherigen Projekte in Bezug auf ihre Technik, aber auch im Hinblick auf ihre Bedeutung in der Wissenschaftskommunikation künftig genauer ansehen. Hier können nur einige Eindrücke wiedergegeben werden, da ich bei der aktuellen Entwicklung auch ein großes Risiko sehe, dass die Museen mit ihrer digitalen Vermittlung ein falsches Bild der Archäologie zementieren.

Viele deutsche Museen nutzen die Plattform museum-digital, ein Projekt von Museen zur gemeinsamen digitalen Publikation und zunehmend auch zur Inventarisierung von Museumsdaten. Mittlerweile sind über 600.000 Objekte aus deutschen Museen so auf museum-digital erschlossen, das indes oft nur eines von mehreren Portal darstellt, in das lokale Daten einfliesen.

Museum-digital steht auch kleinen Museen offen, die damit in manchen Fällen sehr viel besser als manch großes Museum ihre Bestände darstellen können. Aus archäologischer Sicht seien nur einige Museen exemplarisch genannt:

Das Badische Landesmuseum ist auf museum-digital mit 6 Objekten eher symbolisch vertreten, unterhält aber einen eigenen, umfangreichen digitalen Katalog, der auch die Archäologie gut abbildet (mal wieder ohne Archäologie des Mittelalters). Ebenso unterhält das Landesmuseum Württemberg in Stuttgart eine eigene Online-Sammlung, ist aber auch auf museum-digital und anderen Plattformen präsent. Das Niedersächsische Landesmuseum Hannover hat auf seiner Website eine eigene digitale Sammlung, die unter anderem 3200 archäologische Objekte umfasst: https://kulturerbe.niedersachsen.de/sammlung/slg0018/  Es ist nicht über museum-digital durchsuchbar und in der Nutzerfreundlichkeit etwas eingeschränkt.

Einige der großen Museen tun sich bisher eher schwer, ihre Bestände digital zu erschließen.  Die Archäologische Staatssammlung München verwendet bavarikon, das sinnvolles Arbeten mit den Beständen erfolgreich erschwert, da Bilder trotz angeblichen Open Access (mit CC BY NC ND-Lizenz) nicht weiter genutzt werden können, denn Downloadmöglichkeiten werden offenbar bewusst unterdrückt. Das wirkt nicht sehr vertrauensbildend.

Au, Aquamanile
(Archäologische Staatssammlung München (CC BY-NC-ND 4.0) via https://bavarikon.de/object/bav:ASM-OBJ-0000000000002966)


Die Abbildungen haben prinzipiell eine brauchbare Auflösung (was nicht viel hilft, wenn die erlaubte Nachnutzung auf Screenshots angewiesen ist), aber es fehlt ein Maßstab. Bemerkenswert ist, dass die ASM auch historische Grabungsfotos eingestellt hat. Bislang habe ich aber keine Querbezüge zwischen Funden und Befunden erkennen können. Generell gilt, dass die Objekte in bavarikon schwer zu überblicken und zu sortieren sind. Bayern ist stolz auf Digitalisierung und High-Tech - überzeugt so aber leider kein bischen. Auf museum-digital ist Bayern denn auch deutlich unterrepräsentiert.

Frühere archäologische Grabungspublikationen haben beispielsweise bei Keramikfunden nur Zeichnungen oder bestenfalls s/w-Fotos geboten. Für Forschung und Lehre wäre es aber oft wünschenswert, die Objekte in Farbaufnahmen zu sehen.  Die bisherigen Bildpräsentationen bewegen sich zwischen zwei Extremen: 
einerseits wenig professionelle Fotos, insbesondere bei kleineren Museen, die auf ehrenamtliche Mitarbeit angewiesen sind,
andererseits professionelle "schöne" Fotos, häufiger bei renommierten Museen.

Erstere sind oft schlecht in der Vitrine oder auf fleckigem Hintergrund geknipst und häufig nicht besonders gut ausgeleuchtet. Letztere sind zwar schöner, aber letztlich auch nicht besser, denn sie ordnen leider meist die Nutzbarkeit einer vermeintlich besseren Ästhetik unter, denn beiden gemeinsam ist zumeist der Verzicht auf einen Maßstabsbalken.

Vielfach ist das besser als nichts, denn in den wissenschaftlichen Publikationen gibt es oft nur Zeichnungen oder bestenfalls Schwarz-Weiß-Fotos.

Konkrete, aus der Literatur bekannte Objekte zu identifizieren, ist indes fast nicht möglich, da selten genaue Kontextangaben zur Fundstelle gegeben werden, Bestenfalls erfährt man den Fundort, aber selten die Fundstelle oder gar den Befund aus dem das Objekt stammt.  Auch konkrete Literaturreferenzen sind nur selten zu finden.

Oft lässt die Qualität der Daten-Einträge zu wünschen übrig, so dass auch die Suche unvollständige und falsche Treffer liefert. Typisches spätmittelalterliches Steinzeug kann da auch mal als frühmittelalterlich ausgewiesen sein.

Die Spärlichkeit der Angaben sei an wenigen Beispielen illustriert. 

Herausgegriffen sei ein bauchiger Krug mit Ausguss und Henkel aus dem Landesmuseum Württemberg: https://www.landesmuseum-stuttgart.de/sammlung/sammlung-online/dk-details?dk_object_id=39947 .

 

Bauchiger Krug mit Ausguss und Henkel, Seitenansicht
Herkunft/Rechte: Landesmuseum Württemberg / Landesmuseum Württemberg, Bildarchiv (CC BY-SA)
https://www.landesmuseum-stuttgart.de/sammlung/sammlung-online/dk-details?dk_object_id=39947

Hier gibt es keinerlei brauchbaren Angaben zum Fundort oder auch nur einer Provenienz. sondern im Feld "gefunden" nur die Angabe "Vorderasien" (vergl. Objektblatt). Insofern ist wohl auch der Punkt in der digitalen Karte rein willkürlich in Kuwait gesetzt. Das Schlagwort "Landesgewerbemuseum" ist das einzige Provenienz-Indiz. Man weiß es nicht. Wichtig erscheint dem Museum hingegen die Information, dass  die Erfassung dieses Objekts durch die Deutsche Digitale Bibliothek im Rahmen des von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) geförderten Programms NEUSTART KULTUR ermöglicht wurde. Wo aktuell die Provenienzforschung eine so wichtige Rolle spielt, ist es doch verwunderlich, dass das Thema einfach übergangen wird. Schon eine grobe Schätzung, wann das Objekt inventarisiert wurde, würde signalisieren, dass man die Thematik nicht einfach zu ignorieren versucht - oder eben eine Angabe zur Provenienz wie "bei der Inventarisierung nicht augewiesen" oder einfach "Klärungsbedarf".


 
Das zweite Beispiel sei die Ergebnisliste einer Suche auf der digitalen Sammlung des Niedersächsischen Landesmuseums in Hannover. Die Funde sind hier als "Artefakt," "Gefäß" oder "Dolch" bezeichnet. Erst bei näherem Anklicken erfährt man die Fundorte Seesta, Hedemünden, Salzgitter-Lebenstedt und Pfalz Werla und Angaben zur groben Datierung. Genaue Fundstellenzuweisungen oder Erklärungen kulturgeschichtlicher Zusammenhänge fehlen aber. Die Einträge stehen unter einer CC BY-Lizenz und sind somit auch unproblematisch weiter zu nutzen.
 

Reduzierung aufs Objekt

Die gängige Praxis reduziert die Objekte wieder auf sich selbst, durch den Verzicht auf genaue Fundortangaben werden die Fortschritte, die die Archäologie in den letzten 150 Jahren gemacht hat und die sie als Wissenschaft qualifizieren, verspielt. 
 
Eine Ignoranz gegenüber der Bedeutung von Fundorten musste man jüngst auch bei den Online-Münzsammlungen feststellen (vgl. Eigentlich toll - und doch megafrustrierend und schändlich: NUMiDonline. Archaeologik 13.3.2023. - https://archaeologik.blogspot.com/2023/03/eigentlich-toll-und-doch.html), wo die Situation freilich insofern eine andere ist, als hier gar keine Fundkontexe vorliegen, weil - neben den tatsächlichen Altsammlungen hier zweifellos Raubgrabungsfunde eine nicht unerhebliche Rolle spielen. 
Die Botschaft an die Öffentlichkeit ist aber dieselbe - falsche: Archäologie sammelt. 

Dies haben allerdings auch einige Kolleg*innen noch nicht verinnerlicht. Weil wir nicht sammeln, können wir auch nicht entsammeln (vgl. Messis? Die Notwendigkeit archäologischer Magazinierung. Archaeologik 12.6.2022. - https://archaeologik.blogspot.com/2022/06/messis-die-notwendigkeit.html).  Wir haben es mit historischen Quellen zu tun, bei denen der Fundkontext ein untrennbares Element bildet, auch wenn im Einzelfall technologische Details oder numismatische Bearbeitungen auch mal am isolierten Objekt möglich sind.

Fazit

Das Arbeiten mit den digitalen Sammlungen ist aktuell noch kaum praktikabel, so begrüßenswert die Entwicklung entsprechender Angebote ist - und so wertvoll das bereits eingestellte Material durchaus ist. Aktuell fehlt es an Masse und das Präsentierte erscheint sehr zufällig.
Vernünftig gemacht sind diese digitalen Sammlungen ein wichtiges Aushängeschild der Museen und ein grundlegendes Element der Wissenschaft und der Wissenschaftsvermittlung - um so mehr, wenn nicht auf individuelle Datenbanken gesetzt wird, sondern wenn sich die Institutionen tatsächlich vernetzen.
Insgesamt gewinnt man aktuell jedoch den Eindruck, dass Digitalisierung gemacht wird, weil sie modern ist, ein gewisser politischer Druck dazu da ist, dass man aber eigentlich keine Lust hat und auch keine Vorstellung darüber vorhanden ist, wozu die digitale Präsentation denn dienen soll - und wer denn eigentlich das Zielpublikum ist, das sich hunderte von Porzellantassen oder auch nur Dutzende Steinbeile anschaut?

Die Wissenschaft - die diese Daten tatsächlich dringend braucht - scheint hier jedenfalls oft nicht im Blickfeld zu stehen, sonst würde man sich mehr Mühe mit den bereit gestellten Informationen und einer guten Dokumentation geben. Das wäre oft Routine und nicht unbedingt ein großer Mehraufwand. Man müsste einen Maßstab aufs Foto bringen und konsequent dafür sorgen, dass die Fundortangaben auch aus den originalen Inventarbüchern übernommen werden, damit 1.) eine Identifikation der Objekte mit Grabungspublikationen und -dokumentationen möglich ist, 2.) auch der "Laienforscher" oder Interessierte eine Vorstellung bekommt, wo genau  die Funde gemacht worden sind, denn oft ist es ja ein wichtiger, Interesse weckender Anknüpfungspunkt, die Funde aus der eigenen Nachbarschaft im Museum wiederzufinden. und 3.) die Provenienzforschung kein Lippenbekenntnis bleibt.

Auch bei tollen Museums-Objekten ist es erst der Kontext der ihnen eine historische Bedeutung verleiht. Die Archäologie ist unglaubwürdig, wenn sie Sondengängern - zu Recht - vorhält, sie würden Kontexte vernichten, diese aber letztlich in einem so großen Schaufenster wie den digitalen Sammlungen dann selbst einfach weglässt.

Es spricht nichts dagegen, erst mal klein zu beginnen und die Datensätze später zu ergänzen, so dass manche Informationen künftig vielleicht noch folgen. Gut wäre es aber, wenn hier transparent wäre, wo Lücken pragmatisch begründet sind.

Fünf Punkte sollten etwas mehr Beachtung finden.
  1. CC-Lizenzen für eine einfach Nachnutzung, notfalls non-commercial
  2. Bilddokumentation mit Maßstab (und Farbwertkarte) 
  3. Fundortangaben mit einer gewissen Prominenz angeben - je genauer, desto besser. 
  4. Stellungnahme zur Provenienz 
  5.  OpenAccess bedeutet auch, dass die Daten tatsächlich zugänglich sind und nicht Download-Sperren das ganze ad absurdum führen

Schon vor mehr als 10 Jahren hat Klaus Graf mit dem Akronym PERSONAVINO einige Kriterien für die Bewertung digitaler Portale benannt:
  • PERmalinks/Langzeitarchivierung
  • SOcial Media/Sharing
  • Nachnutzung
  • Annotion/Feedback
  • VIewer (Auflösung, Metadaten)
  • NOrmdaten

Sie sind hier - PERSONAVINO – Grundregeln für digitale Projekte. Archivalia (12.4.2019). - https://archivalia.hypotheses.org/98939 - erläutert.

Die Qualitätskriterien von museum-digital finden sich unter PuQi – Verführung zu Qualität. museum-digital: blog (22.1.2021), die Ähnliches widerspiegeln. Die Kriterien sind letztlich für die einzelnen Museen nicht verbindlich, fließen aber in eine interne Bewertung ein, die zu Qualität verführen soll. Hier nur eine Beobachtung: Angaben zur Provenienz sind leider kein Kriterium. Diese sind angesichts von NS-Raubkunst und Kolonialismus nicht Archäologie-spezifisch, sondern betreffen viele museale Sammlungen. 

Fundkontexte hingegen sind mit konkreten Grabungsbefunden und Auffindungssituationen (was bei Altfunden auch nicht gegeben ist) in museum-digital durchaus hinterlegbar. Da Grabungsdaten aktuell kaum strukturiert digital und open access vorliegen und da die Berichte der zahlreichen Notgrabungen selten überhaupt publiziert werden (und damit der Wissenschaft  auch nicht zur Verfügung stehen), besteht hier noch ein zentrales Handlungsfeld, das entscheidend sein wird, ob die Digitalisierung für die Archäologie tatsächlich klappt und Forschungspotentiale erschließt - oder uns konzeptionell nicht anderthalb Jahrhunderte  in die Zeit bloßen Fundsammelns zurück wirft.

Hoffentlich stellt sich NFDI4Objects dieser Herausfordrrung.

1 Kommentar:

Deurager hat gesagt…

Ich sehe es als Chance;)