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Donnerstag, 31. August 2023

Fehlbestände im British Museum: Ein gigantischer Museumsraub - oder viele kleine museale Alltagsprobleme?

Dem British Museum (BM) sind rund 1500-2000 Kleinobjekte abhanden gekommen - offenbar über die letzten zehn Jahre hinweg. 2021 wurde das BM von einem dänischen Antikenhändler darauf hingewiesen, dass bereits seit 2014 Objekte des BM auf ebay zu finden seien. Vieles hat er gekauft und laut Medienberichten mit Gewinn weiter verkauft.  Einige Objekte konnte er jedoch in Katalogen des BM identifizieren. Erste interne Ermittlungen des BM blieben allerdings ergebnislos, da einige der als gestohlen deklarierten Objekte tatsächlich im Depot gefunden werden konnten. Dem Vorfall wurde deshalb keine besondere Bedeutung zugemessen, der Händler nicht ernst genommen.

Immerhin wurden 70 Objekte auf ebay gesichtet, für die eine Herkunft aus dem BM wahrscheinlich zu machen war.

Daraufhin informierte dieser den Beirat des BM, so dass schließlich die Polizei ermittelte und einen wesentlich größeren Verlust konstatierte. Der Verdacht fiel auf einen langjährigen, renommierten Mitarbeiter, der als Kurator für griechische und römische Kultur zuletzt unter anderem für die Elgin Marbles zuständig war. Er wurde entlassen, doch betont die Familie seine Unschuld.

Inzwischen ist der Direktor des BM zurückgetreten.

 

Eingangshalle des British Museum London
(CC0 via Pixabay.de)

 

Welche Objekte genau abhanden gekommen sind, wurde bislang nicht im Detail bekannt gegeben. Sie befanden sich nicht in der Ausstellung, sondern im Magazin. Vollständigkeit und Tauglichkeit der Inventarisierung werden nun angezweifelt. Bei den Gegenständen soll es sich allgemein um Goldmünzen und -schmuck, Silberketten, Keramikstücke sowie Juwelen aus Halbedelsteinen und Glas handeln - vom 15. Jh. v.Chr . bis zum 19. Jh. n.Chr. 

Das ist ein auffallend breites Spektrum und ausgesprochen vage. Zu vermerken ist zudem, dass die Zahlen - sie sollen bei um die 2000 Stück liegen - keine Einschätzung über das tatsächliche Ausmaß geben. 935 Stück Edelsteine sind etwas anderes als 950 Keramikscherben, bei denen eine Einzelinventarisation oft jenseits des Leistbaren liegt und deren Wert vor allem in den Kontextinformationen liegt.

Meines Erachtens spricht das wohl eher breite Spektrum und der lange Zeitraum gegen die Idee eines Einzeltäters. Dem Verdächtigten wird als Motiv daher auch einfach  "Kleptomanie" unterstellt. 

Wenn jetzt im BM relativ schnell einzelne Objekte wieder aufgefunden wurden, spricht dies für eine nachlässige Organisation und eine laxe Handhabung mit dringendem Handlungsbedarf. Das hat aber als Skandal ganz andere, weit geringere Qualitäten als der Verlust hochwertiger Einzelstücke aus regulären Ausstellungen oder Magazinen. Dass nach wenigen Tagen einige Funde mit Hilfe befreundeter Kollegen wieder aufgetaucht sind, spricht dafür, dass vieles nicht gestohlen, sondern einfach im nicht so unüblichen Chaos wissenschaftlicher Bearbeitungen untergegangen ist. 

Einiges wurde sicher geklaut, anderes offenbar jedoch nicht. Hier würde ich mir eine Differenzierung wünschen, denn unter dem Eindruck eines vermeintlich riesigen Raubs durch einen Mitarbeiter besteht das Risiko, dass die Chance einer Problemanalyse und -lösung ungenutzt bleibt und ggf. sogar die Arbeit mit den Museumsobjekten weiter erschwert wird.

 

Umgang mit Studiensammlungen

In einigen der Berichte klingt an, dass es sich eben um Funde aus Studiensammlungen gehandelt hat und nicht, um inventarisierte, magazinierte Preziosen. Zu den Funktionen einer Studiensammlung gehört es, dass sie ohne große Hürden zugänglich ist, ggf. auch Stücke kurzfristig ausgeliehen werden können - zum Schutz höherrangiger oder wertvollerer Objekte. Wie das BM dies in der Vergangenheit gehandhabt hat, ist mir nicht bekannt.

Zweck von Studiensammlungen ist es idealerweise, zur Bestimmung neuer Funde vergleichend originale Referenzstücke heranziehen zu können. Da auch die neuen archäologischen Funde musealen-konservatorischen Reglements unterliegen, zudem möglicherweise erst im Prozess der Inventarisation oder Konservierung sind, sind es eher die Stücke der musealen Sammlung, die transportfähig und ausleihbar sein sollten. Idealerweise sind solche Stücke nicht die wertvollsten und kontextuell einmaligen Stücke. Durch die Vielzahl der Benutzer sind Studiensammlungen aufwändiger in Ordnung zu halten.

Daraus ergeben sich für solche Studiensammlungen de facto - wenn auch meist nicht formell - niedrigere Standards des Leihverkehrs im Interesse einer funktionierenden, effektiven Forschung. Dass in einer Vergleichs- oder Studiensammlung größere Risiken des Verlusts oder der Beschädigung bestehen, ist geradezu ein Kennzeichen solcher Sammlungen. 

 

Die Bedeutung der Inventarisation

Allerdings macht die Situation im BM auch deutlich, dass die Inventarisation der Museumsbestände unzureichend ist. Jenseits des schönen digitalen Katalogs fehlt es offenbar an der Grunderfassung auch der Altbestände. Darauf war schon vor 20 Jahren hingewiesen worden. 

Inventare waren in der Vergangenheit vor allem ein Besitznachweis und damit ein ungeliebter Verwaltungsakt, der der Öffentlichkeit auch verborgen blieb. Zu viel Aufwand im Inventar, war Zeit, die bei den "vornehmeren" Aufgaben der Museumsarbeit fehlte. Viele Museen verfügen über Altinventare, die gemäß der damaligen technischen und finanziellen Möglichkeiten ohne Fotos auskommen mussten. Oft sind nur Konvolute erfasst, ohne die Objekte einzeln aufzuführen. Das scheint auch im BM mit einigen geschenkten Objektsammlungen so gehandhabt worden zu sein. Damit fehlt nun die Möglichkeiten, den Besitz abhanden gekommener Objekte nachzuweisen und gezielt danach zu fahnden.   Selbst ein Haus wie das BM dürfte die erforderlichen personellen Kapazitäten nicht aus dem Ärmel schütten. Ein öffentliches Online-Inventar würde diese Arbeit aufwerten und hätte - richtig gemacht - einen Wert für Publikum und Forschung (vgl. Archaeologik 26.3.2023). Damit werden freilich auch jene Objekte sichtbar, die man in der Vergangenheit ob unklarer Provenienzen nur zögerlich gezeigt hat (vgl. Archaeologik 13.3.2023). Die größere Transparenz wäre Diebstahlschutz einerseits, andererseits aber auch ein wichtiger Schritt in die Gesellschaft.  

 

weitere Aufklärung

Es sind im BM erst mal eingehende Aufklärungen notwendig. Die Geschichte eines einzigen gigantischen Museumsraubs von einem internen Einzeltäter ist die medial attraktivere Geschichte als Defizite in der alltäglichen Museumsarbeit. Letzteres ist mit dem Stigma einer Unprofessionalität verbunden und würde dem Ruf der Institution wohl eher Schaden als ein Raub. 

Es wäre schön, wenn der Raub Anlaß wäre, Aufgaben von Museen gerade auch in ihrer Rolle als Archiv und Ort der Forschung neu zu reflektieren und darzustellen - und auch offen darzustellen mit welchen personellen und finanziellen Mitteln dies aktuell auskommen muss. 

 


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Rückgabeforderungen

 Der Vorfall zieht zahlreiche Rückgabeforderungen von Raubkunst nach sich:

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