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Freitag, 30. April 2021

Demokratie ins Museum?

2016 ging der Rheinland-Pfälzische  Landtag ins Exil. Das Landtagsgebäude sollte renoviert werden und man kam überein, dass er vorübergehend in der Steinhalle des Mainzer Landesmuseums tagen sollte. Vorübergehend.

Überlegungen, mit den archäologischen Ausstellungen zusammen mit dem RGZM an den Südrand der Stadt umzuziehen, wurden fallen gelassen. Die Steinhalle - die ehemalige Reithalle des Kurfürstlichen Marstalls - mit ihrer großen Raumhöhe war und ist der geeignete Platz, die über 9 m hohe Mainzer Jupitersäule zu präsentieren.

Jetzt will der Landtag nicht mehr ausziehen, sondern seine eigene Geschichte konservieren und den Interimslandtag in ein Demokratiemuseum  verwandeln. Dass hier neben der abgebauten Jupitersäule eigentlich der Ausstellungsraum für über 2000 römische Steindenkmäler ist, die derzeit eingemottet und der Öffentlichkeit und der Wissenschaft vorenthalten sind, interessiert offenbar nicht. Schönredend ist von einer „gemeinschaftliche Nutzung der Steinhalle durch Landtag und das Landesmuseum“ die Rede: Unter der Woche Veranstaltungen des Landtags, am Wochenende Museum. Wie das mit dem verfügbaren Platz funktionieren soll, bleibt unklar. Alternativlösungen werden nicht angeboten.

Protest kommt vom Deutschen Verband für Archäologie.

Der DVA verweist auf den Denkmalcharakter der Reithalle per se, die "trotz der verheerenden Kriegszerstörungen des Zweiten Weltkriegs ein Baudenkmal ersten Ranges" darstelle, da "die kurfürstlich-erzbischöfliche Reithalle eine der größten Anlagen dieser Art im gesamten Heiligen Römischen Reich gewesen" ist. Vor allem aber geht es um "die weit über Mainz hinaus bekannte museologische Nutzung als sog. Stein-/Römerhalle. Dieses Ausstellungskonzept gilt zurecht als hoch bedeutend. In höchst authentischer Weise können Besucher*innen hier römische Steindenkmäler – darunter unter anderem ganze Bauten wie den berühmten Ehrenbogen des Dativius Victor und die noch bekanntere Mainzer Iuppitersäule für Kaiser Nero – in Originalgröße und ohne störende Schranken aus nächster Nähe betrachten." Befürchtet werden schädliche Auswirkungen auf die gesamte Mainzer Museumslandschaft. 

Eine Petition befürchtet, dass Mainz "aus der Wahrnehmung eines ganzen Wissenschaftszweiges verschwindet.  Es wird keine Exkursionen von Archäologen und Historikern aus Deutschland und dem Ausland mehr in das Landesmuseum geben, denn die Steinhalle ist dessen Herzstück. Sie ist von internationalem Rang und wird dies ausschließlich in der ehemaligen Form, nämlich der Präsentation einer überwältigend großen Zahl unmittelbarer Zeugnisse antiker Menschen, bleiben. Die Reduktion auf "kulturelle Highlights" verkennt den Aussagewert 2000 Jahre alter Grabinschriften, von Ehrungen für Götter, von Bauinschriften etc. Allein die Vielfalt und Vielzahl nimmt den Besucher ein, zeigt ihm die Parallelen und Unterschiede zur heutigen Welt. Nur die Diversität der antiken Zeugnisse vermittelt einen wirklichen, differenzierten Einblick in das Leben vor 2000 Jahren, informiert umfassend und lässt Antike nicht zu einer reduzierten Schaubühne, einer Kulisse ohne Inhalt und Wert werden."

Weiter heisst es hier: "Mit einer Umwidmung der Mainzer Steinhalle verliert das Mainzer Landesmuseum, die Stadt Mainz, ein identifikatives Alleinstellungsmerkmal."

Die Petition steht unter Openpetition zur Mitzeichnung offen:

Der Schaden entsteht aber nicht nur für die doch eher kleine wissenschaftliche Community, der an lateinischer Epigraphik Interessierten. Es ist ein Verlust, wenn wieder ein Bildungszentrum verschwindet, das unserer Gesellschaft eine Vorstellung über ihr Werden und über die Fremdheit der eigenen Vergangenheit vermittelt. Mainz, einst eines der bedeutendsten römischen Zentren am Rhein und eine der größten mittelalterlichen Städte, hat erschreckend wenige Zeugnisse seiner Vergangenheit im Stadtbild. Der endgültige Verlust der Steinhalle oder einer adäquaten Ausstellungsmöglichkeit wäre eine Tragödie. Auch ein neues RGZM kann das nicht wett machen.

Meine persönliche Meinung ist, dass wir in Mainz gelebte Demokratie brauchen, kein Demokratiemuseum, jedenfalls nicht für eine Landtagsbaustelle. Ein Demokratiemuseum in Mainz müsste sich beispielsweise kritisch mit der Mainzer Republik von 1793 befassen, ein herausragendes Kapitel der Deutschen Denokratiegeschichte.

Bedenklich ist aber auch, wie wieder einmal der didaktische Wert eines archäologischen Museums unterschätzt wird.  Eine verantwortungsvolle Demokratie kann nur funktionieren, wenn die Gesellschaft sich der Dimension der Zeit bewusst ist. Bewusstsein für die historische Zusammenhänge schafft Bewusstsein für unsere Verantwortung für die Zukunft - in Zeiten von Klimawandel, erneut aufkommenden Diskussionen um Atomenergie und einer wenig nachhaltigen Landwirtschaft ist dies ein wichtiges Gut.

Eine Stein-/ Römerhalle wäre letztlich ein Museum für die Demokratie (gerade, wenn es nüchtern-neutral-wissenschaftlich die Vergangenheit zeigt), was doch allemal besser ist, als Demokratie zu musealisieren...

 

Kopie der Großen Mainzer Jupitersäule auf dem heutigen Platz der Mainzer Republik. Das Original in der Steinhalle wurde für den Interimsplenarsaal des Landtags abgebaut.
(Foto: R. Schreg 2003)



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Sonntag, 25. April 2021

10 Jahre Archaeologik - Jubiläum Nr. 3

Jetzt sind es wirklich, wirklich 10 Jahre Archaeologik - auch ganz praktisch: Seit 10 Jahren läuft das Blog auch tatsächlcih unter dem Namen Archaeologik. Am 25. April 2011 erschien der Verweis auf Archaeologik auf der alten Plattform https://archaeologica.twoday.net 
Am 26.4.2011 erschien der erste originäre Archaeologik-Post, ein Verweis auf einen inzwischen offline gegangenen podcast des swr2 zu unseren Forschungen auf der Schwäbischen Alb (Auf den Spuren der Römer).


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Donnerstag, 22. April 2021

Auffallend laut! Der Protest der Denkmalpfleger in NRW gegen den Gesetzesentwurf der Landesregierung

Das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen hat dem Landtag in Düsseldorf im März 2021 einen Entwurf eines Nordrhein-westfälischen Denkmalschutzgesetzes (Denkmalschutzgesetz – DSchG NRW) vorgelegt.

Angeblich dient die Neufassung der Anpassung an die denkmalschutzrechtliche Rechtsprechung, an Erfahrungen aus der Anwendung des Gesetzes und der Berücksichtigung gesellschaftlicher und umweltpolitischer Erfordernisse.  Mit dem Gesetzentwurf solle das Denkmalschutzrecht "praxisorientiert "weiterentwickelt werden. Eine Evaluierung des bisherigen Gesetzes hatte 2018 allerdings festgestellt, dass sich das Gesetz „insgesamt gut bewährt“ habe.

Zum Entwurf von CDU und FDP hatte es bereits 2020 eine Anhörung gegeben, die im wesentlichen ebenfalls ergeben hat, dass sich das Denkmalschutzgesetz NRW bewährt hat und dass eine Änderung derzeit nicht erforderlich sei. Hingewiesen wurde auch, dass die Weisungsunabhängigkeit der Denkmalpflegeämter erhalten bleiben müsse um die Objektivität in allen Entscheidungen nach dem Gesetz nicht zu gefährden.

Dennoch wurde der Gesetzesentwurf von der Landesregierung weiter verfolgt und im März dem Landtag vorgelegt, ohne die noch bis 9.4.2021 laufende Frist für die Einreichung von Stellungnahmen durch Verbände und Organisationen abzuwarten.

Am 16. April 2021 hat der Landschaftsverband Rheinland LVR nun eine Pressemeldung herausgegeben, die massive Vorbehalte gegen den Gesetzesentwurf vorbringt. Hier ist die Rede von einer radikalen Beschneidung der Ämter und deren denkmalpflegerischen Kompetenz. Die Neuregelung der Ausweisung von Denkmälern weist der Fachbehörde nur noch einen Beobachterstatus zu, die Verfahren sollen von den Unteren Denkmalschutzbehörden, die oft keine eigene ausreichende Fachexpertise vorhalten können, verantwortet werden. Im Rheinland wurden bislang 90% der Anträge auf Unterschutzstellung jedoch vom LVR-Amt für Denkmalpflege initiiert.

Befürchtet wird auch eine stärkere Gefährdung archäologischer Fundstellen, denn - so wird Erich Claßen, Leiter des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege zitiert - „es droht, dass die Frage des Erhalts eines Bodendenkmals nicht mehr gestellt, sondern direkt die Ausgrabung genehmigt wird. Diese hat, auch wenn sie noch so gut durchgeführt und dokumentiert wird, immer die Zerstörung des Bodendenkmals zur Folge“.
Bemängelt wird auch die weiter ausgebaute Eigenständigkeit der kirchlichen Denkmalpflege, wo sogar die Frage der Verfassungsmäßigkeit der geplanten Regelungen aufgeworfen wird. 

„Der Gesetzentwurf lässt eine durchdachte Strategie vermissen, die auch dem Praxis-Test im Denkmalpflege-Alltag Stand hält.“, meint Milena Karabaic in der LVR-Pressemeldung vom 16.4.2021.  Zur Frage, warum ein bewährtes, eingespieltes und gut funktionierendes System ohne erkennbaren Grund aufgegeben würde, notiert die Pressemeldung: "Vor allem in Fachkreisen wird – mit Blick auf den Aufgabenzuschnitt der zuständigen Ministerin – eine mögliche Einflussnahme starker Lobbyisten, zum Beispiel aus der Bauwirtschaft oder den Kirchen, vermutet."

Die klare Stellungnahme von Fachbehörden gegen das zuständige Ministerium ist bemerkenswert, da so ansonsten in den hierarchischen Behördenstrukturen nicht möglich und üblich. Die Rolle der Landschaftsverbände als Teil der kommunalen Selbstverwaltung eröffnen den betreffenden Ämtern hier einen Handlungsspielraum und eine Meinungsfreiheit, die so sonst kaum gegeben ist.

In die Stellungnahme  haben sich neben Milena Karabaic, der Dezernentin Kultur und Landschaftliche Kulturpflege des LVR auch die Leiter der Ämter für Denkmalpflege und für Archäologie Dr. Andrea Pufke und Dr. Erich Claßen eingebracht. Auch der Landschaftsverband Westfalen-Lippe positioniert sich - deutlich vorsichtiger - gegen das Gesetz. Die LWL-Kulturdezernentin  Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger und Dr. Holger Mertens, Leiter der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen, öffentlich Stellung gegen das Gesetzesentwurf bezogen. Die Website des LWL greift diese Kritik in einem leider nicht ganz so klar strukturierten und pointierten Beitrag auf.

Der Gang an die Öffentlichkeit fällt den Beteiligten vermutlich nicht leicht. 2013, als es in NRW um massive Kürzungen in der Denkmalpflege durch die damalige rot-grüne Landesregierung ging, rief der Gang an die Öffentlichkeit durch die DGUF größte Bedenken hervor. Letztlich war dies aber überraschend erfolgreich - vielleicht ein Teil des Umdenkens?  Um eine Lobby für die Denkmalpflege und Archäologie zu gewinnen, ist Transparenz und Öffentlichkeit (auch bei kritischen Themen) dringend notwendig - insofern ist dies ein richtiger Schritt (vergl. Schreg 2013).

Noch etwas ist bemerkenswert. Als die jetzige Landesregierung unter dem jetztigen Kanzlerkandidaten Armin Laschet angetreten ist, wollte sie in ihrem Koalitionsvertrag demonstrativ die Denkmalpflege stärken (vgl. Archaeologik 19.6.2017), um sich gegenüber den Ereignissen von 2013 abzusetzen. Jetzt macht Sie das Gegenteil.

Nicht alles ist übrigens schlecht in dem Entwurf. Das Schatzregal sieht Finderlohn vor - Raubgrabungen werden dabei explizit ausgenommen. Anderes fehlt aber einfach: Der Gesetzesentwurf berücksichtigt nicht die immer wieder vorgetragene Notwendigkeit eines Verbandsklagerechtes, das letztlich bei den üblichen Kompromissaushandlungen zu einer Stärkung der Position der Fachämter beitragen würde. Nicht geändert wird das Verursacherprinzip, von dem auch im neuen Entwurf die Gewinnung von Bodenschätzen, trotz der hier vorgesehenen Sonderreglungen weiterhin nicht ausgenommen ist. In der Praxis freilich funktioniert dies nicht, da mit einem fragwürdigen Vertrag zwischen Landesregierung und Braunkohle diese vom Verursacherprinzip de facto gegen Einrichtung der Stiftung zur Förderung der Archäologie im Rheinischen Braunkohlerevier freigesprochen wurde. Wichtige Felder, in denen tatsächlich Handlungsbedarf bestünde, bleiben im Gesetzesentwurf also unberücksichtigt.


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Dienstag, 13. April 2021

Altflurrelikte als historische Quelle

Die Landwirtschaft ist unsere Lebensgrundlage. Durch Technisierung und Industrialisierung hat sie sich jedoch in den letzten Generationen radikal verändert und stellt uns heute vor zahlreiche Umweltprobleme wie Überdüngung und Nitratbelastung der Böden, Erosion oder Artensterben. Die Kenntnis vergangener Wirtschaftsweisen kann helfen zu erkennen, wo Risiken und Chancen liegen und wie sensibel Agrarökosysteme auch ohne moderne industrielle Bewirtschaftung sind.

Traditionelles Wissen zu landwirtschaftlichen Praktiken geht verloren, Da Schriftquellen nur wenige, allenfalls punktuelle Einblicke in frühere Landnutzung ergeben sind Kulturlandschaftsrelikte wichtige historische Quellen, die es zu erforschen und zu erhalten gilt.

Altflurrelikte gibt es in großer Zahl. Sie sind schwer zu datieren und zu erforschen, besitzen aber dennoch ein großes Aussagepotenzial für vergangene Landnutzungspraktiken. Ich setze mich schon länger mit dem Thema auseinander (vergl. Feld-, Wald- und Wiesenarchäologie - Antrittsvorlesung publiziert. Archaeologik 12.1.202), weil mich einerseits das Potenzial fasziniert, mehr über die Agrargeschichte allgemein, andererseits aber auch zur jeweiligen lokalen Siedlungsgeschichte im besonderen zu lernen.

Nach der weiträumigen Perspektive der Feld-, Wald- und Wiesenarchäologie ist num ein Artikel von mir im Nachrichtenblatt der Denkmalpflege in Baden-Württemberg erschienen. Hier geht es nun um die Situation in Südwestdeutschland, insbesondere um die Wölbäcker.

Wölbäcker stehen für eine mittelalterliche Veränderung der Agrarlandschaft, wenn auch noch immer nicht ganz klar ist, wie diese genau einzuordnen ist. Im selben Heft ist vor meinem Beitrag ein Aufsatz von Richard Vogt abgedruckt, der Wölbäcker am Federsee vorstellt, für die eine relativ frühe Datierung in die späte Merowinger- oder frühe Karolingerzeit wahrscheinlich gemacht werden konnten.

Dennoch scheint es aktuell naheliegend, die Wölbäcker eher im Kontext der Entwicklung der Gewannfluren und der Dreizelgenwirtschaft und indirekt der Dorfgenese überwiegend des 12./13. Jahrhunderts zu sehen. Hier wird man freilich landschaftlich stärker differenzieren und die lokalen Sozial- und Herrschaftsverhältnisse berücksichtigen müssen. Derzeit sieht es auch so aus, als sei die Einführung der Dreizelgenwirtschsft keineswegs der große agrartechnologische Fortschritt, die die Forschung hier lange gesehen hat. Es ist im Gegenteil wahrscheinlich, dass diese Art des Ackerbaus die Krise des 14. Jahrhunderts zumindest begünstigt hat. Hier ist vieles noch Hypothese, aber es ist wichtig, diese dennoch zu formulieren und zu präsentieren, denn ein Forschungsfortschritt ist nur möglich, wenn es gelingt, die Methoden und die Datenbasis auszubauen. Voraussetzung dafür ist es aber, dass eine Fragestellung und ein Ziel vor Augen steht. 


Wölbäcker bei Albershausen GP
(Foto: R. Schreg, Februar 2020)

Es freut mich daher, dass im Editorial des Nachrichtenblattes der Regierungspräsident des Regierungsbezirks Stuttgart Wolfgang Reimer die Thematik aufgreift und schreibt; “Hier eröffnet sich ein wichtiges neues Forschungsfeld auch für die archäologische Denkmalpflege.“

Und: Auf Veranlassung des Landesamts für Denkmalpflege Baden-Württemberg ist im Vorfeld der Erschließung eines Neubaugebietes in Albershausen ein vielversprechende Projekt entstanden, das sehr interdisziplinär und in Kooperation von Denkmalamt, Universitäten (Tübingen und Bamberg), Landkreis, Gemeinde und Grabungsfirma an solch einem Wölbackerkomplex arbeitet.


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Freitag, 2. April 2021

Vom praktischen Nutzen archäologischer Rekonstruktionen

(Foto: R. Schreg, 2021)
 
Die Pfostenschlitzmauer auf dem Staffelberg bietet nicht nur eine gute Vorstellung einer prähistorischen Befestigung, sondern auch einen gern genutzten Sichtschutz...