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Donnerstag, 31. August 2023

Fehlbestände im British Museum: Ein gigantischer Museumsraub - oder viele kleine museale Alltagsprobleme?

Dem British Museum (BM) sind rund 1500-2000 Kleinobjekte abhanden gekommen - offenbar über die letzten zehn Jahre hinweg. 2021 wurde das BM von einem dänischen Antikenhändler darauf hingewiesen, dass bereits seit 2014 Objekte des BM auf ebay zu finden seien. Vieles hat er gekauft und laut Medienberichten mit Gewinn weiter verkauft.  Einige Objekte konnte er jedoch in Katalogen des BM identifizieren. Erste interne Ermittlungen des BM blieben allerdings ergebnislos, da einige der als gestohlen deklarierten Objekte tatsächlich im Depot gefunden werden konnten. Dem Vorfall wurde deshalb keine besondere Bedeutung zugemessen, der Händler nicht ernst genommen.

Immerhin wurden 70 Objekte auf ebay gesichtet, für die eine Herkunft aus dem BM wahrscheinlich zu machen war.

Daraufhin informierte dieser den Beirat des BM, so dass schließlich die Polizei ermittelte und einen wesentlich größeren Verlust konstatierte. Der Verdacht fiel auf einen langjährigen, renommierten Mitarbeiter, der als Kurator für griechische und römische Kultur zuletzt unter anderem für die Elgin Marbles zuständig war. Er wurde entlassen, doch betont die Familie seine Unschuld.

Inzwischen ist der Direktor des BM zurückgetreten.

 

Eingangshalle des British Museum London
(CC0 via Pixabay.de)

 

Welche Objekte genau abhanden gekommen sind, wurde bislang nicht im Detail bekannt gegeben. Sie befanden sich nicht in der Ausstellung, sondern im Magazin. Vollständigkeit und Tauglichkeit der Inventarisierung werden nun angezweifelt. Bei den Gegenständen soll es sich allgemein um Goldmünzen und -schmuck, Silberketten, Keramikstücke sowie Juwelen aus Halbedelsteinen und Glas handeln - vom 15. Jh. v.Chr . bis zum 19. Jh. n.Chr. 

Das ist ein auffallend breites Spektrum und ausgesprochen vage. Zu vermerken ist zudem, dass die Zahlen - sie sollen bei um die 2000 Stück liegen - keine Einschätzung über das tatsächliche Ausmaß geben. 935 Stück Edelsteine sind etwas anderes als 950 Keramikscherben, bei denen eine Einzelinventarisation oft jenseits des Leistbaren liegt und deren Wert vor allem in den Kontextinformationen liegt.

Meines Erachtens spricht das wohl eher breite Spektrum und der lange Zeitraum gegen die Idee eines Einzeltäters. Dem Verdächtigten wird als Motiv daher auch einfach  "Kleptomanie" unterstellt. 

Wenn jetzt im BM relativ schnell einzelne Objekte wieder aufgefunden wurden, spricht dies für eine nachlässige Organisation und eine laxe Handhabung mit dringendem Handlungsbedarf. Das hat aber als Skandal ganz andere, weit geringere Qualitäten als der Verlust hochwertiger Einzelstücke aus regulären Ausstellungen oder Magazinen. Dass nach wenigen Tagen einige Funde mit Hilfe befreundeter Kollegen wieder aufgetaucht sind, spricht dafür, dass vieles nicht gestohlen, sondern einfach im nicht so unüblichen Chaos wissenschaftlicher Bearbeitungen untergegangen ist. 

Einiges wurde sicher geklaut, anderes offenbar jedoch nicht. Hier würde ich mir eine Differenzierung wünschen, denn unter dem Eindruck eines vermeintlich riesigen Raubs durch einen Mitarbeiter besteht das Risiko, dass die Chance einer Problemanalyse und -lösung ungenutzt bleibt und ggf. sogar die Arbeit mit den Museumsobjekten weiter erschwert wird.

 

Umgang mit Studiensammlungen

In einigen der Berichte klingt an, dass es sich eben um Funde aus Studiensammlungen gehandelt hat und nicht, um inventarisierte, magazinierte Preziosen. Zu den Funktionen einer Studiensammlung gehört es, dass sie ohne große Hürden zugänglich ist, ggf. auch Stücke kurzfristig ausgeliehen werden können - zum Schutz höherrangiger oder wertvollerer Objekte. Wie das BM dies in der Vergangenheit gehandhabt hat, ist mir nicht bekannt.

Zweck von Studiensammlungen ist es idealerweise, zur Bestimmung neuer Funde vergleichend originale Referenzstücke heranziehen zu können. Da auch die neuen archäologischen Funde musealen-konservatorischen Reglements unterliegen, zudem möglicherweise erst im Prozess der Inventarisation oder Konservierung sind, sind es eher die Stücke der musealen Sammlung, die transportfähig und ausleihbar sein sollten. Idealerweise sind solche Stücke nicht die wertvollsten und kontextuell einmaligen Stücke. Durch die Vielzahl der Benutzer sind Studiensammlungen aufwändiger in Ordnung zu halten.

Daraus ergeben sich für solche Studiensammlungen de facto - wenn auch meist nicht formell - niedrigere Standards des Leihverkehrs im Interesse einer funktionierenden, effektiven Forschung. Dass in einer Vergleichs- oder Studiensammlung größere Risiken des Verlusts oder der Beschädigung bestehen, ist geradezu ein Kennzeichen solcher Sammlungen. 

 

Die Bedeutung der Inventarisation

Allerdings macht die Situation im BM auch deutlich, dass die Inventarisation der Museumsbestände unzureichend ist. Jenseits des schönen digitalen Katalogs fehlt es offenbar an der Grunderfassung auch der Altbestände. Darauf war schon vor 20 Jahren hingewiesen worden. 

Inventare waren in der Vergangenheit vor allem ein Besitznachweis und damit ein ungeliebter Verwaltungsakt, der der Öffentlichkeit auch verborgen blieb. Zu viel Aufwand im Inventar, war Zeit, die bei den "vornehmeren" Aufgaben der Museumsarbeit fehlte. Viele Museen verfügen über Altinventare, die gemäß der damaligen technischen und finanziellen Möglichkeiten ohne Fotos auskommen mussten. Oft sind nur Konvolute erfasst, ohne die Objekte einzeln aufzuführen. Das scheint auch im BM mit einigen geschenkten Objektsammlungen so gehandhabt worden zu sein. Damit fehlt nun die Möglichkeiten, den Besitz abhanden gekommener Objekte nachzuweisen und gezielt danach zu fahnden.   Selbst ein Haus wie das BM dürfte die erforderlichen personellen Kapazitäten nicht aus dem Ärmel schütten. Ein öffentliches Online-Inventar würde diese Arbeit aufwerten und hätte - richtig gemacht - einen Wert für Publikum und Forschung (vgl. Archaeologik 26.3.2023). Damit werden freilich auch jene Objekte sichtbar, die man in der Vergangenheit ob unklarer Provenienzen nur zögerlich gezeigt hat (vgl. Archaeologik 13.3.2023). Die größere Transparenz wäre Diebstahlschutz einerseits, andererseits aber auch ein wichtiger Schritt in die Gesellschaft.  

 

weitere Aufklärung

Es sind im BM erst mal eingehende Aufklärungen notwendig. Die Geschichte eines einzigen gigantischen Museumsraubs von einem internen Einzeltäter ist die medial attraktivere Geschichte als Defizite in der alltäglichen Museumsarbeit. Letzteres ist mit dem Stigma einer Unprofessionalität verbunden und würde dem Ruf der Institution wohl eher Schaden als ein Raub. 

Es wäre schön, wenn der Raub Anlaß wäre, Aufgaben von Museen gerade auch in ihrer Rolle als Archiv und Ort der Forschung neu zu reflektieren und darzustellen - und auch offen darzustellen mit welchen personellen und finanziellen Mitteln dies aktuell auskommen muss. 

 


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Rückgabeforderungen

 Der Vorfall zieht zahlreiche Rückgabeforderungen von Raubkunst nach sich:

Mittwoch, 23. August 2023

Grund zum Feiern oder zum Trauern? Stadtkataster Trier

Trier bekommt ein Stadtkataster wurde bereits im Juni mit einer Pressemeldung des Ministeriums des Innern und für Sport, Rheinland-Pfalz verbreitet.
Das Anliegen, das Innenminister der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) zum Ausdruck bringt, nämlich die Verzahnung der Bereiche Kulturelles Erbe und Städtebau ist begrüssenswert. Ein archäologisches Stadtkataster ist dafür auch ein gutes Instrument. Dass es das bisher nicht gibt, ist beschämend, dass es landesweit einmalig ist, auch.
 
Tatsächlich ist die Idee des Stadtkatasters in Trier aber auch gar nicht neu. Nur hat es bis zum "Pilotprojekt" eben über 20 Jahre gedauert. Bereits 2002 war von einer Zwischenbilanz und von Vorarbeiten zu einem Stadtkataster Trier die Rede (Kuhnen 2002; Unruh 2002; Kuhnen u.a. 2002). Damals wurden die Daten in einer Datenbank erfasst, doch waren Geographische Informationssysteme noch nicht so einfach verfügbar wie heute, so dass eine Umsetzung in eine digitale Kartendarstellung noch nicht möglich war.
 
2002 hätte man sich damit noch berechtigt brüsten können, 2023 ist das eher peinlich. Stadtkataster sind aber prinzipiell ein altes Instrument der archäologischen Denkmalpflege, das schon weit in die vordigitale Zeit zurück reicht. Seit über 30 Jahren wird es in Baden-Württemberg betrieben und zwar nicht als besonderes Gimmick für Welterbestädte, sondern neben Städten wie Konstanz, Reutlingen, Tübingen oder Ulm auch für Kleinstädte wie Adelsheim, Backnang, oder Osterburken - um nur wenige zu nennen. Hier sind alle bekannten archäologischen Aufschlüsse aufgeführt,  in einer "historischen Topographie" sind darüber hinaus aber auch alle wichtigen Orte der Stadttopographie aufgeführt und möglichst kartiert. Hinzu kommen Negativkartierungen, die Verluste durch Keller und Tiefgaragen zeigen, was allerdings vielfach dahingehend mißverstanden wurde, dass Areale mit Bodeneingriffen archäologisch völlig uninteressant seien. was sich oft genug als Trugschluß erwiesen hat. Immerhin bietet ein solches Stadtkataster den Bürger*innen eine gewisse Transparenz. Publiziert wurden die baden-württembergischen Stadtkataster seit 2000 als Bücher mit umfangreichen Kartenbeilagen. Heute wäre solches als stets fortschreibbares WebGIS allerdings angemessener.
Das ist für das Stadtkataster Trier immerhin der Fall. Es soll digital  nutzbar sein: "Für Bürgerinnen und Bürger, die gut aufbereitete Informationen digital finden werden. Für Investoren, die sich über mögliche Funde unter der Erde einfacher als bisher informieren können und nicht zuletzt auch für die Verwaltung und die Fachbehörden, für die die digitalisierten Unterlagen die Wege und die Bearbeitung von Vorgängen beschleunigen werden." (OB Wolfram Leibe). 
 
Tatsächlich steht das Stadtkataster Trier seit 25.6.2023 auf dem Geoportal des Landes Rheinland-Pfalz. Bislang funktioniert er aber nicht. Das mag dem Arbeitsstand geschuldet sein, denn das Projekt läuft ja noch bis Ende September 2023.
Das Geoportal RhlPf ist insgesamt wenig nutzerfreundlich. Die besten Lizenzen und Nutzungsfreigaben (hier: DL DE BY 2.0) sind Augenwischerei, wenn die Technik eine Nutzung unterbindet.
 
Kartenexport aus dem Stadtkataster Trier: nur schwarz-grau
(Bild: GDKE Rheinland-Pfalz, Stadtkataster Trier - WMS Server, DL DE BY 2.0)


 
Bislang handelt es sich bei dem Stadtkataster Trier nur um ein "Pilotprojekt", das lediglich einen Bereich von 55 ha, eine Achse zwischen Römerbrücke und Amphitheater abdeckt, die für einige aktuelle städtebauliche Projekte relevant erscheint.  Gemeint ist damit aber immerhin wohl doch das Gesamtgebiet der römischen Stadt, während Bereiche wie Trier-Pfalzel außen vor bleiben. Nach den Informationen auf den Seiten der Stadt Trier läuft das zweijährige Projekt schon seit Oktober 2021 und steht damit offenbar bereits am Ende seiner Förderdauer, denn in den Medienberichten ist nicht von einer Weiterförderung die Rede. 
Obgleich in Rheinland-Pfalz außer Trier zahlreiche römische und mittelalterliche Städte liegen, ist keine Rede davon, das Stadtkataster auf andere Städte zu übertragen. Rheinland-Pfalz dürfte aber ohnehin das Bundesland sein, in dem die Stadtarchäologie den geringsten Stellenwert hat.

Auffallenderweise ist auch wieder einmal nur vom römischen Erbe die Rede. Wie so oft in Rheinland-Pfalz spielt die Archäologie des Mittelalters (und erst recht der Neuzeit!) auch heute bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Röomer sind hipper als Napoleon. In Trier deutet schon die Bezeichnung des Grabungsschutzgebietes "Archäologisches Trier der römischen Zeit und seine bauliche Entwicklung bis in die frühe Neuzeit" an, dass den jüngeren Perioden nur in Bezug auf das antike Erbe Bedeutung zukomme. Eine Publikation von 2021 hat ernsthaft vorgeschlagen das römische Erbe von Trier durch Freistellung - das heißt Abriß nachantiker Bausubstanz - zu fördern (Breitner 2021). Das klingt sehr arrogant und nach 19. Jahrhundert...


Freistellung von Geschichte ist Zerstörung von Geschicht
Das mittelalterliche Simeonsstift in Trier ist verschwunden zugunsten der römischen Porta Nigra
(Graphik oben: Merian, Foto unten: R. Schreg)

 

Literaturhinweis

  • Breitner 2021: G. Breitner, Trier - Wahrnehmung und Inszenierung einer urbanistischen Entwicklung. In: H. von Hesberg/J. Kunow/T. Otten (Hrsg.),Römerstädte am Rhein - Strategien archäologischer Erzählung11. Archäologisches Gedächtnis der Städte (Regensburg 2021) 164–176. 
  • Kuhnen 2002: H.P. Kuhnen, Der neue archäologische Stadtplan des römischen Trier. Eine Zwischenbilanz des Archäologischen Stadtkatasters am Rheinischen Landesmuseum Trier. Funde und Ausgrabungen im Bezirk Trier 34. 2002 , 98-104. - DOI: https://doi.org/10.11588/fuabt.2002.0.54636
  • Kuhnen u.a. 2002: H.P. Kuhnen/ F. Unruh/ St. Pfahl, Vorstudien zum archäologischen Stadtkataster Trier : 4. Forma Urbis Trevericae. Das römische Trier in archäologischen Stadtplänen. Texte zur Sonderausstellung des Rheinischen Landesmuseums Trier. (Trier 2002)
  • Unruh 2002: F. Unruh, "Ad fontes": Zum Stand der Arbeiten am archäologischen Stadtkataster Trier. Funde und Ausgrabungen im Bezirk Trier 34. 2002 , 106-112. -  DOI: https://doi.org/10.11588/fuabt.2002.0.54637

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Montag, 21. August 2023

Ein Bärendienst für den Kampf gegen Raubgrabungen und Antikenhehlerei

Die Behauptung, dass der illegale Handel mit Antiken sei nach Waffen und Drogen der drittgrößte, wird oft wiederholt. Aber woher stammt diese Behauptung und welche Beweise gibt es für ihre Richtigkeit? 

Donna Yates und Neil Brodie gehen der Frage in einem Artikel in Antiquity nach. Sie präsentieren eine "stratigraphische Ausgrabung" der Behauptung, indem sie systematisch wissenschaftliche Artikel, populäre Medienartikel und politische Dokumente sichten, um die Verwendung und Wiederverwendung des "Faktoids" in den letzten fünf Jahrzehnten aufzudecken. 

  • D. Yates and N. Brodie, “The illicit trade in antiquities is not the world's third-largest illicit trade: a critical evaluation of a factoid,” Antiquity 97 (2023) 991–1003. - DOI: https://doi.org/10.15184/aqy.2023.90 

Die Autoren stellen fest, dass die Behauptung nicht auf irgendwelchen Originalforschungen oder Statistiken beruht und nicht von zuständigen Behörden stammt. Insbesondere die Angaben bei Interpol, die 2005 selbst darauf aufmerksam gemacht haben, dass es keine brauchbaren Statistike dazu gäbe, blieben ohne Referenz auf konkrete Daten oder wenigstens begründete Schätzungen. Auf die Angabe bei Interpol habe ich mich auch auf Archaeologik schon bezogen - wenn auch mit dem Hinweis, das das kaum beweisbar sein könne (Archaeologik 13.8.2018). Damals ging es um die Behauptung, der Antikenhandel diene entscheidend auch der Terrorfinanzierung. Dies war im Kontext des Bürgerkriegs in Syrien eine häufig wiederholte Aussage, die insbesondere vom Kunsthandel angezweifelt wurde. Die Tatsache, dass sich Terroristen auch aus dem Handel mit Antiken finanzieren, ist inzwischen allerdings mehrfach nachgewiesen (vgl. Archaeologik 13.8.2018; Archaeologik 27.8.2015; Archaeologik 29.11.2018).

Die Analyse von Yates und Brodie zeigt, wie die unkritische Wiederholung unbegründeter "Fakten" legitime Bemühungen zur Verhinderung von Plünderungen, Schmuggel und illegalem Verkauf von Antiken untergraben kann. Die Lobby-Arbeit greift solche Schwachpunkte der archäologischen Position gerne auf, um zu ihren Gunsten Politik zu machen - und lenkt damit auch erfolgreich immer wieder davon ab, dass es letztlich nicht um Geldsummen, sondern um zerstörte archäologische Kontexte geht. 

In den Schlußfolgerungen ihrer Arbeit schreiben Ytes und Brodie:

"Die Vorstellung, dass die Schwere der Kriminalität vergleichend am Geldwert und nicht am Schaden für die Gesellschaft gemessen werden sollte, ist beunruhigend. Antiken und andere Kulturgüter sind grundlegende Bestandteile unseres Erbes und unserer Identität. Wir müssen ihren illegalen Handel nicht finanziell bewerten, um die sozialen Schäden noch schlimmer zu machen. Alles in allem zeugt das Fortbestehen dieser und ähnlicher Tatsachen, die sich auf die Quantifizierung des illegalen Handels mit Antiken und Kulturgütern im Allgemeinen durch Finanzvergleiche konzentrieren, auf einen schwerwiegenden Mangel im öffentlichen Verständnis und damit in unserer öffentlichen Darstellung der mit Plünderung und Menschenhandel verbundenen Schäden. Das öffentliche Verständnis und die Politik müssen auf Beweisen und nicht auf Rhetorik basieren. Zu diesem Zweck benötigen wir hochwertige Daten und Expertenanalyse, um die Faktoiden zu ersetzen, die derzeit im öffentlichen Diskurs verankert sind. Wir müssen auch die Ergebnisse dieser Analyse auf klare und aussagekräftige Weise kommunizieren und aufhören, träge zu wiederholen, was mittlerweile ein diskreditiertes Faktoid sein sollte."

 

 

(Foto: R. Schreg, 2013)

 

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Donnerstag, 17. August 2023

Strategien archäologischer Erzählung vergessen Publikum und Inhalte

H. von Hesberg/J. Kunow/T. Otten (Hrsg.)

Römerstädte am Rhein - Strategien archäologischer Erzählung.

Schriftenreihe des Arbeitskreises der Bodendenkmalpflege der Fritz Thyssen Stiftung 4

(Regensburg: Schnell & Steiner  2021).

256 Seiten

ISBN 978-3-7954-3644-5.

Im Jubiläumsband 100 der Germania ist meine Rezension zu einem wichtigen Band über die Rezeption und Präsentation des römischen Erbes in den römischen Städten am Rhein erschienen;

  • R. Schreg, Rezension zu: Henner von Hesberg / Jürgen Kunow / Thomas Otten (Hrsg.), Römerstädte am Rhein. Strategien archäologischer Erzählung. Germania 100, 2022/23, 450–454. - https://doi.org/10.11588/ger.2022.99156

Meine Kritikpunkte in Kürze und nochmals zugespitzt: Stadtarchäologie wird hier zu sehr auf die "Aura" des Alten/ der Römerzeit verkürzt, die mir doch eher als romantisch-esoterische Kategorie erscheint, die sich bestenfalls einer bürgerlichen Minderheit erschließt, aber wenig als ein wissenschaftliches Konzept taugt. Erschreckend wenig werden die Interessen der Stadtbewohner berücksichtigt, zumal wenn zumindest in einem der Beiträge empfohlen wird, mit Freistellungen das römische Erbe besser in Szene zu setzen - ein Konzept aus den Tiefen des Kolonialismus und Imperialismus, das in seiner Arroganz ganz gewiss nicht der Akzeptanz der Archäologie förderlich ist. „Strategien archäologischer Erzählung“ werden ganz praktisch im Sinne einer Inszenierung verstanden, aber zuerst müsste man darüber nachdenken, was denn eigentlich die Erzählung ist, die es zu vermitteln gilt/ die man vermitteln will. Vielen der Autoren geht es ganz selbstverständlich um Identitätsstiftung. Kann das wirklich heute noch Aufgabe der Archäologie sein?

Geschichte reduziert: Trier, Porta Nigra
(Graphik oben: Merian, Foto unten: R. Schreg)


Inhaltsverzeichnis

  • Henner von Hesberg, Jürgen Kunow, Thomas Otten: Vorwort
  • Ulrike Wulf-Rheidt: Einführung
  • Heinrich Böll: Der Rhein
  • Dirk Schmitz: Köln in der frühen Kaiserzeit - Von den Anfängen bis zur Gründung der Colonia. Kontroversen und neue Ergebnisse
  • Alfred Schäfer: Köln. Stadtprospekt und Stadtgedächtnis
  • Thomas Höltken: Köln - Vom Ende der römischen Herrschaft bis in die karolingische Zeit
  • Marcus Trier: Vom städtischen Selbstbewusstsein und dem Umgang mit der römischen Vergangenheit in Köln
  • Eva Kimminich: Kulturschutt und History-Hacking: Vom Recyceln und Kommerzialisieren vergangener Zeiten
  • Alain Schnapp: Gaulois, romains et monuments: La recherche d'une identité en France et en Allemagne de la Renaissance aux débuts du XXe siède
  • Guido Lassau: Das römische Basel - nur ein Teil der Geschichte
  • Andreas Schwarting: Konstanz und seine römische Vergangenheit.
  • Identitätskonstruktionen zwischen Befund und Legende
  • Gertrud Kuhnle und Sebastian Ristow: Die Römerzeit in Straßburg entdecken?
  • Georg Breitner: Trier - Wahrnehmung und Inszenierung einer urbanistischen Entwicklung
  • Gudrun Escher: Quo vadis Xanten - Römerstadt? Siegfriedstadt? Domstadt? Kurstadt?
  • Harry van Enckevort; Von Ulpia Noviomagus nach Nijmegen. Die Darstellung der römischen Vergangenheit
  • Norbert Nußbaum: Resümee
  • Mitglieder des Arbeitskreises: Das italienische Modell: Formen der Valorisierung von Bodendenkmälern in Rom, Neapel und Pozzuoli - Eindrücke auf einer Exkursion im September 2017
  • Zusammenfassungen
  • Abstracts


Dienstag, 1. August 2023

Fortschrittlich? Homo naledi und der Wandel im wissenschaftlichen Publikationswesen

Im Jahre 2015 wurde durch den südafrikanischen Anthropologen Lee Berger eine neue Menschenart beschrieben: der homo naledi. Nachdem Netflix die Dokumentation "Cave of Bones" ("Die Knochenhöhle") gestreamt hat, hagelt es Kritik.

Auf netflix werden von Berger und seinem Team einige Thesen mit Bestimmtheit vorgestragen, die unter Kollegen weitgehend auf Kritik stoßen. Homo naledi weißt urtümliche Züge auf, die anfangs eine frühe Datierung um 2,5 Mio Jahren vor heute nahe gelegt hatten. 2017 verwiesen naturwissenschaftliche Datierungen von der Fundstelle, der Rising Star-Höhle (Dinaledi-Höhle) aber auf wesentlich jüngere Datierungen zwischen ca. 330-240.000 Jahren vor heute. Damit wäre homo naledi mit "alterümliochen" Zügen ein Zeitgenosse des frühen homo sapiens (Wild 2017).. Kontrovers ist nun, dass Berger et al. behaupten, die Funde aus der Rising Star-Höhle seien reguläre Bestattungen  (Berger et al. 2023). und er habe Kunst hinterlassen (Berger et al. 2023).

Die von Berger gewählten Publikationsformen sehen eine sofortige Publikation mit beigestellten Reviews vor. So kommentiert einer der Reviewer Berger et al. 2023 folgendermaßen: 

"Overall, there is not enough evidence to support the claim that Homo naledi intentionally buried their dead inside the Rising Star Cave system. Unfortunately, the manuscript in its current condition is deemed incomplete and inadequate, and should not be viewed as finalized scholarship."

Ein anderes Review konstatiert, det Artikel

"does not meet the standards of our field. The paper is hard to follow. It lacks key citations, contextual background information to inform the reader about the geological and depositional structure of the caves, and concise understandable descriptions of the methods and the significance of the results."

Kritik und Schwächen werden also transparent, auch der Umgang der Autoren damit. Aus ihrem Statement wird klar, dass in einer anderen Zeitschrift bereits ein Peer Review mit 4 Reviewern durchgeführt wurde, bei denen 3 eine Publikation mit kleineren Änderungen empfohlen haben, einer jedoch eine Ablehnung. Die Autoren haben sich daher für eine transparente Publikation auf elife entschieden, wo Reviews begleitend publiziert werden, aber nicht zu einer Ablehnung des Artikels führen. Eine Überarbeitung nach den Empfehlungen der Reviewer ist letztlich freiwilllig.

Das ist Teil einer neuen Publikationsstrategie, die eLife derzeit testet:

Der Artikel Berger et al. 2023a zu den Ritzungen wurde im Mai eingereicht, am 5. Juni 2023 auf bioXriv als preprint publizietr und durch die eher skeptischen Reviews ergänzt. Danach entschieden die Autoren unter Berücksichtigung der über die endgültige Version, die seit dem 12.  Juli auf eLife online steht.Vorgenommen wurden eher kosmetische Änderungen, an den grundlegenden Aussagen wurde ohne neue Argumentation festgehalten, lediglich in einem Statement wurde die Kritik kommentiert.

Parallel wurde der zweite Artikel Berger et al. 2023, der Bestattungen belegen möchte, eingereicht und zunächst auf bioXriv und dann auf eLifre publiziert. Ein dritter Artikel (Fuentes et al. 2023) führt die beiden Artikel zusammen. Auch er wurde mit denselben Daten von Einreichung, preprint auf bioXriv und Publikation auf eLife prozessiert.

"Homo naledi"
(Foto: Lee Roger Berger research team [CC BY 4.0] via Wikimedia Commons)

 

Nach Lee Berger und seinem Team zeigen die neuen Forschungen im Höhlensystem von Dinaledi/ Rising Sun eines der frühesten Beispiele einer Bestattungspraxis bei Homininen und liefern den frühesten Beweis für mehrfache Bestattungen und Bestattungshandlungen. Zudem werten sie die Befunde als Beweise für die frühe Sinnstiftungen durch den kleinhirnigen Homo naledi. Diese Daten stellen mehrere wichtige Annahmen über die Verhaltens- und kognitive Entwicklung pleistozäner Homininen in Frage. Die Befunde aus Dinaledi sollen die zeitlichen Ursprünge von Bestattungs- und Bestattungsverhalten zeitlich weit zurück datieren. Dass  dieser Aktivitäten mit der kleinhirnigen Art Homo naledi verbunden sein sollen,  widerspricht der Auffassung dass technologische und kognitive Fortschritte in der menschlichen Evolution ausschließlich mit der Entwicklung größerer Gehirne verbunden sei.

Die Kritik in den verschiedenen Reviews verweist hingegen darauf, dass die Skelettreste des homo naledi nicht einer einzigen Art angehören müssen, dass keine eindutigen Belege für die Intentionalität der Leichenablagerung vorliegen und Untersuchungen zur Datierung der Felsritzungen fehlen.

Die Netflix-Folge lief am 17.7., also fünf Tage nach der geballten, die Reviews letztlich übergehenden Publikationen der drei Artikel.

Der übliche Vorwurf, dass Medien bedient werden, noch bevor eine wissenschaftliche Publikation erfolgt, wurde damit formal umgangen.

Ist aber das ganze, durchaus etwas suspekte Vorgehen ein Problem des neuen Publikationssystems? Es kann offenbar dazu führen, dass Kritik nicht ernsthaft aufgegriffen wird und die Qualitätssicherung nur  bedingt gelingt. Die Reviews und auch die Entgegenungen der Autoren haben keine eigene doi, sind also nur schwer zu verlinekn und zu zitieren. 

Kritik, an dem Vorgang äußert ein Artikel, erschienen in Nature, also in einer Zeitschrift, die das klassische Geschäftsmodell kommerzieller Wissenschaftsverlage vertritt: und für die OpenAccess-Zeitschriften wie eLife natürlich auch eine gefährliche Konkurrenz sind, wenn sie soch wichtige Themen wie die Forschungen um homo naledi an sich ziehen.

Hier kommen die Reviewer, die sich zu erkennen gaben, zu Wort. Dabei zeigt sich, dass die Bereitschaft, Reviews vorzunehmen natürlich sinkt, wenn die Kritik nicht aufgegriffen wird.

 


Lee Berger und Australopithecus sediba 2011
(Foto Brett Eloff, courtesy of Lee R. Berger and the University of the Witwatersrand,
CC BY SA 3.0 via WikimediaCommons)


Die Kommentare zum Artikel im Standard befassen sich natürlich mehr mit der Qualität der Netflix-Dokumentation , die ja mit Kleopatra schon gelitten hat. Deutlich wird aber auch, dass solch ein Übergehen von Reviews dem Vertrauen in die Wissenschaft nich förderlich ist.


Literaturhinweise

  • Berger et al. 2023: L. R. Berger / T. Makhubela / K. Molopyane / A. Krüger / P. Randolph-Quinney / M. Elliott / B. Peixotto / A. Fuentes / P. Tafforeau / V. Beyrand / K. Dollman / Z. Jinnah / A. Brewer Gillham / K. Broad / J. Brophy / G. Chinamatira / P. H. M. Dirks / E. Feuerriegel / A. Gurtov / N. Hlophe / L. Hunter / R. Hunter / K. Jakata / C. Jaskolski / H. Morris / E. Pryor / M. Ramaphela / E. Roberts / J. S. Smilg / M. Tsikoane / S. Tucker / D. van Rooyen / K. Warren / C. D. Wren / M. Kissel / P. Spikins / J. Hawks, Evidence for deliberate burial of the dead by Homo naledi. eLife   (12.7.2023). - https://doi.org/10.7554/eLife.89106.1
  • Berger et al. 2023a: L. R. Berger / J. Hawks / A. Fuentes / D. van Rooyen / M. Tsikoane / M. Ramalepa / S. Nkwe / K. Molopyane, 241,000 to 335,000 Years Old Rock Engravings Made by Homo naledi in the Rising Star Cave system, South Africa (2023).
    reviewed preprint auf bioXriv https://doi.org/10.1101/2023.06.01.543133 (5.6.2023)
    eLife    (12.7.2023) . - https://doi.org/10.7554/eLife.89102.1
  • Fuentes et al. 2023 : A. Fuentes / M. Kissel / P. Spikins / K. Molopyane / J. Hawks / L. R. Berger, Burials and engravings in a small-brained hominin, Homo naledi, from the late Pleistocene: contexts and evolutionary implications. eLife  (12.7.2023) . - https://doi.org/10.7554/eLife.89125.1.
  • Wild 2017: S. Wild, Small-brained early human lived more recently than expected. Nature, 2017. - doi.org\10.1038/nature.2017.21961

Interne Links 

Auf Archaeologik habe ich die Publikationen zu homo naledi bereits 2015 angesprochen, da der Fall interessante Verquickungen von Publikationsstrategien, Kommerzialisierung und Medialisierung zeigt - nebst vielleicht auch einer politisch motivierten Forschungsförderung.

Netflix: