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Freitag, 8. Dezember 2023

Streichungsgefahr für die Archäologie! nicht nur in Sachsen

Die schon lange andauernden Prozesse der zunehmenden sozialen Ungleichheit, der internationalen Erstärkung nationalistischer Ideen in Rußland, dem Vorderen Orient, aber auch in Europa und selbst hier in Deutschland sowie dem demographischen Wandel, der Klimawandel und der Digitalisierung sind in vielerlei Hinsicht besorgniserregend. 
 
In dieser Konstellation entsteht vielfältiger Druck auf die Universitäten und letztlich auf die kleinen und vermeintlich exotischen oder gesellschaftlich irrelevanten Fächer. Gerade die Archäologien geraten hier leicht in eine Schnittmene und auf Streichlisten - aktuell in Leipzig.
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Hier soll die klassische Archologie gestrichen werden (die schon früher zu einer Juniorprofessur für Archäologie des Mittelmeerraumes abgewertet wurde)  und die Ur- und Frühgeschichte durch eine billigere Juniorprofessur "Professur für Digitale Archäologie Mitteleuropas" ersetzt werden. Auch Mittelbau-Stellen sollen wegfallen. Die bisherigen Studiengänge  „BA Archäologie und Geschichte des Alten Europa“ und MA "Archäologie der Alten Welt" müssen in der Folge eingestellt werden.
In Leipzig zeigt sich schon lange ein systematisches Kaputtsparen der archäologischen Studiengänge, denn das Zusammenlegen vonklassischer Archäologie und Ur- und Frühgeschichte auf Master-Niveau ist für Absolvent*innen höchst unattraktiv, da es an der beruflichen Praxis völlig vorbei geht. Klassische Archäologen sind in ganz anderen Berufsfeldern gefragt als Ur- und Frühgeschichtler.  Das setzt sich nun fort. Eine Professur für Digitale Archäologie Mitteleuropas allein kann kein Studium stemmen, das vernünftige Berufsperspektiven bietet, sie ist nur ein hochschulpolitisches Lätzchen, die das völlige Streichen der Archäologie versteckt. Praktisch wird sich eine solche neue Professur bestenfalls in einen Studiengang im Bereich der Digital Humanities einbinden lassen, um dort einen Touch materielle Kultur und Kulturlandschaft einzubringen. Im ganzen Hype um Digitalisierung und Digital Humanities - solche Studiengänge sprießen allerortens - gerät aber die Frage in den Hintergrud, was Absolventen denn mit einer solchen Ausbildung anfangen sollen. Wissenschaft entsteht durch Fragestellungen, nicht durch Methoden, Eine Ausbildung zu den Möglichkeiten digitaler Methoden ist heute unverzichtbar, aber diese macht nur Sinn, wenn auch die fachlichen Grundlagen gelehrt werden.

Die oben verlinkte Petition der Fachschaft Archäologie Universität Leipzig wendet sich an den Staatsminister für Wissenschaft, Kultur und Tourismus des Freistaates Sachsen, Herrn Sebastian Gemkow (CDU), und die Rektorin der Universität Leipzig, Prof. Dr. Eva Inés Obergfell und fordert ein Bekenntnis der Universität Leipzig und der SMWK zur Archäologie in Leipzig und eine dauerhafte Absicherung der vollwertigen archäologischen Ausbildung mit den bestehenden Fachrichtungen Ur- und Frühgeschichte und Klassische Archäologie an der Universität Leipzig!
 
Der Protest hat auch die Medien erreicht.
Der mdr berichtet:

und weiter

 Die Diskussion in Leipzig ist nicht neu. Schon 2014 gab es eine Petition.

und einen Blog zu den damaligen Streichungsvorgängen :

 

Hintergründe der Sparzwänge: beschränkter Wissenschaftsbegriff und politisches Rumlavieren

Der Druck auf die kleinen Fächer und insbesondere die Archäologie ist schon lange zu spüren, nicht nur in Leipzig, sondern aktuell auch in Jena und Halle..In Großbritannien wurde das renommierte und florierende Institut in Sheffield einfach abgewickelt.
 
Im Hintergrund wirken verschiedene Mechanismen, die  überwiegend aus der aktuellen Hochschulpolitik resultieren, die in Bund und Ländern - aber auch anderswo in Europa - meist einen eher geringen Stellenwert hat. Bildung und Forschung geraten regelmäßig und oft wider besseren Wissens unter die Räder eines politischen Aktivismus und Lavierens, egal ob von Regierungsparteien, Oppositionsparteien und vermeintlichen Alternativen, wobei insbesondere aber nicht ausschließlich letztere explizit antiwissenschaftliche und post-aufklärerische Positionen vertritt. 
 
In der Corona-Krise und der Energiekrise infolge des Ukraine-Kriegs wurden die Universitäten - und die Studierenden - gerne vergessen oder vielleicht auch bewusst als ein Bereich wahrgenommen, den man zur Reduzierung der finanziellen Belastung auch übergehen kann. So wurden in einigen Ländern die Unis angewiesen, die Mehrausgaben für die hohen Energiepreise im letzten Winter aus ihren finanziellen Reserven zu bestreiten. Im Unterschied zur Wirtschaft oder Schulen gab es hier vielfach keine Finanzspritzen.

Der bereits angesprochene Trend zur Digitalisierung ist für die Politik vor allem eine Demonstration der eigenen Modernität. Hier wird publikumswirksam gefördert, obwohl das vielfach für die Berufsperspektiven der Studierenden nur bedingt sinnvoll scheint. In Bayern beispielsweise ist man stolz auf seine High-Tech-Agenda mit 1000 neuen Professuren, die vor und nach der Landtagswahl kräftig gefeiert wird. Tatsächlich werden hiernur  die Gehälter für die Professoren finanziert, aber nicht die dafür notwendige Infrastruktur an den Universitäten, also kein Mittelaufwachs für die nötigen Räumlichkeiten, Mitarbeiterstellen oder auch die High-Tech, die solche Stellen erst attrkativ machen. Die Universitäten, die solche High-Tech-Stellen übernommen haben, müssen sich diese Kosten nun an anderer Stelle einsparen.

Ein entscheidender Trend ist dabei die Ökonomisierung der Wissenschaft. Im neuen bayerischen Hochschulinnovationsgesetz ist besipielsweise als neuer Aufgabenbereich der Universitäten neben Forschung und Lehre auch der "Transfer" festgeschrieben, nach dem die Fächer auch bewertet werden. Dazu gehören insbesondere Patentanmeldungen und Ausgründungen von Start-Ups. Mit der aktuellen Schuldenkrise und der "Diskussion" der letzten Wochen wurden mehrfach Äußerungen getätigt, die von den Universitäten eine Konzentration auf die Überwindung der Wirtschaftskrise und die Energiewende durch technische Innovation einfordern.
Grundlagende gesellschaftliche Funktionen von Wissenschaft, wie z.B. die Begleitung aktueller gesellschaftlicher Prozesse oder auch einfach grundlegende Grundlagenforschung, die (zumindest aktuell noch) keine wirtschaftliche Anwendung verfolgt, werden einfach nicht bedient. 
Hier zeigt sich ein kaputtes Wissenschaftsverständnis, für das plakativ die Google-News-Rubrik Wissenschaft und Technik steht, die nur über Gaming-Produkte und neue Handies berichtet, aber überhaupt keine Forschung, weder in den Geistes- noch in den Naturwissenschaften liefert. Tatsächlich werden hier aber auch die Ingenieurwissenschaften nicht abgebildet.

Mit einem solchen verquerten und beschränkten Wissenschaftsverständnis kann eigentlich keine Wissenschaftspolitik betrieben werden. Es ist auch gefährlich, weil es die wissenschaftlichen Grundlagen der Moderne untergräbt und postfaktischen Positionen den Weg freiräumt, da jene Fächer, die den nötigen Widerspruch begründen können, keine Patente liefern. 
 

Fachkräftemangel auch in der Archäologie

Übrigens ist Archäologie derzeit noch nicht mal eine brotlose Kunst: Grabungsfirmen suchen händeringend nach Archäologen, die Ausgrabungen  im Rahmen der kommerziellen Archäologie übernehmen können... Digitale Archäologen werden diese Lücke kaum schließen.

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