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Montag, 21. August 2023

Ein Bärendienst für den Kampf gegen Raubgrabungen und Antikenhehlerei

Die Behauptung, dass der illegale Handel mit Antiken sei nach Waffen und Drogen der drittgrößte, wird oft wiederholt. Aber woher stammt diese Behauptung und welche Beweise gibt es für ihre Richtigkeit? 

Donna Yates und Neil Brodie gehen der Frage in einem Artikel in Antiquity nach. Sie präsentieren eine "stratigraphische Ausgrabung" der Behauptung, indem sie systematisch wissenschaftliche Artikel, populäre Medienartikel und politische Dokumente sichten, um die Verwendung und Wiederverwendung des "Faktoids" in den letzten fünf Jahrzehnten aufzudecken. 

  • D. Yates and N. Brodie, “The illicit trade in antiquities is not the world's third-largest illicit trade: a critical evaluation of a factoid,” Antiquity 97 (2023) 991–1003. - DOI: https://doi.org/10.15184/aqy.2023.90 

Die Autoren stellen fest, dass die Behauptung nicht auf irgendwelchen Originalforschungen oder Statistiken beruht und nicht von zuständigen Behörden stammt. Insbesondere die Angaben bei Interpol, die 2005 selbst darauf aufmerksam gemacht haben, dass es keine brauchbaren Statistike dazu gäbe, blieben ohne Referenz auf konkrete Daten oder wenigstens begründete Schätzungen. Auf die Angabe bei Interpol habe ich mich auch auf Archaeologik schon bezogen - wenn auch mit dem Hinweis, das das kaum beweisbar sein könne (Archaeologik 13.8.2018). Damals ging es um die Behauptung, der Antikenhandel diene entscheidend auch der Terrorfinanzierung. Dies war im Kontext des Bürgerkriegs in Syrien eine häufig wiederholte Aussage, die insbesondere vom Kunsthandel angezweifelt wurde. Die Tatsache, dass sich Terroristen auch aus dem Handel mit Antiken finanzieren, ist inzwischen allerdings mehrfach nachgewiesen (vgl. Archaeologik 13.8.2018; Archaeologik 27.8.2015; Archaeologik 29.11.2018).

Die Analyse von Yates und Brodie zeigt, wie die unkritische Wiederholung unbegründeter "Fakten" legitime Bemühungen zur Verhinderung von Plünderungen, Schmuggel und illegalem Verkauf von Antiken untergraben kann. Die Lobby-Arbeit greift solche Schwachpunkte der archäologischen Position gerne auf, um zu ihren Gunsten Politik zu machen - und lenkt damit auch erfolgreich immer wieder davon ab, dass es letztlich nicht um Geldsummen, sondern um zerstörte archäologische Kontexte geht. 

In den Schlußfolgerungen ihrer Arbeit schreiben Ytes und Brodie:

"Die Vorstellung, dass die Schwere der Kriminalität vergleichend am Geldwert und nicht am Schaden für die Gesellschaft gemessen werden sollte, ist beunruhigend. Antiken und andere Kulturgüter sind grundlegende Bestandteile unseres Erbes und unserer Identität. Wir müssen ihren illegalen Handel nicht finanziell bewerten, um die sozialen Schäden noch schlimmer zu machen. Alles in allem zeugt das Fortbestehen dieser und ähnlicher Tatsachen, die sich auf die Quantifizierung des illegalen Handels mit Antiken und Kulturgütern im Allgemeinen durch Finanzvergleiche konzentrieren, auf einen schwerwiegenden Mangel im öffentlichen Verständnis und damit in unserer öffentlichen Darstellung der mit Plünderung und Menschenhandel verbundenen Schäden. Das öffentliche Verständnis und die Politik müssen auf Beweisen und nicht auf Rhetorik basieren. Zu diesem Zweck benötigen wir hochwertige Daten und Expertenanalyse, um die Faktoiden zu ersetzen, die derzeit im öffentlichen Diskurs verankert sind. Wir müssen auch die Ergebnisse dieser Analyse auf klare und aussagekräftige Weise kommunizieren und aufhören, träge zu wiederholen, was mittlerweile ein diskreditiertes Faktoid sein sollte."

 

 

(Foto: R. Schreg, 2013)

 

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